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 Borks Run

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Vicati
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Vicati


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BeitragThema: Borks Run   Borks Run EmptySo 01 Jun 2014, 22:36

Rotes Licht durchstiess das Blätterdach und färbte die Borken der summenden Säerinnen braunrot. Die Älteren schienen es gar nicht zu bemerken und schwenkten ihre Blätterhäupter langsam im Takt hin und her. Bork lehnte sich gelangweilt auf seinen Speer und begann wieder, mit dem Fuss auf das Holz unter ihm zu trommeln. Tonia starrte ihn sofort vernichtend nieder, bis er aufhörte, dann wandte sie sich wieder der Zeremonie zu. Als hätte sie es nicht schon oft gesehen. Bisher war es jeden Fall das gleiche, der einzige Unterschied war, dass sie diesmal das erste Mal bei den Steinläufern standen. Aber Bork hatte schnell gemerkt, dass sich abgesehen vom Blickwinkel nichts verändert hatte.
Zum Glück hörten die Säerinnen endlich mit dem Summen auf und die Wanderer traten mit knarzenden Schritten nach vorne, jeder vor eine Säerin. Langsam hoben sie ihre Astarme zu ihrer Krone und griffen in die Blätter die sich rot, gelb und braun gefärbt hatten. Nun war sogar Bork aufmerksam und beobachtete, wie sie die Hände wieder hinauszogen und hinknieten. Wanderer wuchsen stark, so dass sie die Säerinnen um eine Krone überragten. Zwischen den spitzen Zweigfingern hielten sie eine verschrumpelte Frucht, die sie vorsichtig in die Hände der Frauen vor ihnen legten. Diese neigten ihr Haupt und traten einen Schritt zurück, um den Wanderinnen Platz zu machen. Diese traten hinter den Säerinnen hervor und nahmen ihren Platz neben den Wanderer ein. Dann bewegte sich die Prozession weiter. In Zweierpaaren gingen die Wanderer los und machten sich auf den Weg in den in den Ewigen Wälder, die aufgehende Sonne im Rücken. Die Älteren brauchten so lange, bis sie die Aststufen erreicht hatten, dass die Sonne sich vom Horizont gelöst hatte und Bork sich einen weiteren vernichtenden Blick von Tonia eingefangen hatten, als sie endlich aus den Kronen hinunterstiegen.
Nun wurde auch Bork aufgeregt. Jetzt kam ein Teil, der neu war. Die Aussendung der Steinläufer! Nachdem die Krone des letzten Wanderers aus ihrer Sicht verschwunden war, wandten sich die Wartenden wieder den Säerinnen zu, die immer noch mit geneigtem Haupt dort standen, die Frucht fest in den Händen. Wie auf Kommando hoben sie diese nun und bissen hinein. Es war nicht besonders spannend, jemandem beim Essen zuzuschauen, aber dieser Teil der Zeremonie war verhältnismässig kurz. Schliesslich war jeder Apfel verschwunden und die Säerinnen setzten sich in Bewegung und stellten sich vor die Steinläufer.
„Steinläufer!“, sprach eine der Säerinnen und die anderen echoten die Worte. „Die Saat wächst! Wo wird sie spriessen?“
„In Erde“, antworteten die Steinläufer unisono. Bork kannte die Worte auswendig, wie jeder andere hier und er hatte lange gewartet, sie sprechen zu dürfen. „In Erde voller Leben.“
„Wo finden wir diese Erde?“, kam die Antwort der Säerinnen.
