[MSG] Rotes Gold

Fuck. Zunächst einmal war Kaoru zierlich gebaut. Zweitens Asiatin, drittens klein. Diese drei Umstände vertrugen sich mit dem Alkohol ungefähr so gut wie eine angepisste Katze mit einem kläffenden Hund. Außerdem würde sie morgen einen Kater haben. Klasse, echt. Hatten sie noch Kopfschmerzpillen? Wahrscheinlich nicht. Die Frau schwamm in der ruhigen See des durch Alkohol betäubten Verstandes. Das war eine schöne Metapher. Sie sollte mit dem Schreiben anfangen. Unsinn, Mädchen, bleib bei dem, was du kannst. Maschinen. Maschinen machten Klick. Maschinen waren einfach, nicht wie Menschen. Wenn Menschen Klick machten, brachten sie jemanden um. Menschen waren ganz schön scheiße, genau betrachtet. Ihr Leben war scheiße.

Die Lichter der Brücke verschwammen durch die dünne Schicht Wasser, die über Kaorus Augen floss. Vielleicht waren es auch Tränen. Was hielt sie noch hier? Es gab niemanden mehr. Und hier konnte sie nicht bleiben. Was hielt sie noch auf dieser Welt? Die Asiatin holte ein letztes Mal Luft und stieß sich unter Wasser. Ob sie den Boden erreichen konnte? Die Lichter der Brücke verschwammen immer mehr, wurden diffus. Das Licht verschwand zusehends aus der kleinen Blase sichtbaren Wassers. Dann wurde es komplett dunkel. Ihre Finger berührten etwas Weiches. Grund, schoss es Kaoru durch den Kopf. Sie stieß den letzten Rest Atemluft aus ihren Lungen. Der Zwang einzuatmen wuchs. War es nicht das, was sie wollte? Dem ganzen ein Ende machen. Niemand würde sie vermissen. Und hier unten, auf dem Grund des Edogawa machte Kaoru Kamiya eine Entdeckung. Man konnte sich nicht einfach so umbringen. Nicht, solange noch Hoffnung bestand. Man lieferte sie mit einer Unterkühlung in das örtliche Krankenhaus ein. Der Polizei erzählte sie, dass sie von der Brücke gefallen sei. Das erklärte zwar nicht die Wunden, aber die Beamten hatten ohnehin keine Lust sich mit ihrem Fall zu beschäftigen.

Und jetzt hockte sie hier auf dem Mars, inmitten eines Haufens, der mit viel Güte als Bodensatz der Menschheit durchging.
"Ess wäre toll Derek so fangen", gab Kaoru lallend zu hören: "Dann könnte ich surück." Und sie wollte zurück. Mit genug Geld und Feuerkraft, um die Arschlöcher, die ihr Leben versaut hatten, auszuradieren.

Wie ein Hund. Steeler schnaubte wütend und nahm einen tiefen Schluck aus seiner mittlerweile dritten Flasche. Immer, wenn er besoffen war, fielen ihm auch zwangsläufig die schlechteren Momente mit seinem Vater ein. Die mit dem Gürtel. Und einer Menge Alkohol in seinem verdammten Vater-Schwarzkopf-Schädel. Klar, Georgier. Hohe Ansprüche all around. Und Wut, über die Zugehörigkeit zur Unterschicht. Hatte ihn mehr abgetäubt als irgendwas anderes. Schade eigentlich, jetzt war nicht mehr viel übrig von dem kleinen Jungen mit den leuchtenden schwarzen Augen. Nur noch ein wütender Twen mit einer Waffe und einem Trupp Bluthunde. Aber wen kümmerte das schon? Hier draußen gab es kein Gesetz irgendeiner Art, also konnte man sich auch dementsprechend aufführen.
Nick dämmerte in Joes Bewusstsein. Oaha, der Dicke wollte also Derek jagen? Konnte er haben. Konnte er haben! Aus den Lautsprechern dröhnte immer noch mieser australischer Pubrock, fast so widerlich wie der Fettsack zu seiner Rechten. Es war eine Frage der Prinzipien. Geld oder Befehl. Möglicherweise war der Befehl im Geld drin. Wer wusste schon, was sich die Dispatcher morgen ausdenken würden?
Er ertrug es nicht länger und erhob sich und tippte auf der Konsole des Soundkubus herum. Der Chor der Roten Armee erklang. Reizend. Kryptokommunistisch bis ins letzte Ende des von Kapitalismus bestimmten Universums. Kaoru schien es aktuell auch nicht so super zu gehen. Langsam durchquerte er den Sand und schubste die Japanerin an der Schulter.
"Entweder Derek ist da, oder nicht. Wohin willst du zurück, Mädel?"

"Gib mir 'nen konkreten Grund, warum wir es nicht schaffen sollten!", erwiderte Nick und es klang bissig. Diese pessimistische Grundeinstellung, die Brad da an den Tag legte, war genau das., was ihnen gerade noch fehlte. "Warum nicht wir, zum Teufel, frage ich! Dieser Derek ist kein Gott! Das ist ein Mensch wie jeder andere. Wir gehen da rein und knallen ihn ab wie jeden anderen verdammten Siedler auch. Ist doch nicht so schwer!" Brad war ein Trottel! Was sollte diese Zauderei? Das ging Nick gerade gründlich gegen den Strich. Genau wegen solchen Leuten würden sie nie weiter kommen. "Wenn er hier in der Nähe ist, dann wird es wohl kaum so schwierig sein, den Kill abzustauben!", ereiferte der Australier sich, "Ich habe heute einen jungen Sniper abgeknallt, habe ihn eine Kugel direkt in die Brust verpasst. Warum sollte das mit Derek schwieriger sein?"

