[MSG] Black Tides

"Ich weis nicht." meinte Liv und lächelte Masao unschuldig an. Dabei wusste sie ganz genau was sie wollte. Tanzen. Der Laden gefiel ihr außerordentlich gut, warum war sie vorher noch nie hier gewesen sondern immer nur daran vorbei gegangen? Es hätte ihr so manch dämliche Situation wohl erspart, hier war die Gesellschaft eine ganz andere als in den Läden unten am Hafen. Das Bier war zwar ein wenig teurer, doch nun hatte sie ja eine Crew und die erste Heuer würde sicher kommen.
Lange ließ Liv ihren Begleiter nicht an der Theke verweilen und neue Kraft tanzen, kaum das beide ihren Krug geleert hatten wurde Masao von Liv wieder auf die Tanzfläche gezogen, ein fröhliches Lied wurde gerade angestimmt und schon drehten sich beide wieder umeinander. Das Strahlen in ihren Augen und das breite Lächeln auf den Lippen verrieten nur zu deutlich wie gut Livs Laune an diesem Abend war.
Es dauerte eine ganze Weile und gleich mehrere Lieder ehe Liv sich wieder an die Theke bewegen ließ, das Tanzen war wie ein Rausch gewesen der nur ungerne unterbrochen werden wollte, aber Liv hing die Zunge aus dem Hals, sie brauchte dringend etwas Flüssiges.

Wie lange war Harold noch im Sunken Whaler gesessen? Es wäre ihm am nächsten Morgen schwer gefallen, diese Frage zu beantworten. Zu lange. Und er hatte auch noch zu viel Wein gehabt. Trotz alledem war es die Morgensonne, die durch die Bleiglasfenster der Kapitänskajüte schien und ihn weckte. Mit unsicherem Blinzeln stemmte Harold sich auf seine Ellbogen. Er fühlte sich wie gerädert. Sein Schädel pochte und eine innere Stimme schrie lauthals danach, noch für ein paar Stunden Frieden zu haben. Doch nach kurzem Zögern blieb der Kapitän hart zu sich selbst. Das alles war nichts, was ein wenig frische Seeluft nicht beheben konnte. Er wuchtete sich aus dem Bett, legte sorgsam seine Kleidung an. Nachlässigkeit konnte er weder anderen noch sich selbst durchgehen lassen und am wenigsten bei seiner Gaderobe. Langsam kehrten die Lebensgeister in ihn zurück und als er schließlich aus der Kajüte ins Freie trat war zumindest die Müdigkeit weitestgehend verschwunden. Über Nacht war es kühl geworden. Eine steife Brise wehte von See her über die Zacke und die Tide und die Wolken, die sich über der Insel zusammen zogen, hatten eine Farbe, die Regen versprach. Nicht das, was er sich erhofft hatte, aber sie hatten keine Wahl: sie würden Geld auftreiben müssen um die Reparatur der Tide zu bezahlen. Sie würden dort hinaus müssen, ganz gleich, wie das Wetter war. Es würde schon keinen von ihnen umbringen. Dennoch: es wäre Harold nicht unrecht gewesen, wenn sie rasch aufbrechen hätten können.
Ein paar Männer waren bereits auf Deck unterwegs. Nicht viele, aber immerhin ein paar. Harold hielt nach seinem Ersten Maat Ausschau, konnte ihn allerdings nirgens entdecken. "Miguel!", rief er also stattdessen den erstbesten Matrosen, auf den sein Blick fiel, zu sich, "Sieh zu, dass du Mister Masao auftreibst und hierher bringst. Er soll mir ein Dutzend Männer für eine Expedition ins Inselinnere zusammen suchen."