„In den Grauen Steinen im Sonnenaufgang. Wir laufen auf den Steinen und bringen sie euch.“
„Eilt in die Sonne und kommt sicher zurück. Die Kinder warten.“
Wie eine Person hoben die Steinläufer ihre Speere und schlugen einmal auf den Boden. Die Säerinnen neigten noch einmal ihre Häupter und gingen dann auch weiter zu den Asttreppen. Natürlich nicht, um den Wanderer in die Ewigen Wälder zu folgen, sondern um die Reifekammern zu beziehen, wo sie auf die die Rückkehr der Steinläufer warten würden. Als auch sie verschwunden waren, traten die Steinläufer nach vorne und wandten sich der Sonne zu, die inzwischen schon ein Stück in den Himmel hinaufgestiegen war. Ihre Baumläufereskorte wartete bereits. Ein zufriedenes Grinsen breitete sich über Borks Gesicht aus und er machte einen kleinen Freudensprung, was ihm natürlich wieder einen bösen Blick von Tonia einhandelte. Doch diesmal ignorierte er seine Schwester einfach. Viel zu sehr freute er sich darüber, endlich die Kronen verlassen zu dürfen.

Mit finsterem Blick wartete Bork darauf, dass der Ast vor ihm sich beruhigte und aufhörte, Wassertropfen in sein Gesicht zu spritzen. Einer der Baumläufer war schon nach unten gestiegen, um Escha, die dort in den unteren Zweigen hing und wimmerte. Leider war die Trägerin nicht die erste, die gestürzt war. Zwei Tage, nachdem sie aufgebrochen waren, war Resin ausgerutscht und in die Tiefe gefallen. Ein Ast hatte seinen Brustkorb durchbohrte und sie hatten ihm nicht mehr helfen können. Einer der Baumläufer musste mit ihm in die Kronen zurückkehren, um ihn dort zurückzugeben. Und nun waren sie wahrscheinlich noch eine Trägerin los.
„Sie hat sich einen Arm gebrochen“, rief der Baumläufer, Kerb, hoch. Bork warf einen Blick nach unten. Scheinbar hatte das Geäst das schlimmste des Sturzes abgefangen, aber nachdem Kerb Escha ein wenig befreit hatte, konnte er sogar von hier oben erkennen, dass der Winkel, in dem ihr Arm von ihrem Körper abstand, nicht gesund war. „Sie muss zurück in die Kronen.“
Ein kollektiver Seufzer ging durch die Gruppe. Die Situation war aber auch unglücklich. In der Nacht, als sie von den Kronen aufgebrochen waren, hatte der Regen begonnen und immer noch nicht aufgehört. Zuerst waren sie nur auf die unteren Äste gestiegen, doch irgendwann war die Nässe auch dorthin vorgedrungen und sie hatten keine andere Wahl gehabt, als damit zu leben und so weiter zu reisen. Sie konnten nur hoffen, dass es nicht einen halben Mond lang regnete. Solange dauerte die Reise zu den Steinen nämlich.
Die Anführer beider Gruppen, Snick, ein Steinläufer, dessen Haut sich bereits verhärtet hatte und von Furchen durchzogen war, und Betula, eine Baumläuferin mit ersten Blättern in den Haaren, unterhielten sich auf der anderen Seite. Schnell hatten sie sich abgesprochen und trennten sich. Betula stieg zu Kerb und Escha hinunter, während Snick sich an die Versammelten wandte.
„Wir machen Lager auf dem nächsten Stammast, den wir finden. Stürzt nicht ab“, erklärte er kurz angebunden und lief wieder los. Die Baumläufer an der Spitze folgten seinem Beispiel und auch Bork setzte sich in Bewegung.
Schnell hatte sich ein Lagerplatz gefunden. Ein breiter Stammast bot genug Platz für die ganze Gruppe oder was noch davon übrig war. Ein kurzer Rundblick zeigte aber, dass dieser Gedanke sehr pessimistisch war. Ihre Gruppe bestand immer noch aus ihm selbst, Snick, Tonia, fünf weiteren Steinläufern, acht Trägern und einem halben Dutzend Baumläufer, Betula eingerechnet. Schnell ging jeder seinen Aufgaben nach. Die Baumläufer tielten sich auf, um sich nach Wild oder etwas anderem Essbarem umsahen. Es war gar nicht unwahrscheinlich, dass sie Fleisch finden würden. Sobald der Fall begann, legten die Baumläufer entlang der Strecke zu den Steinen Fallen aus, um die reissenden Steinläufer versorgen zu können. Schliesslich durfte ihre Reise so wenig wie möglich aufgehalten werden. Die Steinläufer breiteten währenddessen Matten aus geflochtenem Efeu aus und verwandelten den dunkeln Ast in kürzester Zeit in eine grüne Matte.