"Schon gut...", nuschelte Brad. "Wenn es dich glücklich macht, kannst dus ja versuchen. Aber du musst ihn erst mal finden. Wie wahrscheinlich ist es denn, dass er ausgerechnet dir vor die Pistole läuft?"
Wie Brad solche verblendeten Wunschträume hasste! Wenn er sich jetzt einredete, sie würde Derek töten, dann würde er wieder mächtig enttäuscht sein, wenn sie es nicht schaffen würden! Und Enttäuschungen hatte er in seinem Leben schon mehr als genug etragen müssen! Da konnte er wirklich nicht noch mehr gebrauchen! Weil jeder Enttäuschung eine Hoffnung vorausgegangen war, hatte Brad sich von Hoffnungen getrennt.
Er erinnerte sich noch ganz genau, wie es damals war, als er klein war und arm wie eine Kirchenmaus. "Auf dem Mars wartet das große Glück, das ist die neue Welt! Das neue Land der unbegrenzten Möglichkeiten!", hatte sein Vater gesagt. Und Brad hatte es ihm geglaubt. Doch der Möchtegern-Pionier hatte nicht recht gehabt. Das Leben auf dem Mars war genauso beschissen wie das auf der Erde. Sie hatten sich ein Bisschen erarbeitet, doch dann war Vater ermordet worden. Auf dem Planeten, den er zuvor so sehr in den Himmel gelobt hatte. Und nun saß er hier, mit diesen Halunken und tat Dinge, die seine Eltern sicher nicht gutheißen würden.
"Ich will dich nur vor unangenehmen Überraschungen bewahren.", murrte Brad. "Wir können ihn ja jagen, ich glaube zwar nicht, dass wir ihn kriegen, aber dann kannste nicht mehr sagen, wir hättens nicht versucht."

"Sur Erde", gab Kaoru zu hören. Die Japanerin war beinahe in ihrem Sessel versunken, die Beine angezogen, den Pullikragen hochgeschlagen. Es war kalt geworden. Oder kam ihr das nur so vor? Außerdem fühlte sie sich grade nicht wirklich danach mit Steeler zu quatschen. Der Kerl hatte heute eine Frau vergewaltigt, verdammt!
"Surück nach Hause. Der Mars ist", begann Kaoru, um dann hilflos auf der Suche nach Worten mit einer Hand zu wedeln: "ein riesengroßer Haufen Scheiße. Wie der Mond angeblich aus Käse ist. Genauso ist der Mars. Nur aus... Scheiße."
Das war ungerecht und Kaoru wusste das, aber im Moment gab es nichts, was ihr egaler wäre.

Was musste dieser Brad im betrunkenen Zustand nur so verdammt... vernünftig sein? Nein, eigentlich nicht vernünftig! Eigentlich nur noch pessimistisch! Das war ja nicht zum aushalten! Normalerweise war doch er, Nick, für die Schwarzmalerei zuständig. Aber das würde er nicht zulassen, dass dieser daher gelaufene Riesentrampel ihm seine gute Laune verdarb.
"Wenn ich nach Derek suche, dann ist es verdammt wahrscheinlich, dass ich ihn irgendwann vor den Lauf kriege", erwiderte Nick, nach wie vor im Brustton der Überzeugung sprechend und belehrend wie ein Hochschuldozent, "Das hier ist das verdammte Outback! Wo soll er schon groß sein? Denkst du, er verkriecht sich zwischen irgendwelchen Steinen und zittert vor Angst, weil du in der Nähe bist, Brad? Der hockt unter Garantie in einer dieser Siedlungen herum und wie viele sind das schon? Ein paar Dutzend. Das ist gar nichts! Das klappern wir einfach ab. Und wenn wir ihn gefunden haben, dann holen wir uns auch seinen Kopf! Dieser Derek ist schließlich auch kein Gottessohn. Der blutet wie jeder andere Mensch auch..."

"Schon gut, Nick. Du wirst ihn schon kriegen, keine Sorge.", sagte Brad, während er eine weitere Flasche öffnete und genüsslich zu trinken begann. Er hatte keine Lust mehr, mit Nick zu diskutieren. Waren die beiden eben grundverschiedener Ansichten. Und Brad hatte beschlossen, einfach mal klein bei zu geben und dem dicken Mann seinen Glauben zu lassen, Derek zu erledigen und sich zu einer großen Nummer aufzuschwingen. Gewiss war die Vorstellung schon reizvoll, diesen Derek zu töten, aber es war eben auch nur eine geringe Chance. Ein paar Dutzend Siedlungen, pah! Bis die alle abgeklappert waren, war der Kerl längst über alle Berge. Es wäre schon ein Zufall, ihn zu finden und an solche Zufälle glaubte er nicht. Jedoch glaube er daran, dass ein wenig mehr Alkohol seiner Seele ganz gut tun könnte, also nuckelte er genüsslich an seiner Flasche."Natürlich verkriecht er sich nicht vor mir, das wäre ja noch schöner, wenn er ausgerechnet mich kennen würde. Aber ich bin mir sicher, vor deiner Allmächtigkeit würde er kuschen, nicht wahr?" Freundschaftlich klopfte er Nick auf die Schulter.

