GQ - [Die MSG]

"Raak bin ich, Amun der Avior", stellte sich Amun selbst vor und deutete sich mit einer Hand auf die Brust und dann auf den Rest der Gruppe: "Das sind Aldred, Eve und Neythani. Aber kein Scha-ma-ne bin ich. Nur ein Fernauge, ein Amun. Kein König und kein Windsprecher. Nicht kenne ich Euer Volk, aber ein Feind der Schwarzen Heerschar ist mein Freund."
Kurz besah sich Amun die zerzauste und blutende Truppe vor sich. Für so eine zusammengewürfelt aussehende Truppe hatten sie tapfer und effektiv gekämpft. Seinem eigenen Volk nicht unähnlich. Auch wenn diese hier natürlich nicht fliegen konnten und also auch Landgeher waren. Was nichts schlimmes war. Es bedeutete nur, dass sie...eben Landgeher waren. Auch wenn er ihnen das so nicht sagen würde. Höflichkeit musste halt doch gewahrt werden. Vor allem gegenüber Leuten, die möglicherweise wertvolle Verbündete sein könnten. Der Avior spähte über die Schulter von Korlek hinweg und betrachtete seine Gefährten. Dann traf er eine Entscheidung.
"Hilfe braucht ihr? Bei der Versorgung der Wunden. Kann nicht heilen, aber verbinden."

"Wir haben selbst Verbandszeug bei uns und meine Männer wissen, wie man Wunden verbindet", gab der Kriegsführer zur Antwort und wies zuerst auf die Wägen mit Vorräten, die jenseits der Brücke verlassen am Wegesrand standen, dann auf das Häufchen Gehörnter, das sich noch auf den Beinen halten konnte. Es war ein traurig kleines Grüppchen, zumal verglichen mit der Anzahl derer, die erschlagen und in ihrem Blut liegend die Brücke pflasterten. Ein halbes Dutzend vielleicht. Wer auch immer diese gehörnten Krieger sein mochten, sie hatten teuer für die Überquerung des Flusses bezahlt. "Aber eure Hilfe werden wir nicht ablehnen, Raak. Wenn ihr euch nützlich machen wollt, dann ist euch unser Dank weiterhin sicher."
"Weshalb haben die Schwarzen euch angegriffen", schaltete Aldred, der die Konversation zwischen Amun'Raak und Korlek bemerkt hatte und dazu getreten war, sich ein.
Korlek zuckte nur mit den Schultern. "Wenn wir das nur so genau wüssten", gab er zur Antwort, "Sie sind einfach aufgetaucht. Von Norden her. Von tiefer im Wald. Haben angefangen, uns anzugreifen, wieder und wieder. Deshalb ist der Stamm überhaupt auf der Flucht. Sie haben uns auch während wir unterwegs waren immer wieder angegriffen, aber das hier war das erste mal, dass sie in solcher Zahl angegriffen haben. Ich fürchte, sie wollen den Stamm auslöschen. Und wenn sie noch einmal in solchen Zahlen über uns hinein brechen, dann wird ihnen das auch gelingen."

Neythani blickte den Gehörnten verblüfft an. "Ihr kommt aus dem Norden? Wisst ihr vielleicht von einem Tempel, der sich in einem Wald im Norden befindet?" fragte sie und versuchte ihre unruhe zu verbergen. Wenn diese Leute ihr helfen konnten, wäre das wirklich fantastisch.

"Einem Tempel?", wiederholte Korlek und legte seine Stirn in Falten. Die Frage schien ihn zu überraschen. "Es gibt zahlreiche Schreine im Wald. Die meisten hat mein Volk errichtet, manche sind älter. Aber Tempel gibt es nur einen. Er liegt tief im Schattendickicht, ein alter, verfallener, halb versunkener Ort. Die Alten erzählen, dass er der Erdmutter geweiht ist, aber seit Generationen hat niemand mehr diesen Ort aufgesucht. Was suchst du dort, Katzenfrau? Glaubst du, diese Schattenkrieger kommen von dort?"

Neythani lächelte. Endlich hatten sie gefunden was sie suchten. Zumindest klang es schonmal so. "Wir wollen zum Tempel von Luhane.. Wir glauben, das sie dort gefangen ist und wir wollen sie befreien," erwiederte sie ruhig. Sie blickte Aldred verzeihend an. "Diese Schwarzen verfolgen meine Freunde schon länger als mich. Mich haben sie in der Gefangenschaft von einigen Banditen gefunden. Von dort aus habe ich diese leute begleitet."