Als einer der ersten, war Miguel in der letzten Nacht zurück zum Schiff gekehrt und hatte sich hingelegt. Je feuchtfröhlicher der Abend geworden war, umso weniger wohl hatte er sich gefühlt. Alkohol machte Männer unberechenbar und auch wenn er seine Pistole bei sich gehabt hatte, so war er doch froh gewesen, als er draussen gewesen war. Man sah es schwulen Männern leider nicht an, wenn sie schwul waren. Oder eher selten. Und auf Übergriffe solcher Art konnte er sehr gut verzichten.
Am Morgen war er auch der erste gewesen, der bereits aus den Federn war und er hatte gleich damit begonnen den Boden zu schrubben und nachzuschauen, was an den Segel und Masten alles zu flicken war.
Nach und nach waren dann mehr Leute aufgewacht und hatten sich an Deck getraut. Miguel hatte jedoch mit keinem von ihnen ein Wort gewechselt. Erst als der Kapitän persönlich auftauchte und ihn ansprach.
"J-ja, w-erd ich selbst v-verständlich g-gleich machen", nickte er eilig. Er hatte den ersten Maat bisher noch nicht gesehen. Vermutlich schlief er also noch. Hoffentlich war die rothaarige Schreckschraube nicht bei ihm.
Miguel verschwand also unter Deck, um dort Masao zu suchen und hoffentlich auch zu finden.

"Ähhhh? Wasislos?", waren die ersten zusammenhängenden Worte, die Masao rausbekam, als ihn Miguel wachrüttelte. Arschficken! Der Bückbube hatte gar kein Recht, ihn so aufzuwecken. Es sei denn, Whinton schickte ihn. Anscheinend war das so. Er grummelte und zog sich rasch an. Der Weg auf Deck war lang und beschwerlich, und auch wenn es bewölkt war, stach das licht wie tausend Sonnen. Liv folgte ihm im Schlepptau, war auch aus ihrer Hängematte gekrabbelt, aber besaß die Pietät, sich erst einmal von Whinton fernzuhalten. Oder war das ein kluger Schachzug?
"Erster Maat meldet sich zum Dienst, Captain." Der Wind fuhr ihm in die Haare, strubbelte sie noch weiter. "Sieht so aus, als ob wir Regen bekommen. Ich hatte noch was zu tun gestern Nacht. Hat ein bisschen länger gedauert, aber war für beide Seiten mehr als befriedigend. Also, was ist unser nächster Schritt?"
Whintons Miene zu lesen war schwierig. Lag vielleicht auch daran, dass sein halbes Gesicht im Verband steckte.

Die ersten Schritte hatte Liv sich noch ernsthaft gefragt was sie dazu bewogen hatte aus der Hängematte zu steigen, Lust dazu hatte sie nicht gehabt und das Verlangen dazu schon gar nicht. Doch das Getrappel auf den Planken über ihr und nicht zuletzt Miguel der Masao wach rüttelte und verkündete der Kapitän wollte ihn sprechen waren Grund genug die Füße auf den Boden zu stellen und sich zu erheben. Etwas frische Luft würde die ermatteten Lebensgeister schon wecken redete Liv sich ein und ging noch leicht wankend die Gänge hinterher. Wie war sie hier überhaupt hin gekommen? Schemenhaft konnte sie sich noch erinnern wie Masao und sie nochmals in tiefster Nacht an die Klippen gegangen waren, doch dann versank das weitere Geschehen im schwarzen Delirium des Alkohols. War wohl doch der ein oder andere Krug zuviel gewesen, ihr war als würde ein kleiner Teufel von Innen mit einem großen Hammer gegen die Schädeldecke hämmern und ihr Magen, oh dem ging es gar nicht gut.
Das Sonnenlicht empfing sie mit einem unwilligen Stöhnen, es Stach in den Augen wie tausend Nadelstiche und schien sie wieder in den Bauch des Schiffes treiben wollen. Doch ihr Magen rumorte, langsam aber sicher wurde Liv gewiss in welche Richtung das Organ heute morgen arbeiten wollte, und dafür musste sollte sie lieber vom Schiff herunter.
Durch die nur zu einem schmalen Spalt geöffneten Augen konnte die Thurmerin gerade genug sehen um den Weg zur Planke und herab zum Pier zu finden, noch ein paar Schritte weiter ging sie, musste ja nicht jeder sehen wie die Nacht ihr bekommen war, und bog in eine schmale Gasse ein. Direkt neben dem Gasthaus gelegen wurde die Gasse eher als Latrine genutzt als als Weg, der Gestank war Liv gerade jedoch herzlich egal, mit einer Hand an der Hauswand abgestützt ließ die Rothaarige ihrem Magen freien lauf.
Wenig später kam Liv zurück auf das Schiff, wirkte schon deutlich frischer, hatte die Augen an das Licht gewöhnt und auch die Schritte waren wieder sicher und vor allem geradelinig. Aus einem Beutel fingerte sie ein paar Kräuter und schob sie in den Mund, der würzige Geschmack gefiel ihr und das Zeug beruhigte den Magen. War es wert gewesen der alten Kräuterhexe dafür ein paar Münzen zu überlassen. Unentschlossen stand Liv nun neben der Reling, musterte das Schiff und seine Schäden und die Matrosen die nach und nach aus dem Bauch des Schiffes krochen.

