GQ - [Die MSG]

Der Tempel war ein willkommener Anblick. Aber nach Tagen und Wochen des Marschs durch den Wald wäre wohl alles, was nicht eben ein Baum war, ein willkommener Anblick für Aldred gewesen. Endlich raus aus dem Unterholz. Endlich am Ziel! Wenngleich der Tempel nicht so wirkte, wie er ihn sich vorgestellt hatte. Er wirkte fast gewöhnlich, Mauern und Säulen aus Stein, ein Gebäude wie jedes andere, groß, aber doch zweifellos von Menschenhand errichtet. Nicht so viel anders wie der Tempel der Reija in Kilath. Nur eben älter, so viel älter. Verfallen. Die Natur schien ihn sich zurück zu erobern. Gestrüpp und junge Triebe wucherten im Innenhof, Efeu bedeckte die Wände, Wurzel und Ranke sprengten hier und dort den Stein. Nicht das, was Aldred erwartet hatte. Aber doch ein Ort, der der Göttin der Erde angemessen erschien. Was ihre Diener zurück gelassen hatten, das verleibte die Erdgöttin sich nun selbst ein.
Nur: hatten ihre Diener den Tempel verlassen? Die Feuer, deren blakender Schein aus halb offenen Toren und Löchern im Mauerwerk drang, sprachen eine andere Sprache. Aber waren es Freunde oder Feinde, die dort auf sie warteten? "Jemand sollte das auskundschaften, ehe wir uns weiter nähern", schlug er vor, "Ich sicher nicht. Mit all dem Stahl mache ich genug Lärm für eine ganze Kompanie. Jemand, der leise und unauffällig ist. Amun'Raak. Oder Neythani. Einer von euch sollte vor gehen und heraus finden, wer diese Feuer angezündet hat."

"Ich gehe," wandte Neythani sich an die anderen. Langsam näherte sie sich dem Eingang der Ruine und schnupperte nebenbei. Es roch nach Holz und Laub, aber sie glaubte auch einen vertrauten Geruch in der nase zu haben. Vorsichtig näherte sie sich den Stimmen.
"Müssen bald fort", hörte sie einen Satzfetzen. "Das essen wird knapp," war ein weiterer.
"Wir sind hier sicherer als im wald," hörte sie die stimme einer Frau. Und diese Stimme kam ihr sehr bekannt vor. Schließlich erreichte sie einen Größeren raum, der anscheinend mal eine Art Andachtssaal gewesen war, in dem die Anhänger der Göttin gemeinsam beteten. Sie sah einzelne Schlaffelle am Boden liegen, Männer, Frauen, Kinder..Sie saßen zusammen an einem Feuer und unterhielten sich. Eine Ältere Frau und ein junger Mann stritten sich. Neythani kannte sie. Es waren ihre Mutter und ihr Gefährte..Neythani stürmte auf die beiden zu und war ausser sich vor Glück. "Nana!", schrie sie mit quietschender stimme und umarmte die ältere Frau glücklich."Ney?..Ney.!"
stimmte die Frau nun in die Freudenlaute mit ein und beide Frauen fingen an zu weinen und sich in den Armen zu wiegen.

Die Katzenfrau schlich zum Tempel und war kurz darauf verschwunden. Nun hieß es warten. Angespannt starrte Eve zu dem Gebäude hinüber, abwartend, was Neythani berichten würde. Dann...
Etwas in der Stimmung änderte sich. Die Gespräche im Innern des Tempels verstummten, kurz nur, dann erklangen sie wieder, etwas lauter. War Neythani entdeckt worden? Besorgt warf Eve einen Blick zu dem Schmied.
"Was meint Ihr dazu?", fragte sie, mit der Sicherheit, dass auch Aldred das Ganze bemerkt hatte.