Trotz der sich zunehmend verdichtenden Nebel in seinem Schädel erkannte Nick den bitteren Spott in Brads Worten noch klar und deutlich. Und langsam ging ihm dieser Trottel gehörig auf den Zeiger. Was waren das für neue Anwandlungen, die der Schläger da zeigte? Diese Schwarzseherei und Zögerlichkeit hätte vielleicht Ben gut zu Gesicht gestanden, aber das hier war Brad! Brad, der vor keiner Herausforderung zurück zu schrecken hatte! Der nicht dafür bekannt war, allzu viel zu denken - wie schließlich die meisten im Trupp, die eher praktisch veranlagt waren. Warum musste ausgerechnet der sich jetzt solche Sorgen machen? Und warum dieser Zynismus? Nick merkte, wie irgendwo in ihm eine Sicherung durchbrannte.
"Was willst du eigentlich von mir, du Pisser?", fuhr er den groß gewachsenen Schläger an und schoss ihm zornige Blicke zu, "Willst du mir unbedingt den Abend verderben mit deiner Schwarzmalerei? Kannst du nicht einfach mal die Fresse halten und mich in Frieden lassen? Oder muss ich dir erst deine Zähne in den Rachen schieben bevor du dein dummes Maul hältst?" Es war keine leere Drohung. Dass Brad Nick um fast einen Kopf überragte spielte dabei wenig zur Sache. Nick hatte schon früher Größere vermöbelt. Und was die Masse anging konnte er es auch so mit Brad aufnehmen. Zudem ging er davon aus, dass der andere bereits deutlich besoffener sein musste als er selbst. Er hätte jedenfalls keine Skrupel, es drauf ankommen zu lassen! Wenn dieser Brad so weiter machte, dann würde er sich ein paar auf's Maul einfangen...

"HALTET MAL BEIDE DIE FRESSE JUNGS! ... Ich versuche zu denken.", ließ sich Steeler vernehmen. Dar war nicht ganz unberechtigt, denn auch bei ihm war eine gewisse gedankliche Gärung vorangegangen und wollte wenn nicht zu Ende gedacht so doch zumindest weiter ausgeführt werden.
"Gehen wir mal wissensch ... schaftlich ran.", schnaubte der Georgier. "Also ... Derek wurde bisher noch nicht gefunden, und ist nach allen Infos irgendwo in diesem Sektor. Außerdem ist er kein Kuscher, das kann man ihm lassen. Er wird nicht abhauen, wenn wir ihn erwischen. Sieg oder Tod."
Sein Kopf schwirrte ein wenig, aber der Gedanke wurde klarer.
"Wir werden also unseren Auftrag extra sauber ausführen. Wenn wir auf schwereren Widerstand stoßen, besteht eine gute Chance, dass wir den glatzköpfigen Propheten erwischt haben. Wir werden beim Befehl bleiben, aber ich werde... werde ein wenig mit den Jungs in der Zentrale reden. Die werden die neuesten Infos haben, und dann sind wir schonmal schlauer. Vielleicht setzen sie uns ja sogar direkt auf die Ortschaft mit Derek an. Dann wäre mir aber wohler, wenn ... wenn wir noch ein Gunship hätten. Zum Flankieren. Derek wird gut bewacht sein, davon können wir ausgehen."
Er ließ sich tiefer in den Sessel rutschen und blickte Richtung untergehende Sonne.
"Jetzt könnt ihr euch meinetwegen aufs Maul geben. Hat noch jemand Mariwanna?"

"Du meine Güte.", seufzte Brad. "Du musst auch alles gleich persönlich nehmen. Bleib locker, Mann!" Er hatte nicht wirklich Lust, sich mit einem seiner Kameraden zu schlagen, das würde zwar einen guten Kampf geben, aber ernsthaft verletzen wollte er ihn nicht. Auch konnte es ihm seine doch recht heitere Stimmung versauen, wenn er jetzt einen auf den Deckel bekam, Nick würde ihm sicher keinen leichten Kampf liefern, auch wenn er kleiner und fetter war.
Stattdessen schüttete er weiter das Zeug in sich hinein, um den aufsteigenden Ärger einfach wegzuspülen. Das klappte auch ganz gut, der gestiegene Promillewert ließ ihn sein kleines Wortgefecht einigermaßen locker betrachten, nichts, was der Aufregung wert war. Natürlich könnte das auch nach hinten losgehen, wenn Nick sich jetzt nicht beruhigte. Dann konnte Brad ihm sicher einige Knochen brechen, wenn er richtig zuschlug. Oder er würde dank Nick bald ein paar künstliche Zähne mehr sein Eigen nennen können. Weder das Eine noch das Andere war etwas, worauf er scharf war. Nein, lieber seinen Frust im Saufen ertränken, wie es seit Urzeiten üblich war.
Steeler jedenfalls, der sich scheinbar auch in den Kopf gesetzt hatte, Derek zu jagen, sagte etwas von Zentrale anfunken und Infos einholen, was gar nicht so schlecht klang. Hmm, wenn sie ihn wirklich kriegten... Brad traute sich gar nicht, den Gedanken zu Ende zu führen, so schön war er und so schlimm wäre die bittre Realität, wenn sie den Traum erstickte. Denn wenn sie dieses Stück Dreck Derek wirklich zur Strecke brachten... Dann konnten sie sich wirklich bald zur Ruhe setzen. Mit der Kohle...
"Vielleich' hab ich ja im Suff Scheiße geredet, net du...", lallte Brad und nahm einen weiteren Schluck. "Vielleicht krieg'n wir'n ja wirklich..." Oder er redete grade Scheiße. Aber er hat sein verdammtes Recht dazu, schließlich war er rappelvoll. Und soff noch ein wenig weiter.

