GQ - [Die MSG]

"Lasst den Kerl liegen, wir müssen weiter. Die Schwarzgewandeten werden uns sonst zu fassen kriegen," brummte Iorweth dazwischen und versuchte Nicole und Aldred von dem Schützen weg zu lotsen. "Überlasst ihn den Schwarzgewandeten, schliesslich hat er versucht uns zu töten." Wütend blickte er Sahin an.

Der Aufprall des Schilds presste die Luft aus seiner Lunge und schickte Sahin zu Boden. Benommen versuchte er wieder auf die Beine zu kommen, wurde aber durch Alderd Fuß effektiv daran gehindert. Panisch starrte er den Hammerkopf an, den der Krieger hob um sein Leben zu beenden. In diesem Augenblick war sein Kopf vollkommen leer, er kam nicht einmal auf die Idee, auch nur zu versuchen, sich zu befreien oder irgendetwas zu tun, außer den Hammer anzustarren. Er war sich ganz sicher, dass er hier und jetzt sterben würde und er nichts dagegen machen konnte. Dann jedoch stellte sich die Frau, die auch auf Rhischa zugegangen war, in den Weg und er schöpfte etwas Hoffnung. "Bitte...bitte tötet mich nicht." murmelte er mit bebender Stimme und sah Aldred flehend an. Nachdem dieser seinen Fuß von seiner Brust nahm, setzte er sich langsam auf, während er seine Schulter betastete. "Danke." war alles, was er zwischen zwei tiefen Atemzügen hervor brachte, bevor er sich ganz erhob und seinen Bogen aufhob, den er bei seinem Sturz verloren hatte.

"Niemand wird dich töten. Und wir werden dich auch nicht zurücklassen." Nicole warf einen Blick auf den Elfen, der die Hände nach ihr ausstreckte und machte einen Schritt von ihm weg. Sahen die anderen denn nicht, wie wichtig es war, dass dieser Junge überlebte? Sie durften ihn nicht zurücklassen. Woher sie das wusste? Sie hatte keine Ahnung. Göttliche Eingebung? Quatsch, die Göttinnen hatten Ruhta schon lange verlassen...Sie war einfach verwirrt. Das ganze Geschehen war ein Schock für sie gewesen, jawohl. "Lasst uns in den Wald gehen. Rasch!" Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Sahin alleine gehen konnte, stellte sie sich an die Spitze der Gruppe, mehr oder weniger unbeabsichtigt. Das Schwert wog schwer in ihrer Hand, verlieh ihr Sicherheit, und so straffte sie die Schultern und traute sich, die anderen anzuführen. Irgendetwas sagte ihr, dass sie ihr folgen würden. Daselbe, was Sahin beschützt hatte. Irgendwo auf dem Weg hatte sie ihr Dasein als Dorfhure zurückgelassen...Doch was war sie nun? Eine freie Sklavin? Ein Flüchtling? Was auch immer sie nun darstellte, in diesem Augenblick war sie dem Leben, dass sie sich immer gewünscht hatte näher als je zuvor...

Die junge Frau - wenn Aldred es recht in Erinnerung hatte, hatte sie noch immer nicht ihren Namen genannt, aber gut: dafür war später noch genügend Zeit - war weder sonderlich groß, noch sonderlich kräftig oder auch nur laut und bis vor ein paar Herzschläge hätte Aldred ihr auch keine besondere Aura der Authorität unterstellt, doch das, was sie nun sprach, war zweifellos ein Machtwort. Ein Wort, dem man sich nicht so einfach widersetzte. Etwas in ihrer Stimme hatte mehr als deutlich gemacht, dass sie keine Widerrede dulden würde. Der junge Bogenschütze würde sie begleiten, zumindest bis sie in Sicherheit waren und den Weg aus dem Dorf würde sie vorgeben. Aldred war nur zu bereit, sie als neue Anführerin der Gruppe zu akzeptieren. Er selbst wollte den Posten nicht und die Hünin, die sie hinter dem Gasthaus aufgegabelt hatten, war ihm nach wie vor zu unbekannt. Die junge Frau hingegen war freundlich zu ihm gewesen. Und sie stammte von hier, sie würde den Weg kennen. Es war ein beruhigendes Gefühl, die Verantwortung auf ihren Schultern zu wissen und sie nicht mehr auf den eigenen zu spüren. Es gab ihm die Freiheit, sich auf die Gefahr zu konzentrieren. Und gegen die Reste des dröhnenden Schmerzes in seinem Kopf anzukämpfen. Er musste... wieder zu Kräften kommen. Noch waren sie nicht aus dem Gröbsten heraus. Er gab dem Elfen, der weniger zufrieden aussah, einen aufmunternden Klaps auf den Rücken und beeilte sich dann, ihrer neuen Anführerin zu folgen.

