Auftrag - Der Diamant in Sharaffa

Zur heißesten Stunde des Tages war Alexandra mit den Anderen Teilnehmern des Auftrags zum Händler zurückgekehrt, der sogleich den Aufbruch beschlossen hatte. Wieder hatte er das Mädchen stirnrunzelnd gemustert, ihm schien noch immer nicht klar zu sein, das es sich bei ihr um einen Vampir handelte. Alexandra vermied es, ihn anzusehen, sie würde sich einen Spaß daraus machen, ihn im Glauben zu lassen, sie wäre lediglich ein kluges Mädchen. Zur Tarnung - und um größte Hungergefühle zu schwächen - schleppte sie selber Wasser mit sich mit. Es wäre doch zu auffällig, wenn das Kind nie was trank und trotzdem putzmunter war...
Wie Alexandra erwartet hatte schaffte es die Karawane nicht mehr weit, bevor es zu dunkel war, um weiter zu reisen. Und bereits nach kurzer Zeit hatte sie das Gefühl, barfuß zu laufen, weil viel zu viel Sand zwischen die Sohlen ihrer Sandalen und ihre Füße kam. Umso erleichterter war sie, als die Karawane den ersten Halt machte. Während sie ihre eigene Lagerstätte aufschlug, überlegte sie, ob sie sich mit den Anderen Dornen treffen sollte, oder versuchen sollte, sich unter die Angestellten des Händlers zu mischen und dort vielleicht die ein oder andere interessante Sache zu erfahren...

Endlich konnte Zay das Kopftuch losbinden. Trotz der Stoffbahnen war Sand in ihre Haare geraten. Das war das nicht das schlimmste an der Wüste natürlich, aber es war das, was am öftesten störte. Sand geriet ständig überall hin, sogar in die Scheide ihres Schwertes. Da konnte der Sand sogar Schaden anrichten. Zay überprüfte ihre Klinge und leere den Sand aus der Scheide aus. Die Waffe musste ständig und schnell erreichbar sein, da konnte man sich keine Sekunde Verzögerung leisten.
Das Wasser in dem Wasserschlauch war unangenehm warm, aber Zay trank trotzdem. Man wusste nie, was alles schief gehen konnte. Und noch waren sie nahe genug an der Festung um auch im Falle einer Katastrophe zurück zu kommen.
Nachdem sich Zay das Kopftuch wieder umgebunden hatte schritt sie hinüber zu Alexandra, die ein wenig verloren herum stand.
"Hast du eine Karte oder ähnliches von der Route, die wir nehmen werden? Im Grunde ist es mir ja egal, aber wenn jemand verloren geht, sollte der Rest doch wenigstens trotzdem den Auftrag ausführen können."

Fjrgo hatte die meiste Zeit damit verbracht, blind zu folgen, um nicht unnötig Sand in die Augen zu kriegen, wenn eine Windbrise wieder einmal Körner aufwirbelte. Die andere Hälfte hatte er damit verbracht, die anderen in der Gruppe über die Lehren der Allmächtigen aufzuklären.
"Hach, jaaa. Jetzt wird es auch wieder ein wenig kälter. Das ist besser, das bin ich mir gewohnt. Wirklich kalt ist es ja nie, denn in den. Armen der Heiligen findet man. Immer. Einen Platz. An dem man sich. Wärmen kann. Genau hier drinnen", erzählte er dem armen Teufel, der in der Kolonie neben ihm hatte bleiben müssen und tippte sich auf die Brust.
"Auch wenn ich sagen muss.. ich hm. Vermisse den Schnee schon. Weisst du, der Schnee ist ein Geschenk. Der Allmächtigen. Ein.. kleiner Teil von. Ihr. Rein und unbefleckt. Bereit, an unserer Stelle. Die Sünden aufzunehmen. Und. Wegzuwaschen."