"Je weiter ihr von diesem Tempel und von uns weg kommt, besser wird es für euch sein", schaltete sich Amun wieder ein, der einen Moment lang die Krieger dieses Stammes beobachtet hatte. Sie waren müde und ausgelaugt. Noch einen Angriff wie diesen würden sie nicht überstehen. Vor allem, wenn der Angriff auf freiem Feld erfolgte, wo sie nicht den Luxus einer Engstelle hatten.
"Möglichst schnell solltet ihr weiter ziehen. Gibt..."
Der Avior unterbrach sich und schwankte einen Moment lang.
"Eine Hügelfestung gibt es. Verschüttet ist der Eingang. Einen Felsen gibt es dort, geformt wie Adlerschnabel. Etwa fünfzehn Kilometer in diese Richtung."
Erneut schwankte Amun einen Moment lang. Das hatte er schon immer gewusst. Die Frage war wie lange er das schon immer gewusst hatte.
"Danken wir euch in jedem Fall für die Informationen zum Tempel."

Sie wussten, wo der Tempel war? Hatte sie das richtig verstanden? Erfreut näherte sich Eve langsam, noch ein wenig wackelig auf den Beinen. Fing ihr Kopf da an zu schmerzen? Sie ignorierte das einfach. Das würde wieder weg gehen, wenn sie Zeit hatte sich zu erholen. Stattdessen wandte sie sich an den Gehörnten.
"Wo genau liegt dieser Tempel? Je schneller wir dort sind, desto besser - für uns, euch, die Welt und die Götter." Apropos Götter... War dieses Volk vielleicht von Zyn oder Wujan gesandt worden, um ihnen zu helfen, den Tempel zu finden?

Korlek nickte langsam, eine gravitätische Geste, die von dem Blut, dass von seiner Schulter herab rann, nur noch unterstrichen wurde. "Wir sehen zu, dass wir uns wieder zusammen geflickt bekommen, dann laden wir auf die Ochsenkarren, was noch zu gebrauchen ist und sehen zu, dass wir dem Rest des Stamms hinter her kommen", nahm er Amun'Raaks Vorschlag an, "Sie werden froh sein zu sehen, dass zumindest ein paar von uns davon gekommen sind. Und ihr solltet auch zusehen, dass ihr euch auf den Weg macht, wenn ihr diesen Tempel suchen wollt. Ich kann euch nicht sagen, wo genau er liegt, aber wenn ihr tief in den dichtesten, ältesten Teil des Walds geht solltet ihr auf dem richtigen Weg sein. Mögen die Geister des Waldes euch wohlgesonnen sein." Er beließ es bei diesen Worten, nickte nur noch einmal knapp und stapfte dann von dannen, zurück zu den kümmerlichen Überresten seiner Kriegsschar.
Aldred blickte ihm nach. Es hätte noch vieles gegeben, was er diese fremdartige Kreatur hätte fragen wollen und es wäre sicherlich angenehm gewesen, einen Abend gemeinsam am Feuer zu verbringen. Aber vermutlich hatte Amun'Raak recht, dass es am besten wäre, wenn sie alle zu sahen, dass sie von der Brücke fort kamen. Also nickte er nur seinen Kameraden zu, bereit, den Weg fort zu setzen.

Eve registrierte zwar das Nicken von Aldred und vermute richtig, dass auch er weiter wollte, dennoch wandte sie sich von ihren Gefährten ab, den Blick auf das Schlachtfeld gerichtet. Bei ihrem Sturz hatte sie ihr Schwert verloren, ihre Hellebarde sowieso schon vorher. Ohne ihre Waffen würde sie nicht gehen. Doch wo hatte sie die Waffen fallen gelassen? Zwischen all den Toten war schwer, überhaupt eine Waffe, ob nun eine eigene oder eine Fremde, auszumachen. Hier und da konnte sie eine erkennen, doch keine war ihre. Bis schließlich... Ja, dort! Da lag ihre Hellebarde! Die lange Stangenwaffe war glücklicherweise gut zu erkennen. Doch von ihrem Schwert fehlte jede Spur. Verdammt.

