GQ - [Die MSG]

Neythani seufzte leise. Sie fühlte sich als einzige Frau in der Gruppe recht unsicher. Aber sie war sich sicher, das es vielleicht sicherer für sie war, bei ihnen zu bleiben. Auf dem Weg zum Gasthaus sah sie sich aufmerksam um. Hier und da konnte sie ein paar Heilpflanzen erkennen, aber auch einige die mann im Essen mit kochen konnte. Vielleicht konnte sie ja auf dem weiteren Weg einen Beutel mit diesen Pflanzen sammeln, damit sie die Verletzungen der anderen versorgen konnte. Es würde sie etwas beschäftigen.

Es dauerte nicht lange, bis Finn das Ordnungsregister gefunden und sich einige Bücher herausgesucht hatte. Zuerst wollte er mehr über diese lachenden Schattenflecken herausfinden. Dämonen und Geister hatte er relativ schnell ausgeklammert, erstere waren für gewöhnlich weder gutartig, noch immateriell, zweitere interagierten eigentlich nur durch einen Beschwörer und Finn kannte niemanden, der Geister beschwören würde, um ihn zu schützen. Auch das Auftreten der Flecken schien nicht mit dem übereinzustimmen, was Finn über Geister fand. Deshalb wandte er sich Büchern über Elementaren zu. Eigentlich kamen nur Schattenelementare in Frage, doch über diese fand er sehr wenige Bücher. Scheinbar zeigte sich bei diesem Thema, wo er sich befand. Dennoch entdeckte Finn in einem Kompendium über Elementare einige Schattenelementare, deren Beschreibung auf die Flecken zutraf. Noxen und Schwarzmahre konnte er ausschliessen, da diese für gewöhnlich nur Schabernack trieben oder ernsthaft darauf aus waren, anderen Schaden zuzufügen. Auch um Halbschatten schien es sich nicht zu handeln, diese waren nicht in der Lage, sich zu verstecken. Schliesslich verblieb Finn bei der Beschreibung von Dunkelgefährten. Man sagte über diese schwachen Elementare, dass sie aus den Überresten des höchsten Elementars Yragonas entstanden waren, nachdem dieser vernichtet wurde und seitdem immer wieder auftauchten, um die Schützlinge der Göttin vor Gefahren abzuschirmen. Finn runzelte die Stirn. Aber wieso sollten Dunkelgefährten ihn begleiten? Wenn, dann sollten sie Trevin beschützen, dieser schien der dunklen Göttin zu folgen. Finn hatte nie viel mit den Geschichten über Göttinnen anfangen können und in der Letzten Stadt hatten die wenigsten und schon gar nicht die Matronen des Waisenhauses, in dem er aufwuchs, Zeit für religiöse Dinge. Er entschloss sich, sich später mit dem Thema zu beschäftigen und erstmal mehr über seinen Anhänger herauszufinden.

Trevin folgte Aldreds Beispiel und setzte sich auf eine Bank, die an der Wand aufgestellt war.
"In Kilath kenne ich mich aus, keine Sorge," antwortete er, "aber den Weg dorthin... ich habe dieses Kloster hier ja nie zuvor besucht. Ich denke aber, die Grindyl sollten uns den Weg beschreiben können. Vielleicht kann auch Finn eine Karte besorgen, wenn er eh schon in der Bibliothek ist."
Aber ob der Junge daran denken würde? Natürlich konnte er ihn dort aufsuchen, um ihn darauf hinzuweisen; aber andererseits hatte er keine große Lust, noch einmal dort hinauf zu gehen. Schließlich beließ er es bei dem Gedanken, daß Finn von selbst daran denken würde. Er mochte ein Schwächling sein, aber dumm war er keinesfalls.

