Schicksalsspiel (MSG)

"Livedin ist kein Lügner!", verteidigte Steff den Gott mit einer Vehemenz, die ihn beinahe selbst ein wenig überraschte, die er so gar nicht von sich kannte, "Er kann zaubern. Er beherrscht Magie, wie sie kein normaler Mensch beherrscht. Ich habe ihn unlöschbare Silberflammen hervor rufen sehen. Und er kann sich in einen Raben verwandeln!" Obwohl Steff nie sonderlich gläubig gewesen war – als Straßenkind vertraute man entweder blind auf die Götter, oder aber man scherte sich nicht um sie, sondern schlug sich auf eigene Faust durch – empörte es ihn regelrecht, wie stur die beiden Fremden sich weigerten, die Göttlichkeit von Livedin und Oade anzuerkennen. Sicher: es war nicht alltäglich auf Götter zu treffen. Aber sollte nicht wenigstens der Regen aus Glasstaub Beweis genug für Livedins Behauptung sein? Warum sollten sie schließlich lügen?

"Wir sehen nicht so göttlich aus, weil wir ... uns dieser Welt anpassen müssen", versuchte Livedin das möglichst unkompliziert zu erklären. "Wir bevorzugen die Gestalt von Menschen oder Tieren, weil die am unauffälligsten sind. Und wir sind erst jetzt hinuntergestiegen, weil wir ... ehrlich gesagt nunmal damit überfordert waren, dass die Engel ausgebrochen sind und wir für den Anfang nicht wussten, was zu tun war."
Er seufzte tief.
"Den Halbgott brauchen wir, um den Bann neu zu zaubern. Es war damals die eine Göttin, die den Zauber gewebt hat. Wir fanden heraus, dass nur ihr Blut in der Lage sein kann, diesen Zauber zu weben. Also brauchen wir einen direkten Nachfahren dieser Göttin."
Oade nickte zustimmend.
"Wir Götter brauchen die Hilfe des Erdenvolkes, wenn wir diesen Krieg erneut gewinnen wollen", sagte sie. "Sagt, meine Herren, welchen Beweis braucht ihr, dass ihr uns glaubt?"

Eine hübsche Geschichte die uns hier aufgetischt wurde, aber den Wahrheitsgehalt zu überprüfen ist wohl unsere Aufgabe. Aber einen Beweis bieten sie uns an. Wenigstens etwas, etwas handfestes. Reden kann jeder, aber dann müssen sie uns auch zeigen was sie können. „Wenn ihr so fragt „ ich wandte ich mich an den Mann der sich als Livedin ausgab, „Beantwortet mir folgende Frage: Wer bin ich? Für den Gott des Wissens sollte dass doch nicht weiter schwer sein, oder?“ Diese Frage war zwar relativ einfach, da aber die wenigen die von meiner Herkunft wissen längst gestorben sind war es unwahrscheinlich dass jemand mich kannte. Außer ich hatte ihn schon vorher getroffen, aber diese Gesellen waren mir fremd. Und einem Gott sollte so etwas nun wirklich nicht schwerfallen. Schließlich entstamme ich einem Königshaus und lebe nun schon eine ganze Weile, ein Gott wird wahrscheinlich von mir Wind gekriegt haben. Und wenn er wirklich der Gott des Wissens ist dann wird er sowieso alles über mich wissen.
Nur stellte sich die Frage, was ist wenn er die Frage beantworten kann? Was ist wenn er wirklich Livedin ist? Eigentlich kann das ja kaum sein, nur ganz sicher war ich mir nicht. Was ist wenn wirklich die Götter auf die Erde zurückkehren um gegen die Engel zu kämpfen? Dann würden wir in den Krieg ziehen. Aber mit was für einer Armee? Ein verschlafener Gott und ein paar Wanderer? Nicht gerade rosige Aussichten...