Kam es ihm nur so vor oder war Masao ebenfalls nicht in bester Verfassung? Skeptisch musterte Harold den Ersten Maat aus seinem verbliebenen Auge. Verdammt, das andere schmerzte. Schmerzte immer noch, ein dumpfes, pulsierendes Pochen unter dem Verband. Er würde sich von Bones etwas zusammen mischen lassen. Oder waren das nur die Auswirkungen des Alkohols? Bei allen Tiefengeistern, hoffentlich schmerzte Masao wenigstens auch der Schädel! Kein freundlicher Gedanke, zweifelsohne, nichts, was man irgendwem wünschen sollte, aber in seiner momentanen Laune war Harold das gleich.
"Hören sie mir zu", kam er anstelle eines Grußes direkt zur Sache, "Wir haben nicht annähernd genug Finanzmittel für die Reparaturen an Bord der Tide und die Ladung habe ich gestern bereits löschen lassen. Selbstverständlich auch nicht genug. Wir müssen an unsere Reserven gehen, wenn wir das alte Mädchen wieder seetüchtig kriegen wollen. Sie wissen von Harforts verbuddeltem Notgroschen, nehme ich an. Ich habe vor, ihn zu bergen, aber allein gehe ich nicht in den Dschungel raus. Stellen sie mir einen Trupp aus einem Dutzend Mann zusammen." Kurz zögerte er. "Am besten, sie kommen selber auch mit. Bis wir einen neuen Mast haben gibt es hier im Hafen ohnehin nicht viel zu tun."

"Wird gemacht, Captain.", Masao salutierte lässig, wandte sich ab, und stolzierte so gut es in seiner Verfassung möglich war über das Deck hinüber zu Liv.
"Jo, Liv. Kleine Schatzsuche im Dschungel. Du bist dabei. Stopf schon mal deine Pistolen."
Dann brüllte er die Namen verschiedener Seemänner über das Deck, sowohl solche, die er gestern angeheuert hatte, den drahtigen Imperialen, Cyrian, und den anderen Thurmer, als auch solche, die schon da gewesen waren, wie Miguel und Ismihan. Als sie versammelt standen, erklärte er kurz die Lage.
"Also, Jungs und Mädels, es geht mal wieder los. Um die Tide wieder flottzukriegen, müssen wir Harforts Reserve aus dem Dschungel holen. Dem Captain ausser Dienst nutzt es ja nichts mehr, deswegen ist es nur recht wenn wir es nutzen, um sein Erbe aufleben zu lassen. Was meint ihr?"

"Bitte um Erlaubnis ebenfalls mitkommen zu dürfen", meldete sich Bones für die herrschenden Verhältnisse ziemlich frisch und ausgeruht wirkend zu Wort. Die Ärztin hatte darauf verzichtet sich nennenswerte Mengen Alkohol bis spät in die Nacht in den Kopf zu kippen und war vorzeitig gegangen. Das Ergebnis war ein klarer Kopf, dem es nicht entging dass alle anderen aussahen als würden die Tänzerinnen aus dem Peach grade eine Tanzprobe auf deren Schädeldecken machen. Mit einer Hand förderte Bones ein paar Blätter aus ihrer ein wenig schmuddelig wirkenden Umhängetasche zutage, die sie Whinton, Masao und auch Liv in die Hand drückte.
"Wird helfen. Leider sind mir bei unserer Eskapade ein paar Vorräte ausgegangen. Und neue Vorräte kaufen ist nich' drin."

