[MSG] Yeyes - On the Run

Kim blieb bei den anderen stehen und gönnte sich einen Moment des ausruhens. Er war nie sonderlich sportlich gewesen, und daher war er auch nicht gerade fit. Als John verkündete, eine Idee zu haben, schaute er ihm hinterher, sah, wie der Luft-Yeye die Aufmerksamkeit der Polizisten auf sich zog und ihnen davon rannte.
Das war sein toller Plan gewesen? Ein Ablenkungsmanöver? Darauf wäre er auch selbst gekommen. Aber egal, immerhin hatte er ihnen etwas Zeit verschafft. Gehetzt sah er zu Jasper, der ihre kleine Gruppe ja immer noch anführte. "Wohin jetzt?"

Ängstlich starrte Jason den Erdyeye an. Die Jugendlichen waren seine einzigen Freunde? Selbst sein Vater könnte gegen ihn sein? Das konnte einfach nicht wahr sein...Es durfte nicht wahr sein. Glücklicherweise wurde dieser Gedankengang unterbrochen, bevor er erneut die Kontrolle über seine Gefühle verlor, da ihn eine besorgt wirkende Frau ansprach. Perplex blickte er sie einen Moment lang an, bis Jasper das Reden übernahm und ihr eine Lüge auftischte. Anschließend liefen sie weiter durch die Menschenmenge und hielten erst einige Straßen weiter an, um etwas zu verschnaufen und vermutlich auf die anderen zu warten. Kurz nachdem alle da waren, rannte John schon wieder weg, um die Polizisten von ihnen abzulenken. "Wir könnten zu mir nach Hause." meinte Jason so leise, dass er sich kaum selbst verstand. Auch wenn er den Jugendlichen nicht traute, so waren sie anscheinend nur wegen ihm nun in Schwierigkeiten, da konnte er wenigstens etwas Hilfe anbieten.

Die Situation war gerade dabei gewesen sich ein wenig zu entspannen, als John beschloss, für ein furioses Ablenkungsmanöver zu sorgen. Jasper wusste nicht, ob er sich darüber freuen oder aufregen sollte. Mit starrem Blick dachte er über Jasons Angebot nach, seine Gedanken rasten, während er ihre Optionen durchspielte. Vor ihnen hielt eine Straßenbahn, und Jasper war sich einigermaßen sicher, dass sie an Jasons Wohnhaus vorbeifuhr. Die Richtung stimmte jedenfalls halbwegs, und eine Haltestelle war dort auch gewesen. Kurzentschlossen rief er den anderen zu, ihm zu folgen, und sprang in die Straßenbahn. John würde nachkommen müssen. Zum Glück hatten sie am Anfang des Ausflugs ihre Handynummern ausgetauscht – die offizielle Vorgehensweise schrieb das als Vorbereitung vor, und inzwischen war Jasper sogar dankbar dafür. Er würde ihm eine SMS schreiben, dass er so rasch wie möglich nachkommen sollte. Aus dem Fenster der Straßenbahn erblickte er, wie sich John gerade wieder von den Polizisten trennte, und er konnte nur noch hoffen, dass alles gut gehen würde, als die Straßenbahn um eine Kurve fuhr und die Fußgängerzone aus der Sicht verschwand. Rasch holte er sein Smartphone hervor – kein besonders Neues, aber jedenfalls ein zuverlässiges – und versuchte wie ein ganz normaler Teenager auszusehen, während er mit feuchten Fingern eine SMS an John zu tippen versuchte. "Ist dein Vater eigentlich zuhause?", fragte er dann Jason, ganz beiläufig, so hoffte er, denn hinter der aufgesetzten Ruhe war er mehr als nervös. Wenn der Vater da war würden die Dinge nur noch komplizierter werden.

Kim folgte den anderen in die Straßenbahn, behielt dabei aber John halbwegs im Auge. Er setzte sich so neben Jason, daß der zwischen ihm und Jasper saß, und versuchte wie dieser ruhig und unbeteiligt zu wirken. Es gelang ihm nicht sehr gut.
Zu Jasons Haus zu fahren, um dort unterzutauchen war sicher das vernünftigste, was sie jetzt tun konnten. Sie mußten ohnehin dorthin, um mit den Eltern des Jungen zu reden. Das würde jetzt noch schwerer werden als ohnehin schon, zumal sie keinen Lehrer als Begleitperson dabei hatten. Damals, als die Leute von der Schule zu Kims Familie gekommen waren, hatten sie einen Lehrer dabei gehabt, der sich mit seinen Eltern unterhalten hatte. Die Schüler, die mit dabei waren, hatten ihn währenddessen ein wenig abgelenkt.
Diesmal würden sie den Job des Lehrers mit übernehmen müssen. Es war leider nicht anders möglich gewesen, es war einfach kein Lehrer verfügbar, der diese Aufgabe hätte übernehmen können. Kim hoffte, daß sie es irgendwie schaffen konnten, Jasons Eltern zu überzeugen.

Wortlos folgte Jason den anderen in die Straßenbahn, die sie fast bis vor seine Haustür bringen würde. Bei Jaspers Frage wurde er kurz hellhörig. War es nur Zufall, dass sich der Jugendliche nur über seinen Vater erkundigt hatte oder wusste er etwas darüber? Überhaupt würde ihn interessieren, was sie alles über ihn wussten. "Nein, der muss noch arbeiten..." meinte er etwas lauter, als unbedingt nötig war. "...macht vermutlich Überstunden, um das gestern zu vergessen." fügte er wie in Gedanken flüsternd hinzu und schlug eine Hand vor den Mund, als ihm bewusst wurde, dass er es laut ausgesprochen hatte.