"Viele Menschen können zaubern, Junge, das macht sie aber noch lange nicht zu Göttern", entgegnete Cyll mit einem Lächeln, das sich aber nur auf seinen Mund beschränkte. "Illusionen, ein wenig Licht und bunte Farben machen einen Zauberer aus. Er wäre nicht der erste Betrüger, der versucht hat, sich als mächtiger Zauberer auszugeben, um ein paar Leute übers Ohr zu hauen. Auch wenn er der erste 'Gott' ist."
Er beobachtete das Götterpaar, das nun anbot, einen Beweis für ihre Göttlichkeit zu erbringen. Der Hüne glaubte nicht, dass sie ihn so schnell überzeugen würden. Zu oft hatte er schon mit Betrügern, Lügnern und Verrätern zu tun. Natürlich, sie bewiesen Mut – oder Dummheit – , so offen über einen Kampf gegen die Engel zu reden. Das hiess aber noch lange nichts. Er hatte schon Spione der Engel gesehen, die auf eben diese Weise versucht hatten, das Vertrauen von Leuten zu erschleichen, um sie zu unbedachten Aussagen zu verleiten. Diese büssten sie dann natürlich am nächsten Tag durch den Strick oder mit Schlimmerem. Diese Welt war voller Verräter, man konnte niemandem vertrauen, schon gar nicht irgendeinem Pärchen, das behauptete, Götter zu sein. Wer vertraute in diesen Zeiten noch auf die Götter?

Die Antwort des großen Mannes enttäuschte Steff, wenngleich sie ihn nicht unbedingt überraschte. Was hier vor sich ging war schließlich offenkundig: es war nicht so, dass diese Männer die Wahrheit hinter ihren Worten nicht erkannten. Sie wollten sie vielmehr nicht sehen! Sie leugneten sie, um nicht etwas akzeptieren zu müssen, das nicht in ihr Weltbild gepasst hätte. Livedins Silberflammen waren keine Illusion gewesen, sie hatten den Galgen und Dutzende Häuser in seiner Umgebung verzehrt. Licht und Farben hätten den Gott wohl kaum bemächtigt, als Rabe über die Dächer der Häuser zu fliegen.
Dass Livedin den beiden einen Beweis ihrer Wahl anbot hingegen war ein geschickter Zug. Wenn sie selbst benannten, was er vollbringen sollten, dann konnten sie den Beweis später kaum abstreiten. Dann würden sie es einsehen müssen. Für Steff bestand daher auch keine Notwendigkeit mehr, noch weiter versuchen den Großen zu überzeugen. Also beschränkte er sich darauf die Arme zu verschränken und diesen trotzig anzusehen.

Livedin musterte den Mann einen Augenblick lang, ehe sich ein siegessicheres Lächeln auf seine Lippen schlich. "Wer du bist?", fragte er. "Du bist ein Dieb. Du bist alt. Du stiehlst die Zeit der Lebenden, um selbst nicht zu sterben. In dir dreht sich das Rad der Zeit, doch die Zeit steht für dich still. Und du betest hin und wieder zu meinem Vater. Zaer, der Erfinder", beantwortete er die Frage des jungen Mannes.
"Nun sag mir, liege ich richtig oder falsch?"

Kurz blinzelte ich. Das hatte ich nicht erwartet, dieser Mann war Livedin. Oder zumindest ein glücklicher Lügner, aber so viel Glück hat niemand. Anscheinend habe ich einen leibhaftigen Gott vor mir. Beziehungsweise zwei Götter. Bevor ich antwortete verbeugte ich mich tief. „Eure Formulierung mag ein wenig forsch sein, wenn ihr es aber so sehen wollt, dann habt ihr durchaus recht.“ Aber damit war eine Sache noch nicht geklärt, warum wir? Und was genau wird von uns erwartet? Wir sollen den Göttern beistehen? Normalerweise bittet man um den Beistand der Götter, andersrum ist mir neu. „Natürlich werde ich euch mit allen Mitteln zur Seite stehen, es ist mir eine Ehre. Und verzeiht wenn ich euch erst nicht glauben wollte, seht mir das bitte nach, schließlich ist ein Gott kein alltäglicher Anblick, und heutzutage sollte man vorsichtig sein, gerade bei Fremden.“
Ich konnte es kaum fassen dass zwei Götter hier auf der Erde wandeln, schließlich ließen sie die Engel schon lange gewähren. Der plötzliche Sinneswandel kam mir merkwürdig vor. Und wenn schicken sie uns dann? Livedin und Oade. Nun gut, beide waren wahrscheinlich mächtiger als jeder Mensch, gerade Oade war sicher eine starke Magierin, aber diese kleine Gruppe gegen die Engel? Das war doch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Aber es war wohl meine Pflicht ihnen zu helfen, gerade dem Sohn von Zaer konnte ich meine Hilfe schlecht verweigern. Wenn die Götter es von mir erwarten dass ich kämpfe, dann werde ich das wohl tun müssen. Und falls wir, wider Erwarten, siegreich aus diesem Kampf hervorgehen würden, dann wartete noch ein Thron auf mich. Auf jeden Fall lag es wohl an mir die Ehre meiner Familie wiederherzustellen, und eine bessere Gelegenheit als diese konnte ich mir nicht vorstellen.