Einen Moment lang starrte Harold verdutzt auf das Blatt in seiner Hand, dann beeilte er sich, es Bones zurück zu geben. Was dachte die sich da denn? "Ich brauch nichts gegen einen Schädel, ich brauche etwas hier gegen!", erwiderte er leicht gereizt, wobei er auf den Verband um sein Auge deutete. Ja, das war nicht sonderlich höflich, wie er die Ärztin da anfuhr! Es war ihm bewusst. Aber an diesem Morgen hatte er einfach nicht den Nerv für seine gewohnten Etikette. Nicht, solange dieser Höllenschmerz in seinem Kopf saß.
"Aber ja... sie können uns begleiten, wenn sie das wünschen", schob er gequält hinterher, seine patzigen Worte von zuvor wenigstens ein wenig entschärfend.

"Isjut.", schnaubte Masao erstaunlich dankbar, und begann, das bittere Blatt zu zerkauen. Beinahe hätte er gerne noch mit einem Tiefengurgler den Geschmack runtergespült, aber das gehörte wohl zum Gesamtpaket. Bah! Widerlich! Er schluckte das zerkaute Blatt und spuckte braunen Saft über die Reling ins Meer. Sauber! Sollten die Fische sich damit abplagen. Ob Whinton eine Karte hatte? Bestimmt. Er beschloss, es anzusprechen.
"Captain, haben wir eine Karte, oder hat Harfort es ihnen auf dem Sterbebett gebeichtet?"
Vielleicht etwas provokant, aber Whinton kannte den Umgangston. Einauge Whinton, ob das jemals der Stoff für Legenden sein würde? Dann doch eher das blutige Bastardkind...

Es hatte nicht geklappt. Irgendwie war Ismihan über ihren Erinnerungen eingeschlafen. Als der Wirt sie irgendwann weckte, um sie rauszuschmeißen, war der Kapitän längst fort und Ismihans Heuer - glücklicherweise in diesem Fall wohl - noch bei ihr. Schlaftrunken machte sich die ehemalige Hochseiltänzerin auf den Weg zum Schiff und fiel dort müde in ihr Bett, mit dem festen Vorsatz, dem Kapitän am nächsten Tag ihr Geld zu geben.
Und genau deswegen trat Ismihan nun auf Kapitän Whinton zu, der sich mit Masao, Bones und einer der Neuen unterhielt. Kurz ließ sie sich durch den Kopf gehen, wie sie es am Besten anstellen sollte, warf alle Pläne jedoch wieder über Bord und beschloss, einfach zu gucken, was herraus kommen würde. Zumal sie Whinton eh nicht einschätzen konnte. Freundlich lächelnd blieb sie vor dem Kapitän stehen und kramte nach ihrer Heuer und den paar Münzen, die sie durch ihre kurze Einlage vor dem Wirtshaus verdient hatte.
"Kapitän? Verzeih die Störung, ich bin sicher, du hast wichtige Gespräche zu führen, aber da mir die Black Tide zu einem wahren zu Hause geworden ist, will ich meinen Teil dazu beitragen, das sie wieder seetüchtig gemacht wird. In meiner Familie war es üblich, das wir alles zum Wohle der Gemeinschaft geteilt haben, daher will ich, das du meine Heuer nimmst und sie dazu verwendest, die Black Tide wieder hin zu bekommen."
Mit diesen Worten hielt sie ihm ihren kleinen Geldbeutel hin.

"Tut mir leid, Käpt'n, aber der Verband bleibt dran. Ein oder zwei Tage mindestens noch", befahl Bones mit der für ihre ärztliche Tätigkeit reservierten Autorität. Whinton mochte das Schiff gehören, aber bei Verletzungen hatte sie immer noch das letzte Wort. Und wer sich dem verschloss konnte gerne an Hirnverrottung sterben. Hatte sie sich falsch verhalten? Vielleicht schon. Mit Whinton war sie einfach noch nicht auf Du und er war schon immer zugeknöpfter gewesen als ein Marineanwärter. Da konnte man nichts machen.
"Bei so einer Wunde hilft nur Zeit und die richtige Behandlung. Aber danke, Käpt'n."
Bones drehte sich um und schlenderte schonmal die Gangway hinunter. Der Rest würde schon nachkommen.