"Habe ich", antwortete das Vampirmädchen. "Also, theoretisch zumindest. Er hat mir gezeigt, wo wir lang wollen, aber eine eigene Karte habe ich leider nicht. Falls du eine Karte besitzt, könnte ich dir zeigen, welche Route geplant war. Wenn ich mich gerade recht entsinne, dann treffen wir morgen Abend auf eine Oase. Was ganz praktisch ist, irgendwie habe ich noch nicht so ganz raus, wie viel Wasser ich trinken kann, ohne das mein Schlauch zu schnell leer ist."
Sie betonte trinken absichtlich so, das erkennbar war, das sie nicht wirklich trinken meinte.
"Ich habe übrigens mal nachgezählt. Von den ursprünglichen Wachen sind nur noch acht kampffähig. Zwei werden irgendwo am Ende der Karawane mitgeschleppt und der Rest ist irgendwo aufer Strecke geblieben, als sie auf dem Weg nach Valant waren. Zusammen mit uns sechs sind wir also vierzehn Wachen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das im Zweifel reichen wird. Zumal ich nur bei dir und Fjrgo halbwegs weiß, das man sich auf euch verlassen kann. Selbst die anderen drei von uns kenne ich nicht so gut."
Nachdenklich musterte Alexandra die Waffe an Zays Seite.

"Hah!", schnaubte Zay und griff nach ihrer Tasche. Nachdem sie einen Schlüssel hervorgezaubert hatte, öffnete sie das Schloss an ihrer Tasche und holte eine Röhre hervor. Aus der Röhre klaubte sie wiederrum mit spitzen Fingern eine Karte, die sie dem Mädchen reichte. Karten mit einer solchen Genauigkeit waren selten und man musste sie sicher aufbewahren.
"Wenn ich mich nicht vertue, sind wir etwa hier", merkte Zay an und deutete auf einen Punkt auf der Hälfte zwischen Valant und der ersten Oase. Die Wüste zu durchqueren ohne Wasser aufzufüllen war beinahe unmöglich. Wo es keine Oasen gab hatte der Orden Zisternen gebaut. Einige davon waren schon ziemlich alt, aber sie funktionierten immer noch. Zay vermutete, dass hinter dem Füllstand der Zisternen eine Mischung aus den seltenen Regenfällen und Grundwasser steckte.
"Warum auch immer sie die Wachen mitschleppen. Es wäre besser gewesen sie in der Festung zu belassen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie die Reise überstehen. Alles mögliche könnte passieren."

"Vielleicht eine dumme Art von Pflichtbewusstsein. Oder Menschlichkeit."
Angewidert betonte sie das letzte Wort. Menschlichkeit... Viele Menschen vergaßen selber, das sie sie besaßen. Nicht, das sich Alexandra daran gestört hätte, aber diese Verurteilung ihres Wesens wegen etwas, was die Meisten selbst nicht anwendeten, ging ihr manchmal einfach gehörig auf den Strich.
"Wir könnten ihr Leiden verkürzen", meinte der Vampir ernst. "Allerdings bezweifel ich, das man uns nicht damit in Verbindung bringen würde. Insbesondere wenn auch nur Einer hier erkannt hat, was ich bin. Was vermutlich sogar der Fall ist, immerhin hätten sie mir während der Reise nur einmal in die Augen schauen müssen."
Sie sah sich kurz um.
"Wo sind eigentlich die Anderen von uns?"