Was der Möchtegerngott da über Volker erzählt, machte überhaupt keinen Sinn, aber scheinbar traf es zu, denn der Mann war plötzlich überzeugt und entschuldigte sich. Cyll runzelte die Stirn. Das war ein plötzlicher Meinungswechsel, also mussten die Worte irgendeinen Sinn ergeben. Aber er selbst war noch nicht überzeugt. Wenn dieser 'Livedin' wirklich ein Gott war, sollte es ja kein Problem sein, einen zweiten Beweis zu erbringen.
"Na schön, jetzt bin ich an der Reihe. Wir werden ja sehen, ob das nicht einfach nur Glück war, 'Livedin'", setzte Cyll an, nachdem er einen Moment über eine Frage nachgedacht hatte. Er entschied sich genau wie sein Begleiter, den Gott nach seiner Vergangenheit zu befragen. Als Gott des Wissens sollte das ja nicht all zu schwer rauszukriegen sein. "Wie steht es denn mit meiner Vergangenheit? Wo bin ich geboren und wieso bin ich nicht immer noch dort. Wer hat mich vertrieben?"

Ehe Livedin erneut antworten konnte platzte Steff dazwischen. "Ein Dieb!? Du stiehlst den Leuten Lebenszeit?", fragte er mit schriller Stimme, ungläubig und empört gleichermaßen und wich demonstrativ vor dem Mann zurück. Er hatte ihn bisher für den sympathischeren der beiden Fremden gehalten: er war ganz offensichtlich nicht so gefährlich wie der Große, immerhin war er kleiner und schmächtiger und trug kein Schwert auf dem Rücken; er war gut angezogen und besaß Manieren; und er wirkte zwar skeptisch, aber doch höflich. Nun jedoch musste Steff mit Schrecken erkennen, wie er sich geirrt hatte. Dieser Mann war viel schlimmer als jeder Krieger es sein konnte! Zwar hatte er noch nie davon gehört, dass man Leuten Lebenszeit stehlen konnte, aber nun, da Livedin es erwähnt hatte – und Steff hatte keinen Grund am Wahrheitsgehalt der Worte des Gottes zu zweifeln – erschien es ihm ein geradezu unsagbares Verbrechen.

Es war vorhersehbar dass es Probleme geben würde. Nicht jeder ist mit meiner Art zu leben einverstanden. Unmoralisch fand ich mein Verhalten nicht, die Jahre die ich mir nehme werden schließlich gelebt. Darum geht es ja im Prinzip. Doch habe ich es lieber wenn nicht jeder weiß warum ich noch lebe, nur hatte Livedin sich nicht gerade zurückgehalten. Gut, ich kann es ihm kaum verübeln, schließlich war ich recht skeptisch und er musste deswegen klare Worte finden, mit ein paar Andeutungen hätte ich mich nicht zufrieden stellen lassen. Also musste ich wohl ein wenig erklären. Ich wandte mich zu dem Jungen der mit Livedin reiste. „ Was denkt ihr? Ich, ein Magier? Sehe ich etwa so aus? Nein, ich bin Uhrmacher. Versteht ihr? Das Ganze ist eher als Metapher zu verstehen. Ich lebe von anderer Menschen Zeit, aber schließlich muss ich auch irgendwie Geld verdienen, nicht wahr?“ Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Und meine Worte waren ja nun nicht gelogen, sicher konnte man in Livedins Aussage viel hineininterpretieren, also warum nicht auch das? Besser es wissen nur wenige von meiner Situation, auch wenn ich die Götter schlecht anlügen kann. Aber ich ging davon aus dass sie geistesgegenwärtig genug sind um zu verstehen was ich meinte.