Vom Sonnenstand her war es spät genug, dass sie hätten Rast einlegen können und niemand konnte abstreiten, dass sie an diesem Tag nicht bereits genügend Meilen hinter sich gebracht hätten, doch keiner in der Gruppe verspürte nach dem Zusammentreffen an der Brücke das Bedürfnis, die Nacht im offenen Gelände zu verbringen – geschweige denn zwischen den Toten, die die Schlacht hinterlassen hatte. Also eilten sie weiter, noch ein, zwei Stunden, bis die Sonne hinter dem Horizont versunken war und die Sterne sich am dunkler und dunkler werdenden Himmel abzuzeichnen begannen. Erst dann, als sie die ersten Ausläufer des Waldes erreichten und in den langen Schatten der Bäume Schutz fanden, hielten sie inne.
Wehmütig blickte Aldred dem letzten, roten Streif der Sonne hinterher. Wenn der Kriegsführer der gehörnten Kreaturen wahr gesprochen hatte, dann würden sie Wochen, wenn nicht Monate durch diesen Wald wandern müssen, einen Wald, der so dunkel zu sein schien, dass sie die Sonne selten genug zu Gesicht bekommen würden. Schließlich wandte er sich ab, trottete zum Rest der Gruppe zurück.
"Kein Feuer heute Nacht. Aber Wachen aufstellen", fiel er ganz von selbst – und im Grunde gegen seinen Willen – in die Rolle des Anführers zurück, die er doch eigentlich Evelynn oder Amun'Raak hatte abtreten wollen, "Diese Schwarzen können noch immer in der Nähe sein. Besser, wir bleiben unbemerkt."

Irgendwer hatte Eve schließlich gesagt, dass sie weiterzogen. Schweren Herzens hatte die Priesterin daraufhin die Suche nach ihrem Schwert aufgegeben. Nicht nur, dass es eine gesegnete Waffe gewesen war - das war sogar weniger das Problem, konnte sie doch jede beliebige Waffe segnen - das Schwert hatte ihr auch gute Dienste erwiesen in den letzten Tagen. Zusammen mit dem dumpfen Schmerz in ihrem Kopf kam es dazu, dass sie den anderen nur hinterher trottete.
Als sie schließlich einen zur Rast geeigneten Platz erreichten, ließ sich Eve nieder, wo sie gerade stand. Den Kommentar des Schmied beantwortete sie mit einem "Dann übernehme ich die letzte Wacht." Die Tatsache, dass sie auf Grund der Erschöpfung wohl um einige Jahre noch gealtert aussah, ließ vermutlich auch wenig Widerspruch zu.

Nachdem Tristan gebadet und gegessen hatte, fühlte er sich bereits wieder viel, viel besser. Seine Muskeln waren von der unbequemen Nacht nicht mehr so verspannt, seine Haare wieder sauber, der Bart etwas mehr gestutzt. Der Magen war gefüllt mit Fleisch und Kartoffeln, sowie Brot und etwas Bier. Als er in seinem Zimmer lag, zählte er das Gold, das ihm übrig geblieben war. Ein wenig was hatte er noch, doch auch das würde nicht mehr ewig reichen. Er brauchte wieder Geld. Er brauchte einen Auftrag. Irgendwer, dem er sein Schwert leihen konnte.
Mit einem Seufzen erhob er sich wieder, schob den Vorhang zur Seite und blickte nach draussen. Dunkle Wolken waren aufgezogen, der Wind brachte die ersten Regentropfen mit sich, der Horizont war komplett grau. Es würde wohl eine Weile lang regnen.
Gerade wollte er sich abwenden, da sah er auf einmal eine Person, die ihm bekannt erschien, doch sie verschwand gleich um die nächste Ecke. Doch nur kurz darauf erreichten einige Reiter das Gasthaus. Sie trugen ein Wappen, das er nur allzu gut kannte. Dasselbe Wappen hatte auch sein Pferd getragen, das er geklaut hatte. Die Männer stiegen von ihren Pferden, deuteten zum Haus, schienen zu diskutieren.
Das war nicht gut.
Rasch wandte er sich zum Bett um, schob alles was er herausgeholt hatte in seine Tasche. Er versuchte sich so leise wie möglich zu verhalten, denn im zweiten Bett lag Nina, ob sie döste oder schlief konnte er nicht sagen. Es war egal. Die Männer würden sie hier finden und mit nach Hause nehmen. Er aber musste jetzt fliehen.

Neythani nahm auf einem umgefallenen baumstamm platz und wühlte in ihrem Beutel rum. "zum glück haben wir genug von dem Reh noch über, da brauchen wir nicht jagen. Ich bin gespannt, ob wir den Tempel wirklich finden. Es scheint ja doch noch ein recht weiter weg zu sein. Und diese Luhane hat mir noch keine weiteren Tipps gegeben, wo dieser tempel sein könnte.. Ein wald im norden.. das könnte überall sein.. und wie weit im wald können wir auch nur vermuten," ereiferte sie sich. Hungrig biss sie in einen Streifen geräuchertes Rehfleisch und kaute darauf herum.