Bork hatte sich schleunigst verdrückt, als der Lagerbau begann. Die dünneren Äste über dem Stammast sahen stark genug aus, um ihn zu halten. Die Anderen immer im Auge behaltend, klettert Bork hastig den Stamm hoch und lehnt sich auf einem der Äste gegen das Holz, den Speer auf seine Schulter gestützt. Leider blieb er dort nicht lange unentdeckt. Während es noch eifrig zu und her ging, tauchte plötzlich ein finsteres Gesicht neben ihm auf und seine Schwester kletterte neben ihm auf den Ast.
„Was machst du schon wieder?“, fauchte Tonia. „Wir müssen ein Lager aufbauen.“
„Ich dachte, jemand muss ein Auge auf die Umgebung halten. Man weiss nie, wann die Grauen Wächter auftauchen“, antwortete Bork lax und schob sich unauffällig ein Stück von ihr weg. Vorsicht war besser als Nachsicht, besonders mit Tonia.
„Man macht keine Witze über die Grauen Wächter! Und du weisst genauso gut wie ich, dass wir mindestens noch fünf Tage von den Steinen weg sind. Und mit deinen Spielereien verlangsamst du uns noch mehr.“
„Ich bin wohl kaum daran schuld, dass sich die Idioten, die ganze Zeit in die Tiefe werfen“, maulte Bork. „Wahrscheinlich haben sie nur vor den Wächtern Angst.“
„Was nur richtig ist! Mit den Wächtern ist nicht zu spassen. Wir haben eine wichtige Aufgabe und du gehörst genauso zu dieser Gruppe wie die anderen. Verdien dir deine Wanderung in die Ewigen Wälder!“
Sie verpasste ihm einen Tritt, der ihn fast über den Rand des Astes befördert hätte und war hinuntergesprungen, bevor er sich wieder gefasst hatte. Missmutig starrte er hinterher, während sie zurück zu den anderen stolzierte. Verdammte Rindennagerin!
Allerdings konnte er nicht mehr sitzen bleiben. Noch hatte Snick nichts von seiner Abwesenheit bemerkt, aber so wie er Tonia kannte, würde es nicht lange dauern, bis er davon erfuhr und von anderen Steinläufern hatte er gehört, dass es keine gute Idee war, Snick aufzufallen. Deshalb stieg er kurz nach seiner Schwester von seinem Baum hinunter und bewegte sich so langsam wie möglich auf das Lager zu. Gerade als er es erreichte, kehrten die Baumläufer von ihrer Jagd zurück. Sie brachten einen Korb voll Beeren, zwei Nussnager und einen Blätterkrächzer zurück.
„Das sollte für heute Abend und Morgen reichen“, erklärte Betula und lud den Blätterkrächzer vor Snick ab. „Ausnehmen dürft ihr ihn. Schliesslich müsst ihr in den Steinen selbst überleben.“
Snick stiess ein Schnauben aus und liess einen Blick über seine Truppe Steinläufer schweifen. Die Hälfte war sehr frisch und erst auf ihrem ersten oder zweiten Lauf. Bevor er sich aber für jemanden entscheiden konnte, trat Tonia zu ihm und wisperte ihm etwas ins Ohr. Mit einem leisen Knarren zogen sich seine Brauen zusammen und er fixierte Bork mit seinen blattgrünen Augen.