Iorweth blickte den anderen nach, wie sie in Richtung der Wälder liefen. Er wollte ihnen eigentlich folgen, aber erst wenn sein ärger verraucht war und er sich wieder konzentrieren konnte. "Ist dir dein Vogel mehr wert als das Leben anderer Menschen?
Sei froh, dass das Mädchen dir dein Leben gerettet hat, Kleiner. Ich warne dich. Beim nächsten Mal werde ich nicht mehr danebenstehen, sondern dir eigenhändig das Schwert in dein Herz bohren. Ist das klar?" Zornig blickte er Sahin an.

Sahin nickte der jungen Frau zu, während er sich an der Hauswand abstützte, als er kurzzeitig Sterne vor den Augen hatte. Nachdem er sich wieder gefangen hatte, ging er schnell hinüber zu Rhischa und betrachtete ihre Wunde. Zum Glück hatte der Pfeil sie nur gestreift, dennoch schien er einen Muskel verletzt zu haben. "Das wird schon wieder, meine Kleine. Sobald wir in Sicherheit sind werd ich mich darum kümmern." Vorsichtig hob er den Falken hoch und setzte ihn sich auf die Schulter, bevor er sich zu Iorweth umwandte und diesem einen eisigen Blick zuwarf. "Das würdet ihr ohnehin nicht verstehen...und beim nächsten Mal werd ich nicht absichtlich vorbei zielen. Hoffe das ist euch klar." Ohne weitere Worte drehte er sich um und beeilte sich, um zu den anderen aufzuschließen. "Sobald wir im Wald angekommen sind, kann ich euch führen." meinte er zu Nicole, als er zu ihr aufgeschlossen hatte.

Amun murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, das aber ziemlich verärgert klang. Diese Menschen nervten den Avior. Unter Avior wurden sämtliche Streitigkeiten beigelegt, wenn Gefahr im Verzug war. Selbst verfeindete Avior würden sich gegenseitig schützen, wenn sich ein Sturm näherte. Menschen und Elfen hingegen schienen nicht ganz sauber zu ticken. Schmissen sich Drohungen an den Kopf, obwohl sie jeden Moment getötet werden konnten und zwar nicht voneinander. Menschen und Elfen, Elfen und Menschen, alle verrückt!
"Könnt euch im Wald gegenseitig aufschlitzen, heh!", schaltete sich Amun von der Seite ein, nur um gleich darauf Nicole hinterherzulaufen, die die Führung übernommen hatte. Noch immer brummelte der Avior verärgert vor sich hin. Wenn er hier starb, waren die Menschen Schuld. Ohne sie hätte er sich nicht verausgabt, um sie zu retten. Er war noch immer zu schwach zum Fliegen, sonst wäre er schon längst über alle Berge.
"Sind alle Menschen so verrückt, heh? Giften Fremde an. Hassen Fremde. Warum? Fremd sind sie, darum. Dumm und nochmals dumm."

Geralt wartete Finns Antwort nicht mehr ab, als er vom Dorf her einen Schrei hörte, der viel zu sehr nach Sahins Stimme klang. Ohne weiter auf den verletzten Jungen zu achten griff er sich seinen Speer und lief in Richtung Dorf davon. Er rannte nicht, denn erschöpft in einem Kampf anzukommen hätte ihm nicht geholfen, stattdessen fiel er in einen ständigen Laufschritt, in dem selbst die Atemzüge völlig regelmäßig waren.
Er sah niemanden aus dem Dorf treten, bis er selbst am Ende einer der verwinkelten Gassen stand, die ins Zentrum der mauerlosen Ansiedlung führten. Und da stand ihm auf einmal eine ganze Gruppe gegenüber, die in Gegenrichtung unterwegs gewesen war. Keiner von ihnen trug schwarz, also waren sie wohl die Gruppe, von der Finn berichtet hatte. Und sie waren wild zusammengewürfelt. Einer hatte sogar vier Arme und gehörte einer Rasse an, die Geralt noch nie vorher gesehen hatte. Und dahinter ging langsam Sahin her, kümmerte sich um den Falken auf seinem Arm und schien sich mit der Truppe halbwegs einig zu sein. So einig, dass sie sich in die gleiche Richtung bewegten und nicht gegenseitig abstachen. Geralt blieb hastig stehen und richtete den Speer nach oben wie einen Wanderstab, statt ihn in Stoßposition nach vorne zu führen. Auch er hielt nicht viel davon, aufgespießt zu werden, nur, weil man ihn für einen Angreifer hielt. Aber er wollte trotzdem wissen, wer da kam. Nicht, dass sie sich Banditen anlachten, die nicht besser als die Schwarzen waren. Er senkte den Speer wieder ein wenig, dass er wie eine Saufeder im Boden gestützt war.
"Wer seid ihr? Sahin?"
Ein Vogelmensch war auch da, der gerade das Wort erhob. Er hatte bereits einen Avior gesehen, in einer Stadt sehr viel weiter im Osten. Er war vernünftig gewesen. Und hatte tödlich ausgesehen. Unbehaglich trat Geralt einen Schritt zur Seite und hob den Speer wieder ein wenig. Und dann war da noch der breitschultrige Mann mit dem Schmiedehammer.
Er hatte keine Chance gegen so viele. Aber immerhin würde er sie, im Ernstfall, zu lange aufhalten können, als dass sich das Grüppchen die Verzögerung hätte leisten können.