Sora war den anderen in die Straßenbahn gefolgt und blickte sich um. Hoffentlich würden sie nicht auffallen. Aber eigentlich müssten sie wie eine ganz normale Truppe von Jugendlichen aussehen, die sich getroffen hatten um etwas zu unternehmen. Sie entschied, dass die größte Gefahr erstmal vorbei war und entspannte sich etwas. John würde später sicher wieder auf die Gruppe stoßen, er würde bestimmt keine Probleme mit den Polizisten bekommen.
Nun konzentrierte sie sich wieder auf Jason und hörte gerade noch seine Antwort auf Jaspers Frage. Oh man, der Junge musste ja echt geschockt sein, von dem was gestern und heute passiert war. Und der Vater hatte das, was geschehen war, anscheinend auch noch mitbekommen. Irgendwie tat er Sora leid, wie er so dastand mit der Hand vor dem Mund und total verwirrt von der gesamten Situation. Am liebsten hätte sie Jason gefragt war den passiert war, doch dafür waren zu viele Menschen in der Nähe, deshalb beschloss sie zu warten, bis sie bei ihm zu Hause waren.

Die Straßenbahn fuhr schnell, und sie hatten das Glück, dass die Ampeln beinahe alle auf grün standen, als sie vorbeikamen. Schon nach ein paar Minuten waren sie bei der Haltestelle nur ein paar dutzend Meter von Jasons Haus entfernt angekommen. Jaspers schweißnasse Hand löste sich von der Haltestange, und rasch stieg er aus. John hatte noch nicht geantwortet. Ob es ihm gut ging? Es war mehr als riskant gewesen, einen Polizisten anzugreifen. Wenn sie ihn nun festnehmen konnten? …
Aber er hatte auch so genug Sorgen – nachdem er darauf geachtet hatte, dass alle mit ausgestiegen waren – vor allem Jason, von dem er noch immer einen Fluchtversuch für möglich hielt – machte er sich stracks auf den Weg zur Haustür, wo ihm erst aufging, dass er ohne einen Schlüssel nicht mal hier weiterkommen würde. Jedenfalls nicht, ohne seine Kräfte einzusetzen, und das war im Moment wohl so unangemessen wie es gerade noch ging.
"Jason, schließt du bitte auf? Und dann schnell in die Wohnung, ehe uns jemand sieht …"
Gehetzt sah er wieder die Straße in beide Richtungen hinab. Ein paar Fußgänger waren unterwegs, und wenn jemand eine Beschreibung der Truppe ausgegeben hätte hätten sie sicherlich bezeugen können, sie hier gesehen zu haben. Blieb nur zu hoffen, dass alle Anklagen gegen John laufen würden … Dann musste sich wenigstens nur einer versteckt halten.

Jason dachte nicht einmal daran, dass er eventuell fliehen konnte. Dafür war er zu sehr in Gedanken über seinen ungewollten Kommentar und seinen Vater versunken. Was würde geschehen, wenn nun auch er ihn verlassen musste? Wie würde sein Vater das aufnehmen und durchstehen? Konnte er ihn jetzt überhaupt alleine lassen? So abgelenkt bekam er erst nichtmal mit, dass die Straßenbahn ihre Haltestelle erreicht hatte, was sich nach einem leichten Ruck in Richtung der offenen Tür von einem der Jugendlichen änderte. Auf dem Weg zu seinem Haus kramte er bereits in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel und verdrehte bei Jaspers Aufforderung kurz die Augen. Natürlich würde er aufschließen...wie sollten sie sonst rein kommen? Wollten sie etwa die Tür eintreten? Er schob sich leicht an dem Erdyeye vorbei und verschaffte ihnen Eintritt in sein Zuhause, besser gesagt seinem kleinen Eingangszimmer mit einer Matte für die Schuhe und nem Schrank für Jacken und Mäntel. Schnell schlüpfte er aus seinen Schuhen hinaus -er war nie ein Freund von Schnürsenkeln gewesen und hatte deshalb fast nur Paare ohne diese- und öffnete die Tür in das Wohnzimmer. Ohne auf die Anderen zu warten ging er auf den großen Holztisch, der manchmal zum Essen verwendet wurde, zu und nahm ein einzelnes Bild in einem schwarzen Bilderrahmen in die Hand. Nachdem er es für einen Moment angesehen hatte, legte er den Rahmen flach auf den Tisch, sodass das Bild nicht mehr zu erkennen war, bevor er sich zu den Jugendlichen umdrehte. "Wo...wollte ihr was zu trinken?"

"Ein Wasser wäre nett," sagte Kim, der an den Türrahmen gelehnt stehen blieb. Jetzt, als sie - zumindest vorerst - in Sicherheit waren, fiel die Anspannung von ihm ab und wich einer Art von Resignation. Darüber, daß ihre Mission, den neuen Yeye unauffällig abzuholen, glorreich gescheitert war.
"War keine gute Idee, ihn mitten im Park anzusprechen," meinte Kim seufzend, als Jason Getränke holen ging. "Wir hätten damit rechnen müssen, daß er sein Yeye nicht beherrschen kann... und ausrastet." Er seufzte noch mal tief und wandte sich dann an Jasper. "Schon was neues von John?"

