GQ - [Die MSG]

Neythani hatte sich etwas entfernt und sah etwas traurig aus. "Ich wollte doch nur helfen," murmelte sie leise, dann wandte sie sich dem Banditen zu und passte auf, das er nicht verschwinden konnte. Ein Heiler kümmerte sich um Amun und wickelte verbände um dessen Brust. Bald würden sie aufbrechen müssen um Finn zu suchen.

"Aye", stimmte Aldred dem Vogelmann zu, "Müssen wir. Aber du nicht. Du bist in keiner Verfassung für weitere Abenteuer, Amun'Raak. Wir finden dir ein gutes Gasthaus, wo wir dich unterbringen können. Du brauchst Ruhe. Schonung. Wir anderen holen Finn zurück." Wir anderen, das waren, wie Aldred schmerzlich feststellen musste, nur noch Neythani und er selbst. Tristan war auf und davon und ihm jetzt noch hinterher zu kommen, sei es um ihm zu helfen, sei es um ihn zurück zu holen, daran war nicht mehr zu denken. Und auch Trevin war wie vom Erdboden verschluckt. Zumindest aus letzterem zog Aldred eine gewisse Hoffnung. Solange Trevin fort war, war die Wahrscheinlichkeit gering, dass man sie für den Mord an den Paladinen zur Rechenschaft ziehen würde. Diese Gefahr bestand schließlich ebenfalls. Und gegen die ganze gerüstete Macht Kilaths hatten sie keine Chance zu bestehen. Schon jetzt stimmte der Gedanke, die Anhänger Reijas könnten Amun'Raak gefangen nehmen, wenn sie ihn in einem Gasthof zurück ließen, Aldred höchst sorgenvoll. Aber es war ausgeschlossen, dass der Avior sie begleitete. Nicht in seinem Zustand. Am liebsten hätte Aldred ihm Neythani als Wächterin zurück gelassen, aber ihm war durchaus bewusst, dass er ihre Hilfe wohl eher benötigen würde, wenn er Finn befreien wollte. Noch mindestens zwei der Entführer waren schließlich dort draußen. Es war nicht unwahrscheinlich, dass sie erneut auf diese trafen, wenn sie sich zu deren Versteck führen ließen. Immerhin bestand die Hoffnung, dass sie so auch Tristan wieder fanden. Falls diese Kerle ihn denn hatten. Und wenn er noch lebte.
"Neythani, binde dem Drecksack dort doch mal die Hände. Und dann sieh zu, dass du ihn aufgeweckt bekommst", wandte er sich erneut an die Katzenfrau, "Und dann lass uns zusehen, dass wir von der Straße fort kommen."

Zum ersten Mal seit er aufgewacht war, nahm Finn einen tiefen Atemzug. Er hatte versucht, so flach und wenig zu atmen, weil die Luft so abgestanden war. Nun zog sie einen sanften Kreis, den anderen Jungen im Zentrum. Luft.
„Luft“, sagte Finn und nahm noch einmal einen tiefen Atemzug, solange der Zauber anhielt. Er überlegte bereits, wie sie das nutzen konnten. Luftzauber waren nicht selten im Norden und er hatte in der Bibliothek der Letzten Stadt ein Buch gefunden, das nur Luftzauber enthielt, auch wenn es ein dünner Band war. Welche Zauber konnte der Junge überhaupt wirken, ohne jegliche magische Erfahrung? Bis jetzt hatte er sich ganz gut geschlagen, aber wahrscheinlich spürte er die Erschöpfung schon, besonders nach dem Elementzauber. Sie mussten einen Weg aus diesem Keller rausfinden und sich dann wahrscheinlich erstmal verstecken.
„O… okay, Luft. Lu… Luft ist gut, mi… mit Luft können wir arbeit… arbeiten“, begann er. Er atmete tief durch – die frische Luft war schon merkbar aufgebraucht – und erinnerte sich an die Einleitung von Künste der Stürme – eine Einführung. „Luft, das Element des Atems und der Stürme. Luft kann Zerstörung bringen, aber auch Freiheit und Freude und es ist eines der grundlegendsten Elemente Ruthas. Du kannst dich glücklich schätzen, wenn du das Element der Luft in dir trägst, denn es ist eines der vielfältigsten und nützlichsten Elemente. Ei… ein Zauber, de… der uns rausbri… bringt, ich glau… glaube, das so… sollte klappen. Wie der Wind. Es ist möglich, für kurze Zeit selbst zu Wind zu werden. Als erste Übung werden wir versuchen, einen Teil unseres Körpers in eine Windform zu verschieben, so dass Dinge durchpassieren können.“
Finn sagte die entsprechenden Worte silbenweise auf und blickte den Jungen dann erwartungsvoll an.