Aldred hatte mit einigem gerechnet als er den Plan gefasst hatte, in Richtung des Waldes zu fliehen. Er hatte mit Bogenschützen und nachrückender Infanterie der Schwarzgepanzerten gerechnet, durch deren Reihen sie brechen müssen würden, mit Reitern, die versuchen würden sie abzufangen und nieder zu reiten. Mit Verfolgern, die sich aus den Gassen auf sie stürzen würden. Doch dass sich nun ausgerechnet diejenigen, die ganz offensichtlich nichts mit den Gepanzerten zu tun hatten ihnen in den Weg werfen und sie aufhalten würden, damit hatte niemand rechnen können. Die hünenhafte Frau war zumindest nützlich gewesen, auf den Zwischenfall mit dem jungen Bogenschützen hingegen hätte Aldred gut verzichten können. Noch immer raste sein Herz, auch wenn er nach außen hin die Ruhe selbst war. Und nun ein weiterer junger Bursche, der meinte ihnen den Weg versperren zu müssen? Wo kamen diese Leute her? Und hatten die denn nichts besseres zu tun? Fliehen, zum Beispiel?
"Hau ab, Junge!", rief er dem Kerl entgegen ohne seinen Schritt zu bremsen, "Siehst du denn nicht, was hier los ist?" Er wies mit dem Hammer hinter sich, wo dichter Qualm empor waberte und Flammen zum Himmel schlugen. "Nimm die Beine in die Hand wenn dir dein Leben lieb ist!"

Iorweth brummte etwas in sich hinein, folgte dann aber den anderen in Richtung Wald. Er hatte Lust jemanden zu verprügeln.
Am besten einen von diesen Schwarzen. Aber er glaubte nicht, dass einer alleine ankommen würde. Dem Nächsten, der ihm krumm kommen sollte, würde er den Hintern versohlen. Als er hinter den Häusern hervor trat, sah er einen jungen Mann vom Waldrand aus auf sie zukommen. Aber Aldred kümmerte sich bereits um den Jungen. Also bemühte sich Iorweth, ruhig zu bleiben.

Geralt wollte ins Dorf? Jetzt? Finn versuchte ein Erschaudern zu verbergen. Er wollte da nicht hin. Dort waren überall diese schwarzen Kerle und er war verletzt. Was sollten sie tun, wenn sie entdeckt würden? Sie sollten besser warten und hoffen, dass diese Gruppe Sahin nicht feindselig gestimmt war und dass sie es hierher schaffen würden. Finn rang mit sich, ob er Geralt seine Gedanken mitteilen sollte oder nicht. Gerade, als er sich dafür entschlossen hatte, nahm der Waldläufer ihm diese Aufgabe ab und rannte ohne Antwort los, Richtung Dorf, ihn zurücklassend. Finn fröstelt. Plötzlich war er alleine, an einem fremden Ort, in einem fremden Land, auf einem fremden Kontinent, umgeben von Mördern und Plünderern. Sein einziger Verbündeter, der einzige Punkt in diesen fremden Weiten, an dem er sich festhalten konnte, lief gerade davon. Für einen Moment entschied er sich, Geralt zu folgen. Doch der immer noch pochende Schmerz in seinem Bein hielt ihn davon zurück. Was sollte er schon tun, in einem Ort wo Sahin und Geralt zusammen Schwierigkeiten hatten? Er würde jetzt tun müssen, was er konnte, um ihnen zu helfen. Er beschloss in seinem Versteck zu bleiben. Er würde die Umgebung mit einem Spähzauber durchsuchen, um dann einen möglichst sicheren Fluchtweg zu finden.
Finn versetzte sich wieder in seine Trance und löste seine Sicht von seinem Körper. Er dachte gar nicht darüber nach, dass nun niemand da war, der ihn beschützen konnte, falls ein Soldat ihn entdecken konnte. Sein Blick segelte zwischen den Stämmen hindurch, durchsuchte systematisch die Umgebung an der Stelle, wo die Gruppe herauskommen würde.
In einem Stück Waldrand entdeckte er einen berittenen Trupp der schwarzen Ritter. Und sie ritten genau auf den Teil des Dorfes zu, in dem die anderen gerade waren! Wenn sie sich nicht beeilt, würden sie sie erwischen! Angst durchfuhr Finn, während er den Zauber so schnell wie möglich auflöste und in seinen Körper zurückkehrte. Wieder zurück in seinem Busch, rappelte der Junge sich auf und verzog das Gesicht vor Schmerz, als er seinen Fuss zu sehr belastete, ignorierte diesen aber. Er hatte jetzt keine Zeit zu verlieren. Er wusste, dass hier in der Nähe keine Soldaten waren, aber die anderen waren in Gefahr. Finn biss die Zähne zusammen und humpelte so schnell wie es ihm möglich war - das war nicht besonders schnell - in Richtung Dorf los.