Die Polizisten war John an einer Kreuzung im Stadtinneren losgeworden. Der Verkehr hatte ihn und seine Verfolger getrennt, wenn auch John dennoch noch einige Ecken weiter gerannt war um sich sicher sein zu können den Häschern endgültig entgangen zu sein. Es wäre zwar bestimmt durchaus gute Unterhaltung gewesen einigen Rechtsverdrehern zu erklären was ihn geritten hatte, aber John war klar dass diese vermutlich eher wenig Humor verstanden. Ihm war der Ernst der Situation durchaus bewusst und er hoffte auch dass die anderen sein dummes Ablenkungsmanöver sinnvoll genutzt hatten, allerdings hatte John auch schon lange nicht mehr so viel Action erlebt wie an diesem nachmittag in der Stadt. Im Internat war alles immer dasselbe und so bereute John seine Entscheidung vom Morgen nicht mehr. Er hatte während der Flucht ein Vibrieren in seiner rechten Hosentasche gespürt und nahm an dass es sein Handy gewesen war. Vielleicht eine SMS von den anderen? Er griff in seine Tasche. Und ins Leere. Verdammt! John fluchte und für einen kurzen Moment dachte er tatsächlich nach anstatt einfach drauf los zu rennen. War es im aus der Tasche gefallen als er über die Mauer abgekürzt hatte? Oder doch in irgendeiner dieser Seitengassen?
John stürmte den Gehweg entlang. Etwas planlos, aber doch mit der Hoffnung irgendeinen Anhaltspunkt zu finden.

In Jasons Wohnung konnten sie einen Moment verschnaufen. Wahrscheinlich war jetzt alles vorbei: John würde wieder zurückkommen, sie würden sich ein paar Stunden bedeckt halten, bis niemand mehr auf ein paar Jugendliche achtete, und dann ging es ab ins Internat. Als Kim ihn nach Neuigkeiten von John fragte holte Jasper sein Smartphone aus der Tasche, ganz in der Erwartung, eine neue Meldung auf dem Schirm zu sehen – aber da war keine. Jasper runzelte die Stirn; anscheinend hatte John noch keine Gelegenheit gefunden, die Nachricht abzurufen. Was nicht sehr beruhigend war, aber auch kein Beinbruch.
"Nein … noch nichts von John. Ich frage mich, ob das Manöver eine gute Idee war."
In einer Mischung aus Langeweile und Nervosität sah Jasper aus dem Fenster, und fuhr überrascht zurück; unten auf der Straße fuhr langsam ein Polizeiwagen entlang, ohne Sirene, aber mit kreiselndem Blaulicht. Die konnten doch unmöglich nach ihnen suchen – oder? So einen Aufruhr hatten sie doch gar nicht gemacht …
Wenn er sich ein wenig vorbeugte und am Rahmen des Fensters vorbeilinste konnte er den Park sehen, in dem sie vor kurzer Zeit so ein Chaos angerichtet hatten. Sein Herz sank ihm in die Hose, als er sah, dass der Park ziemlich vollständig abgesperrt war, mit Flatterband und Baustellensperren. Es waren ziemlich viele Polizisten unterwegs. Einige in weißen Ganzkörperanzügen – vielleicht von der Spurensicherung – standen um den Baum herum, den Jason abgefackelt hatte. Allem Anschein nach nahmen die die Sache ziemlich ernst. Das Blaulicht flackerte immer noch über die Wände der Häuser, obwohl der Wagen schon lange hätte fort sein müssen; verwundert sah Jasper nach unten auf die Straße. Der Polizeiwagen hatte vor ihrem Haus angehalten. Vermutlich stiegen gerade in diesem Moment mehrere Beamte die Treppe zu Jasons Wohnung hinauf. Natürlich, schoss es Jasper durch den Kopf, irgendeiner der Zeugen würde den Jungen aus der Nachbarschaft schon identifiziert haben können.
"Ich glaube … Wir sollten gehen. Schnell. Durch einen Hinterausgang."
Tonlos wandte Jasper sich wieder an seine beiden Gefährten und Jason, der gerade wiederkam.
"Am besten über eine Feuerleiter oder so. Wir bekommen gerade Besuch."

Kim sah nervös auf, als Jasper etwas von Besuch sagte, und trat zu ihm ans Fenster. Sein Gesicht wurde weiß, als er den Streifenwagen auf der Straße sah.
"Oh Fuck!" entfuhr es ihm. "Das gibts doch nicht, wie haben die uns finden können?" Er merkte, wie Panik in ihm aufwallte. Was sollten sie denn tun, wenn die hier rein kamen? Erst jetzt drang Jaspers an Jason gerichtete Frage nach einem Hinterausgang zu ihm durch. Sein Blick fixierte den jüngeren, und er hoffte auf eine positive Antwort.