Skeptisch kniff Steff die Augen zusammen, musterte den Uhrmacher kritisch. Er war sich alles andere als sicher, was er von dessen Erklärung halten sollte. Livedins Worte hatten anders geklungen. Und Steff mochte es überhaupt nicht, wenn sich heraus stellte, dass er im Irrtum war. Das ließ ihn so naiv, so kindisch da stehen. "Trotzdem ein Dieb", konstatierte er feindselig. Sicher, auch er selbst war nicht viel anderes. Ein Taschendieb, ein Beutelschneider, eine kleine Straßenratte. Aber er ließ auch nicht in Samt und weicher Wolle herum! Er nahm sich nur, was er für sein täglich Brot brauchte. Und auch wenn er viele Diebe kannte, die angenehme Gesellen waren: das musste der da ja nicht wissen! Ihn als Dieb zu schmähen war der beste Ausweg aus diesem Missverständnis...

Livedin liess Oade los und legte dafür Steff eine Hand auf die Schulter. "Ist schon in Ordnung", meinte er, ehe er den grossen, ,grobschlächtigen Krieger ansah.
"Du bist Cyll und du bist als Kronprinz in Rawerdan geboren. Dein Bruder verriet dich und deine Familie an die Engel. Deine Eltern sind dadurch gestorben und dein Bruder regiert nun als Marionette der Engel auf deinem Thron", sagte er mit einem leichten Lächeln.

Nun riss Cyll die Augen auf. Er erwartet, nun ebenfalls ein paar kryptische Sätze zu hören zu bekommen, aber was Livedin – dass es sich bei seinem Gegenüber um den Gott des Wissens handelte, zweifelte nun nicht einmal der Hüne an – da sagte, war so direkt und so zutreffend, dass ihm nicht anders übrig blieb als ihm zu glauben. Doch nach ein paar Momenten des Staunens wurde dieses Staunen jäh zu Wut. Scheinbar wussten die Götter von all dem Leid, das die Engel den Völkern von Jaquaii zugefügt hatten. Und dennoch hatten sie sich sechs Jahre Zeit gelassen, um sich zu ihnen hinunter zu bequemen. Sechs Jahre, in denen unzählige Unschuldige gestorben waren, in denen Familien von den Engeln auseinander gerissen und ganze Königreiche versklavt worden waren. Sechs Jahre, während denen die Göttern den Sterblichen nur bei ihrem leid zugesehen hatten. Und das einzige, was sie ihnen schliesslich als Unterstützung schickten war ein heruntergekommen aussehender Gott des Wissens. Zwar hatte sich auch noch die Göttin der Magie auf Jaquaii hinterbequemt, aber das konnte ja wohl nicht alles sein, was die Götter zu bieten hatten?
"Und wieso genau habt ihr so lange gebraucht, um zu reagieren? Und wieso genau bist gerade du hier? Wieso ist nicht der ganze Götterhaufen hinuntergestiegen, um uns zu helfen? Haben wir noch nicht genug gelitten? Haben wir noch nicht genug gebetet? Der Gott des Wissens ist alles, was uns die Götter als Unterstützung im Kampf gegen einen übermächtigen Feind schicken? Um irgend einen Halbgott zu finden? Ihr seid Götter, verdammt noch mal! Wieso vernichtet ihr die Engel nicht einfach, statt sie einkerkern zu wollen?"