Als Sahin Geralts Stimme hören konnte, starrte er den anderen Jäger einen Moment lang verdutzt an, bevor er vortrat, um mit ihm zu reden. "Was...was machst du hier? Wolltest du nicht bei Finn bleiben?" Er hatte nicht erwartet, dass sich der Junge aus irgendeinem Grund in diese Gefahr begeben würde. Jetzt war aber nicht die Zeit, um darüber zu reden, weshalb er ihm kurz ein Zeichen gab, sich ihnen anzuschließen. "Komm mit, damit wir von hier abhauen können. Im Wald können wir dann Finn aufgabeln und dann so schnell es geht weiterziehen."

Sahin hattte sich also tatsächlich mit der Gruppe verständigt. Dann war es sinnlos, sie noch länger aufzuhalten. Sofort nahm Geralt den Speer wieder aus der Stoßposition herab und drehte auf dem Absatz um. Aber während er schon herumfahren wollte strauchelte er eine Sekunde, als er ein Mädchen, nein, eine junge Frau ihn der Gruppe erblickte. Einen Moment musterte er sie erstaunt, dann drehte er sich wieder weg und lief los. Er hielt es für völlig unnötig, noch Worte zu verschwenden, und rannte stattdessen einfach Richtung Wald. Er achtete nicht darauf, ob die anderen ihm folgten. Bis auf Sahin waren sie ihm egal, und Sahin würde schon zu Finn zurückkehren. Zu dritt würden sie weniger auffallen und leichter entkommen können, also wäre es ihm nur recht, wenn die anderen sich ihren eigenen Fluchtweg suchen würden.
Aber während er schon rannte dachte er schon gehetzt nach, warum sein blick an der Frau hängen geblieben war. Weil sie in einer Gruppe von Männern nichts zu tun haben schien? Nein, natürlich nicht, sie war ein Flüchtling, egal, mit wem sie floh. Weil sie schön war? Weil sie außergewöhnlich schön war? Nein, er hatte viele schöne Frauen gesehen, und obwohl auch diese schön war achtete er nicht mehr sehr darauf. Etwas anderes war aufgeblitzt, einen Augenblick nur, aber lange genug.
Geralt verdrängte den Gedanken. Er war jetzt unwichtig, wenn die anderen bei ihnen bleiben würden würden sie sich schon noch einmal sehen.
Rasch kam er wieder zu dem jungen Magier, der sich inzwischen auf den Weg in Richtung Dorf gemacht hatte, ihnen entgegen. Er bewegte sich langsam, hinkte wegen seiner Beinverletzung, und rasch fasste ihn Geralt unter, ohne auch nur nachzusehen, ob vielleicht einer der Stärkeren hinterherkam, der das hätte besser machen können.
"Weg hier. Die anderen kommen mit."