Oh man! Heute schien aber auch wirklich alles schief zu laufen! Aber eigentlich war es nicht sehr verwunderlich, dass die Polizisten hier nach ihnen suchen würden, schließlich wohnte Jason hier und der Park war direkt nebenan. Natürlich würde da einer der Augenzeugen ihn wieder erkennen. Schöne Scheiße! Und das John sich noch nicht gemeldet hatte verhieß auch nichts Gutes. Er würde doch wohl nicht geschnappt worden sein oder? Nein, das war doch eher unwahrscheinlich, schließlich war er ein Luft-Yeye und somit viel schneller als normale Menschen. Um ihn brauchten sie sich also wohl keine Sorgen zu machen, dafür aber um uns selbst. Sora stand auf, weil sie nicht mehr länger sitzen konnte, und ging zu Fenster hinüber. Vor dem Hauseingang stand der Polizeiwagen mit Blaulicht. Sie blickte hinüber zum Park, welche fast gänzlich abgesperrt war und von Polizisten und der Spurensicherung nur so wimmelte. Von hier zu verschwinden, ohne bemerkt zu werden, würde schwierig werden, selbst wenn es hier ein Hinterausgang geben würde. Dennoch hoffte sie inständig, dass es einen gab. Nun wandte sie ihren Blick ebenfalls zu Jason und wartete auf seine Antwort.

Es dauerte nicht lange ehe John den Weg zurück konstruiert hatte und nur nach wenigen Straßen, man kam erstaunlicherweise wesentlich schneller voran wenn man nicht durch zahlreiche Hinterhöfe rannte, erkannte er den vertrauten Park wieder der mittlerweile großflächig abgesperrt worden war, wenn auch die Polizei noch immer beschäftigt war die zahlreichen Schaulustigen fernzuhalten, die sich über das Szenario ergossen und den verbrannten Baum mit Blitzlichtgewittern von Handys und Kameras erleuchteten. John hielt sich in der Menge und hoffte mit nun wieder ins Gesicht gezogener Sonnenbrille nicht weiter aufzufallen. Natürlich war es unwahrscheinlich dass ihn jemand erkannte, aber gerade nach seinem "grandiosen" Ablenkungsmanöver war er sich da nicht mehr so sicher. Zwar war ihm noch immer nicht klar wohin die anderen gegangen waren, aber er hoffte irgendwie ein Bekanntes Gesicht zu sehen (auch wenn er sich das normalerweise zugegebenermaßen eher selten wünschte). Weiterhin planlos verschwand er in einer abgehenden Gasse die alsbald erneut auf einer größeren Straße endete und ihn vor einem vorbeirasenden Polizeiauto mit kreisendem Blaulicht zurückweichen ließ. "Verdammt" fluchte John entgegen seiner sonst so entspannten Natur "Wo sind die nur hin..."

Einige Sekunden lang sah Jason die drei Jugendlichen nur verwirrt an, als diese ihn anstarrten, nachdem er aus der Küche zurückgekehrt war. Wieso wollten sie schon wieder verschwinden? War es nicht besser, hier auf ihren Freund zu warten? Im nächsten Moment jedoch bemerkte er das Blaulicht vor dem Haus. Wie hatten sie sie so schnell gefunden? Hatte ihn jemand erkannt oder war der Luftyeye den Polizisten nicht entkommen? Egal was die Ursache war, so hatten die Anderen recht. Sie mussten so schnell wie möglich von hier verschwinden. So nickte er nur kurz, während er das mitgebrachte Wasserglas abstellte, bevor er sich umdrehte und auf die Fenster im hinteren Bereich des Wohnzimmers zuging. Er hatte zwar nie verstanden, wieso keine Tür zur Feuerleiter führte, doch im Moment war er auch mit dem Ausstieg aus dem Fenster zufrieden. "Was sollen wir jetzt machen?" wollte er vorzugsweise von Jasper wissen, als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

Mit fahrigen Fingern kletterte Jasper die Feuerleiter hinab, griff zweimal daneben, bis er schließlich unten auf dem Asphalt der Straße stand. Oben wehte der Wind das offene Fenster ein wenig in den Angeln hin und her. Es würde nicht unentdeckt bleiben, auf welchem Weg sie geflohen waren, also mussten sie rasch weiter. Vielleicht waren die Polizisten auch schon auf die Idee gekommen den Hintereingang zu sichern, und dann wären schon weitere von ihnen auf dem Weg hierher.
"Wir sollten abhauen. Wenn wir es zum Bahnhof schaffen kommen wir bestimmt wieder zurück zur Schule, und wenn wir erst mal da sind kümmert das hier niemanden mehr."
Jasper sah sich um, um die Orientierung wiederzufinden, dann lief er los. Er wusste, dass die Seitengasse, in die er jetzt einbog, erst einmal zwischen Wohnblöcken dahinlaufen würde, im Schatten der hohen Häuser, und schließlich in eine ruhige Straße wie die vor Jasons Haus münden. Wenn sie nur entkamen würden sie sicher unerkannt bleiben – die Polizei hatte sicher nur Jason auf dem Kieker, weil der nun vermisst wurde. Es wusste ja niemand, dass er aus freiem Willen und aus gutem Grund mit seinen "Entführern" gekommen war …
Jasper beschleunigte seinen Schritt wieder; er sah nicht, wie gerade zwei Polizeibeamte die Feuerleiter herabkletterten und bereits durch ihre Funkgeräte nach Unterstützung riefen, und auch nicht, wie eine kleine Truppe von Polizisten vom Park aus zur Straße hinter dem Wohnhaus zu rennen begann, aber er wollte so schnell wie möglich weg. Wenn ihm nur noch etwas einfallen würde, wie er John zurückholen könnte ...