Einerseits war Livedin sehr siegessicher und andererseits musste er dem Krieger gewissermassen recht geben. Die Götter hatten lange gebraucht, bis sie sich entschieden hatten und gewusst hatten, was zu tun gewesen war.
"Nun ... das hat alles seine Gründe. Und ICH bin schliesslich eine hervorragende Wahl, denn Wissen ist Macht", sagte er. "Wir Götter haben relativ lange gebraucht, bis wir reagiert haben, das mag der Wahrheit entsprechen ... doch wir wollten nichts überstürzen. Beim letzten Mal wurden wir beide ausgelöscht, wir wollten denselben Fehler kein zweites Mal begehen. Für euch Erdenbewohner mögen sechs Jahre eine lange Zeit sein, für uns Gottheiten ist dies lediglich ein Wimpernschlag."
"Was Livedin damit sagen will", ergriff nun Oade das Wort und machte dabei einen Knicks vor Cyll, wobei ihr langes Haar den Boden berührte. "Wir fanden es angemessener, diesmal gewappnet und sicher wissend, was zu tun ist, den Engeln gegenüber zu treten, um das Leiden von Jaquaii so klein wie möglich zu halten. Im Namen aller Götter, bitte ich um Vergebung. Wir sind auch mit Absicht nicht alle hinabgestiegen, denn wäre das Firmament verlassen, so wäre es für die Engel ein Leichtes, es einzunehmen. Und droben ist ihre Macht um ein Vielfaches stärker. So wie unsere Macht hier unten bedeutend schwächer ist. Wenn das Firmament verloren ist, sind wir alle verloren."

Die Ausreden der Götter klangen alle ganz vernünftig, aber sie blieben, was sie waren: Ausreden. Sie waren Götter, verdammt. Sie hätten irgendwas tun können. Sie hätten zumindest ein paar Engel töten können, während sie nachdachten, wie sie sich ihnen endgültig entledigten. Oade hatte ja gesagt, sie hätte einen ganzen Trupp vernichtet, dann würden alle Götter zusammen doch vom Firmament Tod auf die Geflügelten herabregnen lassen können.
"Für uns war es kein Wimpernschlag und wenn ich dich so blinzeln sehe, vergehen, glaub ich, keine sechs Jahre", schimpfte Cyll weiter. "Und ich habe noch keinen Engel gesehen, der von Wissen erschlagen wurde. Zumindest konnten die Bibliothekare von Rawerdan nichts mit ihren Bücher anfangen, als sie zusammen mit ihnen verbrannten. Vielleicht könnt ihr ja ein paar Kinder einwickeln, aber ich werde euch nicht vergeben. Zuviel haben wir gelitten, zu viele habe ich leiden sehen, zu viele haben ihren Glauben aufgegeben. Ihr seid zu spät gekommen. Selbst wenn ihr es schaffen solltet, unter allen auf Jaquaii lebenden Wesen einen zu finden, der das Blut eurer Göttin in sich trägt, wird er euch wahrscheinlich nciht glauben und wenn doch, wird er euch verachten."

Manches von dem, was Livedin und Oade vorbrachten, hatte der Gott des Wissens ihnen bereits anvertraut als sie sich auf dem Dachboden des alten Speichers versteckt hatten, manches von dem, was der Mann, den Livedin Cyll genannt hatte, vorbrachte hatte Steff in den Straßen und Tavernen bereits gehört. Anderes hingegen war ihm neu, manches verstand er nicht. Zu vieles! Bisher war alles so einfach erschienen. Dieser junge Mann war Livedin, der Gott des Wissens, und ihn auf seiner Mission zu begleiten war nur recht. Schließlich war er gut zu Steff gewesen. Aber warum nun all der Hass, all das Misstrauen, all die Ablehnung? Sicher, die letzten Jahre waren hart gewesen, aber warum nun die Chance auf bessere Jahre verwerfen?
"Du glaubst ihm doch auch!", warf Steff mit zunehmender Empörung auf Cylls düstere Prognose hin ein, "Und es gibt genug Menschen, die die Götter noch immer verehren. Ich weiß ja nicht, wo du her kommst, aber in Uenathi besuchen die guten Bürger die Tempel und beten wie sie es schon immer getan haben!" Erst nachdem er den Mund bereits wieder geschlossen hatte fiel ihm ein, dass Livedin Cyll ja einen Kronprinz von Was-auch-immer genannt hatte. Wenn er damit recht hatte – und bisher hatte Livedin immer recht gehabt – dann war es vermutlich sehr unangemessen gewesen, den Krieger einfach zu duzen. Plötzlich war Steff sein Ausbruch ungemein peinlich und er spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Verlegen zog er den Kopf zwischen die Schultern und blickte zu Boden.