"Wahrscheinlich gibt es ohnehin eine Straße dorthin", sinnierte Aldred laut, "Dann können wir der einfach folgen. Ich denke, das können wir trotz der schwarzen Heerschar riskieren. Sie haben uns schließlich auch schon angegriffen, wenn wir uns querfeldein bewegt haben. Und je schneller wir Kilath erreichen, desto höher die Chance, dass wir zumindest vor ihnen dort sind. Wir werden dort sicher genug Probleme kriegen, so wie die Erklärung dieser Priester klang..."
Eine Schankmaid eilte vorbei und Aldred gab ihr mit zwei ausgestreckten Fingern zu verstehen, dass sie ihnen Bier bringen sollte. Dann wandte er sich erneut Trevin zu. "Am besten, wir brechen noch vor der Dämmerung auf. Je mehr Zeit wir auf der Straße haben, ehe es dunkel wird, desto besser. Vielleicht können wir den Weg sogar an einem Tag schaffen, wenn wir uns anstrengen..."

"Ich habe dort draußen Stallungen gesehen," überlegte Trevin laut. "Möglicherweise kann man uns ein paar Pferde daraus geben. Ich denke, daß wir den Weg nach Kilath wesentlich schneller zurück legen können, wenn wir reiten, anstatt zu laufen."
Die Schankmaid kam zurück und hatte zwei randvolle Bierkrüge dabei. Trevin nahm einen Schluck und stellte den Krug wieder auf dem Tisch ab. Immerhin, sie wußten hier, wie man Bier braut.
"Immerhin geht es um die Rettung der Welt, wie es scheint... was sind im Vergleich damit schon ein paar Pferde?"

Mit irgendwie ziemlich müdem Blick betrat Tristan den Schrankraum. Es dauerte nicht lange, bis er den Eisbärenmann und den komischen anderen Kerl entdeckte. So viele Leute hatte es hier ja nicht.
Schweigend trat er zu ihnen und setzte sich einfach mal. Bei der Maid bestellte er sich ein Bier. Ein grosses Bier. Ein grosses Bier mit viel Alkohol.
"Pferde sind gut", meinte er nur.

Aldreds Antwort auf den Vorschlag bestand aus missmutigem Schweigen. Er konnte die Klugheit darin erkennen. Ohne Frage, zu Pferd wären sie schneller und nachdem den Grindyl viel daran zu liegen schien, dass sie diesen Ort zeitnah erreichten würden sie sich kaum dagegen sträuben, ihnen Pferde zu leihen. Es gab also nichts, was dagegen sprach, um Reittiere zu bitten. Und dennoch hätte Aldred es gern vermieden. Er war kein guter Reiter. Oder präziser: er war überhaupt kein Reiter. Er hatte es nie gelernt und war nie im Sattel eines Pferdes gesessen. Die Wahrscheinlichkeit, aus dem Sattel zu stürzen, war groß. Und das wäre nicht nur blamabel, sondern auch schmerzhaft und obendrein würden sie kaum rascher als zu Fuß unterwegs sein, wenn einer der Gruppe sich nicht im Sattel halten konnte. Einer? Nein, mehrere vermutlich. Trevin und Tristan sollten das Reiten wohl beherrschen, aber bei Finn und Neythani bezweifelte Aldred das. Und Amun'Raak? Der würde sich wohl ohnehin weigern, auf ein Pferd zu steigen. Aber in der Luft konnte er zumindest mit ihnen mit halten. Sofern sein Flügel das denn wieder zu ließ.
"Ich kann nicht reiten", gestand er leise, nachdem er eine ganze Weile gezögert hatte, "Und ich weiß nicht, wer es sonst alles kann. Ich glaube nicht, dass wir zu Pferd wirklich schneller sein werden..."

"Dann wird es höchste Zeit, daß Ihr es lernt," versetzte Trevin ungerührt. "Selbst wenn wir Yragona in Kilath finden und befreien können, haben wir noch immer sechs weitere Göttinnen vor uns, wir werden also noch viel herumkommen. Glaubt Ihr, daß uns immer ein Luftschiff zur Verfügung stehen wird, um uns dorthin zu bringen?"
Er wollte sich schon abwenden, als ihm ein weiterer Punkt einfiel. "Davon abgesehen werden wir Finn dabei haben, der sich immer noch von seiner Verletzung erholt. Von einem Pferd getragen zu werden, wird ihm die Reise erheblich erleichtern." Uns uns schneller vorankommen lassen, fügte er in Gedanken hinzu.