"Das ist eine folgenschwere Entscheidung", brummte Ninas Vater und hob eine Hand zum Kinn, wo diese nachdenklich im Bart verschwand. Mit streng prüfenden Blick betrachtete er die beiden unfreiwilligen Freier und schien sie zu schätzen, wie er das bei Gewürzlieferungen oder beim Kauf eines teuren Pferdes machen würde. Ganz genau wurden die beiden begutachtet. Unterm Strich waren sie keineswegs optimal, denn niemand von ihnen war adelig oder hatte seinen Hauptwohnsitz in den westlichen Königreichen, doch er musste sich entscheiden. "Der Grundbesitz ist ein kräftiges Argument, doch wir sollten nicht vergessen, dass wir hier heiraten, um Ninas Ruf und den Ruf des möglichen Bastardes zu retten. Es besteht die Möglichkeit, dass das Kind wie Tristan aussehen wird. Zumal ... Sie sich sofort gegen seinen Tod ausgesprochen hat. Womöglich wäre sie ja glücklich mit dir?" Nachdenklich tippte er sich gegen das Kinn. "Nun gut. Deine Hinrichtung wird aufgeschoben, bis ich mir absolut sicher bin. Über solch eine gravierende Entscheidung sollte man eine Weile schlafen. Geh zum Zelt und lass deine Wunden versorgen, Junge."

Aldreds Blick war ernst geworden als die Geräusche zuerst verstummt, dann lauter wieder aufgebraust waren. Etwas dort vorn musste ganz anders gelaufen sein, als sie das geplant hatten. Nur was? Aldreds erster Instinkt war, mit gezogenem Hammer dort hinein zu stürmen, Neythani beizustehen. Und doch zögerte er. "Keine Kampfgeräusche", teilte er knapp mit den anderen, was ihm zuerst aufgefallen war, "Neythani würde doch kaum ohne Kampf zu Boden gehen. Sie ist die Auserwählte von Luhane..."
Nichtsdestotrotz löste er seinen Helm vom Gürtel und stülpte ihn sich über, schloss die Riemen und schlüpfte dann in den verbliebenen Panzerhandschuh. "Aber besser, wir sehen trotzdem nach."

"Jeder kann überrascht werden", meinte Eve nur als Antwort, bevor sie kampfbereit ihre Hellebarde griff. Da auch Aldred sich bereit zu machen schien nickte sie ihm kurz entschlossen zu, bevor sie sich vorsichtig auf den Eingang des Tempels zubewegte, dabei immer wieder stehen bleibend und lauschend. Was würde sie drinnen wohl erwarten? Eine Erschlagene Neythani? Würde Zyn das zulassen? Nunja, warum nicht? Immerhin war die Katzenfrau eine ungläubige und möglicherweise nur als Wegweiser hierher gedacht.

Neythani war zwar erschlagen, aber nicht durch eine Waffe, sondern durch ihre Gefühle. "Wie seid iher hier hergekommen?" fragte sie ihre mutter. Für den Augenblick hatte sie die anderen gänzlich vergessen. Doch dann fiel es ihr ein. Grade als ihre mutter ihr erzählen wollte, was alles passiert war, kam aus der Richtung des Tores ein näherkommendes Geräusch. "Es ist keine Gefahr, kommt ruhig rein!" rief sie zu den anderen. "Ich bin nicht alleine hier, Mutter. Ich habe begleiter. Die Erdenmutter hat mich hier her geschickt.," wandte sie sich dann an ihre Familie. Ihr Gefährte und ihr Kind saßen neben ihr und blickten sie ehrfürchtig an.

Es gab so einiges, das Aldred erwartet hätte, doch auf das Bild, das sich ihm bot, als er an Evelynns Seite mit gezogener Waffe die Tempeltore durchschritt, hätte ihn nichts vorbereiten können. Katzenmenschen, und so viele noch dazu! Irgendetwas zwischen einem und zwei Dutzend. Wesen wie Neythani. Doch sie wirkten mitgenommen und abgerissen. Aldred konnte nur wenig Gepäck sehen, das sie mit sich führten, Felle, auf denen sie schliefen, Bündel mit Kleidung oder Nahrung, hier und da eine schlichte Waffe. Sie wirkten nicht, als hätten sie sich hier in den Ruinen nieder gelassen. Jedenfalls noch nicht lange. Auf Aldred wirkten sie vielmehr, als seien sie auf der Flucht. Und er konnte bereits ahnen, wovor.
"Wer seid ihr?", fragte er in die Runde und es klang durch das geschlossene Visier seines Helms wohl bedrohlicher, harscher, als er das beabsichtigt hatte, "Was tut ihr hier? Wir hatten erwartet, diese Ruinen verlassen vorzufinden."

