[Tage des Bluts] Tag 0: Vor der Schlacht

"Scheißä, man", fluchte Aman'Ji hingebungsvoll. Der Troll steckte bis zum Oberkörper in einem Schluckloch. Der Grunzer war davongestapft, um irgendetwas zu finden, womit er den Troll befreien konnte. Bis dahin verhielt sich Aman'Ji still und hoffte, dass er dadurch langsamer einsank. Was hätte er dafür gegeben wieder in seinen alten Wäldern herumzustapfen. Die waren wenigstens einigermaßen trocken und man sank nur unter sehr merkwürdigen Umständen im Boden ein. Außerdem konnte man dort Deckung vor dem Regen finden.
Das Schluckloch gab ein schmatzendes, matschiges Geräusch von sich, als würde es seine Mahlzeit aus widerwilligem Troll sehr genießen. Wahrscheinlich war es dasselbe Loch, was heute morgen beinahe den Grunzer erwischt hätte. Der Ork kehrte mit einem nassen, nicht besonders vertrauenserweckend aussehenden Ast zurück. Vermutlich war das das Beste, was er hatte finden können. Trotzdem griff Aman'Ji mit einer dreifingrigen Hand danach. Der Ast knackte bedenklich, hielt aber dem Zug stand. Einen Moment verharrten Ork und Troll am Rande des schlammigen Loches, dann klopfte der Grunzer Aman'Ji auf die Schulter. Es war an der Zeit weiterzugehen.

Angewidert spuckte Ukkra Ragefang aus. Er musterte den alten Orc, der vor ihm marschierte und bereits Blut spuckte. Wie erbärmlich! Der alte Gorrak war schon halb tot und trotzdem hatte er noch das Kommando erhalten.  Es würde niemanden stören, wenn er mitten im Schlachtfeld seine Lungen auskotzte, aber wahrscheinlich würde er es nicht einmal so weit schaffen. Und ihrer Rotte würde zum Gespött der ganzen Horde werden. Der Kriegsherr hätte einem halb Toten nie das Kommando übergeben sollen!
Daran liess sich nun aber auch nichts ändern. Auf dem Schlachtfeld war das Kommando sowieso nichts wert, wenn alle Grunzer nach dem ersten Zusammenprall in einen Blutrausch verfielen. Aber Ukkra war bereits einer verspotteten Rotte entkommen. Nicht noch einmal! Wenn der alte Knochensack nicht eine Axt fressen wollte, musste man eben nachhelfen. Allerdings konnte er ihm nicht einfach eine Axt in den Rücken schlagen. Er musste unauffällig sterben, in eine Falle laufen oder einem Unfall zum Opfer fallen. Aber wo? Der Grunzer blickte sich um und musterte die Oger, die in der Nähe marschierten. Sie waren schon die ganze letzte Nacht unruhig gewesen und die zweiköpfigen Magier mussten mehrere Prügeleien auseinanderbrechen. Vielleicht…
Ein Grinsen breitete sich auf Ukkras Gesicht aus und er senkte schnell den Kopf, damit niemand es sah. Er würde dafür sorgen, dass Gorrak diese Rotte nicht zu einem Gespött machen würde. Und wer weiss, vielleicht konnte er dabei noch eine Beförderung ergattern…

Dichte Wolken verhingen den Himmel und verdeckten Mond und Sterne und so war es unmöglich festzustellen, wie spät es war, doch Tharka war sich sicher, dass es bereits nach Mitternacht sein musste als sie schließlich erwachte. Verschlafen blinzelnd setzte sie sich auf und bereute dies sogleich, weil die Satteldecke, unter welche sie sich verkrochen hatte, von ihr herab rutschte und den unbarmherzigen, nasskalten Regen hindurch ließ. Kurz tastete sie nach ihrem Wams, fand es in der Dunkelheit jedoch nicht und wickelte sich stattdessen die Decke um den bloßen Oberkörper. Sich erhebend, wobei der schlafende Wolf, auf dessen Flanke sie geruht hatte, ein unwirsches Murren von sich gab, blickte sie sich um, suchte nach dem Grund, weshalb sie aufgewacht war. Es dauerte nicht lange, da hatte sie ihn im Schein des bereits stark herab gebrannten Lagerfeuers gefunden. Gestalten, die sich durch das Lager bewegten. Eine ganze Menge Gestalten. Orcs und Wölfe gleichermaßen. Die Verstärkung war also endlich eingetroffen, hatte es über den Fluss hinüber geschafft.
Nahe beim Feuer konnte sie den Steingardisten mit Schlachtrufer Korr, dem er das Kommando über die zweite Gruppe übertragen hatte, sitzen sehen. Kurzerhand schritt sie hinüber und setzte sich zu ihnen. Die Hierarchien waren flach bei den Räubern. Niemand nahm an solchem Verhalten Anstoß. Der Steingardist blickte lediglich knapp zu ihr hinüber, Korr nickte und grunzte einen Gruß. Ebenfalls nickend erwiderte Tharka diesen.
"Ich will jeden Mann und jede Frau im Sattel haben bevor die Sonne aufgeht", fuhr der Steingardist fort, wo er offenbar eben aufgehört hatte, "Wir reiten südlich am Hügel vorbei und mit der Sonne im Rücken auf das Dorf zu, sobald sie aufgeht. Vor der Palisade teilen wir uns auf und fallen von Norden und Süden zeitgleich ein. Sollte kein größerer Aufwand werden, die Spitzohren dort raus zu prügeln..."