Steeler schaltete sich ein und unabhängig von dem, was seine Worte zu vermitteln schienen: das war ein Machtwort. Er rief sie zur Räson. Wenn sie sich jetzt prügelten, dann würde er sie beide die nächsten Wochen lang Scheißegruben in den roten Marsboden buddeln lassen. Oder so. Doch allein der kleine Monolog des Georgiers reichte schon um Nick von seinem Groll abzulenken und den Zorn langsam abflauen zu lassen. So war das ja immer, wenn man im Suff austickte. Die Emotionen kochten rasch hoch, aber versandeten auch ebenso schnell wieder. Als Steeler schließlich endete war der Drang, Brad in die dumme Fresse zu schlagen, bereits wieder verschwunden. Und glücklicherweise gab auch der große Schläger sich versöhnlich, sodass Nick sich einfach wieder zurück sinken ließ und mit einem genuschelten "Ist schon recht... Passt schon..." es bei sich bewenden ließ. Natürlich war es dumm von ihm gewesen, Brad herauszufordern. Wenn sie sich verprügelten hatte keiner etwas davon. Da hatten ihn einfach mal wieder der Zorn und seine Straßenschlägervergangenheit eingeholt und übermannt.
Um deutlich zu machen, dass auch für ihn das Thema hiermit beendet war, wandte er sich von Brad ab und Steeler zu. "Ich hab' noch ein bisschen Stoff", erklärte er und fummelte ein kleines Plastiktütchen aus einer der zahlreichen Taschen an den Beinen seiner Hose. Kritisch hielt er es vor's Gesicht und betrachtete es mit kritischem Blick. "Viel ist's nicht mehr, aber für zwei, drei Dübel wird's schon reichen." Er warf das Tütchen Steeler zu, was natürlich darin endete, dass er sich kollossal verschätzte und es einen halben Meter vor den Stiefeln des Georgiers im roten Sand landete. "Kannst den Rest haben", verkündete er dennoch, "Lohnt sich nicht, das noch weiter aufzuheben..." Steeler würde es schon aufheben.

Eigentlich hatte Richard nichts trinken wollen, Alkohol vertrug er nicht so gut, doch irgendwie war er im so im Kollektiv der Ausgelassenheit gefangen gewesen, dass er sich zu ein paar großzügigen Schlucken der erbeuteten Brühe hatte hinreißen lassen. Die Wirkung setzte nahezu unmittelbar ein. Während er sich an einem neuen Drehversuch übte, schob sich die so bekannte milchige Wand vor Augen und Ohren und ein unwillkürliches Grinsen schmückte sein Gesicht. Zwar war er ohne Frage breit für zwei, allein vom Gras, doch seine Trinkfestigkeit, welche einem vorpubertären Jüngling glich, tat einiges zu seinem Zustand hinzu.
Eine der Nebenwirkungen des Alkohols, die Richard immer wieder aufs Neue feststellte, war eine gewisse Melancholie, bei der er sich noch weiter zurückzog und stiller und unauffälliger wurde, als er ohnehin schon war.
Er schaute zu Boden, betrachtete seine Schuhe und versank in Gedanken, jedoch unfähig einen davon klar zu definieren oder zu vertiefen. Nur am Rande bekam er mit, wie die anderen für musikalische Untermalung sorgten. Auch wenn er nur knapp einen Meter nach unten schaute, verlor sich sein Blick auf die Distanz zunehmend und er bekam nicht mit, wie er einschlief.
Einige Male krachte es in der Nähe, jedoch konnte Richard nicht zuordnen, ob das jetzt zu einem Traum gehörte, ob es überhaupt irgendwohin gehörte. Wenig später registrierte er, dass er wohl zu schweben schien, doch ehe er sich auf die neuerworbene Schwerlosigkeit einlassen konnte, riss ihn der Aufprall aus seinen Träumen und seinen Augenlider auf.
„Fuck...“, nuschelte er dem Marsboden entgegen, während er sich zu orientieren versuchte. Die Szene in seinem Blickfeld war vielleicht nicht unbedingt wahnsinnig komisch, aber für Richards Zustand lustig genug, um einfach auf zu lachen, während er so auf dem Boden lag und beobachtete, wie sich Nick bemühte mit einer nie dar gewesenen Eleganz Steeler seinen letzten Rest Gras per Luftweg zu überreichen.
Kurzer Hand setzte sich Richard auf und verfolgte das Paar Schuhe zu seiner Rechten nach oben bis zum Kopf. Die Füße mit Kopf und dem ganzen Rest gehörten zu Brad, der auch alles andere als nüchtern aussah.
„Hab ich was verpasst?“, fragte er ihn grinsend, als er schwankend nach der Bank tastend aufstand, um sich danach doch lieber wieder auf den Boden zu setzen.

So schnell es sich eingefunden hatte, so schnell zerstreute sich das provisorische Säufercamp auch wieder, sobald die Marskälte einsetzte. Man einigte sich darauf, sich selbst aus den Siedlerhäusern heraus zu versorgen, und verschwand in die Rundhäuser, um zu essen, und dann zu schlafen. Die knarrende Luke des Gunships beendete den Abend. Und während sich die allgemeine Kälte über die Marsoberfläche legte, taten sich die Söldner an dem gütlich, was noch in den Häusern war. Das war nicht wenig, aber manchmal recht schlecht.

