Kyusta (MSG)

Zum Zeitpunkt von Miras Erwachen war Sayeth bereits wach. Raykin hatte vor der Dämmerung noch einen Fasan erbeuten können, welchen Sayeth so gut es halt ging gerupft und ausgenommen hatte. Der Rest - das Braten - war dank dem Zwergdrachen nicht ein allzu grosses Problem. So schmorte das leckere Fleisch bereits über einem kleinen Feuer, als Mira aufwachte.
"Als erstes essen wir", lächelte Sayeth, die nun wieder topfit war. "Danach … entweder wir ziehen schonmal weiter oder wir ruhen noch ein wenig hier. Allerdings wäre es schön, wenn wir so bald als möglich an Wasser rankämen."

Wasser, ja... Sayeth sprach da einen wichtigen Punkt an. Bei ihrer überstürzten Flucht von der Küste fort hatten sie selbstverständlich keine Zeit gehabt, ihre Vorräte aufzufüllen. Und während sie mit Essen noch halbwegs gut versorgt waren – und im Notfall jagen konnten – würde das Wasser rasch knapp werden. Während sie ein wenig lustlos auf einem Fasanenschenkel herum kaute musterte Mira ihren Wasserschlauch. Er mochte noch zu einem Drittel gefüllt sein, vielleicht etwas mehr. Aber lange würde das kaum reichen. Und das Land hier war karg, trocken, noch keine Wüste, aber auch nicht weit von einer solchen entfernt. Vielleicht war es wirklich keine dumme Idee, bei nacht zu reisen und tagsüber zu rasten.
"Wenn wir dem Weg folgen kommen wir zu einer Ansiedlung an einer Wegkreuzung", begann sie gedankenverloren zu erklären, "Vielleicht ist es auch nur ein Gasthaus, aber sicher werden sie dort einen Brunnen haben. Dort können wir unsere Vorräte auffüllen. Wenn wir die Nacht durch wandern, dann sollten wir sie in den frühen Morgenstunden erreichen."

Sayeth stimmte dem Vorschlag zu. Als sie fertig gegessen hatten, packten sie alles zusammen und machten sich auf den Weg. Der Rotschopf überliess die Führung Mira, die schliesslich die Karte hatte und philosophierte über das seltsame Wesen, das sich im Meer herumtrieb.
"Ich hoffe, es bleibt im Wasser und kommt nicht an Land. Das wäre verheerend", schloss sie schliesslich, als sich am Horizont als silberner Streifen bereits der Morgen ankündigte.

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass es das könnte", erwiderte Mira nach einem kurzen Moment, den sie benötigte um überhaupt zu realisieren, was Sayeth gesagt hatte. Sie waren die Nacht durch marschiert und langsam machte sich erneut die Erschöpfung bemerkbar. "Ich meine... es ist ein Meeresmonster, nicht? Die meisten großen Meerestiere brauchen das Wasser um zu überleben. Und sie haben keine Beine. Aber selbst wenn es es könnte: bis hierhin kann es uns nicht folgen. Es ist zu trocken hier, es würde hoffnungslos eingehen. Doch ich befürchte, es kann auch im Wasser genug Unheil anrichten... hey, schau mal!" Sie deutete die Straße entlang. Im Dämmerschein des anbrechenden Morgens zeichnete sich die dunkle Silhouette eines Hauses gegen den nächtlichen Himmel ab. Sie hatten das Gasthaus an der Wegkreuz erreicht.

Wie es zu erwarten gewesen war, stand vor dem Haus auch ein Brunnen. Sayeth wirkte relativ glücklich, als sie sich daran machte, Wasser hoch zu pumpen.
"Das blöde Vieh geht mir nicht mehr aus dem Kopf", ächzte sie dabei. "Ich meine, was, wenn es unsere Fischgründe zerstört? Wenn es die Seeschlangen vertreibt? Das ist ungesund für uns!"
Sie hoffte ja eigentlich, dass das Vieh inzwischen erlegt worden war. Doch bei seiner schieren Grösse … war das sicherlich nicht allzu einfach.

"Sie werden nicht zulassen, dass es noch länger hier sein Unwesen treibt", entgegnete Mira und klang dabei nicht wirklich beunruhigt, "Sie werden Schiffe schicken, Kriegsschiffe. Und Wasserkyusta. Sie können eine ganze Armada aufbieten, wenn es nötig ist. Das Monster wird abhauen oder erlegt werden. In spätestens einer Woche ist alles wieder ruhig." Während Sayeth die Schläuche aufgefüllt hatte war sie an die Tür des Gasthofs heran getreten und klopfte nun. Es dauerte eine Weile, aber dann öffnete eine alte Frau und erkundigte sich nach ihrem Begehr. Mira erkundigte sich, ob es möglich wäre, etwas zu essen und ein Bett zu bekommen und nachdem die Frau beides bejahte trat sie ein.