Neythani schaute zu den anderen und seufzte. "Ich weiss nicht, ob ein Pferd mich auf seinem Rücken dulden wird. Schließlich könnte ich ja auch ein Feind sein," meinte sie dann zu den Menschen. Sie hatte noch nie auf einem Pferd gesessen, um ehrlich zu sein, wusste sie nicht mal wie ein solches pferd aussah.

"Solange einer von euch Finn auf sein Pferd nimmt...", erwiderte Aldred, missmutig resignierend, "Wenn wir den Jungen geschwächt in den Sattel setzen, dann landet er sofort wieder im Dreck. Aber das sollte wohl zu machen sein. Schön." Er schlug mit beiden flachen Händen auf den Tisch. "Wer geht und kümmert sich darum, dass wir Pferde bekommen? Jemand, der sich mit Pferden auskennt, am besten."

"Ich mach das", seufzte Tristan. "Beides. Ich hab schon öfters zu zweit auf dem Pferd gesessen. Ich kenn mich damit aus. Und ich kann gute von schlechten Pferden unterscheiden..."
Gut, das gab ihm wenigstens wieder ne Aufgabe, die ihn von diesen verdammten Huren ablenkte, die ungefragt in sein Leben griffen.
Er erhob sich, nachdem er sein Bier ausgetrunken hatte und stapfte nach draussen.
In den Stallungen roch es nach Pferdeschweiss und Pferdescheisse. Aber auch nach Leder und nach dem Fett, womit das Leder gepflegt wurde.
Tristan nahm seine Aufgabe sehr genau. Jedes einzelne Pferd wurde von oben bis unten kontrolliert. Vom Eisen bis zu den Ohren. Er nahm jedes einzelne raus und beobachtete, ob sie lahmten, schaute den Gäulen auch allen ins Maul.
Das selbe machte er beim Sattelzeug und letzten Endes hatte er einige Pferde ausgesucht, die gut genug für ihn waren. Es war die doppelte Menge Pferde, die sie eigentlich benötigten. Jeder von ihnen würde ein Pferd an der Hand mitführen. So würden sie weniger rasten müssen, da es für die Pferde schon beinahe eine Erholung war, wenn sie niemanden auf dem Rücken tragen mussten. Deshalb würden sie länger am Stück durchhalten.
Die beiden schwersten Pferde beanspruchte er für sich. Die beiden konnten beinahe als Schlachtrösser durchgehen. Ihre Rücken waren stark genug, um ihn und Finn zu tragen.

Die folgende Nacht verlief ruhig und ohne Zwischenfälle, so daß sie alle sich erholen konnten. Sie schliefen im Gasthaus, und obwohl sie hier in Sicherheit waren, schlief Trevin erst recht spät ein. Dennoch war er bereits vor dem Morgengrauen wieder wach und ausgeruht genug. Eilig stand er auf und weckte jene, die noch schliefen. Auch Finn, obwohl er so aussah, als könne er noch weiteren Schlaf vertragen. Nun, er konnte sich bei Aldred beschweren.
Die Sonne schickte gerade ihre ersten zaghaften Grüße über die östlichen Berggipfel, als sie aus dem Gasthaus auf den Hof traten. Bei den Stallungen wurden sie vom Stallmeister und Leutnant Liam begrüßt. Sie luden ihr Gepäck auf die Pferde und verabschiedeten sich knapp von den Ordensrittern.
Ihr Weg führte sie zunächst über die Brücke, die sie am Vortag schon einmal betreten hatten, und dann die Straße ins Tal hinab, am Seeufer entlang und durch den Wald hindurch, dann wieder bergauf und durch einen Gebirgspaß hindurch.
Auch wenn sie hier draußen wieder angreifbar waren, hob sich Trevins Stimmung, je mehr Entfernung sie zwischen sich und das Kloster brachten. Zudem war es ein gutes Gefühl, endlich wieder einmal im Sattel eines Pferdes zu sitzen.