Steeler war einer der ersten, die wieder auf waren. Er hatte die Koordinationsimplantate auf eine frühe Weckstunde gestellt, damit er einige Erkundungen bezüglich Derek einholen konnte. Sauber. Ein bisschen Gefummel am Empfänger, und das altbekannte Atmorauschen tauchte auf.
"Steeler, Korps Blutsturm hier. Dispatcher? Was gibt es zu tun?"
"Steeler, bist du das? Hey! Ich bin's, Jeff!"
Jeff, ... Jeffery ... Jeffery Hancock. Mit dem hatte er als Söldner gedient, bevor er sein eigenes Korps bekommen hatte. War der mittlerweile bei den Dispatchern angelangt. Seltsam... Aber gut, er warf es keinem vor, wenn er nicht länger seinen Kopf in die Kugeln anderer halten wollte.
"Jeff! Hi. Was machst du bei den Dispatchern?"
"Hab' meine Freundin auf Landgang geschwängert. Sie will keinen Waisen aufziehen. War verständlich. Hey! Du rufst wegen Befehlen an. Und du bist früh dran. Soll ich dir einen Gefallen tun?"
"Kommt drauf an, Jeff. Was willst du zurück?", antwortete Steeler, wohlwissend, dass er ihn selbst um einen Gefallen hatte bitten wollen.
"Ein Bier, wenn du mal wieder in der Stadt bist. Ist was großes. Wenn es klappt, ein paar Bier mehr."
"Geht klar. Schiess los."
"Wir Dispatcher haben die Location von Derek auf drei Siedlungen von 18 eingegrenzt. Wenn du willst, setz ich dich auf eine an. Das Problem ist wohl die Bewachung, und, dass wir aktuell nicht genug Truppen im Sektor haben, um ein zweites Gunship reinzuschicken. Wenn ihr da also reingeht, ist die Chance, dass ihr auf größere Gegenwehr stosst, recht groß. Aber das Kopfgeld für Derek ist..."
Ein breites Grinsen stahl sich auf Steelers Gesicht, und man hätte beinahe Yenzeichen in seinen Augen aufsteigen sehen, wenn sein Leben ein Cartoon gewesen wäre. Nun, sein Leben war kein Cartoon. Aber die Summe, die er gerade gehört hatte, war immer noch verdammt hoch.
"Deal, Jeff. Schick die Koordinaten rüber, ich wecke meinen Trupp, und wir jagen dem Bastard eine Kugel in den Kopf."

Zwei Minuten später schickte Steeler eine Wecknachricht, verbunden mit einem nervigen Aufwachklingelton, an den gesamten Trupp. Und während die ersten aus den Häusern strömten, hatte er sich schon wie ein antiker Feldherr vor dem Gunship aufgebaut.

Eine Horde Mammuts bahnte sich ihren Weg über die Gehirnwindungen in Kaorus Kopf. Ihr Mund fühlte sich an als hätte ein Kamel darin übernachtet. Zudem war ihr rechter Arm taub, sie musste darauf gelegen haben. Und der pfeifende Ton des Wecksignals war nur die Kirsche auf dem Sahnebecher. Der Ton trieb nacheinander Eiszapfen in ihren Schädel, die in ihrem Kopf steckenblieben und dort langsam und schmerzhaft schmolzen. Es würde ein Scheißtag werden.
Mit verkrusteten Augen schwang sich Kaoru aus dem Bett, was eine weitere Welle Eiszapfen auf ihren Weg schickte. Am liebsten würde sie jetzt erstmal ordentlich kotzen gehen, aber so eine Schwäche konnte sie sich nicht erlauben. Also mussten es die Schmerzpillen tun. Und ein Kaffee. Ganz wichtig, der Kaffee.
"Befehl: Kaffee, sofort." Neben Kaorus Koje ging summend ein Gerät an. War eines der ersten Dinge, die sie eingebaut hatte. Kaffee war hier zwar teuer, aber da sie ihn ohnehin immer nur plünderte war das ziemlich egal. Mit fahrigen Fingern förderte Kaoru ein Paket zutage, aus dem sie zwei Pillen heraussuchte und schluckte. Es würde ein Weilchen dauern, bis die Wirkung eintrat.
Mit Sonnebrille bewaffnet erschien der jämmerliche Haufen Elend, der derzeit Kaoru Kamiya war, draußen vor dem Gunship.

Ein wenig vernebelt wachte Richard in einem der Siedlerbetten auf, nicht mehr ganz sicher, wie er hier hin gekommen war. Während er aufstand und sich streckte, dämmerte ihm langsam der Ablauf des gestrigen Abends.
"Oh man...", hauchte er und rieb sich die Augen. Er ging zum Fenster und riss es auf. Die eiskalte Luft strömte von draußen herein und ihn überlief ein freudiger Schauer.
Morgenstund hat Gold im Mund, dachte er und atmete ein paar Mal tief ein und aus, während sich seine Atemluft sofort als Nebel gegen die schale Morgendämmerung abzeichnete.
Wenig später hatte er seine Sachen aus dem Zimmer zusammengesucht und warf erneut einen Blick aus dem Fenster. Es war alles noch still, in einem Haus konnte er Licht erkennen, möglich das es jedoch noch von gestern brannte.
Erstaunlich munter und fit trat er nach draußen in die kühle Morgenluft und lies seinen Blick schweifen. Kurz darauf fand er, wonach er suchte. Ein alter, klappriger Schuppen stand unweit entfernt, schon verwittert und heruntergekommen, genau richtig.
Zwei gezielte Tritte ließen die Seitenwände auseinander fliegen und wurden, an die Hauswand gestellt und zu einer provisorischen Trittleiter umfunktioniert. Mit zwei Sätzen war Richard auf dem flachen Dach eines Anbaus. Theatralisch ging er in die Mitte des Daches, streckte sich und zog sein Katana. Mit pathetischen Gesten begann er seine Übungen, die entspannend und zugleich revitalisierende Wirkung würde, gerade nach Feierlichkeiten wie der gestrigen, wahre Wunder tun.

Während er so einige Minuten auf dem Flachdach versuchte, jede Region seines Körpers bewusst anzusteuern, sah er im Augenwinkel, wie Steeler aus einem der Häuser kam und wenig später den Funkkasten anwarf. Wieder in seine Meditation versunken führte er weiter seine Kata durch, wurde jedoch wenig später durch einen Weckruf von Steeler aus dem Konzept gerissen. Kurz murrte er etwas in seinen nicht vorhandenen Bart, war jedoch zufrieden, diesen Tag hatte er gut begonnen.
Kurzer Hand sprang er, seine Sachen in einer kleinen Tasche geschultert und das Katana in der linken Hand, vom Dach herunter, landete elegant auf dem kalten Boden und setzte sich in Richtung Steeler in Bewegung, welcher sich bereits in heroischer Pose vor dem Gunship aufgebaut hatte.