Für einen Moment blickte Harold Ismihan und den kleinen Lederbeutel, den sie ihm anbot, verwundert an. "Das ist dein Anteil an der Beute", erklärte er und fand zugleich, dass es furchtbar lahm klang. Kurz überlegte er, ob er ihre Hand nehmen und um den Beutel schließen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Allein die Vorstellung von Körperkontakt war ihm an diesem Morgen zuwider. "Die Tide kriegen wir auch so wieder flott. Wir haben Rücklagen für solche Fälle. Eure Heuer habt ihr euch alle verdient. Abgesehen davon würden die paar Schillung uns nicht weit bringen. Kauf dir lieber etwas Schönes davon", fuhr er stattdessen fort.
Der Auftritt der jungen Frau hatte Harold aus dem Konzept gebracht. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ein Pirat sich freiwillig von seinem Teil der Beute trennen wollte. Hatte man sowas schon einmal gehört? Entsprechend brauchte er einen Moment, ehe er wieder zu Masao und dessen zuvor gestellter Frage zurück fand. "Keine Karte", erklärte er dem Ersten Maat und hätte sein Auge nicht so furchtbar geschmerzt, er hätte wohl ein triumphierendes Lächeln gezeigt, "Aber der alte Jeremiah war nicht allein, als er sein Gold vergraben hat."

Cyrian war doch etwas überrascht gewesen als Masao ihn ebenfalls zu der Gruppe steckte, welche die Notreserve ausbuddeln sollte und vermutlich konnte man ihm die Überraschung auch ein bisschen ansehen. Bei so einer Sache nahm man normalerweise nicht die Neulinge, aber er würde den Teufel tun und den Befehl anzweifeln. Wenn man etwas zu sagen hatte, dann bevor der Vorgesetzte sich entschieden hatte, wenn man dies danach machte, fassten viele das sehr Negativ auf.
Cyr war froh das Er im Allgemeinen nicht so der Trinker war, was ihm normalerweise jedoch nur einen etwas leichteren Kater bescherte als den anderen. Trotzdem etwas auf das Er eigentlich verzichten konnte. Also steckte er sich erst einmal eine Pfeife mit einer etwas harmloseren Mischung an und fasste danach eine Schaufel, deswegen hatte Masao ihn wohl zur Gruppe eingeteilt. Danach platzierte sich Cyr ebenfalls auf dem Pier und wartete auf die restliche Gruppe.

Gut, wenn Whinton wusste, wo das Gold war, um so besser. "Dann sollten wir uns ein paar Schaufeln und Macheten schnappen und uns in den Dschungel aufmachen.", knurrte Masao, und spuckte noch einmal über die Reling. Widerlicher Geschmack, dieses Blatt. Die Hand auf den Griff seines Säbels gelegt stierte er in den wolkenverhangenen Himmel. "Hoffe nur dass uns der verdammte Windgott nicht vollkommen nass macht.", zu den restlichen an Bord Verbliebenen fuhr er fort: "Und ihr passt uns gut auf die Tide auf. Vielleicht kommen wir sogar mit genug Gold zurück, um die verdammten Muscheln vom Rumpf zu kratzen und neu zu kalfatern!"

Sie verließen die Zacke eine knappe Stunde später. Ihre Prozession mochte einiges an Aufmerksamkeit auf sich ziehen, gehüllt in schwere Mäntel und ein jeder mit Gepcäk auf dem Rücken oder in Händen. An einem Tag würden sie es kaum zurück schaffen, also hatte Harold sie instruiert, neben dem unvermeidlichen Werkzeug auch Decken und Proviant einzupacken. Der Trupp bestand aus vierzehn Mann. Masao hatte zwölf aus der Crew ausgesucht, aber mit Harold wären sie zu dreizehnt gewesen und auch wenn der Kapitän sich für einen rationalen Mann hielt, der nicht viel auf Aberglauben gab: es war allgemein bekannt, dass diese Zahl diversen Göttern missfiel und zumindest die Mannschaft würde es beruhigen. Also hatte er zusätzlich Jade abkommandiert, sie zu begleiten. Weil sie ihm gerade über den Weg gelaufen war.
Der ausgetretene Pfad, der aus der Stadt in den Dschungel führte, war so schmal, dass sie einer hinter dem anderen marschieren mussten. Harold, der den Weg kannte, bildete die Spitze. Der Weg war beschwerlich und er würde noch beschwerlicher werden, wenn der Pfad sich im Unterholz verlief. Es mochte eine halbe Stunde her sein, dass sie die letzten Häuser hinter sich gelassen hatten, als der Regen einsetzte. Wie so häufig in diesen Gefilden kam er unerwartet und heftig. Es begann mit wenigen, dicken Tropfen, die unheilverkündend auf den breiten Blättern der Kaoli-Bäume trommelten, dann, wenige Augenblicke später, öffneten sich auch schon sämtliche Schleusen des Himmels. Es dauerte nicht lange bis ihr Pfad sich in eine Schlammpiste verwandelt hatte, auf der alle paar Schritt einer der Männer ausglitt. Bald waren sie bis auf die Haut durchnässt und starrten vor Dreck. Dass der Regen warm, beinahe angenehm, war, war ein schwacher Trost.
"Passt auf, wo ihr hin fasst!", schrie Harold, sich zu der Kolonne zurück wendend, gegen die Naturgewalten an, "Dieser Dschungel ist voller Biester. Und die Kleinsten bringen euch am leichtesten um!"