„Du“, sagte er und deutete auf den Jungen. „Du kümmerst dich um den Krächzer.“
Nun war Bork an der Reihe, Tonia einen finsteren Blick zuzuwerfen, was sie mit einem zufriedenen Lächeln quittierte. Doch er hatte keine andere Wahl und holte sich den Krächzer bei dem Baumläufer ab und machte sich daran, ihn von den Federn zu befreien. Währenddessen hatten die anderen Steinläufer den Bau des Lagers abgeschlossen und versammelten sich um die Baumläufer, die Beerenrationen ausgaben. Währenddessen hatten sie die Nussnager schon fast fertig gehäutet, während Bork seinen Krächzer noch nicht einmal halb gerupft hatte. Dennoch beeilte er sich nicht. Er wusste, was nun kommen würde. Snick würde ihnen wieder Geschichten von seinen vorherigen Läufen erzählen, die sie in den letzten Tagen alle mindestens schon dreimal gehört hatten.
„Beim Lauf vor drei Fällen hatten wir schon fünf Leute verloren, bevor wir unser erstes Lager aufgeschlagen. Trotzdem wächst diese Generation auf und wird bald eingeteilt“, ertönte prompt auch schon die knarzende Stimme des älteren Steinläufers. „Macht euch also keine Sorgen um unsere Zahl, wir sind immer mehr als nötig. Es ist schliesslich nicht unser erster Lauf. Nun, zumindest nicht für die Hälfte von uns.“
Sein Lachen klang wie ein Baumstamm, der sich an einem anderen rieb. Bork verdrehte die Augen. Endlich war der Krächzer seine Federn los und er zückte seine Hartholzklinge, um die Eingeweide des Tieres zu entfernen. Währenddessen erzählte Snick weiter.
„In diesem Fall waren die Grauen Wächter zahlreicher als ich je gesehen habe. Sie lungerte überall in den Höhlen herum und es war wohl ein Glück, dass wir nur noch wenige waren. Wir haben sie einen nach den anderen erwischt. Sie sind zwar gross und stark, aber dumm wie ein kopfloser Nadelhüpfer. Und dann sind wir gerade noch rechtzeitig für die Einpflanzung zurückgekehrt.“
„So gefährlich können diese Wächter ja gar nicht sein, wenn ihr sie immer überwältigt“, rief einer der Baumläufer ein und einige der jüngeren äusserten ihre Zustimmung mit lauten Zurufen.
„Sie sind noch gefährlicher. Ein Schlag eines Grauen Wächters und es ist aus mit dir. Wenn sie dich auch nur berühren, zerreisst ihre raue Berührung deine Rinde und gieren nach dem Harz unseres Volkes. Wahrscheinlich wären sie schon über uns in den Kronen hergefallen, wenn die Reissenden Wasser sie nicht von uns trennen würden. Du solltest nicht so leichtfertig über diese Monster reden, wenn du noch nie etwas Gefährlicheres als einen Nussnager zu Gesicht bekommen hast, Sämling!“
Das erntete Snick Gelächter von allen Seiten und der aufmüpfige Baumläufer zog sich mit eingezogenem Kopf zwischen seine Kameraden zurück. Das Lachen machte den alten Steinläufer aber nur aufgebrachter und er fuhr fort, Schauergeschichten über die Grauen Wächter zu erzählen. Bork hörte ihm gar nicht mehr zu. Diese Geschichten hatte er schon oft gehört, jeder, der einmal in den Steinen gelaufen war, hatte seine ganze eigene Geschichte über die Steinungeheuer dort. Stattdessen stand er auf, schüttelte die Federn aus seinem Schoss und übergab den gerupften und ausgenommenen Krächzer dem nächsten Baumläufer, der ihn verdutzt anblickte. Bevor dieser etwas erwidern konnte, war Bork schon weg. Er schnappte sich eine Handvoll Beeren und setzte sich so weit von seiner Schwester hin. Finster vor sich hin starrend lauschte er dem ewig gleichen Geknorre des Steinläufers.