Finn war Richtung Dorf gehumpelt, schnell war ihm aber aufgefallen, dass er viel zu langsam vorankam. Der Schmerz in seinem Fuss hielt ihn zurück und bereits begann er zu zweifeln, ob er seine neugewonnenen Freunde noch würde warnen können. Er meinte bereits die Hufe und das Wiehern der Pferde zu hören, doch als er genau hinhörte, war da nichts. Er war wirklich zu nervös. Aber das war auch etwas ganz anderes als ein Lyardenangriff, wo er sich sicher sein konnte, dass die Männer der Stadt sie würden abwehren können. Und falls der unwahrscheinliche Fall eintrat, dass ein Nebelelf in die Stadt eindrang, dann kannte er immer noch Verstecke und Auswege aus der Stadt raus.
Zu seinem Glück kam aber Geralt zurückgerannt und riss ihn aus seinen Gedanken. Der Waldläufer stützte ihn und lief wieder zum Wald zurück. Finn war zuerst perplex, fasste sich dann wieder und besann sich darauf, wieso er sich überhaupt zum Dorf aufgemacht hatte.
"Sie müssen sich beeilen! Da kommt ein Reitertrupp hierher, dass sind mehr als wir!", rief er Geralt panisch ins Ohr. Diesmal war er sich auf sicher, dass er von der Seite Hufgetrampel hören konnte. "Sie müssen sich wirklich beeilen!"

Als sie aus den Gassen hervor traten und auf den Waldrand zu hielten gelang es Aldred schließlich, die letzten Auswirkungen des Schlages abzuschütteln. Abgesehen vom Schmerz natürlich - der blieb. Dumpf, ziehend. Aber das hielt er aus. Er hatte schon schlimmeres erlitten. Wichtig war, dass er die Benommenheit, die Koordinationsschwäche los wurde. Dass er seine Kräfte wieder erlangte. Ihm war mehr als bewusst, dass ihre Flucht noch nicht zu Ende war. Doch er war zäh. Und nun konnte er seine Zähigkeit, seine Ausdauer, die Zeichen der Jahre in der Eiswüste ausspielen. Ohne allzu große Mühe zog er mit der jungen Frau, die sich selbst zu ihrer Führerin erkoren hatte, gleich, blieb dicht hinter dem jungen Burschen mit dem Speer, der sich ihnen irgendwie - Aldred hatte es kaum richtig mitbekommen - angeschlossen hatte.
Die kleine Gestalt zwischen den Bäumen bemerkte er erst, als sie den Waldrand erreichten. Es war... nun, wenn ihre beiden letzten Zugänge zur Gruppe junge Burschen waren, dann war dieser hier wohl fast noch ein Kind. Fast. Er redete schnell und sich überschlagend auf den mit dem Speer ein und Aldred hatte Mühe, ihn seinerseits zu verstehen. Das Wesentliche jedoch bekam er mit. Gefahr! Augenblicklich blieb er stehen, wandte sich auf der Stelle, spähte in die Richtung, in die der Junge gestikuliert hatte. Er konnte nichts erkennen, doch das musste nichts heißen. Es war nunmal die unangenehme Eigenschaft von Reitern, dass sie stets unerwartet auftauchten. Und immer dann, wenn man sie am wenigsten brauchen konnte. Doch was sollten sie schon machen? Zusehen, dass sie tiefer in den Wald kamen, wo sie aus dem Sichtfeld ihrer Verfolger waren. Das war alles, was ihnen blieb. Und sich beeilen, natürlich. Das mussten sie ohnehin.
Aldred war schon fast an den beiden Halbstarken vorbei, da fiel ihm auf, dass der Junge, der aus dem Wald gekommen war, eine Verletzung am Bein zu haben schien. Hinkte. Ob sie es mit schaffen würden, zu entkommen? "Ich trag dich...", sprach er den Jungen an, knapp, aber dennoch lediglich als Angebot. Das '... wenn du willst' schwang in der Stille, die seinen Worten folgte mit. Es wäre nicht seine Art gewesen, die Entscheidung selbst zu fällen. Der Aldred, der entschlossen Dinge festlegte, war in der Eiswüste im Norden gestorben.

"Trag ihn", fauchte Amun Aldred an. Im Gegensatz zu den Menschen waren seine Sinne nicht stumpf. Der Avior hörte Hufschlagen. Naja, sein Geruchssinn war mickrig. Egal. Sie mussten hier weg. Es hatte alles so einfach ausgesehen. In dem Dorf landen, sich erholen, etwas essen, möglichst wenig angefeindet werden. Und plötzlich war die Hölle losgebrochen und er, Amun steckte bis zum Hals drin. Der Wald war ihre beste Aussicht auf Flucht. Die Pferde waren dort langsamer, weil sie auf Wurzeln achten mussten. Und die Reiter konnten sie nicht einfach überrennen, sondern mussten vorsichtiger vorgehen. Alles in allem sah es tatsächlich so aus, als könnten sie den Tag doch noch überleben. Die Aussicht freute Amun.
"Schnell. In den Wald gehen, heh. Beste Chance auf Flucht."