Jade war früh morgens wach geworden und hatte sogleich ihre und Maurices Sachen zusammengepackt, damit sie diese zur Black Tide schleppen konnten. Es war wahrscheinlich besser dieses Lagerhaus so früh wie möglich zu verlassen, denn auch wenn es in der ganzen Zeit niemand benutzt hatte, so konnten sie sich dennoch nicht sicher sein, dass es gar nicht mehr benutzt wurde und die meisten Leute waren nicht unbedingt froh darüber, Streuner in ihren Häusern vorzufinden.
Nachdem sie schließlich sorgfältig alles gefaltet und zu Bündeln zusammengepackt hatte, weckte sie Maurice, sie hatte nur wenig Lust darauf noch länger einfach herumzusitzen und nichts zu tun und auf der Tide gab es mit Sicherheit Arbeit für sie, außerdem hatte sie einen schlechten Eindruck wettzumachen und sollte damit lieber auch gleicht anfangen.
Maurice hatte zwar anfangs gemurrt, weil sie ihn aus dem Tiefschlaf gerissen hatte, war aber bei Jades Drohung, ihm einen Eimer Wasser übers Gesicht zu kippen, schnell munter geworden.
So kam es, dass sie bereits im Morgengrauen auf der Tide zu finden war.
Als schließlich der Captain an ihr vorbei gegangen war und sie dazu abkommandiert hatte, mit auf die Suche nach einer vergrabenen Geldreserve zu suchen, war sie überrascht gewesen. Sie war neu dabei und hätte eher erwartet, dass er sie hier ließ. Doch sie störte sich nicht daran, sie war körperlich fit und würde bei dem Marsch nicht aus der Reihe tanzen. Einzig und allein die Tatsache, dass sie tiefer ins Landesinnere eindringen musste, behagte ihr nicht. Sie hasste das Land und hatte es bisher vermieden sich großartig vom Hafen und vom Wasser zu entfernen. Aber sie murrte nicht. Auch nicht, als es auf dem Marsch anfing zu regnen und sie schnell bis auf die Haut durchweicht war.
Hier und da rutschten immer wieder Männer aus. Auch Jade war bereits zwei Mal umgefallen, hatte sich aber schnell wieder aufgerappelt. Sie wollte das Tempo halten, denn umso schneller sie waren, desto schneller kamen sie zurück zum Schiff. Der Regen allerdings drückte mehr und mehr auf die Geschwindigkeit, bei einem glitschigen Untergrund musste man aufpassen wo man hin trat, nur war das bei dem Schlamm auf dem Boden gar nicht leicht. Und wenn sie nicht gerade an einer Stelle waren, wo man leicht ausrutschte, dann lag das daran, dass sie kniehoch in einer Schlammpfütze steckten, in der man kaum vorwärts kam.
Sauwetter.