Sie konnten wohl wirklich von Glück sprechen, denn zumindest das Wetter meinte es gut mit ihnen. Es war trocken, die Sonne schien von einem klaren Himmel – wenngleich so früh am morgen noch nicht so stark, dass es brannte – und dafür, dass sie sich doch im Gebirge befanden war es sogar einigermaßen mild. Ideales Wetter also im Grunde, zu unterwegs zu sein. Aldred fühlte sich dennoch nicht wohl im Sattel und das schlug sich auf seine Stimmung nieder. Missmutig dreinblickend ritt er am Ende der Gruppe, die Führung hatte längst Trevin übernommen. Dass Aldred kein Reiter war hätte ein Beobachter auf hundert Schritt Erfahrung erkannt und dessen war der Schmied sich sehr bewusst. Ungelenk saß er im Sattel, die Hände um den Sattelknauf verkrampft, der wenigstens ein bisschen Halt versprach. Bisher hatte er es geschafft, sich oben zu halten. Aber bisher waren sie auch sehr gemächlich unterwegs, eine schlichte Notwendigkeit auf den schmalen Gebirgspfaden. Wenn sie in offeneres Gelände kamen, dann mochte es sein, dass Trevin ein rascheres Tempo anschlug. Und wenngleich Aldred uneingeschränkt beipflichten musste, dass sie rasch voran kommen sollten, so fürchtete er sich doch davor. Er hatte keine Lust, sich bei einem Sturz aus dem Sattel den Hals zu brechen.

Finns Suche nach einem Ursprung seines Anhängers war reichlich fruchtlos. Natürlich fand er viele Hinweise auf magische Anhänger. Ein Schutzamulett aus elfischen Knochen, die Segnungsanhänger der Turan Li oder die Talismane der Prinzessinanwärterinnen von Olarestan. Auch im Zusammenhang mit den Eisigen Einöden fand er einige Anhänger, die alten Steinanhänger der Erchanon, die Embleme der Walküren oder die alten Priestertalismane in Jijaun. Allerdings gab es kaum genaue Beschreibungen, so dass er sie nicht mit seinem Anhänger abgleichen konnte. Und als seine Kerzen langsam zu Ende gingen, beschloss er schweren Herzens, die Suche aufzugeben. Als er die Bücher auf seinem Lesetisch zurückbringen wollte, zögerte er allerdings. Wenn würde es schon stören, wenn er ein, zwei Bücher mitgehen liess? Er würde sie nur ausleihen und bestimmt wieder zurückbringen. Und ausserdem gab es hier so viele Bücher, dass die Grindyl die… ungefragte Ausleihe gar nicht bemerken würden. Sie hatten ihnen schon angeboten, alles aus ihrer Waffenkammer mitzugeben, wieso nicht auch aus der Bibliothek?
Nach einem schnellen Rundblick suchte er die Reihen um sich herum ab, konnte aber niemanden entdecken. Hastig begann er, einige Bücher in seiner Tasche verschwinden zu lassen.

Am nächsten Morgen warf Finn immer wieder nervöse Blicke umher, doch keiner der Mönche oder Ordensritter sah ihm misstrauisch nach und als er schliesslich vor Tristan – ausgerechnet dem Söldner! – auf dem Pferd sass und das Kloster aus ihrem Blickfeld verschwunden war, seufzte er erleichtert. Das Gewicht von zwei Dutzend Bücher war in seiner verzauberten Tasche zum Glück kaum wahrnehmbar, sonst hätte Finn wohl ein deutlich schwereres Gewissen gehabt.
Der Ritt wurde, je weiter sie kamen, je unangenehmer. Sein Rücken und Gesäss begannen zuerst langsam, dann immer wie intensiver wehzutun und Finn biss sich auf die Lippen, um die Tränen wegen den Schmerzen zurück zu kämpfen. Auch die unbekannte Umgebung und das ferne Gefühl der Gefahr konnten ihn schon bald nicht mehr aufheitern. Er ahnte bereits, dass der Abend nicht entspannender wurde, vor allem wenn der Stand der Sonne ein Hinweis auf die weitere Dauer ihrer Reise war. Und es würde noch weitergehen. Er wünschte sich bereits jetzt, dass sie einfach wieder gelaufen wären.