Neythani fesselte den Banditen, dabei warf sie einen neugierigen Blick auf die gerüstete Frau, die ihnen helfen wollte.
Sie hatte ganz vergessen, das die auch da gewesen war. Aber sie musste sich erstmal um den Banditen kümmern, bevor sie sich um die Frau kümmern konnte. Sie schlug dem Kerl etwas gegen die Wangen um ihn wach zu kriegen. "Hey, wach auf. Wir haben Fragen an dich, " sprach sie zu dem Kerl. Sie hatte ihm auch die Beine zusammen gebunden, damit er sie nicht treten konnte.

Die Kellertür öffnete sich und ein grosser, schlanker Mann trat ein. Sein langes seidiges Haar umrahmte sein arg feminin anmutendes Gesicht.
"Ihr solltet besser still sein", sagte er mit seidenweicher Stimme. In seiner Hand lag ein Degen.
"Muss ich euch bewusstlos schlagen?"

"Recht...hast du, Freund...Eisbärmann", gestand Amun. Ungern, wie er zugeben musste. Aber er war definitiv in keiner Verfassung zum Kämpfen. So nutzlos hatte er sich noch nie gefühlt. Aber er war selbst daran schuld. Der Heiler bot sich unterdessen an Amun in einen Gasthof zu begleiten. Vermutlich versprach er sich mehr Geld von einer längeren Behandlung oder aber er wollte einfach helfen. Wer wusste das schon?
In jedem Fall schaffte es Amun mit Unterstützung des Heilers auf zwei wackeligen Beinen zu stehen und sogar langsam zu laufen.
"Macht...euch keine Sorgen. Werde...werde schon zurecht kommen. Heh", ermutigte Amun noch schnell die verbliebenen beiden Mitglieder der Gruppe, bevor er langsam, sich an der Schulter des Heilers festhaltend, davontrottete.

Zeckker war richtig, richtig stolz auf sich, als auch er kapierte, dass tatsächlich er das gerade gewesen war und der Zauber funktioniert hatte. Luft also? Luft und Wind, das war doch super. Er mochte Wind, vor allem, wenn er sein Haar zerwühlte und das dann so schön sich bewegte.
Diesmal hörte er dem Jungen auch tatsächlich ganz genau zu und gab keine blöden Kommentare ab. Immerhin ging es hier um ihn, da musste er schon aufpassen. Bei der Wahl des Zaubers für den Wind grinste er breit.
"So etwas ist möglich, sogar für mich? Ich meine, das ist unglaublich! Kaum vorstellbar!"
Er hörte sich auch Finns Formel an und begann dann, die Worte möglichst genau zu widerholen, auch wenn er immer noch Hunger hatte und müde war und unterkühlt. Er hatte ein richtiges Stechen im Bauch und er wusste nicht, ob es an ihrer Situation oder der Magie lag. Aber es war tatsächlich wärmer als auch schon. Er war in etwa der Hälfte der Formel und glaubte sogar wirklich, dass es klappen könnte, auch wenn er beinahe selbst schon zu Haspeln begann, weil er es kaum abwarten konnte. Aber dann flaute das ganze Gefühl ab und fiel in sich zusammen, liess nur die Kälte und das Stechen zurück. Dann stand auch schon dieser Mann dort. Die offene Kellertür spendete Licht und so erkannte Zeckker ihn nur als eine Silhouette - wodurch er auch nicht ins Zweifeln kam, ob es überhaupt ein Mann war -, aber die Waffe, die das Licht glänzend reflektierte, die erkannte er zu gut, um ein weiteres Sprechen zu wagen. Stattdessen zog er den Kopf zwischen die Schultern und sah den Fremden, wohl einer der Entführer, völlig entsetzt an.
Das war doch nicht etwa sein Ernst?

Eve beobachtete die Gruppe noch einen Moment, bevor sie entschlossen auf Aldred zu ging, den sie als den Verantwortungsbewussteren der Beiden Verbliebenden einstufte. Neben ihm blieb sie stehen, um den Heiler bei seiner Arbeit nicht zu stören.
"Wenn Ihr wollt, dann helfe ich Euch bei der Suche nach Eurem verschwundenen Freund", sagte sie sanft. "Und bevor ihr nach meiner Motivation fragt: Es ist einfach meine Pflicht, zu helfen, wo es von Nöten ist."
Sie nickte ihm entschlossen zu. Wenn man es genau betrachtete, dann hatte sie zwar die Wahrheit gesagt, sie aber absichtlich so formuliert, das man es anders auslegen würde, als sie es meinte. Der normale Zuhörer würde wahrscheinlich vermuten, das sie half, wo geholfen werden musste. Doch sie half nur da, wo es nötig war, um die Leute von ihrem Glauben zu überzeugen. Es war nicht immer von Erfolg begleitet, aber oft ein guter erster Schritt, um zumindest schonmal das Vertrauen zu gewinnen.