Es war eine ziemliche Umgewöhnung von ihrem ausladendem Schlafzimmer daheim in eine mittelklassige Absteige verfrachtet zu werden, doch nach der schrecklichen Nacht im freien Wald schlief Nina trotzdem wie ein Baby. Vor allem hatte sie ein Bett für sich alleine und hatte somit sichergehen können, dass Tristan seine unreinen Männerhände auch ja nicht in ihre Richtung bewegen konnte. Jeden Versuch hätte sie selbstverständlich sofort bemerkt, immerhin war sie als Ärztin an einen leichten Schlaf gewöhnt und wurde schon von einer Stecknadel geweckt, die fiel.
Daher dauerte es auch nur, bis Tristan fast vollständig gepackt hatte, dass sie schmatzend die Augen aufschlug, den gewaltigen Schwall an Haaren aus ihrem Gesicht kämmte und den Mann dabei beobachtete, wie er sich scheinbar aufbruchsfertig machte. Mit um ihre Blöße geschlungene Decke setzte sich die junge Frau auf und schaute ihren Begleiter mit großen, schlaftrunkenen Augen an. „Tristan? Was ist geschehen? Wo willst du hin?“

Beinahe hätte er geflucht. Aber er konnte die Zähne gerade noch zusammenbeissen. Mit grossen Schritten eilte Tristan zur Türe.
"Ich denke, du kriegst gleich Besuch von deinem Vater. Oder den Männern deines Vaters. Dann bist du in Sicherheit. Aber ich will nur ungern von ihnen erwischt werden. Immerhin hab ich ein Pferd gestohlen." Und jenachdem wie man es betrachtete eine Adelsfrau entführt. Wobei sie ja eigentlich freiwillig mitgekommen war. Aber im Zweifelsfall würde man wohl kaum dem Söldner glauben.
"Hat mich gefreut deine Bekanntschaft zu machen. Aber ich muss gehen." Damit riss er die Tür auf und ging auf leisen Sohlen nach unten.

Immernoch mit der Decke um den Körper, damit die Leute keinen Blick auf ihre nur von ihrem Nachtkleid bedeckte Figur werfen konnten, hechtete Nina Tristan hinterher. Männer ihres Vaters? Wieso hier? Was wollten sie dort? Ungeachtet des Treibens im Gasthaus – oder der Tatsache, dass sich der Andere offensichtlich darum bemühte, möglichst leise zu sein – stolperte sie hinter ihm her und nahm mit ihrer Decke sämtliche Staubpartikel vom Boden mit. Polternd ging sie hinter ihm die Treppe herunter und grabschte nach seinem Oberarm, wodurch fast ihre Decke verrutschte. „Warte! Du kannst nicht einfach gehen! Ich will nicht wieder zurück zu ihnen!“

Natürlich, wie hätte es anders sein können, wandten sich einige Leute zu ihnen um. Längst nicht alle, doch die, die der Treppe am nächsten waren, die blickten wie die Ölgötzen.
"Das ist nicht mehr mein Problem!", knurrte Tristan sie an und befreite seinen Arm aus ihrem eher jämmerlichen Griff. Sein Blick fiel zum Tresen, wo der Wirt gerade mit zwei Männern sprach, die auf der Suche nach ihnen waren. Also schwang er sich über das Geländer, landete auf einem Tisch voller Kartenspieler, deren Karten er komplett durcheinander brachte, sprang runter und rannte zum Hinterausgang. Der Tumult weckte die Aufmerksamkeit der beiden Typen, die sich offensichtlich nicht entscheiden konnten, ob sie eher die Frau oder den Kerl ergreifen sollten.