Mit noch mehr Schmutz und Matsch im Pelz als sonst stapfte Aman'Ji müde in Richtung Zeltlager. Ork und Troll hatten sich mehr oder weniger die letzten paar Meilen aneinander abgestützt. Unterwegs war der Grunzer noch einmal bis zu den Hüften versunken. Und die beiden waren seit dem Morgengrauen unterwegs. Die Horde hatte natürlich Wachleute aufgestellt. Ein Grunzer hielt die beiden auf.
"Späher Aman'Ji. Wia habän dän Auftrag des Kriegsfürstän wie befohlän ausgeführt. Und ich möchtä ein Bett." Mehr schlecht als recht rafften sich die beiden noch einmal auf und schleppten sich in Richtung eines Lagerfeuers. Dort machte man ihnen bereitwillig Platz. Selbst nach orkischen und trollischen Maßstäben rochen sie nicht mehr grade angenehm.
"Rokra", murmelte der Grunzer Aman'Ji zu. Aman'Ji starrte den Ork an.
"Ist das dein Namä?"
Der Ork nickte und riss ein großes Stück Fleisch aus der Keule, die er sich gekrallt hatte. Die andere Keule reichte er Aman'Ji. Vermutlich war das die größte Anerkennung, die Rokra zu geben bereit war. Schweigend mampften die beiden ihre Ration.

Misstrauisch beobachtete Emara die Feuer, die die Orcs angezündet hatten. Sie würden einen Angriff unmöglich machen, aber gleichzeitig konnten sie auch klar und deutlich sehen, was die Grünhäute taten. Und momentan sassen sie nur herum. Umso besser. Die Helligkeit der Flammen würde verhindert, dass sie irgendwelche schwachen magischen Lichter sehen würden. Die Horde würde in eine Todesfalle laufen, wenn sie dieses Dorf einnehmen wollten. Vorausgesetzt, der Magier kam bald an.
Wie gerufen spürte sie ein Kitzeln im Rücken und wandte sich zur verlassenen Taverne um. Im Weinkeller unter dem Gebäude hatten die Waldläufer alles für die Pforte vorbereitet und Ilarys war vor kurzem mit dem Portalstein aufgetaucht. Der Magier war angekommen. Ein seltenes Lächeln auf dem Gesicht tragend wandte die Kapitänin sich um und betrat mit schnellen Schritten die Taverne. Im Keller fand sie drei Hochelfen und einen in Roben gekleideten Menschen vor.
„Erzmagier Thirrus“, begrüsste sie den Mann, ihr Lächeln schon wieder verschwunden, „gerade rechtzeitig. Wir haben nicht viel Zeit, vielleicht müssen wir schon am Morgen mit einem Angriff rechnen. Ich will eine Barriere um dieses Dorf haben, mit dem wir die Grünhäute einsperren können. Und wir brauchen Fallen. Was auch immer in ihrem Repetoire ist, Brandfallen, Eisfallen, Portale…“
„So-sofort?“, fragte der Magier entgeistert. „Gl-gleich nachdem ich durch ein Portal gekommen bin?“
„Ja.“
Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte die Elfe sich ab und stieg die Treppe hoch, um das Orclager wieder zu beobachten. Diese Grünhäute konnten sich auf eine Überraschung gefasst machen.

Gorrak schlief schlecht. Nicht, dass er nicht müde gewesen wäre. Selbst ein jüngerer Orc mit unverwüstlicherer Konstitution wäre nach einem Gewaltmarsch wie dem heutigen todmüde auf sein Lager gefallen und eingeschlafen. Aber einerseits war das Einschlafen Gorrak im Lauf der Jahre ohnehin immer schwerer gefallen und andererseits gab es nun noch genügend anderes, das ihn davon abhielt. Der Regen, zum einen. Nicht das Prasseln, das hatte etwas beruhigendes. Vielmehr, dass er überall durch sickerte, in die Zelte lief und man somit im Nassen und Kalten lag. Dann die Oger, die ungeachtet der spätenn Stunde noch immer lärmten, soffen, sich prügelten. Sie waren schlecht gelaunt. Seit Tagen schon. Diese Sümpfe bekamen ihnen nicht. Oger waren Kreaturen der Wüste, fühlten sich wohl in trockenen, warmen Gegenden. Der Sumpf setzte ihnen zu. Also ließen sie ihren Unmut heraus, in dem sie am abendlichen Lagerfeuer nur um so lauter waren. Aber selbst wenn einer einmal eingeschlafen war, dann war das kaum besser. Das Schnarchen konnte das ganze Lager wach halten. Das alles aber hätte Gorrak ab gekonnt, hätte trotzdem Schlaf gefunden, wäre nur dieser verdammte Husten nicht gewesen. So lag er da, die um den Oberkörper geschlungen, die Augen geschlossen aber dennoch wach und wurde immer wieder von neuen Anfällen in seinem rauen Hals geplagt. Dies würde, so befürchtete der alte Grunzer, noch eine lange Nacht werden.

Neben der Stimme des Vaters erhoben sich die der Gläubigen. Die Situation mochte eine völlig andere sein als die in der Abtei selbst, aber es war dieselbe andächtige Stimmung in dem hell erleuchteten Zelt zu spüren. Der Abendgottesdienst dauerte eine Stunde lang an, dann tröpfelten die Gläubigen aus dem Zelt, einzeln oder auch in Gruppen. Den Priestern blieben zurück, mit der Hoffnung die Herzen der Soldaten ein wenig erhellt zu haben.
Die beiden Akolythen räumten das Zelt auf, löschten die Feuerpfannen und sammelten all das zusammen, was die Betenden zurückgelassen hatten. Mehr als ein paar Münzen waren es normalerweise nicht, aber diesmal fanden sie auch einen verzierten Dolch. Die Waffe war ungeeignet um damit jemanden zu töten, aber es war wohl auch vielmehr eine Zierwaffe. Vermutlich gehörte sie einem Offizier. Man würde morgen nach dem Besitzer fragen.