Ein schrilles Pfeifen, wie es nicht der Natur sondern nur dem kranken Hirn eines sadistischen Elektrotechnikers entspringen konnte, brach durch den seligen Schlummer, in dem Nick trotz des strahlenden Sonnenscheins vor dem offenen Fenster, noch immer verweilte und riss ihn mit unbarmherziger Brutalität aus der Tiefschlafphase. Er stöhnte auf, driftete viel zu schnell ins Wachsein und bemerkte zuallererst einmal, wie herrlich weich und warm das Bett war, in das er gestern Abend wohl noch gefunden hatte. Es war so angenehm! Er wollte da nicht raus! Er wollte liegen bleiben, noch lange! Doch auf der anderen Seite war ihm sehr wohl bewusst, dass Steeler das nie zulassen würde. Oder, schlimmer noch, es zulassen würde und das Gunship ohne ihn abheben lassen würde, eine noch weit erschreckendere Vorstellung. Hier allein zurück gelassen werden kam einem Todesurteil gleich. Ohne Gunship würde er es nie bis in die nächste nicht-feindliche Ansiedlung schaffen. Er würde in der Wüste draußen verdursten. Bei diesem Gedanken fragte Nick sich, was eigentlich aus dem Mädchen geworden war, das Steeler gestern noch da behalten hatte um seinen Spaß mit ihr zu haben. War sie in die Wüste gelaufen? Das wäre ihr Todesurteil. Ha! Armes Tierchen!
Doch Nick verwarf den Gedanken rasch wieder. Er hatte dringendere Probleme. Das erste war seine Blase, die unangenehm drückte und nach Entlastung schrie. Das zweite war sein Magen, der ihn daran erinnerte, dass er seit dem Schinken am frühen Abend des Vortages nur noch Flüssiges zu sich genommen hatte. Er wälzte sich schwerfällig aus dem Bett, schleppte sich ins unmittelbar anschließende Badezimmer und kam dem ersten Bedürfnis nach. Nach ein paar Hand voll kalten Wassers ins verschlafene Gesicht - offenbar hatten sie es gestern geschafft, die Wasserversorgung der Siedlung unbeschädigt zu lassen - fühlte Nick, wie die Lebensgeister langsam wieder in ihn zurück kehrten. Mit nun noch stärkerem Knurren im Magen führte sein zweiter Weg ihn in die Küche, wo er eine Packung Toastbrot, Tofu und Wurstaufschnitt fand. Den Tofu verschmähte er - davon würde er in den nächsten Tagen noch genug bekommen - aber am Rest hielt er sich mit Hingabe gütlich. Gestärkt und munter und sogar zu einem gewissen Grad recht zufrieden verließ er das Siedlerhaus und näherte sich ohne jegliche Eile dem Gunship, wo Steeler bereits mit der Ausstrahlung eines Drillsergeants, der seine Rekurten zum Appell hatte antreten lassen, auf sie wartete.
"Na Joe, gut geschlafen?", grüßte er den Georgier und grinste dabei breit, "Du hast dich gestern auch nicht sonderlich zurück gehalten, was? Was macht der Schädel?"

"Wassa Scheissa..." Nuschelte Brad, als der gemeine Weckruf ihn aus seinen schönen, reichtums- und haremgeprägten Träumen riss und ihn in kalte, beschissene Realität zurückriss. Und er hatte einen Kater, da gegen war das fette Spitzohr der Nachbarin seines Elternhauses noch schmächtig dagegen. Und nun bereute er, am vergangenen Abend so übertrieben zu haben. Nick, das war alles seine Schuld! Wäre der nicht aggro geworden, dann hätte er nicht noch mehr reinschütten brauchen, damit er dem nicht an die Gurgel ging. Aber so hatte er zumindest keine hässlicheren Verletzungen abgekriegt, die er ohne Zweifel bei ner Schlägerei davongetragen hätte. Und seinen Rausch hatte er auch gut ausgeschlafen, nur halt der Kater war so mies.
So streckte er sich, stand auf, entleerte seine Blase in der nahegelegenen Toilette und gönnte sich schließlich einige Schlucke aus dem Wasserhahn des Waschbeckens. Die waren angenehm erfrischen und gleich verfügbar. Hmm, ganz schlecht hatten die Siedler aber nicht her gelebt, wie ihm auffiel. Tja, da hatten sie wirklich mal wieder was Schönes angerichtet. Leben zerstört, die lebenswert gewesen waren. Aber das war ein vertretbarer Preis gewesen, da dadurch sein eigenes Leben lebenswerter wurde und zwar durch den Sold und die anderen Freuden, die das Recht des Stärkeren einem bot. Was war eigentlich aus dem Mädchen geworden, mit dem er sich nen netten Abend gemacht hatte? War die vielleicht noch irgendwo, er könnte sich nämlich gerne wieder mit ihr vergnügen, wenn sein Kater besser war.
Aber er nahm sich zusammen. Er konnte nicht den ganzen Tag rumvögeln, wenn es dringendere Dinge zu tun gab. Derek erledigen zum Beispiel... Moment, was dachte er da? Das würde doch nie klappen, verdammte Scheiße noch mal! Nein, er hatte sich bereits zu sehr mit dem Gedanken angefreundet, dieses fette Kopfgeld einzustreichen! Verdammter Nick, hatte der ihn doch glatt angesteckt mit seinem elenden Enthusiasmus! Dabei wollte er doch nie wieder so was hoffen!
Nachdem er sich ein wenig Brot und Tofu reingezogen hatte (er genoss es nicht, sondern schlang es nur so runter), trat Brad nach draußen und ging auch zum Gunship. "Ich habe so einen elenden Kater!", ächzte er. "Hab wohl doch zu viel gesoffen! Argh... Aber euch gehts auch nicht besser, nicht wahr, Jungs?"