Anfangs war der Marsch ja noch ganz nett gewesen, körperliche Arbeit und längere Märsche waren keine Dinge die Liv sonderlich belasteten. Auch der Rucksack auf dem Rücken hatte daran nicht viel ändern können und solange wie die Sonne noch geschienen hatte waren selbst die unwegsamen Trampelpfade durch den Dschungel noch recht gut zu laufen gewesen.
Doch kaum das der Regen eingesetzt hatte und aus dem Pfad ein einziges Schlammloch geworden war hatte sich Livs Laune mit jedem Schritt verschlechtert. Schnell war der Rucksack eine unangenehme Last geworden der nur störte wenn mal wieder der Fuß keinen Halt fand und man verzweifelt einen erneuten Sturz vermeiden wollte. Und Liv war nicht nur einmal gestürzt, von oben bis unten klebte ihr der Schlamm in den Kleidern, das Wasser stand ihr den Stiefeln und wo kein Schlamm war, da war das Wasser, auch nicht besser. Wieder stand sie tief im Schlamm, zog mühsam einen Fuß nach dem anderen aus der braunen Masse nur um einen Schritt weiter wieder ebenso tief darin zu versinken. Die Aussicht auf noch viele weitere Stunden und eine nasse Nacht im Dschungel waren kein guter Ansporn nicht einfach wieder kehrt zu machen und zurück zu gehen. Doch diese Blöße konnte und wollte Liv sich nicht zeigen, wie würde sie denn dastehen wenn ein wenig Dreck und Wasser sie zur Flucht treiben würden. Stattdessen zog sie trotzig einen Fuß nach dem anderen Weiter und hoffte auf ein baldiges Ende des Regens.

Masao kannte den Pfad nicht, aber er wusste, welche Gefahren hier lauerten. Schlangen, Spinnen, Vögel, Affen. Tiger, Wildschweine... Nicht schön. Er schnaubte und wischte sich den Regen aus den Augen. Liv war knapp hinter ihm, kam aber nicht so gut damit klar. Er würde allerdings auf jeden Fall seine Hosen in die Wäscherei geben müssen. Na hoffentlich zwackte Whinton ein bisschen was von Jeremiahs Gold ab. War ja nicht auszuhalten, auch wenn er noch einige Hosen bereit hatte. Nun, es würde lustig werden. Solange sie hier nicht übernachten mussten...
Ein paar Meter über ihm hatte ein Blatt gerade soviel Wasser angesammelt, dass ein Schwall neben ihm herunterplätscherte und ihn durchnässte. Er grummelte und stapfte weiter. Nichts als Dreck hier, und Spinnen, und ständig kreischten die Vögel. Pfeife konnte man auch nicht anstecken, ach was ein Dreck. Wann kamen sie nochmal an?
"Whinton, auch wenn das jetzt komisch klingt, aber sind wir bald da?"

"Bald? Wir sind doch gerade erst los gegangen...", antwortete Harold mit gespielter Überraschung. Er hatte den Punkt, an dem ihm der sintflutartige Regen und der Schlamm, in dem sie bis zu den Knien versanken, noch auf die Stimmung schlug, irgendwann dann überwunden als das Wasser nicht nur seinen Mantel, sondern auch das Hemd darunter vollkommen durchtränkt und ihn damit am gesamten Leib durchnässt hatte. Seitdem nahm er es mit Gleichmut. Was blieb ihm auch anderes übrig? Vor dem Regen gab es kein Entkommen und weiter mussten sie so oder so. was brachte es da noch, sich darüber zu ärgern. Dann waren sie eben nass. Es würde sie schon nicht umbringen. Man konnte sich damit arrangieren.
"Nein, Mister Masao, wir haben noch ein gutes Stück Weg vor uns", erklärte er versöhnlich, "Vor dem späten Nachmittag werden wir kaum an unserem Ziel ankommen und wenn mein Zeitgefühl mich nicht völlig im Stich lässt, dann würde ich sagen, dass es kaum Mittag ist."

Seit es begonnen hatte zu regnen war Cyrian noch nie so froh um die Schaufel gewesen, welche man ihm gegeben hatte. In dem matschigen und rutschigen Untergrund konnte man sie gut als Stütze missbrauchen und hatte ihn schon von so manchem Sturz bewahrt. Blieb nur zu hoffen, dass dieser Matschsumpf etwas nachlassen würde, wenn der Wald dichter wurde. Ansonsten würde die ganze Gruppe nicht nur einen verdammt kräftezehrenden Marsch vor sich haben, sondern auch erheblich länger brauchen als ursprünglich eingeplant. Im Prinzip wollte Cyr so schnell wie möglich zurück auf das Schiff, so weit im Landesinneren fühlte er sich einfach nicht wohl und je länger das so war umso schlimmer wurde es. Bei dem ganzen Regen und so durchnässt wie alle waren würde er sich nicht einmal eine Pfeife anstecken können, dämliches Wetter.