Raykin wurde von Sayeth fortgeschickt. Auch der Drache musste fressen und saufen und das konnte er am besten, wenn er alleine war. Deshalb nahm Sayeth Raykin den Sattel ab. Den trug sie dann hinein ins Haus, um ihn zu putzen und zu pflegen. Aber erst, nachdem sie sich ausgeruht hatte.
"Puh … jetzt ist unser Tag-Nacht-Rythmus total im Eimer", grinste Sayeth, als sie bei einem deftigen Frühstück sassen, das aus Brot, Drachenfleisch und Vogeleiern bestand. Dazu gab es gezuckerte Stutenmilch, weil der Wirtin vor wenigen Tagen die Ziegen abhanden gekommen waren. Sie vermutete, dass irgendein Raubtier sie von der Weide geholt hatte.

"Dann reisen wir eben nachts weiter", antwortete Mira schulterzuckend, "In dieser Gegend ist das ohnehin sinnvoller. Wegen der Hitze. Spart uns Wasser. Und sternenklar bleibt es hier meistens auch. Wir werden also den Weg schon nicht verlieren." Von dem üppig aufgetischten Frühstück bediente sie sich nur zurückhaltend. Irgendwie hatte sie nicht wirklich Hunger. Ein paar Stücke des Drachenfleischs nahm sie dennoch und wickelte sie sorgfältig in ein Tuch ein. Für später. Für Siraex. Der Adler hatte sich in den letzten Stunden nicht mehr blicken lassen. Aber Mira war zuversichtlich, dass er sie nicht aus dem Auge verloren hatte. Er hatte noch immer zu ihr zurück gefunden.

Sayeth schlug sich hingegen den Bauch voll. Schliesslich ruhten sie dann noch eine Weile und am frühen Abend erwachte die Rothaarige dann wieder. Sie ging hinaus zum Brunnen, um sich zu waschen. Inzwischen waren auch andere Ankinu hier und einige schienen von den Unruhen im Meer gehört zu haben.
Mit gespitzten Ohren lauschte sie natürlich, was da so erzählt wurde.

Als Mira aufgewacht war hatte Sayeth noch geschlafen und so war sie leise, darum bemüht die Freundin nicht aufzuwecken, aus dem Zimmer geschlichen und hatte sich zum Brunnen begeben, bereits ahnend, dass auch Sayeths erster Gang des Tages sie dorthin führen würde. Im Lauf des Tages waren weitere Ankinu an dem Gasthaus eingetroffen. Es schien, wie sie aus deren Erzählungen hörte, ein beliebter Treffpunkt zu sein – und wie konnte es auch anders sein, kreuzten sich doch zwei wichtige Handelsstraßen hier. Es dauerte nicht lange bis Mira mit den anderen ins Reden kam und verständlicherweise erregte ihre Geschichte über das Seemonster rasch Aufmerksamkeit. Als Sayeth schließlich aus dem Haus kam hatte sich eine dichte Traube von Ankinu um Mira versammelt und diskutierte lebhaft deren Berichte. Mira bahnte sich einen Weg durch sie hindurch auf Sayeth zu.
"Guten Abend, Schlafmütze", grüßte sie sie, "Du siehst, ich habe hier ein paar Leute kennen gelernt. Und die drei da hinten sind Händler, die in unsere Richtung unterwegs sind. Sie fahren heute Abend weiter und würden uns mit nehmen, wenn wir wollen..."

Bei Miras Anblick lächelte Sayeth leicht.
"Händler? Klingt gut", meinte sie. Händler hatten meist viel zu berichten und dazu mit verschiedenster Ware zu tun. Möglicherweise würden sie mit ihnen etwas aushandeln können.
"Wie siehts aus … gibts Neues vom Seeungeheuer?"