Als Neythani eines der Pferde zugewiesen wurde, näherte sie sich sehr vorsichtig dem Tier. Das Pferd beschnupperte sie argwöhnisch und wirkte recht unruhig. Einer der Grindyl reichte ihr ein paar Möhren, die sie einzeln dem Pferd vor die Nase hielt. Nachdem das Tier sich an die Katzenfrau gewöhnt hatte, kletterte Neythani etwas ungeschickt in den Sattel. Das Pferd wusste nicht so recht was es tun sollte, aber da es an Reiter gewöhnt war, blieb es ruhig. Und als es losging, folgte es den anderen.

Sie ritten in nördlicher Richtung durch das Gebirge, und die Sonne hatte bereits ihren höchsten Stand hinter sich, als sie es endlich verließen. Insgesamt kamen sie mit den Pferden ein gutes Stück schneller voran, wenn auch nicht so schnell, wie es möglich gewesen wäre. Immerhin reichte es, daß sie die Mauern der Stadt bereits sehen konnten, als die Sonne im Westen den Horizont zu berühren begann.
Die Stadt lag im Vorgebirge, und das sie umgebende Land war noch immer leicht hügelig und von Äckern und Feldern gesäumt. Im Augenblick näherten sie sich einem kleinen Dorf, das wohl einige Meilen außerhalb der Stadt liegen mochte. Eigentlich war es nicht wirklich ein Dorf, sondern nur eine Ansammlung von einigen Bauernhäusern.
Trevin hatte schon eine Weile zuvor überlegt, ob sie einfach in die Stadt reiten sollten; doch was er über die Zustände in Kilath gehört hatte, beunruhigte ihn. Es mochte durchaus sein, daß sie dort auf Schwierigkeiten stießen. Es war sicher keine schlechte Idee, zuerst in dieses Dörfchen zu reiten, um sich dort ein wenig umzuhören. Er teilte Aldred, der neben ihm ritt, seine Überlegungen mit.

Eine Weile lang schwing der Schmied, nachdem Trevin ihm seine Abwägungen präsentiert hatte, selbst unschlüssig, wie er dazu Stellung nehmen sollte. Nachdenklich kratzte er sich am Bart, dafür nur zögerlich eine Hand vom Sattelknauf lösend, wo sie den Großteil des Tages Halt suchend geruht hatte und inzwischen ganz verkrampft war.
Vielem, was Trevin von sich gab, musste Aldred bedingungslos zustimmen. Es war zweifelsohne sinnvoll, sich über die Zustände in der Stadt zu informieren, anstatt blind dort hinein zu reiten. Noch wichtiger aber war, dass sie nach allem, was die Grindyl ihnen verraten hatten, durchaus mit Widrigkeiten in der Stadt rechnen mussten und nach dem langen Ritt dieses Tages waren sie allesamt erschöpft. Wenn sie kämpfen müssen würden, dann sollten sie ausgeruht sein. In dem Dörfchen einzukehren war also naheliegend. Ebenso lag aber auch der Nachteil auf der Hand: wenn sie jetzt rasteten und erst am morgen nach Kilath ritten, dann verloren sie gut und gerne zehn Stunden. Zehn Stunden, die entscheidend sein mochten. Es kostete Aldred einiges an Mühen, die beiden Alternativen, von denen keine wirklich gut erschien, gegeneinander abzuwägen. Schließlich siegte jedoch die Vorsicht.
"Kehren wir für heute Nacht in dem Dorf ein und reiten morgen im ersten Tageslicht in die Stadt", schlug er Trevin schließlich vor, nachdem er ihm seine Bedenken mitgeteilt hatte.