Die Reissenden Wasser waren unglaublich laut. Auch wenn er es schon oft gehört hatte, er hätte nie gedacht, das Wasser so brutal sein konnte. Schäumend und tobend strömte es dahin, breiter als die Bäume am Rande des Grossen Waldes hoch waren. Bisher hatte er Wasser in grossen Fängerblättern oder als Regen gesehen. Das war etwas ganz anderes. Er hatte nicht einmal gewusst, dass es so viel Wasser gab.
„Von hier an teilen sich unsere Wege“, hörte er Betula durch das Rauschen. Sie musste schreien und trotzdem konnte Bork sie nur verstehen, weil er fast neben ihr stand. „Wir werden hier auf euch warten. Genau wie die Säerinnen in den Kronen. Gebt uns eine weitere Generation.“
Wahrscheinlich hatte Snick, der ganz vorne auf dem Ast stand, sie nicht verstanden, aber er nickte trotzdem. Er wusste, was sie gesagt hatte. Mit einem Wink gab er den übrigen Steinläufern zu verstehen, dass sie ihm folgen sollten. Es war Zeit für den Abstieg. Bork folgte dem alten Steinläufer dicht auf und passte bei jedem Sprung auf. Die Reissenden Wasser waren so wild, dass die untersten Äste immer feucht und rutschig waren. Und vor drei Tagen hatten sie einen weiteren Steinläufer verloren, weshalb er gleich doppelt so vorsichtig war. So kurz vor dem spannenden Teil des Laufes wollte er sich nicht das Genick brechen.
Schliesslich versammelte sich die Truppe am Fusse des Baumes. Die Baumläufer sassen immer noch in den Blättern über ihnen und beobachteten sie neugierig. Snick gab ihnen mit einem Winken zu verstehen, ihm zu folgen. Am Ufer der Reissenden Wasser war es nicht möglich zu sprechen. Das Rauschen dröhnte in Borks Ohren, während sie durch den weichen Matsch marschierten. Es war nicht weit. Das Rauschen wurde noch lauter und bald erkannte Bork auch, wieso. Das Wasser stürzte in die Tiefe. Und hier war auch der Übergang auf die andere Seite. Felsen ragten vor dem Wasserfall aus den Wellen und führten in wirrem Zickzack darüber hinweg. Snick verschwand im Unterholz und kehrte mit Leitern zurück, Äste, die vorherige Steinläufer für sie vorbereitet hatten. Nicht allen wurde die Ehre zugesprochen, in den Steinen zu laufen, aber alle hatte eine wichtige Aufgabe zu erfüllen.
Wortlos zeigte Snick ihnen, wie sie die Leitern von einem Stein zum nächsten legen mussten, damit sie stabil lagen. Kerben in den Steinen von unzähligen vorherigen Läufen waren dabei hilfreich. Sie alle kannte das schon, hatten sie es doch schon unzählige Male hoch oben in den Kronen geübt, dennoch war es etwas ganz anderes, es über den Reissenden Wasser zu tun, das musste sogar Bork zugeben. Nach der Vorführung machten die Steinläufer sich daran, den Weg über das Gewässer auszubauen und es langsam aber sicher zu überqueren.
Die Sonne färbte den Horizont orange, als sie das andere Ufer erreichten. Hinter ihnen lagen die Leitern kreuz und quer über das Wasser. Erstaunlicherweise war hier keiner abgestürzt, was ein Glück war. Jemand er in die Reissenden Wasser fiel, tauchte nicht mehr daraus auf.