Miguel war nie ein Freund der grünen Natur gewesen. Zu viele unbekannte Gefahren warteten auf einen und rasch konnte es unangenehm werden. So wie jetzt.
Der nasse Mantel hing schwer an seinen Schultern und gab ihm das Gefühl gleich zu ersticken. Alles war nass und dennoch war es warm. Selbst die Luft war feucht, erschwerte einem das Atmen. Und im Schlamm konnten grässliche Tiere lauern. Blutegel um ein Beispiel genannt zu haben.
Miguel schauderte bei dem Gedanken an diese blutsaugenden Parasiten, deren Biss man erst merkte wen es bereits zu spät war.

Ismihan war wohl so ziemlich die einzige, die den Regen nicht innerlich verfluchte, sondern beinahe schon genoss. Sie mochte Wasser. Lieber zwar getrennt durch einige Decks unter ihr, aber auch das von oben. Außerdem verdankte sie es ihrem Gleichgewichtssinn, das sie nicht alle naselang auf dem glitschigen Grund ausrutschte, sondern elegant wie eh und je sogar darauf hätte tanzen können. Zumindest bildete sie sich das ein. In Wahrheit musste auch sie um ihr Gleichgewicht kämpfen, wenn auch mit praktisch gar keinem Schlammkontakt oberhalb der Einsinkgrenze. Von den Spirtzern, die durch die Ausrutscher der anderen entstanden, einmal abgesehen.
Nichtsdestotrotz schlug die allgemeine Stimmung auch auf ihre Nerven. Brummelig schlitterte sie zwischen den anderen her und versuchte gar nicht erst, ein Gespräch anzufangen. Wahrscheinlich würden die anderen sie eh nur anschnauzen, das sie jetzt keine Lust hätten zu reden, sondern lieber versuchen wollten, weniger auszurutschen. Also hielt sie besser gleich die Klappe. Ersparte ihr wesentlich mehr Frust.

Harold verzichtete darauf, eine Rast einlegen zu lassen. Niemand würde große Lust haben, sich in den Schlamm zu setzen und ehe sie alle nur herum standen konnten sie ebenso weiter laufen. Ob sie ihren Proviant im Stehen oder Gehen aßen war unerheblich. Dennoch kamen sie nur langsam voran, langsamer als der Kapitän es erhofft hatte. Bis zum späten Nachmittag, so hatte er es sich ausgerechnet, sollten sie Harforts Schatz erreicht haben. Doch als es Abend wurde und seine schmerzenden Beine mit jedem Schritt heftiger protestierten waren sie noch immer knappe zwei Meilen entfernt. Die dichte, schwarze Wolkendecke hatte sie den ganzen Tag über im Halbdunkel marschieren lassen, doch nun senkte sich die Finsternis vollends über sie. Es ergab keinen Sinn, ohne Licht weiter zu marschieren. Also führte Harold die Crew in eine kleine Höhle im Fels und ordnete an, ein Nachtlager aufzuschlagen. Es war nicht eben das, was man gemütlich genannt hätte. Der Boden war harter, bloßer Fels und die Decke hing so niedrig, dass die Größeren unter ihnen den Kopf einziehen mussten. Aber immerhin war es trocken und mit ein bisschen Glück würden sie ein Feuer in Gang bekommen.

Nass wie er war, kroch ihm die Kälte augenblicklich unter die Haut, kaum hielten sie an, um Rast zu machen. Er war jedoch auch sehr dankbar, der Marsch war ermüdend gewesen
Miguel suchte sich eine einigermassen trockene Ecke uns stellte erst einmal seinen Proviant auf den Boden.
Ein Feuer wäre wirklich praktisch. Doch bei dem Regen fanden sie wohl kaum trockenes Holz.
Er setzte sich hin und schlang den Mantel fest um sich, in der Hoffnung, dass er die Kälte etwas abwehren konnte.