Wie Aldred war auch Trevin nicht gerade davon begeistert, die Nacht außerhalb der Stadt zu verbringen, aber es war wohl die sinnvollste Option, die sie hatten. Einmal ganz davon abgesehen, daß es bereits stark dämmerte und die Stadttore vielleicht bereits geschlossen waren, bis sie den Rest des Weges zurückgelegt hatten. Ohnehin durften sie sich für das passieren der Tore noch etwas einfallen lassen, denn weder Amun noch Neythani konnten in diesem Teil der Welt in irgendeiner Weise als unauffällig angesehen werden.
Es war ihm auch jetzt nicht besonders wohl dabei, die Katzenfrau dabei zu haben, als sie in das kleine Dörfchen hinein ritten. Wie er erwartet hatte, glotzte jeder Bauer, dem sie begegneten, Neythani an wie ein splitternacktes Freudenmädchen. Immerhin war Amun nicht direkt mit ihnen in das Dorf gekommen. Trotzdem mußten sie morgen früh zusehen, daß sie schnell in die Stadt kamen, bevor ihr Erscheinen allzuviel Aufmerksamkeit auf sich zog.
Einer der Bauern hielt inne, als sie ihm entgegen kamen, und sah ihnen entgegen. "Heda, Fremde! Was führt euch hierher?"
"Eine lange Straße und der Wunsch nach einem weichen Bett," erwiderte Trevin. "Hat euer Dorf vielleicht ein Gasthaus, in das wir einkehren könnten, werter Bauer?"
"Klar hat es das," gab der Mann bereitwillig Auskunft und deutete nach links, quer über den ovalen Dorfplatz hinweg, auf ein Steinhaus, das etwas breiter und vor allem höher gebaut war als die fünf oder sechs weiteren, die sich um den Platz drängten. "Geht nur hinein, wir haben hier öfters Reisende, die nach einem Zimmer für die Nacht fragen, ihr findet dort sicher eine Unterkunft."
"Habt Dank, guter Mann," sagte Trevin und warf dem Bauern eine Kupfermünze zu, die dieser geschickt auffing. Sie lenkten ihre Pferde über den Dorfplatz, vorbei an dem steinernen Brunnen, und hielten vor dem Gasthaus. Hinter den schmutzigen Fenstern war deutlich Lichtschein zu sehen.

Tristan übernahm zusammen mit Trevin das Versorgen der Pferde. Er stieg von seinem Tier und half Finn ebenfalls runter. Er selbst war schon erschöpft und er war sich lange Ritte gewöhnt. Wie musste es dem Jungen dann ergehen? Bestimmt hatte er Muskelkater in den Beinen und genauso sicher war wohl, dass sein Hintern wund war. Aber da musste der Kleine halt durch.
Er führte die Pferde jeweils zu zweit in die Stallungen, band sie fest und befreite sie von Sattel, Zaumzeug und Gepäck und gab ihnen dann genügend Heu und Wasser für die Nacht.
Zum Schluss untersuchte er jedes Pferd auf Wunden und Verletzungen und kontrollierte auch die Hufeisen.
Erst, als er sich sicher war, dass die wertvollen Tiere wohlauf waren, verliess er die Stallungen und schloss sich wieder der Gruppe an.

Als sie das Gasthaus betraten offenbarte sich ein weiterer Vorteil der herausragenden Ausrüstung, mit der die Grindyl des Klosters sie ausgestattet hatten: auf die dortigen Bauern erweckten sie mit ihrem gepflegten Rüstzeug, der soliden Reisekleidung und den Pferden den Eindruck, als wären sie, wenn auch vielleicht nicht unbedingt hohe Herren, so doch zumindest vermögend. Und derart wohlhabenden Leuten gegenüber waren die Dörfler begierig, ihre Dienste anzubieten, sodass sie mit ausgesprochener Zuvorkommenheit behandelt wurden.
"Wir benötigen Unterkunft für sechs Personen für diese Nacht", erklärte Aldred dem Wirt, der sogleich diensteifrig zu ihnen geeilt war und dieser versprach ihnen die besten Zimmer seiner Herberge. Zwar gab Aldred sich bescheiden, erklärte, dass es wirklich nicht viel sein musste, doch der Mann wollte davon nichts wissen, rief in die Küche, dass ihnen aufgetischt werden sollte und Aldred, der im Gedächtnis behalten hatte, dass sie auch versuchen mussten, Informationen zu erlangen, ließ ihn schließlich gewähren. Es mochte nicht schlecht sein, dem Wirt seinen Willen zu geben, wenn sie ihn später noch in ein Gespräch verwickeln wollten.