"Sieh es so ...", versuchte Oade nach wie vor, ihn zu überzeugen, seine Wut ein wenig einzudämmen. "Sechs Jahre sind eine kurze Zeit, wenn man bedenkt, wie alt Jaquaii bereits ist. Zwischen Gottheiten und Erdenbewohner war es stets ein Geben und Nehmen. Dies sollte nun umso mehr so sein. Ohne den Glauben der Erdenbewohner, verlieren wir an Macht. Wir brauchen euch, wie ihr uns braucht. Jeder der uns verachtet, dämmt unsere Möglichkeiten, die Engel zu vernichten."
"Ich verstehe, was ihr meint", sagte nun Niath. "Und ich werde eure Taten unterstützen." Mit diesen Worten ging sie auf ein Knie. "Ich bin eine Botschafterin der Rebellen. Ich führe euch zu unserem Stützpunkt und ich schwöre, wir werden den Göttern beistehen."

Iris hatte die ganze Zeit geschwiegen und sich als Haustier ausgegeben, auch wenn sie ein paarmal nahe dran gewesen war, ihre Tarnung aufzugeben. Gerade als sich zwei der Fremden als Götter ausgaben, als Götter der Menschen wohlgemerkt, war Iris kurz davor gewesen sich einzumischen, doch sie hatte sich dagegen entschieden. Nach der kurzen Befragung durch die Anwesenden schienen wohl alle davon überzeugt zu sein das hier zwei Götter vor ihnen standen.
Iris war sich unschlüssig, klar kannte sie die Religion der Menschen, doch die Harpyien selber glaubten nur vereinzelt daran, die meisten hatten nicht an die Götter geglaubt, auch wenn sich das mit dem Auftauchen der Engel teilweise stark geändert hatte. Iris hatte sich vor einigen Jahren selber die Frage gestellt, ob die alten Geschichten wahr sind. Und nun waren ihre Zweifel wieder da, wenn die Engel wirklich existierten warum sollte es dann nicht möglich sein das auch die Götter real waren und nun hatte sie die Antwort vielleicht direkt vor der Nase.
Wenn dies wirklich Livedin, der Gott des Wissens, war, dann müsste er eigentlich auch wissen, dass ihre jetzige gestallt nicht ihre echte war, und wissen wer und was sie in Wirklichkeit war. Und wenn die Frau nun wirklich Oade, die Göttin der Magie, war? Vielleicht hatte sie gerade das einzige Wesen vor sich das den Fluch von ihr Nehmen konnte. Iris beschloss, dass diese Chance vielleicht nie wieder kommen würde und sie die Gelegenheit jetzt nutzen musste.
Doch bevor Sie etwas tun konnte, ging Niath auf die Knie und offenbarte allen Anwesenden, das sie eine Rebellin war. Nun gut, das mit der Rebellin hatte sich Iris bereits zusammengereimt, schliesslich war sie von hochrangigen Engeln gejagt und angegriffen worden, doch das Niath deren Botschafterin war, hätte auch Iris nicht im Traum erwartet. Etwas verwirrt blickte sie ihre Reisegefährtin an. Würde sie die beiden Götter nun zu den Rebellen bringen?

Jetzt hätte Cyll fast aufgelacht. Diese Versammlung war ein Witz! Er hätte es wohl einen Witz der Götter genannt, aber das zwei dieser anwesend waren, war es unwahrscheinlich, dass sie Einfluss darauf genommen hatten. Zwei Götter, zwei ehemalige Adlige und jetzt auch noch eine Rebellin. Pah! Rebellen! Von welcher Gruppierung diese hier wohl stammte? Eigentlich war es nicht einmal die Mühe wert, es herauszufinden. Es dauerte nie lange, bis die Rebellen wieder untergingen. Die Engel bekamen sie alle. Immer. Dennoch ging der Hüne nun dazu über, verachtlich auf die kniende Frau zu starren. Mit den Götter zu reden hatte ja offensichtlich keinen Sinn. Man konnte sie nur verachten.
"Und aus welchem Loch sind du und deine Freunde gekrochen? Lass mich raten? Ein paar ehemalige Soldaten aus einem der zerstörten Reiche? Oder ein paar Gossenkinder, die glauben, etwas verändern zu können? Vielleicht habt ihr ja sogar einen ehemaligen König oder Prinzen oder was weiss ich, der euch anführt und hübsche Reden schwingt", fragte er die Frau mit kalter Stimme und spuckte auf den Boden, bevor er weitersprach. "Dich vor den Göttern zu verneigen wird nicht helfen. Hat es all die Jahre ja auch nicht. Und ich kann dir aus Erfahrung sagen: Ihr werdet nichts erreichen. Früher oder später werden die Scheiss-Himmelsratten euch finden und euch töten. Alle. Und dann werden sie eure Familie finden und jeden von ihnen auslöschen, nur um sicher sein. Ich habe es schon oft genug gesehen."