Neythani blickte zu Aldred und Evelynn, die die halle gerade betraten.
"Das ist meine Familie, Aldred. Mein Clan, den ich verloren hatte, als ihr mich fandet,"
antwortete sie ruhig. Der Junge Mann neben Neythani erhob sich ruhig und blickte die Fremden an. "Wir wurden vor vielen Monden aus unserem Dorf vertrieben. Die Angreifer wollten unsere Wälder roden und wir störten sie dabei. Wir liefen viele Tage und nächte und hatten viele verloren. Ich dachte, Neythani sei ebenfalls tot, doch sie lebendig zu sehen macht mich glücklich. Mein name ist Jossa , und dies ist Tigram ," er deutete auf den jungen, der neben Neythani hockte. Dann deutete er auf Neythanis Mutter. "Dies ist Eldaria, Neythanis Mutter," stellte er vor.

Eve hatte mit vielem gerechnet, doch nicht damit, dass sie Neythanis Familie finden würden. Sie blieb am Eingang stehen und beobachtete schweigend die Szenerie. Wujan musste seine Finger im Spiel haben. Hatte er darum Neythani auserwählt für ihn zu sprechen? Möglich. Vielleicht wollte er auf seine Weise die Arbeit von Evelynn beeinflussen.

Es war eine nicht unangenehme Überraschung gewesen, hier Wesen vorzufinden, die ihnen freundlich gesinnt waren. Doch dass es sich dabei um Neythanis Familie handelte überwältigte Aldred geradezu. Was für ein bizarrer Zufall! Nein, ein solcher konnte es kaum sein. Hier war ganz eindeutig die Hand einer Göttin zu erkennen. Für einen Moment musste Aldred an seine eigenen Eltern denken, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Wie es wohl wäre, wenn er ihnen auf dem Weg begegnete? Was sollte er ihnen sagen, warum er davon gelaufen war? Ob sie ihn überhaupt erkennen würden?
Einen kurzen Moment lang versank Aldred in Gedanken, dann jedoch schüttelte er diese sentimentalen Gefühle ab und trat zurück ins Hier und Jetzt. Ihm würde bewusst, dass er noch immer Hammer und Schild in Händen hielt, also verstaute er seine Waffen und nahm den Helm ab.
"Mein Name ist Aldred", stellte er sich vor, "Wir haben Neythani in einem Banditenlager gefunden, nachdem unser Luftschiff abgestürzt ist. Seitdem begleitet sie uns." Erneut musste er sich kurz sammeln, sich zurück ins Gedächtnis rufen, weshalb sie überhaupt hier waren. Das alles war so verwirrend! "Wir sind auf der Suche nach der Göttin Luhane", erklärte er nach einigen Augenblicken des Schweigens, "Neythani hatte eine Vision, die uns hierher geführt hat. Sagt, habt ihr hier irgendwelche Zeichen der Präsenz der Göttin gefunden?"

Eldaria war diejenige, die antwortete. "Setzt euch erstmal, junger Mann, "wandte sie sich an Aldred. "Ihr ebenso." Freundlich blickte sie die Gruppe an.
"Dieses Gebäude ist alt, sehr alt. Dennoch strahlt es eine eigene Energie aus. Besonders stark ist diese Energie beim zugang zu den Katakomben," erzählte sie.
"Ich weiss nicht, was dort ist. Wir sind nur hier in diesem Raum geblieben." Neythani hielt ihren Sohn im Arm und wirkte sehr entspannt. Jossa sass neben ihr.

Eine Weile blieb Eve noch stehen. Verrückt. Hier, mitten in einem riesigen Wald, ausgerechnet an ihrem Vorläufigen Ziel trafen sie die Familie Neythanis wieder. Schließlich lehnte die Priesterin ihre Hellebarde an die Wand, bevor sie sich zu der kleinen Gruppe setzte. Sie hoffte, dass man ihr das Misstrauen nicht allzusehr ansah.
"Die Göttin hat Neythani für eine besondere Aufgabe auserkoren", sprach sie dann, die Identität dieser Göttin absichtlich offen haltend. "Ich weiß nicht, wann diese Aufgabe abgeschlossen sein wird, aber ich fürchte, dass es passieren kann, das wir Neythani noch eine Weile brauchen werden. Ich hoffe, Ihr habt Verständnis dafür."