Sahin nickte Finn zu, als dieser in sein Blickfeld gehumpelt kam und wollte sich um ihn kümmern, aber Aldred kam ihm zuvor. Nachdem er mitangehört hatte, dass Reiter in ihre Richtung unterwegs waren, ergriff er die Initiative. "Geralt, bild du den Abschluss der Gruppe. Ich will nicht von diesen Reitern überrascht werden." Er selbst ging an die Spitze der Gruppe und gab den anderen das Zeichen, ihm zu folgen. Ohne Rhischa hatte er zwar keine Ahnung, wo genau die Soldaten waren, aber auch so würden sie im Wald fliehen können. "Wenn ihr heil hier rauskommen wollt, solltet ihr mir lieber folgen." So schnell es die erschöpften Gruppenmitglieder es zieließen führte er die Gruppe in den eher unpassierlicheren Teil des Waldes.

Ein Junge hatte sich ihnen angeschlossen. Wann? Woher kam er? Und wieso starrte er sie so an? Nicole war es durchaus gewohnt, diese Art von Blicken zu bekommen, damals, auf dem Markt und auch dann, wenn sie anschaffen ging, mit weitaus weniger Kleidung als der, die sie nun trug. Es störte sie nicht mehr, war zu einer Art Gewohnheit verkommen, so wie ein Arzt irgendwann darüber hinwegsieht, wenn er eine Wunde ausbrennen muss. Man lernte damit zu leben. Aber wieso kam dieser Junge aus dem Wald? Wenn er geflohen war und es noch mehr Feinde gab...war es eine Falle? Nein, Sahin schien ihn zu kennen. Aber das war nichtsdestotrotz eine Erklärung wert. Und so trabte die junge Frau an Aldred vorbei, als dieser zu ihr aufholte und wandte sich dem noch namenlosen Exemplar der männlichen Spezies zu. Sie bewegte sich sehr sicher über den Waldboden, nicht so elegant und geschickt wie ein Waldläufer, sondern eher geschmeidig, mit Wucht, aber nicht plump. Wenn Geralt mit einem Frettchen vergleichbar war, so war Nicole eher ein Leopard, und ebenso gefährlich war das Funkeln in ihren Augen, als sie ihn ansprach. "He, lass Aldred den Jungen tragen und beeil dich ein bisschen! Woher kommst du? Wie heißt du? Gibt es noch mehr Feinde da, wo du herkommst?" Sie musterte ihn abschätzend, aber nicht abfällig. Nicole machte sich Sorgen. Die Gruppe musste vorankommen, weit im Wald, im tiefsten Dickicht gab es eine Grotte, die sie häufig besuchte, aber immer gut versteckte. Das Wasser darin war nur eine große, kristallklare Pfütze, in der man sich waschen konnte und es gab überall Beeren. Ideal für einen spontanen Fluchtpunkt. Wenn sie nicht gefangen wurden, natürlich.

Iorweth eilte den anderen hinterher und wirkte nicht mal erschöpft. Seine Schwerter klimperten leise gegen seinen Rücken.
Er konnte die Reiter hören, die Geräusche die sie verursachten. Er blickte zu den anderen und folgte ihnen weiter in den Wald.
Der Bogenschütze hatte die Führung übernommen, was Iorweth etwas störte. Aber er hatte keine Zeit jetzt deswegen zornig zu werden. Schließlich wollte er nicht von den Reitern erwischt zu werden. Wenn sie in Sicherheit waren, konnte er sich immer noch aufregen.

Im Grunde war es absolut nicht Aldreds Art, doch der Junge schien zu verschreckt um auf die Schnelle zu antworten - vermutlich war Aldreds Angebot noch nicht einmal durch die Mauer aus Angst hindurch gedrungen - und der Druck der anderen machte ihm wieder bewusst, wie ernst die Lage war. Sie hatten keine Zeit zu verlieren! Während einer nach dem anderen an ihm vorbei zog, dem jungen Bogenschützen folgend, der sich anbot sie tiefer in den Wald zu führen, schob er den Hammer zurück in seinen Gürtel und ging neben dem verschreckten Jungen auf ein Knien herab. Mit sanftem, aber bestimmtem Druck schlang er sich dessen Arme um den Nacken, sodass er ihn auf dem Rücken tragen konnte.
"Halt dich fest", murmelte er und griff selbst mit der freien Rechten - an der Linken trug er noch immer den Schild - nach dem über seiner Brust hängenden Handgelenk. Schnaufend drückte er sich wieder auf die Beine, setzte sich in Bewegung. Er wusste, dass er nicht mit dem Tempo der anderen würde mithalten können. Wusste, dass auch er, der im Zweifelsfall Kräftigste in der Gruppe, diese Last nicht weit würde schleppen können. Aber sie mussten nicht weit kommen. Nur soweit, dass der Wald sie abschirmte. Dass man sie vom Waldrand aus nicht mehr sah. Dann würde er den jungen wieder herunter lassen können. Also gab er dennoch sein bestes. Ignorierte den stechenden Schmerz in seinen Beinen und verfiel in schweren Laufschritt. Laub raschelte, Äste knackten unter seinem schweren Tritt und der Abstand zu den anderen, die ebenfalls rannten, wurde größer und größer. Doch er hielt mit. Weit mussten sie es nicht mehr schaffen...