„Und wenn wir nicht kämpfen?“ fragte ich Cyll. Auch mir gefiel dieses merkwürdig Auftauchen der Götter nicht wirklich, das grenzte für mich zu sehr an Schicksal, und dass war auch kaum mehr als ein Richtwert. Würde es nach dem Schicksal gehen wäre ich nicht mehr hier. „Diese Welt stirbt unter den Engeln.“ führte ich weiter aus
„Sicher, ein paar Jahre in Frieden werden uns bleiben, wenn wir uns damit abfinden können dass wir nicht mehr als Vieh sind welches zur rechten Zeit geschlachtet wird. Unbedeutend sind wir für Götter und Engel gleichermaßen, wenn sie sich eine Seite in den Kopf uns alle wie Ameisen zu zerquetschen dann wäre alles was die Menschheit bis hier hin geschafft hat ein Dreck gegen die Mächte die kommen werden. Es wird einen Krieg geben, und die einzige Chance die wir haben um Unterstützung von göttlicher Seite zu bekommen, ist es, dass wir den Göttern vertrauen. Sie brauchen etwas von uns, aber auch sie geben uns ihre Kinder damit wir es ihnen bringen können. Wenn Eltern ihre Kinder in eine Schlacht schicken die so aussichtslos scheint, wie kannst du dann behaupten sie würden sich nicht ums uns kümmern?
Die Rebellen haben das verstanden. Sie kämpfen für das was sie als richtig empfinden, gegen die perfide Herrschaft der Sklaventreiber. Auch sie fürchten den Verlust ihrer Liebsten, auch sie kennen den Preis den ein solcher Mut abverlangt, aber sie haben noch einen letzten Funken Ehre im Leib, der nicht von der Selbstsucht der Menschen überschattet wurde.
Du hast Recht, möglicherweise werden wir uns am Galgen baumelnd wieder finden, aber willst du dann deinen Ahnen nicht voller Stolz entgegentreten können? Willst du nicht sagen können „Ich habe gekämpft, ich habe gelitten, wenn wir siegreich einen Krieg beenden denn die Engel auf uns alle geladen haben? Oder willst du lieber wie eine alte Mutter am Herd stehen und dein Leben in Knechtschaft akzeptieren, immer in Angst leben dass ein willkürlicher Streich der Despoten all dem ein Ende machen könnte? Möglicherweise siehst du nicht was diese Rebellion anrichten kann, aber das ist hier nicht die Frage. Die Frage ist: Warum richtest du nichts aus?
Der einzige Grund dafür ist Schwäche, und zwar nicht die körperliche Schwäche, sondern eine Schwäche im Geiste, ein Einknicken der Gedanken. Du beugst dein Knie nur weil dein Geist schon längst aufgegeben hat. Dein Geist hat Angst. Und du bist zu feige diese Angst zu überwinden, so wie es die Rebellen tun. Ihr Wille ist hart, sie wissen was passiert wenn sie nicht handeln, und sie nehmen dieses Wissen um den Kampf zu denen zu tragen die ihn gewollt haben.“
Ich hatte mich etwas gehen lassen. Vielleicht redete ich inzwischen wirr, mein Kopf konnte nicht so viele neue Dinge verarbeiten. Rebellen, Götter....alles brummte. Möglicherweise bin ich auch senil geworden übers Alter, ein wenig romantisch außerdem. Was auch immer ich hier redete, es war nicht passend für einen Uhrenverkäufer. War ich denn bereit mein langes Leben für so einen Kampf zu geben? Scheinbar. Nicht dass ich mir den Tod wünschte, aber wenn ich bei dem Versuch die Ehre meiner Familie wiederherzustellen sterben sollte, dann war es wenigstens kein sinnloser Tod. Außerdem, wer will schon ewig leben?