Nun waren sie also wieder draußen auf der Straße, aber sicherer fühlte sich Kim deswegen nicht. Er machte sich gerade daran, den anderen zu folgen, als er über sich ein Geräusch hörte. Da - er konnte zwei Polizeibeamte auf der Feuerleiter sehen, die sie gerade selbst noch benutzt hatten! Waren die etwa aus dem selben Fenster gekommen?
Doch das war jetzt unwichtig, er schloß schnell zu Jasper auf. "Zwei Polizisten direkt hinter uns, auf der Feuerleiter!" meldete er aufgeregt.

I play along with the charade,
there doesn't seem to be a reason to change~
Die Autotür verursachte ein besorgniserregendes Quietschen, als Roth den Hebel betätigte und sich um die Fastfoodtüten in seinen Armen hinweg in den Innenraum des Polizeiwagens kämpfte, und er fragte sich, ob er seinen Vater fragen sollte, ob das speziell an diesem Wagen lag oder es mittlerweile Standard war, Bruchbuden zu fahren, wenn man sich freiwillig dazu meldete, die Verbrecher dieser Stadt zu bekämpfen. Hätte es sich um ein paar Schusslöcher gehandelt, die für die Sache mit der Bruchbude sorgten, hätte er ja nichts gesagt, aber er hatte leider insgeheim den Verdacht, dass der arme Wagen durch das Gewicht von mit zu viel Fastfood gefüllten Hintern aus den Leim gegangen war. Für einen Augenblick schaute er unschlüssig auf seine nach Burger riechende Tüte, machte den Mund auf, schloss ihn aber gleich wieder, als er in den verurteilenden Blick seines auf der Fahrerseite sitzenden Erzeugers schaute. Vielleicht war es der Ausdruck seiner Augen, vielleicht auch die Uniform, die ein Fünkchen an Respekt zündete, doch der Teenager stieg ein und lächelte das unschuldigte Lächeln, das er hinbekam, während er immernoch das Essen auf dem Schoß hortete und versuchte, sich anzuschnallen, ohne seine Jeans in Coke zu taufen. Er nahm das eisige Schweigen neben sich erst ein paar Sekunden später zur Kenntnis, das ihn von ungefähr zehn Zentimeter Entfernung begegnete, drehte sich allerdings mit der ihm passend erscheinenden Gelassenheit eines Horrorfilmdarstellers um, der gerade dem Tod ins Auge blickt.
„Was?“
„Du musst wieder aussteigen, es kam gerade ein Funkspruch und ich muss los.“ Sein Vater grabschte nach seiner Cola und seiner Tüte, doch er schlang die Arme darum, als wäre es ein Baby, das er beschützen musste, wobei er den Mund öffnete und die Augenbrauen zusammenzog.
„Was?! Wieso hast du gewartet bis ich im Auto und angeschnallt war? Du kannst nicht einfach meinen Mitarbeiterrabatt ausnutzen und dann deinen Sohn rauswerfen. Was ist überhaupt passiert?“
„Es gab eine Explosion im Park und ein paar der mutmaßlichen Täter sind gesichtet worden.“ Sofort entspannte sich das Stirnrunzeln und machte einem interessiertem Gesichtsausdruck Platz. Der Polizist neben ihm schüttelte langsam den Kopf.
„Wo?“
„Nein, Karl ...“
„Roth.“
„Okay. Roth. Was ist diese Sache mit dem Namen eigentlich in letzter Zeit?“ Wieder bewegte sich die Hand zum Fastfood, doch der Junge bewegte sich erneut weg.
„Oh mein Gott … Guckst du kein Youtube? Ernsthaft, hast du eine Ahnung wie oft ich im letzten Jahr mit einem Lama verglichen wurde, hm? Es ist deine Schuld, wenn du mich so nennst. Aber was erwarte ich von jemanden, der Rick Springfield so laut hört, dass das McDonald's da hinten wahrscheinlich schon wieder ins Jahr 1981 revertiert ist! Gab es da überhaupt McDonald's? Wo ging man in den 80ern hin, wenn man ...“ Er hielt inne, weil sich der Arm seines Vaters diesmal über seinen Schoß bewegte und die Tür zu seiner Seite aufstieß, was eine kühle Brise hineinließ und den unverwechselbaren Duft eines öffentlichen Parkplatzes in den Wagen trug.
„Raus. Du gehst direkt nach Hause, verstanden? Ich rufe dich in ein paar Stunden an und wenn ich da nicht das Geräusch der Kaffeemaschine hinter dir höre, kriegst du etwas zu hören. Erinnere mich daran, mit dir über deine Koffeinsucht zu reden ...“
Roth schnallte sich wieder ab und entstieg dem Wagen mit beiden Fastfoodtüten, weil er fand, dass sein Vater auf sein Gewicht achten sollte und er außerdem nicht allzu glücklich darüber war, einfach so rausgeworfen zu werden. „Es ist nur Kaffee, Papa. Alle trinken das.“
Das leise Quietschen der halb kaputten Polizeiautoreifen zerschnitt sein Trommelfell, dann entfernte sich der Wagen im rasanten Tempo von seiner schmächtigen Gestalt und kurvte die Ausfahrt entlang, bis man ihn nicht mehr von dort, wo er stand, sehen konnte. Nach einer Sekunde kramte er sein Handy aus der Hosentasche und blickte erwartungsvoll auf das Display. Zwei Sekunden später klingelten die Bee Gees über den Parkplatz.
„Ja.“
„Ich hab dich lieb.“
„Ja.“
„Ich meine es ernst. Bleib zuhause.“
„Verstanden. Ich werde nach Hause laufen und den ganzen Tag zockend in meinem Zimmer verbringen.“

