[MSG-Thread] Zerbrochen

Als er fertig gegessen hatte, legte Teodelius die Füsse auf den Tisch und zog eine Pfeife, die er stopfte und dann mithilfe einer Kerze anzündete.
"Was meinst du, mein guter neuer Freund? Sollten wir ein paar Tage hier bleiben?", fragte er Narin. "Damit wir uns erholen können. Auch meinem Pferd würde es nicht schaden, ein wenig Ruhe zu haben. Die alte Mähre ist zwar ausdauernd, doch sie wird auch nicht mehr jünger."

" 'n Bürgermeister wird's hier wohl kaum geben...", erwiderte der alte Landsknecht verdrießlich brummend, "Wenn's hoch kommt 'n Schultheiß. Aber vermutlich nur 'n Dorfältesten oder Dorfvorsteher... und das ist dann ja wohl der Wirt. Aber selbst wenn's 'n Bürgermeister gäb würd' ich nich' zu dem hin und sagen, dass die Prinzessin da is'. Die jag'n uns doch direkt wieder aus'm Tor raus, wenn wir ihn' so komm'n..."
Valeria hatte der Diskussion zwischen ihren alten Begleiter und der neuen Mentorin zuerst schweigend, dann in wachsendem Zwiespalt beigewohnt. Sie konnte Yovalts Bedenken gut nachvollziehen. Sie stammten aus leidvollen Erfahrungen, die sie beide gemacht hatten. Gleichzeitig musste sie aber auch Saire recht geben: wenn sie ihre Identität verborgen hielt, dann würde sie nie etwas erreichen.
"Yovalt... bitte gehe und versuche diesen Mann zu finden", schaltete sie sich schließlich ein, "Bitte ihn, mir auf ein privates Wort Gesellschaft zu leisten. Du musst ihm nicht sofort sagen, wer ich bin." Der alte Diener schnaubte missmutig, verneigte sich dann jedoch knapp und machte sich auf den Weg. Valeria tauschte einen Blick mit Saire. Ob es das Richtige war, was sie getan hatte? Was sie zu tun gedachte?


Guter Freund? So weit war es also schon gekommen? Man mochte kaum meinen, dass sie gerade mal einen Tag gemeinsam auf der Straße verbracht hatten. Narin pulte sich mit einem Finger zwischen den Zähnen herum, wo etwas von seinem Essen hängen geblieben war. "Was dich angeht ist's natürlich deine Sache", nuschelte er unterdessen, "Aber ich werd' morgen weiter ziehen. Kein Grund für mich, hier zu bleiben. Will in die Stadt, zusehen, dass ich was zu tun kriege. Ein Mann muss sehen, wo er bleibt. Und ich bezweifle, dass ich irgendwas kann, was die hier gebrauchen könnten..." Nun, das war nicht ganz richtig. Er könnte auf den Feldern helfen. Er war einmal ein Bauer gewesen, vor gar nicht einmal allzu langer Zeit. Aber es kam ihm so unendlich fern vor. Wie aus einem anderen Leben. "Aber du musst natürlich nich' mit kommen. Ich komm' auch alleine klar, wenn's sein muss..."

"Hmm", machte Teodelius. Er legte den Kopf schief und musterte sein Gegenüber.
"Es liegt bei dir, zu entscheiden, ob ich mit dir kommen soll oder nicht. Aber ich würde dir ans Herz legen, dich zumindest morgen noch etwas auszuruhen und nicht gleich weiter zu ziehen. Ich bezahle auch."
Er lächelte und hoffte ihn damit überzeugt zu haben.

Für einen Moment zögerte Narin. Es war nicht wirklich so, dass es ihn geeilt hätte, nach Seeham zu kommen. Ob er einen Tag früher oder später eintraf, was machte es schon? Sicher, er musste über die Runden kommen, aber wenn Teodelius bereit war, für ihn zu bezahlen... Es war Narin schließlich keinenfalls fremd, seine Gefolgschaft zu verkaufen. Und wenn der Nekromant dafür bezahlte, dass Narin, der Söldner, mit ihm gemeinsam reiste, dann war das nichts weiter als ein Auftrag wie jeder andere auch. Im Grunde genau die Art Arbeit, die er in Seeham auch finden würde. Nur, dass er dort erst suchen musste. Das Angebot war zu gut um es auszuschlagen.
"Fein, dann rasten wir einen Tag", stimmte er zu, "Aber erwarte nicht, in diesem Kaff einen sonderlich angenehmen Tag zu verbringen. Zu tun oder zu sehen gibt es wenig und dass sie Fremden gegenüber hier nicht allzu aufgeschlossen sind haben wir ja bereits am Tor gesehen..."

Während sich Yovalt darum kümmerte, eine verantwortliche Person zu suchen, trat Saire näher an Valeria heran und berührte sie an der Schulter, um die Illusion an ihrem Körper zu befestigen. Es war keine auffällige Zauberei, sie hatte die Vorzüge der Prinzessin lediglich unterstrichen und nachteilhafte Stellen in den Hintergrund gerückt. Ihre Kleidung schien nicht mehr nass zu sein, stattdessen wirkten die Reisekleider neu und sauber. Ihre Haare sahen gepflegt, nicht mehr zerzaust und struppig, ihr Gesicht war voller, die Augen heller, die Lippen roter. Zufrieden trat sie wieder zurück und lächelte. Wenn der Bürgermeister oder Dorfvorsteher oder wen auch immer der Diener finden würde, sie sah, würde er nur Augen für die Prinzessin haben. Dennoch trat Saire einen Schritt zurück und gab Keijukainen mit einem Wink zu verstehen, das selbe zu tun.
"Seit selbstsicher, Prinzessin, und sagt, wer Ihr seid und was Ihr wollt. Erinnert Euch daran, Ihr seid seine Herrin", sagte die Priesterin zu Valeria und spann dann eine weitere Illusion, ein Verwirrungsschirm, der alles hinter der Prinzessin, inklusive der Halbriesin und Saire selbst, unauffälliger machen würde. Valeria würde vor diesem Hintergrund wortwörtlich hervorstechen.