Ah. Familie. Eines dieser Landgeherkonzepte, die den Avior nahezu komplett fremd waren. Die Eltern hatten Sex und dann wurde ein Kind geboren. Für dieses mussten sie sorgen, bis es flügge war. Dass sich die unterschiedlichen Parteien zugeneigt waren, war wohl offensichtlich, aber man musste darum doch kein großes Trara machen. Vielleicht hatten die Katzenwesen - nicht Katzenmenschen, nur die Menschen konnten so vermessen sein alles nach sich selbst zu bezeichnen, die Avior waren ja auch keine Vogelmenschen - ja eine andere Vorstellung davon. Wie auch immer.
"Und bemerkt habt ihr keine Anzeichen eines Feindes? In den Schatten verbergen sie sich, gehüllt in schwarzen Stahl."

Neythanis Mutter schüttelte den Kopf. "Nein, wir haben nichts bemerkt. Es war ruhig hier," erwiderte sie auf Amuns Frage. Tigram sah auf und runzelte die Stirn. "Gestern abend hatte ich das gefühl, das da irgendwas im Schatten hockt, Großmutter," teilte er mit. "Es hat mir angst gemacht. Und ich habe eindeutig ein paar Augen gesehen, die mich beobachteten." Edaria nickte verstehend. "Es bricht mit das Herz, Neythani wieder ziehen zu lassen. Tigram und Jossa haben sehr gelitten, als sie dachten meine Tochter sei tot. Doch wenn die Göttinnen sie brauchen, dann muss sie gehen."

"Ich würde Euch gerne versprechen, dass sie wohlbehalten zurückkehrt", erklärte Eve und versuchte etwas Mitgefühl in ihre Stimme zu bringen, "aber das kann ich leider nicht. Was vor uns liegt ist gefahrvoll, dass haben wir alle bereits gespürt. Was ich Euch aber versprechen kann ist, dass ich mein Bestes geben werde, um ihre sichere Rückkehr möglich zu machen."
Sie legte die Hand an die Brust und neigte leicht den Kopf. Irgendwo in ihr drin hoffte sie, dass dies die Stimmung hier ein wenig heben würde. Dann jedoch sah sie zu Tigram.
"Wo habt Ihr die Augen gesehen?", verlangte sie zu wissen.

"Vielen Dank ..."
Na da war er für den Moment ja noch davongekommen. Auch wenn das Ganze sich noch immer negativ auswirken konnte. Tristan warf Rekhyt einen kurzen Blick zu, der offenbar mit dieser Entscheidung nicht so glücklich wirkte. Dann ging er jedoch zum Zelt, wo man sich tatsächlich um seine Wunden kümmerte. Es konnte natürlich sein, dass Rekhyt ein weiteres Attentat auf ihn ausüben würde ...
"Ihr dürft ihm nicht vertrauen", sagte Rekhyt derweil zu dem Adligen. "Er wird sich das Geld nehmen und damit abhauen."

Während Evelynn sich dem jungen Katzenmann zuwandte, der von den Augen in den Schatten gesprochen hatte, trieben Aldred pragmatischere Gedanken um. "Neythani", wandte er sich an ihre Begleiterin, "Wir werden in diese Katakomben hinunter müssen. Aber wir sollten nicht sofort. Hier bei deinem Klan scheint es sicher zu sein. Wenn sie in all der Zeit hier nicht gefährliches bemerkt haben, dann können wir hier auch ein paar Stunden verbringen. Wir sollten die Gelegenheit nutzen, uns auszuruhen und neue Kraft zu schöpfen, bevor wir dort hinab steigen. Wir wissen nicht, wie lange wir dort unten sein werden, und ob sich dort noch einmal eine Gelegenheit zum Rasten bietet."
Rast – zumal in einem halbwegs geschützten Gebäude und behütet von ihnen freundlich gesinnten Wesen – hatten sie schon lange keine wirkliche mehr gehabt. Einmal eine Nacht ohne Sorgen, ohne Wache schieben durch zu schlafen, das würde ihnen gut tun. Ihn jedenfalls drückte das Gewicht seiner Rüstung gewaltig. Sich ein wenig zu erholen, das war nach all den Tagen im Wald und zuvor im Hochland bitter nötig. Und ein paar Stunden Zeit würden sie sich doch sicher nehmen können, ehe sie tiefer vordrangen?