„Da“, knarzte Snick, als sie sich weit genug von dem Wasser entfernt hatten, um wieder zu sprechen und deutete auf einige graue Erhebungen in der Ferne. „Da ist unser Ziel. Die Steine.“
Borks Blick glitt über die weit entfernten Steine über die weite karge Steppe vor ihnen. Das würde ein langer Weg werden. Und das ganz ohne Bäume. Zum Glück waren die Vorräte, die die Baumläufer vor dem Fall gesammelt hatten, nicht von Tieren geplündert worden und befanden sich in den Körben der Träger. Sie würden noch einige Zeit unterwegs sein.

Zwei Tage dauerte es, bis sie die Steine erreichten und noch drei weitere, bis sie die Höhlen hoch oben erreichten. Während es Aufstiegs verloren sie einen weiteren Träger. Ein Stein löste sich unter seinen Füssen und er stürzte in eine Grube, wo er sich den Schädel an einem Stein aufschlug. Ein Steinläufer – zum Glück nicht Bork – musste hinuntersteigen und seinen Korb holen. Er wollte auch den Toten mit hoch nehmen, doch Snick gab ihm zu verstehen, dass er ihn liegen lassen konnten. So weit entfernt von den Kronen hatte es keinen Sinn, die Leiche mitzunehmen. Und sie waren sowieso schon in Verzug.
Bork starrte in das finstere Loch und fühlte sich zum ersten Mal seit dem Beginn des Laufes unwohl. Sie konnten selbst ohne viel Licht sehen und waren an das Zwielicht unter einem dichten Blätterdach gewöhnt, doch schon nach einem Dutzend Schritte schien es, als hätte die Dunkelheit alles Licht verschlungen. Zum Glück hatten sie Leuchtwurzeln mitgebracht. Zwei der Träger liefen voran, gemeinsam mit Snick und zwei Steinläufern, die alle drei die Speere bereit hielten. Das war die Domäne der Grauen Wächter, es war besser, wenn sie vorsichtig waren.
Zusammengedrängt und die Waffen bereit huschte der Trupp Steinläufer durch die Gänge. Snick kannte den Weg, war er doch schon öfters als sie alle zusammen durch diese Gänge gegangen. Trotzdem hing eine fast greifbare Spannung in der Luft. Nichts, was ihr Volk tat, war gefährlicher als die Aufgabe der Steinläufer, doch auch nichts war wichtiger. Ohne die Erde aus den Steinen konnten keine Jungen geboren werden und deshalb stellte sich eine Gruppe Steinläufer Fall für Fall den Gefahren der Reise zu den Steinen und den Grauen Wächter.
Ohne die Führung des alten Steinläufers hätten sie sich nie in den Gängen zurechtgefunden. Doch so weiteten die Steinwände sich nach einer gefühlten Ewigkeit langsam und sie betraten eine grössere Höhle. Lange Steinzähne ragten aus dem Boden und der Decke und verliehen dem Raum den Eindruck eines weit geöffneten Maules eines Schleichers. Die erste Höhle war klein, doch mit dem Licht der Leuchtwurzeln konnte Bork einen Durchgang in eine weitere Höhle erkennen. Vor dem Durchgang hielt Snick an und wartete einen Moment, bis alle anhielten.
„Ab hier müssen wir vorsichtig sein“, begann er. „Die Grauen Wächter können überall lauern. Nehmt euch vor jedem Felsen in Acht, vor jeder Regung vor jedem grauen…“
Bevor er weitersprechen konnte, schob sich eine Hand, so gross wie Snicks Kopf durch die Öffnung und legte sich um eben diesen. Der alte Steinläufer hatte keine Zeit zu regen, keine Zeit, zu schreien, keine Zeit sich zu verteidigen. Der Graue Wächter packte ihn und zerquetschte seinen Kopf. Rindensplitter und Harz flogen durch die Luft und Chaos brach aus. Graue Wächter traten hinter Tropfsteinen hervor oder lösten sich von Bergen. Sie waren riesig, mindestens so gross wie ein ausgewachsener Wanderer und von Steinen bedeckt. Bork wirbelte herum und riss seinen Speer hoch, obwohl er wusste, dass er alleine nur schwer eine Chance gegen einen Wächter hatte. Der Fels, der ihre Körper bedeckte, war undurchdringlich, nur zwischen dem Körper und den Armen gab es Lücken, durch die man sie verwunden konnte. Es brauchte mindestens zwei, besser drei Steinläufer, um gegen sie zu bestehen. Neben ihm wich einer der älteren Steinläufer vor einem der Riesen zurück und rief verzweifelt und verwirrt „Sie waren nie in der ersten Höhle! Sie waren nie in der ersten Höhle!“, bis ein grauer Fuss ihn abrupt zum Verstummen brachte.