Der Wald wurde dichter, Seline merkte dies recht schnell, den immerhin war sie die grösste der Truppe und hatte so bereits etwas mehr mühe durch den Wald u kommen. Trotzdem ärgerte sie das nicht, im Gegenteil, den es bedeutete auch das die sie verfolgenden Reiter noch mehr Probleme haben würden, den diese waren nicht nur noch grösser, sondern auch breiter, keine guten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Verfolgung.
Dennoch fühlte sie sich noch nicht so ganz wohl in ihrer Haut. Erst dieser komische Typ Sahin und die beiden Jungs, die anscheinend zu seiner Truppe gehörten... klar, wenn sie ihnen jetzt nicht in den Wald folgten, würden die Reiter sie erwischen, doch Seline fand es merkwürdig das sich die Typen an das Dorf herangewagt hatten, obwohl da der Angriff bereits im vollen Gange war. Ihr blieb nur zu hoffen, dass sie nicht mit den schwarz gepanzerten unter einer Decke steckten und sie in eine Falle lockten.

Zuerst hatte Geralt die kleine Marschkolonne noch angeführt, langsam, mit Finn untergehakt, aber schon bald löste ihn bei der Aufgabe, dem Jüngsten der Truppe weiterzuhelfen, Aldred ab. Obwohl er nichts von dem Mann wusste, weder, ob er ihm trauen konnte, noch, was er mit Sahin zu schaffen gehabt hatte, sagte etwas an ihm Geralt, dass er ihm für den Moment Finn anvertrauen konnte. Und musste. Wenn er bei einem Recht hatte, dann, dass sie nicht schnell genug vorankamen. Er selbst hörte den Hufschlag noch nicht, aber immer wieder das laute Wiehren eines Pferdes oder einen Ruf, der nur zu den Reitern gehören konnte, die hinter ihnen her waren. Weshalb? Geralt wusste es nicht; Er selbst war jedenfalls wohl kaum von Interesse. Auch die anderen sahen nicht außergewöhnlich aus. Am ehesten noch die Frau, oder die fremden Wesen.
Dann übernahm Sahin die Führung; Geralt hätte das ebensogut machen können, aber jetzt Zeit darauf zu verschwenden zu bestimmen, wer vorne und wer hinten ging, wäre selbstmörderisch dumm gewesen. Den Rücken zu decken war gefährlich, aber er ließ sich zurückfallen, ohne ein Wort zu verlieren. Auf dem Weg nach hinten allerdings fing ihn die junge Frau ab, die er schon vorher bemerkt hatte. Und überfiel ihn mit Fragen, kritischen, stechenden Fragen. Fragen, die keine Zeit ahtten, die Geralt plötzlich trafen und verwirrten, ihn stocken und einen Schritt zurückfallen ließen, bevor er antwortete.
"Osten. Geralt. Nein. Nein, auf dem Weg zum Dorf das erste Mal gesehen."
Er antwortete wie immer. Kurz. Emotionslos. Aber eine kleine Sache war anders, diesmal, als er Nicole ansah. Nur ein wenig anders, und es bestand eine Chance, dass sie es nicht einmal bemerken würde. Er wandte das Gesicht wieder ab und sah sich nach den Reitern um. Sie kamen näher, und zwar rasch. Der Wald wurde dichter. Vielleicht dicht genug, um sie abzuhängen, aber Geralt prüfte bereits, ob er seinen Bogen würde schnell ziehen können.