"Den Wald haben wir schonmal gefunden", entgegnete Aldred während er die Riemen seiner Brustplatte löste. Seine Rüstung sah nicht mehr gut aus. Während ihres Wegs durch das Hochland hatte er sich diverser überflüssiger und viel zu schwerer Teile entledigt. Er war ein kräftiger Mann, aber er konnte nicht den ganzen Tag in voller Platte marschieren. Niemand konnte das. Also hatte er alles bis auf das Kettenhemd, die Brustplatte, den Helm und einen gepanzerten Handschuh von sich geworfen. Sollte der nächste Wanderer sich über den Stahl am Wegesrand freuen. Ihm war es derart lieber.
"Von jetzt an liegt es an der Göttin, uns den Weg zu weisen. Wenn sie uns zu diesem Tempel führen wird, dann wird sie uns ein Zeichen geben", äußerte er seine feste Überzeugung, "Vielleicht nicht heute und vielleicht nicht morgen. Aber irgendwann werden wir ein Zeichen erhalten und unseren Weg finden. Alles, was wir tun müssen, ist stark in unserem Glauben zu bleiben."
Er schob Brustplatte und Kettenhemd beiseite und rollte seine Decke aus. Zwar fühlte auch er den nagenden Hunger in seinem Bauch und der Blick auf Neythanis Streifen Wildfleisch ließ ihm das Wasser im Mund zusammen laufen. Doch die Müdigkeit überwog. Lieber hungrig schlafen gehen, als sich noch länger zwingen, die Augen offen zu halten. "Übernimmst du die erste Wacht, Neythani? Weck' mich in zwei Stunden auf, dann löse ich dich ab."
Ohne eine Antwort abzuwarten zog er seinen Rucksack unter seinen Kopf, legte beide Arme um ihn und schloss die Augen.

Letztendlich siegte der gesunde Menschenverstand: Einer der Männer schoss auf Nina zu, die kreischend die Hände nach oben warf, der andere wandte sich dem flüchtendem Tristan zu und bahnte sich einen Weg um den Kartentisch herum, wo die Spieler aufgesprungen waren und lautstark ihren Unmut über die zerstörte Runde durch die Gaststube brüllten. Eine der Servierdamen brüllte zurück, gerade, als der Mann Nina erreichte und ihr von ledernen Armschienen geschützte Arme um den Körper schlang, als würde sie jederzeit wegrennen. „Tristan!“, schrie die junge Frau und streckte sogar den Arm nach dem Flüchtenden aus, ließ ihn dann jedoch kraftlos wieder sinken. Wenn er nicht eingeholt wurde, dann würde er nicht mehr zurückkehren.
Während Nina alle Hoffnung verlor, packte der Mann, der Tristan verfolgte, eine Bola aus seiner Tasche aus und begann sie über den Kopf zu kreiseln, schien sie aber nicht in der Menge einsetzen zu wollen.

Es war wohl Glück, dass die Tür zum Hinterausgang nicht verschlossen war. Tristan warf sich dagegen, wobei er gleichzeitig die Türklinke nach unten drückte. Es reichte nicht mehr, die Tür hinter sich wieder zu zu treten, denn er musste sich gleich orientieren. Er war im Stallgebäude gelandet, was an und für sich gar nicht mal so schlecht gewesen wäre, doch um sich ein Pferd zu holen, würde es nie im Leben reichen.
Also wandte er sich nach links, wo sich das Stalltor befand, rutschte auf dem Boden beinahe aus, konnte sich gerade noch festhalten und brach mit viel zu viel Schwung durch die Tür.
Vor der Schenke standen noch mehr von diesen Kerlen und offensichtlich hatten sie etwas von dem Tumult im Haus mitgekriegt. Tristan schnauft auf, drehte sich nach rechts, hörte hinter sich die Rufe der Männer und auch, wie sein Verfolger hinter ihm durch die Tür gerannt kam. In dem Moment spürte er, wie sich etwas zwischen seinen Beinen verfing, er versuchte ihm auszuweichen, doch nur einen Augenblick später verlor er das Gleichgewicht und landete bäuchlings auf dem Boden. Rasch drehte er sich auf den Rücken, setzte sich auf, wobei er bemerkte, dass seine Beine komplett verknotet waren.
Ein unschöner Fluch verliess seine Lippen, als er ein Messer zog und eilig begann, das Seil durch zu schneiden.

Der Mann, der die Bola geworfen hatte, hatte nicht allzu viel Zeit, um sich über seinen geglückten Wurf zu freuen, da Tristan sofort begann, an seiner Falle zu säbeln. Daher verdoppelte er seine Anstrengungen, zu seinem Ziel aufzuholen, was auch ganz gut klappte, nachdem dieses am Boden lag und sich erst einmal nicht richtig bewegen konnte. Bei ihm angekommen, versuchte er ihm die Waffe aus der Hand zu winden und in sein Gesicht zu schlagen, während er gleichzeitig mit lauten Rufen seinen Kumpanen bedeutete, zu ihm aufzuschließen und ihn zu unterstützen.
Ninas Fänger brachte währenddessen die zeternde und schimpfende junge Frau aus dem Haus und übergab sie einem anderen, der ihr sogleich die Hände hinter dem Rücken zusammenfesselte und sie somit an Ort und Stelle behielt.