Tigram blickte schüchtern zu Evelyn und schien zu überlegen. "Ich kann es euch zeigen, werte Dame," erklärte er und erhob sich. Dann ging er in richtung Haupteingang.

Neythani nickte. "Ja, etwas Ruhe können wir wirklich gebrauchen," erwiderte sie. Eldaria lächelte Aldred beruhigend zu. "Ruht euch aus, junger Mann. Unsere Jäger passen auf, das kein übel unsere Nachtruhe stört. Esst etwas von dem Eintopf, den wir gekocht haben," lud sie die gruppe ein.

Eve nickte, erhob sich wieder und ergriff ihre Hellebarde, bevor sie dem jungen Katzenmenschen folgte. Am Rande bekam sie mit, dass Neythanis Sippe ihnen Schutz für eine Rast anbot und Erleichterung machte sich auch in Eve breit. Doch dann zügelte sie sich wieder. Ersteinmal würde sie überprüfen, was Tigram gesehen hatte. Die Hellebarde bereit haltenden, um sich im Zweifel verteidigen zu können, schritt sie hinter dem jungen Mann her.

Eintopf! Das klang großartig. Sicher, es würde kaum etwas besonderes sein. Gekochtes Gemüse, vielleicht mit Gerste, vielleicht mit Kartoffeln, mit etwas Glück mit ein paar Stücken Fleisch darin. Aber es wäre eine warme Mahlzeit. Aldred hatte seit einer halben Ewigkeit keine warme Mahlzeit mehr gehabt. Oft genug hatten sie in den letzten Tagen und Wochen kein Feuer entfacht, mal aus Furcht vor dem, was es anlocken mochte, mal schlichtweg deshalb, weil sie kein trockenes Feuerholz hatten. Und wenn sie einmal ein Feuer gehabt hatten, dann hatten sie oft genug nichts gehabt, was man darüber hätte kochen können. Die Aussicht auf selbst einen einfachen Eintopf ließ Aldred nun das Wasser im Mund zusammen laufen.
"Das Angebot nehmen wir gerne an", dankte er der Katzenfrau und begann, sich seines Gepäcks zu entledigen. Zuerst glitten der Rucksack und der Schild von seinen Schultern, dann folgten Helm, Waffengurt und Handschuhe.
"Finn, sei ein guter Junge und hilf mir bei den Riemen", bat Aldred, als er zu seiner Brustplatte kam. Er ging ein wenig in die Hocke, damit der Junge die ledernen Bänder lösen konnte, die die vordere und die Rückseite an den Schultern zusammen hielten, was dieser auch folgsam tat. "Finn, ich habe mir überlegt, ob es nicht besser für dich wäre, wenn du hier bleibst, wenn wir diese Katakomben erkunden", sprach er unterdessen einen Gedanken aus, der ihm gekommen war, während er sich mit Neythanis Mutter unterhalten hatte, "Bei Neythanis Stamm. Hier wärst du in Sicherheit. Und wenn wir die Göttin befreit haben, dann kommen wir wieder. Was sagst du dazu?"
Es wäre ohne Zweifel besser, Finn zurück zu lassen, dieser Wahrheit konnte Aldred sich nicht verschließen, so gern er den Jungen auch mochte und so sehr er sich auch für ihn verantwortlich fühlte. Finn war kein Kämpfer wie der Rest von ihnen. Niemand konnte abstreiten, dass ihm eine gewisse Macht inne wohnte. Sie hatten sie oft genug aus ihm hervor brechen sehen. Aber es war eine Macht, die für ihn ebenso gefährlich war, wie für seine Feinde. Beim ersten mal war er in Ohnmacht gefallen, nachdem er das Eis gerufen hatte. Beim zweiten mal hatte es ihn fast getötet. Was würde geschehen, wenn Finn es erneut versuchte? Besser, er kam gar nicht erst in eine Situation, in der er auf diese Kräfte zurück greifen musste.