Nicole bemerkte die Veränderung in Geralt nicht - wie auch, sie hatte ihn nie getroffen - stattdessen jedoch die in der unmittelbaren Umgebung. Die Hufgeräusche waren näher gekommen, bedrohlich hämmerten sie über den eigentlich doch weichen Walduntergrund. Sie mussten sie irgendwie loswerden, jetzt, wo der Wald dichter wurde. In etwa fünfzig Schritt Entfernung konnte sie den Eingang zur Grotte sehen, verborgen hinter Brombeerbüschen. Durch diese zu hechten würde wehtun und sie vielleicht unfreiwillig entblößen, aber die Pferde würden ihnen nicht dort hinein folgen können. Die Zeit, welche die Ritter brauchen würden um abzusteigen, war ihre Chance! "Schneller! Mir nach!" Mit einem einzigen, kräftigen Einatmen holte die junge Frau den letzten Rest an Energie aus ihrem Körper. Aus ihrem Trab wurde ein Sprint, sie überholte einen nach den anderen, während ihr Haar um sie herum flatterte wie der Schein einer Heiligen. Und tatsächlich hatte sie das Gefühl, als würde sie sich während des Laufens verändern. Das Ziehen in ihrer Brust wurde stärker, es war, als würde etwas unter ihrem Oberteil hervorbrechen, aber es war nicht schädlich. Sicherheit umfing sie, die Gewissheit, dass sie alles schaffen würde. In diesem Moment wusste sie, dass die Reiter sie nicht einholen würden und jeder Schritt war klar gekennzeichnet, absolut richtig. Wenn das nicht lächerlich gewesen wäre, so hätte sie gedacht, dass jemand in sie gefahren war - eine Art heiliger Geist. Vielleicht war es die mangelnde Blutzufuhr in ihr Hirn, aber sie hatte das Gefühl, dass die Reiter verschwunden waren, als sie in den Bromberstrauch hechtete und ihre Haut zerkratzt wurde, ihre Kleider zerrissen. Mit einem dumpfen Aufschlag landete sie in einem Gang, den sie emsig entlangkroch, ohne auf die Wunden zu achten, die sie sicherlich davongetragen hatte. Nach wenigen Metern des Krabbelns konnte sie sich aufrichten und fand sich in einer finsteren, nach Nässe duftenden Höhle wieder. Ihr blieb gerade noch Zeit sich darüber zu wundern, dass es Licht gab, ehe sie bemerkte, dass eben dieses von ihr selbst stammte. Aus ihr herausschien.
Nicole wandte sich dem Eingang zu, dann verdrehten sich ihre Augen und sie fiel zuckend zu Boden.

Je näher die Reiter kamen, desto schneller lief auch Sahin in den dichteren Teil des Waldes, um dort ihre Verfolger abzuhängen oder sie am weiterkommen zu hindern. Als die Lage beinahe schon aussichtslos war und er das Beben der Hufe spüren konnte, übernahm wieder das Mädchen die Führung, dass ihn gerettet und sie aus der Dorf geleitet hatte. Da ihm ohnehin nichts anderes übrig blieb und sie sich in dieser Gegend vermutlich am besten auskannte, folgte er ihr, zögerte jedoch einen Moment, als sie durch den Brombeerstrauch hechtete, nicht aus Angst oder Furcht, sondern weil er nicht wollte, dass sich Rhischa weiter verletzte. So kam er einige Sekunden später ebenfalls auf der anderen Seite an, hatte aber weniger Kratzer als Nicole, die er im Lichtschein vor sich sehen konnte. Verwundert bemerkte er, dass sie selbst die Lichtquelle war, was nur den Schluss zuließ, dass sie, ebenso wie Finn Magie beherrschen konnte. Auch wenn er wusste, dass es in den großen Städten ganze Akademien für Magier gab, so war es doch ein sehr unwahrscheinlich, an solch einem abgelegen Ort wie Heaven's Glade gleich zwei anzutreffen. Bevor er diesen Gedanken weiterspinnen konnte, erlitt die Frau eine Art Anfall und fiel zückend zu Boden. So schnell er konnte trat er an ihre Seite und hielt sie so gut es ging fest, um sehen zu können, ob er ihr irgendwie helfen konnte. "Was ist mit euch? Könnt ihr mich hören?" leicht panisch wandte er den Blick dem Eingang zu, hoffend, dass einer der anderen wusste, was sie tun mussten.

Brummelnd und leise vor sich hin krächzend kam Amun sehr viel langsamer als die anderen durch den Strauch. Immer mal wieder verfing sich eine seiner Federn an den spitzen Dornen und musste von dem Avior vorsichtig befreit werden. Einige der Federn waren wichtig fürs Fliegen. Und ein Avior, der nicht fliegen konnte, war kein Avior. Gebückt kroch Amun in die Grotte und stolperte beinahe über die junge Frau, die bewusstlos am Boden lag. Nachdem er Platz für Nachzügler gemacht hatte, warf Amun einen leicht interessierten Blick auf die schlaffe Frau in den Armen des Mannes.
"Ist wohl nicht normal für Menschen, heh? Ist sowas jedenfalls nicht für Avior. Selai habt ihr hier?", fragte Amun. Besagtes Selai war eine Art Salz, das dermaßen übel stank, das es Bewusstlose aufwecken konnte. Amun führte keines mit, wozu auch?