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"Ich werde sowas von nicht den ganzen Tag zocken, wenn hier die Hölle los ist."
Roth warf sich seine Jacke über, während er das Haus verließ und die Melodie von Jessie's Girl summte. Sein Blick glitt zu beiden Seiten die Straße entlang, doch die Stadt schien wie ausgestorben, wenn man mal die erstaunliche Menge an Streifenwägen ignorierte, die an ihm vorbeigefahren waren. Gerne hätte er ja eine Waffe mitgenommen, doch an solche Dinge kam er nicht heran, also musste sein Taschenmesser und sein ebenso scharfer Verstand ausreichen. Es passierte hier so selten etwas, deshalb wurden alle Polizisten immer fetter! Aber man konnte doch nicht im Ernst verlangen, dass er in der Sicherheit seines Hauses verblieb, wenn sich eine derart geniale Chance bot, irgendwelche Terroristen zu beobachten, oder? Er wusste nicht wirklich, wie sie aussahen und was sie überhaupt getan hatten, aber wenn man eine Bombe in einem öffentlichem Gelände detonierte, war das wohl ziemlich nah an Terrorismus dran. Stand wahrscheinlich in der Jobbeschreibung. Seien Sie ein skurpelloser Mörder und legen Sie gefährliche Massenvernichtungswaffen in Parks! Er musste aufhören, Kaffee zu trinken. Seine Hände zitterten und sein schwach nach Burger riechender Atem ging viel zu schnell, während er sich an Hauswänden duckte und in Seitengassen schlich. Wo würden sich Verbrecher wohl aufhalten, wenn sie sich verstecken wollten? Vielleicht konnte er ein paar Handyfotos machen und so die Ermittlungen vorantreiben ... Hm. Wie funktionierte das mit den Straftaten, wie machte man sich verdächtig? War es verdächtig, wenn man ... wenn man ... eine Feuerleiter hinabkletterte und dabei von Polizisten verfolgt wurde?! "Heilige Schaaa..." Roth würgte sich selbst ab, indem er sich die Hände auf den Mund presste und sich mit einer fabulösen, armwedelnden Pirouette in eine Gasse zwirbelte. Die Typen sahen noch so jung aus ... Waren das die Verbrecher? Vielleicht hätte er sich das mit der Verfolgung etwas besser überlegen sollen - wenn sie den Cops entkamen, würden sie mit Sicherheit irgendwo Deckung suchen und was, wenn sie ihn fanden und als Geisel nahmen?! Kurzum beschloss er, sich so gut wie möglich zu verstecken, und presste dabei den Rücken gebannt an die nächstgelegene Mauer. Irgendwie lief das viel bedrohlicher ab, als er sich das vorgestellt hatte ...

Nur kurz drehte sich Jasper um, um nach den Polizisten zu sehen, dann lief er los. Den Männern war wohl schon klar, dass sie den Gesuchten knapp auf den Fersen sein mussten, also wollte er lieber außer Sicht sein, ehe die Männer unten angekommen waren und nach ihnen Ausschau halten würden. Wenn sie bis dahin um ein paar Ecken waren …
In der Hoffnung, dass ihm die Anderen schon folgen würden, rannte er los, und hielt beinahe sofort wieder an, als er ins Gesicht eines Jungen starrte, der sich um die Ecke verborgen gehalten hatte. Verborgen gehalten oder nur herumgelungert? Etwas lag in seiner Haltung … Rasch blickte Jasper wieder weg und lief weiter. Ob er in seinem Gesicht etwas gesehen hatte? Und was? Angst, Entschlossenheit, vielleicht Verzweiflung?
Er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, musste weiter. Er kannte einen Ort, an den sie vorerst einmal fliehen konnten. Vor mehr als einem Jahr hatte er ihn entdeckt, auf einer Tour wie dieser, und jetzt war er gerade verzweifelt genug, um selbst auf diese beinahe närrische Gelegenheit einzugehen. Immerhin wurde es schon dunkler, noch ein paar Stunden und es würde Nacht sein. Und in der Nacht, da war er sich sicher, würden sie die Suche nach ein paar jugendlichen Randalierern schon abbrechen.

Kim lief schnell hinter Jasper her - wofür er sich nicht allzu sehr anstrengen mußte, denn Erd-Yeyes waren nun mal nicht die allerschnellsten - und wollte zu ihm aufholen. Auch er entdeckte den anderen Jungen, der hinter einer Hausecke stand, maß ihm aber im Augenblick keine besondere Bedeutung zu. Er sah, daß der Junge keine Polizeiuniform trug, und das machte ihn für den Moment uninteressant.
Er lief schnell weiter und direkt neben den Anführer ihrer Gruppe. "Hast du ne Idee, wo wir hin wollen?" fragte er, ein wenig atemlos klingend.