"Ruhig jetzt.", gebot Steeler, "Wir haben heute viel vor. Wir werden heute Abend mit der Dämmerung eine Siedlung angreifen. Es kann sein, dass Derek drin steckt, dann dürfen wir uns auf einen Kampf bis zum letzten Mann gefasst machen. Wenn nicht, wirds wohl so leichtes Spiel wie hier."
Er nickte kurz, wischte sich dann einen Staubfleck von der Hose, der noch von gestern Abend da war, und schulterte seine Jackhammer-Bullpup.
"Die Krux an der Sache, wenn ich das so sagen darf, ist...", theatralische Pause, "Wir bekommen keine Hilfe. Und sind vielleicht sogar in der Unterzahl. Das bedeutet aber auch, dass wir, wenn wir Derek erwischen, eine Riesenmenge Yen haben, die wir mit niemand teilen müssen."
Die Angekommenen herabschreitend fuhrt er fort: "Wir greifen mit der Dämmerung an. Das heißt Freund/Feindkennungssysteme und Nachtsichtgeräte. Zerlegt nochmal eure Waffen auf der Fahrt, schieflaufen darf nichts, ich habe fertig. Fragen?"

"Ich hab eine!", warf Nick augenblicklich ein und in seinen Augen blitzte mit einem mal der Schalk auf, "Was machen wir, wenn Derek nicht in der Siedlung ist? Machen wir dann die Nacht durch und schnappen uns gleich die nächste?" Seine Begeisterung für die Idee, dass Kopfgeld auf John Derek einzustreichen, hatte sich über die Nacht keinenfalls gelegt. Sie war eher noch weiter angewachsen. So viel Schotter so dicht vor Augen zu haben ließ den Australier sämtliche Vorsicht über Bord werfen. Nicht, dass er nicht gewusst hätte, dass ein Nachtangriff auch für sie, die Angreifer, seine Nachteile mit sich bringen würde. Mehr Nachteile wohl als Vorteile, denn wenn es richtig finster war hatte man trotz der Restlichtverstärker in den Nachtsichtgeräten nur wenig Überblick. Der Kontrast war weg. Und dann erwies sich die Kenntnis der Umgebung, die die Verteidiger im Gegensatz zu ihnen besitzen würden, als umso wertvoller. Andererseits hätten sie den Überraschungseffekt mal sowas von auf ihrer Seite! Und überhaupt: wenn man ein derart fettes Kopfgeld einstreichen konnte, warum sollte man sich dann die Nacht über mit Kleinkram wie Plündern beschäftigen, der nur unnötig aufhalten würde?

Okay, langsam musste Brad wirklich gegen dem Impuls ankämpfen, diesem durchgeknallten Fettsack eine reinzuhauen. Der konnte das einfach nicht ernst meinen! Würde Nick so lange Derek jagen, bis ihn bekam, oder, was wahrscheinlicher war, vorher abkratzte?
"Hm, die Ausgangsbedingungen sind ja nicht so der Hit...", brummte Brad nachdenklich. Es war einfach zu ärgerlich! In ihm brannte der Wunsch nach diesem beschissenen Kopfgeld, er sehnte sich so unendlich danach, sich endlich mit viel Schotter zur Ruhe setzen zu können! Er hatte nicht wirklich Bock, diese Scheiße hier bis zum hohen Alter zu machen! Aber konnte er sich wirklich erlauben, zu hoffen? Optimismus war fürs Klo, das wusste er einfach aus Erfahrung. Hoffnungen und Träume waren für kleine Kinder, aber nix für erwachsene Männer, wie ihn, die schon die grausame Seite des Lebens kennengelernt hatten. Er hatte schon auf Wohlstand gehofft, der dann ausgeblieben war.
"Dein Kack-Ehrgeiz hat mich angesteckt, Nick.", knurrte Brad. "Ich will auch dieses Kopfgeld einstreichen. Aber ich befürchte, er ist nicht in der Siedlung. Wobei, das können wir nicht sagen, bevor wir nachgesehen haben." Er war innerlich zerrissen. Eine Seite wollte unbedingt dieses Kopfgeld haben, die andere sagte ihm, dass er nicht das Fell verkaufen sollte, bevor er den Bären erlegt hatte.

"Versuchen wir's halt", gab Kaoru ziemlich leise zu hören. Durch die Sonnenbrille wurden wenigstens die grellen Lichter gedämpft. Gegen die Stimmen allerdings half das auch nichts. Warum hatten Menschen keine Ohrenlider? Das würde vieles so viel einfacher machen, zum Beispiel solche Besprechungen, wenn einem Fukushima im Kopf zersprengt wurde. Sollten Augenlider pulsieren dürfen? Kaoru zwickte sich in die Nasenwurzel. Eigentlich wäre es toll Derek zu fangen. Mit dem Geld könnte sie das Söldnerleben an den Nagel hängen. Eine kleine Werkstatt konnte sie sich schon leisten. Und auf der Erde gab es immer noch ländliche Gegenden, in denen sie sich zur Ruhe setzen konnte.
"Versuchen wir den kleinen Scheißer am Pimmel zu kriegen."