Zay zuckte mit den Schultern. Es war anstrengend genug den Flohzirkus zu hüten, der sich selbst als Kinder bezeichnete. Die erwachsenen Mitglieder ihres Ordens konnten doch wohl auf sich selbst aufpassen. Kurz ließ sie den Blick über den Rest der Karawane streifen, wandte sich dann aber wieder der Karte zu, bevor sie diese sorgsam einrollte. Die Karte wurde wieder luftdicht verpackt und fand ihren Platz in der Satteltasche an Zays Pferd.
"Fjrgo beglückt vermutlich grade bei den Lasttieren weiter hinten irgendein armes Geschöpf, das sich nicht wehren kann, mit Geschichten über den Allmächtigen. Die anderen habe ich nicht gesehen. Aber wenn es Euch aufmuntert, Meisterin Alexandra: Es macht wohl kaum Unterschied, ob Ihr ein Schwarzmagier oder ein Vampir seid. Über beide erzählen sich die Einfältigen und Engstirnigen grausige Geschichten. Die Welt ist leider nicht so einfach, wie manche Leute sie gerne hätten. Nur Fanatiker oder Dumme sind nicht in der Lage die Grautöne zu sehen."

"Ha", lachte Alexandra trocken. "Nur mit dem Unterschied, das der meiste gesellschaftliche Abschaum Schwarzmagier akzeptieren kann, aber Vampire weiter fürchtet. Eigentlich ironisch... Sollte man nicht lieber jene fürchten, die ihr Dasein freiwillig gewählt haben? Ich glaube nicht, das es viele Leute gibt, die dazu gezwungen werden, Schwarzmagier zu sein. Ein Vampir zu werden hingegen ist selten ein freier Wunsch. Einfach, weil die meisten zu zimperlich sind, wider der menschlichen Natur zu handeln und sich dazu zu überwinden, menschliches Blut zu trinken. Dabei schmeckt das schon ziemlich gut."
Sie grinste.

"Ich fürchte meine Erfahrungen bezüglich dieses Themas belaufen sich gen null", erwiderte Zay trocken. Natürlich trank sie kein menschliches Blut, auch wenn ihre Schüler das gerne manchmal behaupteten. Aber das war eben das Schicksal jener, die versuchten anderen etwas beizubringen. Dankbarkeit spielte dabei nur selten eine Rolle.
"Die Magier untergehen zwar freiwillig einer Ausbildung, aber nur selten wird man jemanden treffen, dessen magisches Potenzial ungeschult geblieben ist. Diese Individuen stellen eine mindestens eben so große Gefahr dar, wie normale Schwarzmagier. Ich würde auch niemandem mein Schwert überlassen, der es nicht führen kann."
"Außerdem fürchten die Menschen das Unbekannte. Vampire verstehen sie nicht, genau wie Magie. Das wird wohl noch lange so bleiben. Aber macht Euch nichts daraus, Meisterin Alexandra. Die meisten Menschen meinen es nicht böse. Sie denken nur nicht lange genug darüber nach, ob jemand anders ihre Taten als böse aufnehmen konnte."

"Oh, sie verstehen Vampire immerhin weit genug, das sie wissen, das wir Blut zum überleben brauchen und uns dabei bevorzugt an menschlichem Blut laben."
Sie verschränkte die Arme.
"Es ist verständlich, das sie uns hassen. Und ich habe im Laufe meines Lebens gelernt, damit umzugehen." Sie legte leicht den Kopf schief. "Hast du das schon einmal erlebt? Das man dich hasst, bevor man dich überhaupt kennen gelernt hat? Das man dich hasst, weil du etwas bist, was du dir nicht ausgesucht hast zu sein?"

"Nein. Die meisten Menschen hassen mich für das, was ich mir ausgesucht habe zu sein. Lehrer oder beruflicher Meuchelmörder", gab Zay zurück und seufzte leise: "Meisterin Alexandra. Ihr macht Euch zu viele Gedanken über das, was andere von Euch denken. Welche Rolle spielt ein Bauerntrampel denn in Eurem Leben? Ungebildeter und ungewaschener Haufen, das Salz der Erde, sicherlich, aber am Ende? Am Ende sind sie nicht mehr als Kleckse auf dem Teppich des Schicksals. Das Muster sollte die Kleckse nicht hassen, nur weil es kurzzeitig überdeckt wird."
Jetzt musste Zay lachen.
"Das wurde jetzt ein bisschen philosophisch. Ich entschuldige mich dafür."