Jetzt drehte sich Cyll zu seinem Begleiter um und blcikte diesen verächtlich an.
"Was denkst du, für was das schwarze Riesenstück Eisen auf meinem Rücken ist? Zum Holzhacken? ich scheisse auf meine Ehre, auf meine Ahnen und auf die Güte der Götter, die sich nach all den Jahren dazu entschieden haben uns zu helfen. Was hast du denn all die Jahre getan? Ein Rebell bist bestimmt nicht, denn sonst wüsstest du, dass der Krieg schon lange tobt. Was bringt dich dazu, plötzlich rebellische Reden zu schwingen? Wenn sich erst die Götter auf die Welt herab bequemen müssen, damit du etwas tust, dann tust du mir leid. Ich habe etwas getan. Ich habe mich erhoben, Truppen gegen die Engel in die Schlacht geführt. Ich habe mehr Rebellenarmeen gesehen, als du dir vorstellen kannst und jede einzelne von ihnen ist untergegangen. Wieso sollte Aussichtslosigkeit mich dazu bringen, aufzugeben? Welche Aussicht hatten all die Rebellen denn in de letzten sechs Jahren? Gar keine. Und dann wagst du Ratte es, mir Vorwürfe zu machen. Du, der sich erst aus seinem Loch traut und sich zu einer Sache bekennt, wenn die Götter sich zeigen", der Hüne spuckte dem Mann vor die Füsse. "Du bist erbärmlich."
Wieder drehte er sich um, diesmal zu Livedin.
"Ich werde dir helfen, Gott. Nicht weil ich an deinen Sieg glaube, dafür habe ich zu viele Niedergänge gesehen, sondern weil es besser ist, für eine aussichtslose Sache zu kämpfen, als nichts zu tun und sich zu verkriechen."

Noch eine ganze Weile wurde diskutiert, bis man sich darauf einigte, gemeinsam weiter zu ziehen und erst einmal Uanethi hinter sich zu lassen. Livedin verwandelte sich in ein Pferd, damit er Steff tragen konnte, der von Allen wohl der Erschöpfteste war und bald war dieser auch auf seinem Rücken eingeschlafen.
Mitternacht war schon längst Vergangenheit, als sie schliesslich ein Gasthaus erreichten, das einsam an einer Kreuzung stand. Durch Livedins Geldbeutel, konnten sie den Wächter überzeugen, Ihnen auch zu dieser späten Stunde noch einige Betten anzubieten.
Man entschied sich, sich erst einmal zur Ruhe zu legen und am Morgen, wenn alle wieder fit waren, in aller Ruhe das Weiter Vorgehen zu besprechen. Die Götter nahmen Steff zu sich ins Zimmer, weil Livedin vermutete, dass der schlafende Junge, dies wohl so gewollt hätte.


So war der Gott des Wissen auch gut durchgeschlafen, als die Sonne ihn am Morgen aus dem Schlaf kitzelte. Müde stand er auf und begab sich zum Fenster. Leichte Nebelschwaden schwebten durch den Wald, doch die Sonne war bereits über den Wald hinausgestiegen und konnte so zum Fenster hinein scheinen. Die Strassen waren gut befahren und allgemein ... Sein Blick wanderte zu Oades Bett. Es war leer. Die Göttin der Magie hatte das Bettzeug bereits schön zusammengefaltet und ordentlich hinterlassen.
Mit einem Blick auf die andere Seite, wurde klar, dass es wohl wirklich nicht mehr so früh war, wie er es vermutet hatte. Steff war nämlich auch schon weg.
Er seufzte. Nun, er war der Gott des Schlafes und der Verspätungen. Vermutlich waren die andern schon alle am Frühstücken. Würde er halt zu spät kommen, er konnte sich das ja leisten.