"Großartig. Dann machen wir das mal." Steeler stieg die herabgelassene Rampe des Gunships herauf und setzte sich auf seinen angestammten Platz bei den Ladekisten.
Bald waren alle seine Leute im Gunship versammelt. Er hatte in der Zwischenzeit sein Gewehr zumindest rudimentär auseinandergenommen und den Akku an den Strom geschlossen. Als das Gunship langsam vibrierend Richtung Zielpunkt abhob, begann er, nachdem die Waffe wieder zusammengesetzt war, durch die Reihen seiner Söldner zu gehen und schließlich zu sprechen.
"Also, Leute. Wir kommen entweder mit dem Abendrot oder mit der Dämmerung. Es wird ein harter Kampf, aber wir haben die Restlichverstärker beziehungsweise Infrarotfilter, und: Wir haben Freund/Feind-Kennung. Vergesst nicht, euch das Gerät irgendwo hin zu stecken. Sonst kann es gut passierten, dass euch einer eurer Kollegen den Schädel zerfetzt."
Er machte eine kurze Pause, verfiel dann wieder ins Reden:
"Zusammenarbeit ist hier und jetzt unglaublich wichtig. Wir kommen nicht ohne klar. Freddie wird erst eine Bombe auf den Generator der Siedlung loswerden, dann stürmen wir in der Dunkelheit vor, und Jones hilt uns mit der Minigun vom Gunship aus. Ausserdem dürft ihr keinen fliehen lassen, denn jeder Flüchtige könnte Derek sein, und in der Nacht sind alle Katzen grau."
Mit diesen Worten setzte er sich wieder auf eine der Lagerkisten.
"Hat wer Lust auf Game of Thrones, bis wir ankommen? Ich hab irgendwo noch ein paar Staffeln im Schiffsspeicher. Ist zwar nicht 3D, und ein bisschen frühes 21. Jahrhundert, aber okay."

Nick saß mit dem Rücken gegen die Wand des Gunships gelehnt und versuchte dabei, den Eindruck zu erwecken, dass er nicht kurz vor dem Einschlafen war. Was gar nicht so leicht war. Das Vibrieren der Motoren, dass der Stahl auf ihn übertrug, hatte etwas ungemein Beruhigendes. Und diese Reden... Nick hatte sie schon hunderttausend mal gehört. Immer das selbe. Inzwischen hätte er sie schon fast auswendig nachsprechen können. War ja nicht so, dass sie so viele andere Taktiken hätten als in der Dämmerung anzugreifen. War doch eh immer das gleiche. Angriff im Abendrot. Niemanden fliehen lassen. Waren das nicht exakt die Worte, die sie vor dem Angriff am Vortag zu hören bekommen hatten? Steeler, das verdammte Phrasenschwein!
"Game of thrones?" Mit einem mal schreckte Nick hoch. Steeler war tatsächlich schon am Ende mit seiner Rede. Das war ja mal kurz und schmerzlos vonstatten gegangen. Aber trotzdem: Game of thrones? Was kam als nächstes, Charlie Chaplin? "Haben wir denn nichts aktuelleres, Joe? Irgendwas, woran nicht nur Nostalgiker wie du ihren Spaß haben?"

Game of Thrones... "Ne, lass mal.", sagte Brad nachdenklich. "Ich bin zu verkatert für Spiele." Mit diesen Worten setzte er sich auf seinen Platz und gähnte einmal ausgiebig. Die Planung war gut, und sie hatten zumindest den Vorteil, dass sie den Angriff planten und auf ihn eingestellt waren, nicht so jedoch ihre ahnungslosen Opfer. Selbst wenn Derek dort war, er würde das Kommen von Blutsturm nicht in einer Kristallkugel vorraussehen. Das war schon mal ein unschätzbarer Vorteil, der Chance auf den Erfolg erhöhte. Aber es hatte auch schon beim Umzug auf den Mars unschätzbare Vorteile gegeben und trotzdem war die ganze Aktion ein furioser Griff ins Klo gewesen. Von daher würde Brad nicht annehmen, dass Derek schon so gut wie tot war. Trotzdem, verdammt! Dieser Hurensohn sollte sterben, denn er wagte es, zwischen Brad und seiner geliebten Knete zu stehen! Verflucht, nochmal!
"Hat einer einen Joint?", fragte Brad in die Runde. "Ich könnte einen brauchen." Er hatte die Entspannung bitter nötig, um seinen aufgewühlten Geist zu beruhigen. Er hatte Beruhigung nötig, bis sie endlich ankamen und er Gewissheit erhalten würde, ob Derek dort war oder nicht. Mit beiden Situationen konnte er sich arangieren, nur diese quälende Ungewissheit war einfach furchtbar...

Richard horchte auf. Es hatte den Anschein, als verlangte da wer nach einer Sportzigarette. Und wie in diesen Kommt-wie-gerufen-Momenten, rollte er gerade das letzte Stück Papier am Tip ein. Er hatte sich in eine der abgelegeneren Ecken des Laderaums zurückgezogen, Sorgfalt an seinem Katana walten lassen und seine Handfeuerwaffen für den Kampf bereit gemacht. Lässig klopfte er das untere Ende des Joint auf eine Metallkante.
"Jup, ist gerade fertig geworden", sagte er an Brad gewandt, während er das gute Stück entzündete, fuhr er zu Steeler weiter fort, "und ich hab auf jeden Fall Lust auf ein bisschen Retro-Geschrammel."
Genüsslich lies er sich auf einem Sitzsack ähnlichen Gebilde nieder, reichte den Joint an Brad und atmete theatralisch aus. Wie erwartet fuhr ihm die anschwellende Betäubung mit angenehmer Geschwindigkeit ein, kurz schloss er die Augen und dachte an den bevorstehenden Auftrag. Sicherlich würde das keine Zuckerschlecken werden, ob mit oder ohne Derek, doch das bedeutete eine Herausforderung. Und auf die freute sich Richard, das Risiko war zweitrangig.