In dem Gewimmel aus Männern, die versuchten einander gegenseitig kaputt zu kriegen, kriegte Tristan einige Schläge mitten ins Gesicht ab, spürte Blut in seinem Mund. Im Gegenzug brach er einem der Kerle ganz bestimmt die Nase, dem anderen trat er so heftig er konnte in die Nüsse.
Aber schliesslich gewannen sie und bald fand er sich mit blutigem Gesicht, losgelöster Frisur gefesselt und von zwei Kerlen festgehalten auf den Beinen.
"Bei den verhurten Göttinnen! Ich hab mir nur n Pferd geliehen!", knurrte er missmutig.

Durch ihre Überzahl schafften es die Männer trotz Tristans erbitterten Erwehrungen, den wild um sich Schlagenden zu überwältigen und zu fesseln. Die beiden, die ihn festhielten bluteten aus mehreren Wunden und schauten düster drein. Den ganzen Weg zu Nina konnte man sie fluchen und grummeln hören, dass sie deutlich tödlichere Ideen hatten, was man mit ihm anstellen sollte. Die Aussage des Mannes wurde dabei ignoriert – sofern sie ihm tatsächlich glaubten, dass er sich das Pferd geliehen hatte, ließ es sich keiner davon anmerken. Sie brachten Tristan zu Nina, welche sie bereits mitsamt ihrem Hab und Gut, aus dem sie sich natürlich bedienten, auf ein Pferd verfrachtet hatten. Man hatte ihr sogar einen Knebel in den Mund gesteckt, damit sie nicht mehr zeterte und sich zu wehren versuchte. Die junge Frau saß mit auf die Brust gesunkenem Kopf auf dem Pferd und schien ihr Schicksal zu erwarten. „Entführung von einem großem Fisch und Diebstahl von Pferden. Ei, das ist mindestens eine Hand, wenn nicht der Hals. Und ein saftiges Kopfgeld.“

Er konnte weder das eine noch das andere gebrauchen. Also ... Er brauchte beides dringend. Hals wie Hand.
"hört mal... Ich kann euch ne gute Summe zahlen, wenn ihr mich gehen lässt", versuchte er seinen Hals aus der Schlinge zu kriegen. Das lief nicht wirklich gut hier. Als er sich kurz nach einem Fluchtweg umsah, erblickte er an einer Ecke Rekhyt, der mit einem Beutel in der Hand spielte und zufrieden grinste. So lief der Hase also.
Das war nicht gerade optimal. Missmutig liess er sich ebenfalls auf ein Pferd bugsieren. Irgendwie musste er da wieder rauskommen.

Als Neythani Aldred für dessen Wache weckte war es stockfinster geworden und ohne ein Feuer, mit nicht mehr als dem dürftigen Schein vereinzelter Sterne, der durch schieren Zufall durch das Blattwerk fiel, bereitete es Aldred Mühe, auch nur seine Hand vor Augen auszumachen. Derart blind blieben ihm wenige Möglichkeiten, sich während seiner Wacht abzulenken und so blieb ihm kaum mehr übrig, als sich darauf zu konzentrieren, nicht einzuschlafen. Lustlos auf einem Stück Trockenfleisch herum kauend hockte er da, reglos. Und lauschte in die Finsternis des Waldes.
Erst am nächsten Morgen – Aldred war trotz den Strapazen des Vortages früh erwacht – fand er, als er sich einem nahen Tümpel ein wenig erfrischte, die Zeit, sich das merkwürdige Schmuckstück anzusehen, das er am Vortag dem schwarzen Hauptmann abgenommen und so achtlos in seine Tasche gestopft hatte. Am Wasser hockend holte er es hervor und unterzog es einer eingehenden Betrachtung. Es war in der Tat bemerkenswert, allein schon seiner Größe wegen. Beinahe so groß wie Aldreds Handteller. Es schien aus Silber gearbeitet zu sein, oder vielleicht einer Silberlegierung, mit Splittern von Bergkristall im Zentrum eines vierzackigen Sterns. War es ein Symbol? Wenn ja: wofür stand es? Aldred hatte diesen Stern noch nie zuvor gesehen. Und doch schien er ihm seltsam vertraut. Brütend saß er da, das Schmuckstück in der Hand, in Gedanken versunken. Und vergaß dabei glatt die Zeit.