Aldred blickte auf als die Fremde, die sie an der Kreuzung angesprochen hatte ehe diese Reiter aufgetaucht waren, auf ihn zu trat und ihnen ihre Hilfe anbot. Die Söldnerin, oder was auch immer sie war.
"Ich kann nicht sagen, dass wir keine Hilfe brauchen könnten", musste er ihr zustimmen, "Aber bevor du mit allzu hohen Erwartungen an uns heran trittst: wir können dich nicht für deine Hilfe bezahlen. Und vermutlich wird es gefährlich werden, Finn dort raus zu holen..." Vielleicht hätte er das besser verschweigen sollen. Vielleicht hätte er Hilfe annehmen sollen, wo immer sie sie kriegen konnten. Aldred rechnete nicht damit, dass die Frau nach diesen Offenbarungen immer noch so begierig darauf war, ihnen beizustehen. Dabei wäre sie sicher von Nutzen gewesen. Zumindest äußerlich wirkte sie wie jemand, der zu kämpfen wusste.
"Nicht so zaghaft, Neythani!", wandte der Schmied sich wieder an seine verbliebene Begleiterin, als er sah, wie wenig Erfolg deren Versuche, ihren Gefangenen zu wecken, zeigten. Er trat zu ihr hin und verpasste dem Schurken selbst zwei schallende Ohrfeigen. Im Gegensatz zu Neythani zeigte er dabei keinerlei Hemmungen, sodass der Kopf des Mannes von einer Seite zur anderen geschleudert wurde. Der Drecksack hatte es nicht anders verdient. Und die Gewalt zeigte Wirkung. Tatsächlich begann der Mann zu blinzeln, schien wieder zu Sinnen zu kommen.
"Auf die Beine!", kommandierte Aldred, wuchtete den Mann dann jedoch selbst in die Höhe und packte den schlaffen Körper unter einem Arm. "Da lag!", fuhr er fort und nickte in Richtung einer kleinen Seitengasse, die ein undurchdringliches Gewirr von kleinen Sträßchen und Gässchen versprach, "Und komm gar nicht erst auf die Idee zu schreien oder ich hau dir deine Zähne den Hals runter."

Abgesehen von den Kratzern im Gesicht, ging es dem Söldner noch gut genug, damit er nach einigen Androhungen seitens Aldred der Gruppe alles gestand.
Er erklärte ihnen, wo sie Finn finden konnten und dass da noch 3 Kerle auf sie warten würden, die die Gefangenen bewachten. Er war sogar dazu bereit, ihnen zu sagen, auf welche Kampftechniken sie sich da gefasst machen mussten.


Tristan erkannte Trevin sofort.
"Oh bei den Göttern!", rief er und folgte ihm sogleich. "Danke, dass du mich da rausholst..." Er grinste leicht und zusammen eilten sie zurück zu Aldred und den andern.


Rekhyt und der andere Verfolger bogen in die nächste enge Gasse ein und blieben dort mit ihren Pferden stecken. Die Pferde reagierten panisch auf die Enge und so sahen sich die beiden gezwungen, abzusteigen und erst einmal die Tiere wieder aus der Gasse raus zu kriegen.

Zumindest machte der Gefangene keine Anstalten, sich zu widersetzen, als Aldred ihn ein paar Seitengassen von der Hauptstraße entfernt auf einem Hinterhof gegen die Wand drückte und zu reden aufforderte. Sein Kampfeswille schien nach der Abreibung, die Amun'Raak ihm verpasst hatte, gebrochen. Oder aber sein Überlebenswille übertraf schlichtweg die Loyalität gegenüber seinen Kameraden, die ihn ja – das sollte man nicht vergessen – einfach so zurück gelassen hatten. Es war keine übermäßige Gewalt von Seiten des Schmiedes notwendig um alles, was sie wissen wollten, in Erfahrung zu bringen. Freilich war dies nur ein schwacher Hoffnungsschimmer in ihrer ansonsten ziemlich verfahrenen Situation. Amun'Raak war ausgeschaltet, Tristan und Trevin noch immer verschollen. Immerhin war die Fremde, die ihnen gefolgt war als sie den Gefangenen fort gebracht hatten, nun an ihrer Seite. Damit waren sie zu dritt. Immerhin etwas. Wennder Halunke nicht gelogen hatte, dann standen ihnen ebenso viele Männer im Unterschlupf der Entführer gegenüber. Mit dem Überraschungsmoment auf ihrer Seite würden sie damit wohl fertig werden können. Dennoch: sie mussten rasch handeln. Die beiden Reiter, die Tristan verfolgt hatten, waren schließlich auch noch da draußen.
"Wir lassen ihn hier gefesselt zurück", erklärte Aldred nuschelnd in Bezug auf ihren Gefangenen. Seine Nase war inzwischen angeschwollen, sodass er nur noch durch den Mund Luft bekam. Ein dünnes Rinnsal Blut sickerte allerdings immer noch daraus hervor und rann ihm in den inzwischen vollständig rot gefärbten Bart. Was den Gefangenen betraf, so wäre es wohl am sichersten gewesen, ihm die Kehle durchzuschneiden. Aber es widerstrebte Aldred, noch mehr Tod zu bringen. Der Mann hatte sich kooperativ gezeigt. Und letztendlich war er nicht mehr als ein kleiner Handlanger. Und wenn sie ihn banden, dann würde er kaum vor ihnen in den Unterschlupf gelangen um seine Kameraden zu warnen. Wenn er denn nach allem was vorgefallen war überhaupt noch das Bedürfnis dazu hatte.
"Sehen wir zu, dass wir Finn da raus holen", verkündete Aldred, "Danach sehen wir weiter."