John schlich vorsichtig um den Polizeiwagen herum und was ihm zunächst als ein weiterer Akt von herausragender Dummheit erschien, erwies sich als echter Glücksgriff als er den Block umrundete und nur einige Häuser weiter zusehen konnte wie einige wohl vertraute Gesichter einen Gebäudekomplex per Feuerleiter verließen. Er dachte einen Moment nach ihnen einfach unauffällig zu folgen und dann aus dem Nichts aufzutauchen, aber selbst John schien ein derartig lapidarer Scherz in diesem Moment unangemessen. Vermutlich suchte die ganze Stadt nach ihnen. Er freute sich schon wie Jasper das später im Internat erklären würde, schließlich hatte er sich doch zum Anführer dieser Mission erkoren. Mit weiterhin ins Gesicht gezogener Sonnenbrille strich er sich wiederholt das blonde Haar zur Seite und war bemüht möglichst lässig auf die fliehende Gruppe zuzuhalten. Auch wenn John es nicht zugeben würde, auch ihm war das ganze Geschehen nicht vollkommen geheuer. Natürlich fand eine ganze Menge an Unterhaltung Platz, die John so sogar bei einem seiner unerlaubten Ausflüge während derartiger Unternehmen vergeblich gesucht hätte, andererseits aber waren sie in diesem Moment sowas wie Terroristen und sie konnten nur hoffen dass niemand irgendwelche Aussagekräftigen Bilder geschossen und sie schnell genug entkommen waren. Zumindest hatte er seine Gruppe wiedergefunden. Als er geradeaus die letzte Straßenecke passierte um endlich Aufschluss zu finden, war John so in Gedanken versunken gewesen dass er beinahe zu spät bemerkte wie er beinahe in einen schlacksigen Jungen gerannt wäre, der etwa gleich alt schien wie er selbst, vielleicht etwas jünger und der, was Johns Aufmerksamkeit urplötzlich weckte, verdächtig konzentriert in Richtung seiner Schulkameraden gestarrt hatte und dabei wohl gehofft hatte unbemerkt zu bleiben, was ihm bis zu diesem Moment auch gelungen zu sein schien.

Roth war cool. Er wurde entdeckt und ignoriert, doch er ließ sich nicht viel davon anmerken, stand einfach nur mit dem Rücken gegen die Mauer gepresst da und wartete darauf, dass etwas geschah, was seine Teilnahme erforderte. Es konnte aber auch daran liegen, dass er vor Furcht gelähmt war und die wenigen Muskeln in seinem Körper gerade auf Hochtouren liefen, um die Kontrolle über seine Blase zu behalten, die sich im Moment geradezu schmerzhaft voll anfühlte. Man wusste es nicht. Der Junge zitterte am ganzen Leibe, während sein Herz mit seinen Eingeweiden Flipper spielte und verfluchte zum tausendtem Mal, dass er so ein neugieriger Idiot war. Normale Jugendliche hockten Zuhause herum und sauften sich ins Koma, aber was tat er? In Ermangelung von unternehmungslustigen Freunden versuchte er die Welt zu retten, obwohl er in etwa so nützlich wie Aquaman in der Wüste war. Seine gesamte Körperbeherrschung ging dafür drauf, dass er sich nicht in die Hosen machte – was für ein Held war man da bitte? Er konnte von Glück reden, dass diese Terroristen ihn nicht für eine Bedrohung hielten, sonst würden sie vermutlich versuchen, ihn abzumurksen und er konnte es ihnen eigentlich nicht verübeln. Man zertrat ja schließlich auch Kakerlaken oder Spinnen. Zum Glück hatte er sich nicht die vollkommene Blöße gegeben … Bis er etwa einen Meter aus dem Stand in die Luft sprang, laut kreischte und mit den Armen wedelte, als wäre er ein Hühnchen, das man aufgeschreckt hatte. Er hatte sich so auf das vor ihm Liegende konzentriert, dass der Hintergrund ihm komplett entgangen war. Und mit ihm ein Junge mit Sonnenbrille, der sich wahrscheinlich nicht einmal wirklich angeschlichen hatte, aber nun definitiv schuldig war, dass er die Aufmerksamkeit der halben Stadt auf sich gezogen hatte. „Oh mein Gott, töte mich nicht!“, entschlüpfte es seinem losem Mundwerk schon, bevor er überhaupt sicher war, was das für ein Typ war. Unter Umständen ein Nachzügler oder einfach ein Schaulustiger wie er. Oder sein Tod. Wie hoch standen wohl seine Chancen, dass er vor dem weglaufen konnte?

Als Jasper zum ersten Mal wieder zurückblickte waren die Polizisten bereits auf dem Boden und sahen sich um. Aber sie rannten noch nicht, vor allem nicht auf sie zu. Jasper schrieb das dem glücklichen Umstand zu, dass sie im Schatten einer Mietskaserne waren. Er wollte schon weiterlaufen, da sah er noch einmal hin – und da waren zwei Jungen anstatt von dem einen, an dem sie gerade vorbeigelaufen waren. Auf die Entfernung erkannte Jasper nicht, wer der zweite war, aber vom Haarschopf konnte es wohl vielleicht John sein …
Aber warum hielt er sich bei dem Unbekannten auf? Leise fluchte Jasper und lief weiter. Sie konnten nicht bleiben, aber jetzt, wo John zurück schien, mussten sie irgendwo warten. Rastlos flitzte Jaspers Blick über die Wälle links und rechts, und schließlich fiel er auf etwas Vielversprechendes. Ein niedriger Wall, eine schmutzige Betonmauer, hinter der eine Art Vorgarten vor sich hin vegetierte, eine kuriose Ansammlung von Gräsern und Löwenzahn, hier eine Mülltonne, da eine Plastiktüte. Mit einem für einen Erdyeye wirklich überraschend akrobatischen Sprung setzte Jasper über die Mauer und verbarg sich dahinter. Wenn John vorbeikam würden sie sich bemerkbar machen, wenn dagegen nur die Polizisten kamen würden sie sich verbergen … So gut sie eben konnten. Von hier aus mussten sie noch eine ganze Strecke laufen … es würde wohl Nacht werden, bevor sie ankamen. Oder vielleicht konnten sie die Straßenbahn noch ein Stück nehmen und abkürzen? Oder war das schon zu riskant?