Diese Behausungen aus Stein und Holz, fest im Boden verankert, waren einfach nichts für einen Avior. Darin rührte sich kein Lüftchen, die Winde darinnen waren tot und begraben unter Stein und Holz. Irgendwie wirkte das ganze auf Amun wie ein Ausgleich. Die Landgeher hatten Feuer und Stein erobert und sich untertan gemacht und die Avior Wind und Luft. Und wer könnte schon sagen, was von beiden die größere Gabe war?
In jedem Fall kreiste Amun noch ein Weile über der Stadt, bis die Gruppe in einem der Gebäude verschwunden war. Er selbst würde sich irgendwo draußen einen Schlafplatz suchen. Irgendwo, wo der Wind ihn noch erreichen konnte.

Die Nacht war ruhig und somit fühlte sich Tristan gut ausgeschlafen, als er noch vor dem Morgengrauen erwachte. Die Anderen schliefen noch und er hatte nicht vor, sie zu wecken. Stattdessen packte er sein Zeug und ging nach unten zu den Ställen, wo er damit begann, im Licht einer kleinen Lampe, sich um die Pferde zu kümmern. Sie hatten ihnen einen guten Dienst erwiesen und Tristan war ihnen dafür dankbar.
Leise unterhielt er sich mit den Tieren, während er sie putzte und dann eines nach dem anderen zu Satteln begann - oder jenachdem mit Gepäck zu beladen begann.
Die Sonne kroch nun langsam über den Horizont, als er fast fertig war.
Er liess die Pferde angebunden und trat raus aus dem Stall, um sich zu strecken.

Neythani hatte sich in ihr Lager gekuschelt und döste noch ein wenig, obwohl sie eigentlich bereits wach war und es unten bereits nach essen roch. Doch sie konnte sich noch nicht so recht aufrappeln, da sie ihr lager so wundervoll bequem und kuschlig fand. Am liebsten würde sie jetzt immer so schlafen, doch sie wusste, wenn sie irgendwann ihren Clan wiederfinden sollte, würde sie wieder auf dem Boden unter dem Fell ihrer Beute schlafen. Von draussen drang hin und wieder das Wiehern eines Pferdes herein und auch andere Tiere konnte sie hören, ebenso wie die Menschen, die wach wurden.

Auch wenn die Reise hierher lange und anstrengend gewesen war, so war Trevin noch nicht nach schlafengehen zumute. Viel wichtiger schien es ihm jetzt, Informationen über den Zielort zu sammeln. Also setzte er sich nach unten in die Gaststube, gab ein paar Getränke aus und kam mit den Leuten ins Gespräch, wobei er unauffällig nach besonderen Vorkommnissen in der Gegend fragte. Was er dabei erfuhr, gefiel ihm nicht sonderlich. Schließlich ging auch er schlafen.
Am nächsten Morgen war er einer der ersten, die aufstanden. Wieder setzte er sich in die Gaststube hinunter, um ein schlichtes, aber reichliches Frühstück einzunehmen. Und vielleicht noch die eine oder andere brauchbare Information aufzuschnappen.

Im Gegensatz zu Trevin, der es sich am Vorabend noch in der Gaststube bequem gemacht hatte, hatte Aldred unmittelbar, nachdem sie gegessen hatten, ihre Quartiere aufgesucht. Die ungewohnten Strapazen eines Tags im Sattel hatten ihren Tribut gefordert und so war er rasch eingeschlafen, hatte seinem geschundenen Körper ein wenig wohlverdiente Erholung gegönnt. Viel hatte es freilich nicht gebracht. Auch am nächsten Morgen fühlte er sich noch immer zerschlagen, sein Hintern schmerzte und die Innenseiten seiner Oberschenkel fühlten sich roh an. Er war einfach nicht zum reiten geboren und sobald dies möglich war, würde er zusehen, die Pferde los zu werden und ihre Reise zu Fuß fortzusetzen.
Mit ungewohnt breitbeinigem Gang betrat er, nachdem er sich ein wenig frisch gemacht hatte, schließlich die Gaststube des Wirtshauses und fand dort Trevin vor, der, wenngleich er deutlich später zu Bett gegangen war, bereits wieder munter wirkte. "Und, noch etwas heraus gefunden", fragte er anstelle einer Begrüßung, während er sich neben dem Assassinen nieder ließ.