"Aus unserer Richtung ist heute niemand angekommen, wie es scheint", verneinte Mira, "Insofern bin ich die einzige, die etwas darüber berichten konnte. Aber es gab wohl schon vor einer ganzen Weile weiter südlich die Küste hinunter Gerüchte, dass da etwas war. Kann schon sein, dass das unser Monster gewesen ist... Aber komm' erst mal mit, ich stell' dich den Händlern vor." Sie griff Sayeth am Handgelenk und zerrte sie durch die Ankinumenge hinüber zu Besagten.
Die Händler waren ein lustiger Haufen von Männern im mittleren Alter. Alle drei trugen sie dunkles Haar und dunkle Bärte und hatten sich in weite, luftige und nicht zuletzt auffallend bunte Kleidung gewandet, wie sie in der Gegend südwestlich von hier üblich war. Zwei von ihnen, Narell und Yomar, waren Brüder, der dritte, dessen Haar an den Schläfen bereits ergraute, ein Onkel, der sich als Omir vorstellte. Es war offenkundig, dass er es war, der in der kleinen Gruppe das Sagen hatte. "Kommt mit uns nach drinnen und esst einen Happen", lud er die beiden jungen Frauen ein, "Wir werden zusehen, heute Nacht so weit wie möglich zu kommen und nicht viel Rast einlegen. Besser, ihr stärkt euch jetzt bereits."

Aufmerksam musterte Sayeth die Männer, die sie heute Nacht mitnehmen würden.
"Danke", lächelte sie und ging mit ihnen rein. "Wie lange dauerts denn bis zur nächsten Ortschaft? Ich hab die Karte nicht mehr im Kopf.2

"Astaih können wir bis zum Morgen erreichen, wenn wir einen guten Weg machen", erklärte der, der sich als Yomar vorgestellt hatte während sein Onkel lautstark die Aufmerksamkeit des Wirts suchte und einen Tisch sowie zu Essen forderte. "Aber wir werden auf dem Weg durch zwei kleinere Dörfer kommen. Wenn es euch zu weit ist, dann könnt ihr auch dort schon ein Quartier suchen. Aber ihr solltet uns wirklich begleiten. Astaih lohnt sich zu sehen."

Sie nickte leicht. "Was gibts denn da zu sehen?", wollte sie wissen und band sich die Haare dann mal zurück, weil sie ihr immer wieder ins Gesicht hingen.
Sie hatte von der Ortschaft gehört. Aber eben nur gehört, da sie oftmals genau auf der anderen Seite der Insel gewesen war.
Das Essen kam bald und man setzte sich dann hin.

"Die Ruinen des Tempels unter dem Sand!", antwortete Mira, wenngleich die Frage nicht an sie gerichtet worden war, der Freundin, "Früher stand dort einmal ein Tempel, bevor die Stadt errichtet wurde. Aber inzwischen ist nichts mehr übrig außer den unterirdischen Gängen der alten Grabkammern und Katakomben unter dem Tempel."
"Aye", stimmte Omir ihr zu, "Und außerdem gibt es einen neuen, großen Tempel in der Stadt. Und ihr solltet euch den Markt von Astaih nicht entgehen lassen. Es gibt kaum einen anderen Ort in hundert Meilen Umkreis, wo ihr so viele exotische Dinge zu sehen bekommt..."

"Klingt wirklih sehr spannend", konnte sayeth nicht leugnen, was sie hörte.
"Ist dies etwa ebenjener Markt wo man euztezenschwämme kriegt?"
Diese Schwämme waren äusserst praktisch. Man konnte sie als zunder benutzen und man konnte sie essen. Sie schmeckte. Nach nichts, doch ie waren nahrhaft und leicht. Perfekt als wegzehrung geeignet.

"Was immer das Herz begehrt, junge Dame", pflichtete Yomar seinem Onkel zu, "Ich kann natürlich nicht sagen, wie es jetzt aussieht, aber im letzten Jahr zumindest gab es noch einen Händler, der Schwämme verkauft hat."
"Herr Wirt!", rief Omir mit befehlsgewohnter Stimme während die beiden jüngeren Männer noch mit den Mädchen schwatzten und hielt dabei eine Münze in die Höhe. Als der Mann an ihren Tisch geeilt kam beglich er die Rechnung und erhob sich dann. "Zum Plaudern ist noch genug Zeit wenn wir einmal unterwegs sind", verkündete er, "Aber wenn wir nicht bald aufbrechen, dann wird das nichts mehr heute Nacht. Also auf, auf, Burschen!"

Sayeth ging nach oben ins Zimmer und packte ihre restlichen Sachen, die sie dort gelassen hatte, zusammen.
Dann kam sie nach unten und gesellte sich wieder zu den Männern.
Frischen Mutes brachen sie auf. Sie machte es sich hinten auf dem Karren bequem.
"Und was für Dinge erlebt man als Händler?", wollte sie wissen.