Borks Speer fiel klappert zu Boden, während der junge Steinläufer davonschoss, auf den Höhleneingang zu, aus dem sie gekommen waren. Nur raus aus diesem Höllenloch, weg von den Schreien und den Toten. Seine Flucht brach den Widerstand der verbliebenen Steinläufer und alle, die noch laufen konnte, liessen ihre Waffen und ihr Gepäck zurück und flohen. Bork bemerkte nicht wohin er rannte. Jemand folgte ihm dicht auf, doch er ignorierte sie. Da er ohne Snick keine Ahnung hatte, wie er wieder aus den Höhlen kommen sollte, folgte er einfach jeder Abbiegung, bis die Gänge sich wieder weiteten. In dieser Höhle gab es weniger Tropfsteine, dafür war der Boden teilweise aufgerissen und überall gab es Erdgruben. Bork wurde langsamer und hielt schliesslich an. Erst jetzt bemerkte er, dass er kaum noch Luft bekam und stützte sich auf seine Knie, während er wieder zu Atem kam. Eine Gestalt hielt neben ihm und entpuppte sich im Licht der Leuchtwurzel, die sie in den Händen hielt, als Tonia. Seine Schwester war ihm die ganze Zeit dicht auf den Fersen gewesen.
„Wi… wir m… müssen hi… hier raus… rauskommen“, brachte sie zwischen heftigen Keuchen hervor. „Sie… wir… wir… wer… werden all… alle ster… sterben…“
Bork streckte sich und drehte sich zu ihr rum. Er war wieder einigermassen bei Atem, aber er hatte keine Ahnung, wie sie diesen Höhlen entkommen sollten.
„Snick kannte den Weg“, sagte er.
„Snick ist tot.“
Gerade wollte er etwas erwidern, da trat eine weitere Gestalt in die Höhle. Erleichtert machte Bork einen Schritt auf sie zu, doch da trat sie in den Lichterschein und er erkannte, dass es kein Steinläufer war. Es war auch kein Grauer Wächter. Er sah aus wie ein Junger, aber seine Haut war grau, genau wie seine Haare. Sein Oberkörper war entblösst und knapp unter seinen Schultern hatte er hässliche Stichwunden. In einer Hand hielt er eine graue Klinge.
„Was… bist du?“, fragte Bork verwirrt und Tonia drehte sich um. Da griff der Fremde an und rammte Tonia die Klinge in die Schulter. Sie schrie schmerzerfüllt auf und Bork wirbelte herum. Ohne nachzudenken rannte er weiter, weg von dem Fremden, weg von seiner Schwester, die verzweifelt seinen Namen schrie und plötzlich mit einem letzten Gurgeln verstummte. Im Schein der Leuchtwurzel sah er eine Öffnung im Fels und rannte darauf zu. Kaum war er hindurch, stolperte er über etwas und stürzte zu Boden. Sein Stolperstein entpuppte sich als der Leichnam eines borkigen Steinläufers. Und als Bork seinen Blick hob sah er die Toten im Licht der herumliegenden Leuchtwurzeln und die Grauen Wächter, die still herumstanden und auf etwas zu warten schienen. Momente später spürte er die Klinge an seinem Hals und wie dieser geöffnet wurde. Und dann spürte er nichts mehr.
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