Kim hatte keine großen Probleme, mit Jasper Schritt zu halten, doch sein Sprung über den Zaun fiel wesentlich weniger elegant aus als der des Anführers. Eigentlich sogar wesentlich weniger elegant, als er sich das vorgestellt hatte. Zwischen der Vorstellung und der Realität klaffte halt doch hin und wieder ein Abgrund von der Breite des Ärmelkanals. Aber gut, Hauptsache, er war drüben.
Ein wenig neidisch beobachtete er, wie Sora und sogar Jason problemloser über den Zaun gelangten. Hinter der Mauer machte er sich so klein wie möglich; er hätte am liebsten nach John gesehen, aber er hatte zu große Angst, daß die Polizisten sie entdecken würden.
Kim hatte wirklich keine Ahnung, was sie jetzt tun sollten; unter Druck war er in der Regel kaum zu gebrauchen, und in dieser Situation standen sie unter großem Druck. Er konnte nur hoffen, daß Jasper wußte, was er tat, und daß alles gut ausgehen würde.

John blickte den Jungen aus den verdunkelten Gläsern seiner Brille erstaunt an, stets bemüht sich nichts anmerken zu lassen. Gerade setzte er zu einer Antwort an, wenn auch er sich in diesem Moment noch nicht sicher war ob sie wohl ernsthaft oder sarkastisch ausfallen würde, als ein Polizeiwagen mit hohem Tempo an ihnen vorbeiraste und John den fehlenden Anzeichen zum Trotz das Gefühl beschlich es könnte jener von um die Ecke sein, mit Beamten am Steuer die wussten wer er war. Für einen kurzen Moment war da wieder diese verzweifelte Unwissenheit dessen was kommen würde, eine Gefühlsregung mit der sich John ansonsten eher selten zu beschäftigen hatte. Dann aber erschien auf seinen Zügen wieder das schelmische Lächeln eines Wind-Yeye und seine Hand strich ein weiteres Mal, gleich einer Art Ritual die Haare aus seinem Gesicht. "Sei bitte still." bat John und wusste dass er ob der Umstände viel zu freundlich war. "Hier tut dir keiner was, aber sei still." Der Junge starrte ihn nach wie vor an. Just in diesem Moment spürte er eine unsanfte Berührung auf seiner rechten Schulter, gleich einer zupackenden Hand. Er fuhr herum. Ein Polizist mittleren Alters mit einem lächerlichen schwarzen Schnurrbart starrte ihn an, beinahe als würde er ihn in seinen Gedanken mit einem Bild abgleichen. Zu dessen Linken erschien ein weiterer Mann, ebenfalls in die typische Uniform der hiesigen Polizei gekleidet und sein kantiges Gesicht mit einer markanten Nase von blondem Haar umrankt. "Entschuldige bitte." sagte einer der Männer. "Wer hat hier gerufen?" Johns Blick wanderte von den Polizisten zurück zu dem fremden Jungen. "Verdammt." fluchte er leise. "Was ist hier los?" verlangte der Kollege des Schwarzhaarigen mit dem südländischen Aussehen zu wissen und machte dabei mit seiner strengen, befehlsgewohnten Aufforderung seine Machtposition deutlich. Seine Hand ruhte an seinem Gürtel und John vermutete dort eine Pistole, wenn auch er es nicht wagte auffällig hinunter zu blicken. Doch zu seinem Entsetzen schwieg der Junge hinter ihm zunächst, entkräftete keine der Vorwürfe die die Polizisten in diesem Moment sicherlich machten. Dann war da plötzlich ein Funkeln von Erkenntnis in den Augen des Mannes mit den markanten Gesichtszügen. "Ist das nicht..." John wandte sich ab und stürzte die Straße hinunter. Stimmen brüllten in seinem Rücken. "Stehen bleiben oder..." Er beschleunigte seinen Körper auf ein beinahe unmenschliches Maß und wieder entrann seiner Kehle ein wildes Lachen, wie es der Situation eigentlich unangemessen war, im Kopf des Yeye aber nur mehr Spaß versprach. Noch immer fühlte er sich nicht vollkommen fähig den Ernst der Sache zu akzeptieren. Dann mit einem Mal ein Knall. Jäher Schmerz an seinem rechten Bein und der harte Asphalt. Noch nie war er in dieser Form gestoppt worden, noch nie hatte derartiger schmerz seinen Körper geflutet. Das Lachen wich einem Gurgeln und dann einem einzigen Schrei. Er lag auf dem Boden, bemühte sich Orientierung und Halt zu finden, doch sein Gesicht brannte von dem Aufprall, den er mit Händen abzufangen nicht mehr in der Lage gewesen war und so kniff er die Augen weiter zusammen. Doch schlimmer als das brennen der Schürfwunden, war der Schmerz in seinem Bein und die warme Flüssigkeit die seine Jeans langsam aber sich in ein dunkles Blau verfärbte. Dann waren da wieder Schritte. Jemand rief, doch der Yeye war nicht mehr in der Lage zu verstehen. Die Schritte kamen näher und John schloss einfach die Augen.