"Nun. Ich habe vorhin eine kleine Friedstätte gesehen. Ich möchte ihr morgen einen Besuch abstatten", erklärte Teodelius.
"Aber schön, dass wir uns einigen konnten."
Er nahm einen Schluck Wein und seufzte glücklich.

"Lasst den Toten ihren Frieden", entgegnete Narin, wenngleich nicht mit Nachdruck. Es klang nicht wie ein Befehl, mehr wie ein bereits halb resignierender Ratschlag. Die Bekundung eines Mannes, dass er nicht gut hieß, was sein Gegenüber tun würde, ganz gleich, was er ihm sagte. "Sie haben ihr Leben gegeben für diesen Frieden, der uns auf dieser Welt verwehrt ist. Was sollen sie denn noch geben um endlich Frieden zu haben?"


Es dauerte eine Weile, doch dann kehrte Yovalt zurück, einen stämmigen, rotgesichtigen Mann mit stoppeligen Wangen und dünnem, schulterlangem Haar, das er halb unter einer Kappe verbarg, im Schlepptau. "Das ist Jorn, der Wirt und wichtigste Mann hier im Dorf", erklärte er Valeria, wie üblich eine leichte Verbeugung andeutend als er vor sie trat, "Jorn, das ist meine Herrin, Valeria Nort von Ferrenhal." Er wies mit ausgestreckter Rechter auf sie und trat dann respektvoll einen Schritt zur Seite, damit der Mann an Valerias Tisch heran treten konnte.
Valeria konnte spüren, wie ihr Herz bis zum Hals pochte. Das war der entscheidende Augenblick. Selbstsicher, hatte die Priesterin gesagt! Sie musste diesen unattraktiven Mann überzeugen, dass er ihr Gefolgschaft schuldete. Er und sein ganzes Dorf. "Ich grüße euch, Jorn. Bitte, setzt euch", trug sie mit fester Stimme und ausgesuchter Höflichkeit, die sie einem Mann seines Standes sonst kaum angedeihen hätte lassen, vor, was sie sich zurecht gelegt hatte, "Ich nehme an, ihr wisst, wer ich bin?"
Für einen Moment wirkte der Wirt verlegen, kratzte sich an seinem feisten Kinn. Es war offenkundig, dass er nicht recht wusste, wie er sich in solcher Gegenwart verhalten sollte. Das ließ Valeria neue Hoffnung schöpfen und drängte die Unsicherheit zurück. "Tochter des alten Herzogs", gab der Mann dann nuschelnd von sich.
"Und wart ihr treue Gefolgsleute meines Vaters?", hakte Valeria nach, Bestimmtheit in ihre Stimme legend.
" 'türlich", brummte der Wirt.
Valeria fiel auf, dass er es nicht zustande brachte, sie anzusehen, sondern stattdessen auffälliges Interesse an der Tischplatte zwischen ihnen entwickelt hatte. "Ich bin die einzige Überlebende meines Hauses", fuhr sie dennoch unbeirrt fort, all ihre Überzeugungskraft aufbringend, "Gemäß den Gesetzen der Thronfolge gehen Titel und Ansprüche meines Vaters mit seinem Tod somit auf mich über. Ich bin die rechtmäßige Herzogin von Ferrenhal. Sagt, Jorn: seid ihr auch mir treu?"
Wieder zögerte der Mann ehe er antwortete. Lange. " 's gibt 'nen neuen Herzog in Ferren jetz' ", sagte er schließlich, "Wir woll'n keinen Ärger hier..." Doch seine Worte klangen unsicher, wenig überzeugt.

Gespannt wartete Saire auf die nächsten Worte der Prinzessin. Eine solche Antwort war zu erwarten gewesen und auch wenn es falsch war, seinen rechtmässigen Herren gegen einen Usurpator auszutauschen, trieb Angst das einfache Volk zu erstaunlichen, aber auch unerfreulichen Dingen. Doch Hoffnung und ein Pflichtgefühl konnten die Angst vertreiben. Valeria musste es nur schaffen, diese Gefühle in dem Mann zu wecken. Er war eine Autorität und wenn er der Prinzessin folgte, würde andere es auch tun. Und wenn sich erst einmal herumsprach, dass die Erbin des alten Herzogs ihren Titel einforderte, würde es immer einfacher werden, die kleinen Dörfer hinter ihr zu versammeln. Der Wille des Volkes war eine Macht, die man nicht unterschätzen durfte.
Zur Sicherheit hob sie aber unauffällig die Hände und wirkte einen weiteren Zauber, der Valerias Haut ein wenig zum Glimmen brachte. Es war kein auffälliger Effekt und jemand, der sich nicht gut mit Magie auskannte oder solche Zauber schon oft gesehen hatte, würde nicht bemerken, was passierte. Er würde aber bemerken, dass die Prinzessin Autorität ausstrahlte, ja schier damit zu glühen schien...