Eine junge Frau reichte Aldred eine Schüssel eintopf und auch die anderen bekamen etwas. Tatsächlich war etwas fleisch drin und allerhand gemüse. Neythani genoß das Warme essen. Frisches Wasser hatte ihr clan ebenso und auch zwei Trinkflaschen voll mit Wein, den der Clan mit ihren Gästen teilte.

Tigram führte Evelyn in einen dunkel wirkenden Gang. Die Katzenmenschen hatten zwar einige Fackeln angezündet, die diesen erhellten, vom Eingang bis zum Altarraum, wo sie nächtigten, dennoch schien es, als würde das licht vom Schatten verschluckt werden. Tigram führte sie durch diesen Gang und duckte sich ängstlich. Ein stück weiter konnte mann Treppen erkennen, eine führte nach oben und eine andere Gewundene nach unten. "Dort habe ich die Augen gesehen," deutete er erklärend zu den Treppen. "Sie haben mich regelrecht angestarrt."

Eldaria betrachtete die Gruppe interessiert. Diese leute waren sehr seltsam. Der Vogelmann hatte eindeutig die Aura von Blitzen um sich, Aldred hingegen schien von Wind umgeben. Der Junge, Finn..bei ihm hatte sie das Eis gesehen , während ihre Tochter die Aura der Erde versprühte. "Gestern hatte ich einen Traum gehabt. Ich fand ihn sehr verwirrend. Ich sah einen Elfen.. Er war Blond und blauäugig und stand in einem Feuer. .. Dann sah ich Wind und Blitze, Eis und wasser.. Soweit ich das richtig erkennen konnte, scheint der Elf das Feuer überstanden zu haben. Ich sah ihn in einem Wald stehen.. doch er war gezeichnet.. sein schönes äusseres war zerstört worden," erzählte die alte Dame. Neugierig blickte sie Aldred an. "Könnt ihr etwas damit anfangen?" fragte sie ihn dann.

"Könnte ein wildes Tier gewesen sein", mutmaßte Evelynn. "Diese Ruinen sind offensichtlich seit langem unbewohnt, es wäre also nicht verwunderlich, wenn sich hier Tiere niedergelassen haben, die im Zweifel nicht friedlich reagieren würden."
Trotz dieser logischen Erklärung blieb bei der Priesterin ein mulmiges Gefühl, dass sie dazu veranlasste näher auf die Treppe zuzugehen und so die Entfernung dazu zu halbieren. Dann blieb sie stehen, die Hellebarde im Anschlag. Sollte sich nun etwas auf sie stürzen, sie wäre vorbereitet.

Auch Aldred hatte bisweilen Träume gehabt. Träume, die mehr waren als nur das. Befremdliche Träume. Letztendlich war es ein Traum gewesen, der ihn auf seine Reise angesetzt hatte. Doch er hatte nie die Fähigkeit besessen, diese Träume zu deuten. Sie hatten ihn stets mehr verwirrt, als dass sie ihn erhellt hätten. Und wenn er bereits seine eigenen Träume nicht deuten konnte, wie dann die der Katzenfrau?
"Ich bin ein Wanderer, gute Frau, und war zuvor ein Schmied", erklärte Aldred zwischen zwei Löffeln voll Eintopf, "Ich bin ein einfacher Mann. Kein Traumdeuter, kein Magier, kein Gelehrter. Für solche Fragen bin ich nicht der richtige Mann. Vielleicht solltet ihr besser Evelynn fragen. Sie ist eine Klerikerin und von Reija berührt. Wer, wenn nicht die Göttin des Lichts und der Wahrheit, könnte dieses Rätsel aufklären?"

Eldaria lächelte milde."Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich weiss nur, das dieser Traum mit euch zu tun hat. Das habe ich erkannt, als ich euch hereinkommen sah," erklärte sie. "Dieser Elf hat irgendwas mit euch zu tun."

Tigram versteckte sich schüchtern hinter Evelyn. Doch diesmal waren keine augen zu sehen. Doch es war zu spüren, das dort irgendwas bedrohliches war.