Eve hatte die Einwände des Mannes, das es gefährlich werden könnte und sie keine Bezahlung erwarten könnte, lediglich mit einer Handbewegung abgetan und war ihm in die Gasse gefolgt. Nachdenklich überlegte sie bereits, wie sie ihre Kampfstärke am Besten einbringen konnte. Vermutlich würde sie die Reichweite ihrer Hellebarde nicht wirklich nutzen können. Nicht zum ersten Mal in ihrem Leben ärgerte sie sich darüber, das die Waffe ihrer Wahl die eher unhandliche Stangenwaffe war. Als der Mann schließlich davon spach, Finn zu befreien, nickte Eve ihm Kampfbereit zu. Wenn sie der Gruppe zeigte, das man sich auf Zyn und ihre Diener verlassen konnte, waren sie vielleicht bereit, zu erkennen, das sie dem wahren Glauben folgte.
"Ich bin bereit, wenn Ihr es seid", meinte sie schließlich mit entschlossenem Blick.

Finn wurde vor Angst starr wie ein Eisklumpen und versuchte, jede Bewegung zu vermeiden. Seine weit aufgerissenen Augen ruhten auf dem Mann, der durch die Kelleröffnung trat, unfähig wegzublicken. Das Licht erhellte den Raum ein wenig und Finn konnte mehr von dem anderen Jungen ausmachen, der Entführer blieb aber eine dunkle Silhouette, wodurch er auf den gefesselten und angeketteten Jungen nur umso bedrohlicher wirkte. Wahrscheinlich erwartete er eine Antwort oder sonst irgendeine Entgegnung auf seine Frage, aber Finn konnte sich nicht regen, zu gross war die Furcht, dass der Entführer ihm etwas antat. So blieb er reglos sitzen, atmete sogar flach und hoffte, dass der Mann einfach wieder weggehen würde und ihnen nichts antat.

Neythani nickte Aldred zu. "Ich bin bereit," erwiderte sie und versuchte, furchtlos zu wirken. Ihren Speer umklammerte sie mit einer Hand und hoffte, sie würden es schaffen, den Jungen zu befreien und das die Paladine sie nicht verfolgen würden wegen dem Tod ihres Kameraden.
Nebenbei sorgte sie sich noch um Amun, der alleine auf sie wartete, da er verletzt wurde. Und dann waren da noch Tristan und Trevin, die auch irgendwo in der Stadt unterwegs waren. Sie mussten in den Tempel von Yragona kommen, wenn nötig durch den Tempel der Reija. Aufgeregt wedelte ihr Schweif hin und her und der Staub verteilte sie um ihre Beine.

Eine einzelne kleine Glocke kündete das Eintreffen des Botschafters im Tempel der Reija an. Die Hohepriesterin hob den Blick, auch wenn sie schon wusste, dass erneut keine guten Botschaften eintreffen würden. Erst vor Kurzem hatte sie die Nachricht erreicht, dass einer ihrer Hüter des Rechts tot in einer Gasse aufgefunden worden war. Ihre Befürchtung bestätigte sich, der Botschafter erzählte von einem weiteren geglückten Attentat, diesmal mitten auf offener Strasse mit Augenzeugen. Das war zu viel, sie konnte so etwas nicht dulden lassen. Die Schatten hatten sich schon viel zu fest ausgebreitet in den zwielichtigen Gassen der Stadt.
Sie wies den Botschafter an, wieder zu gehen, dann begab sie sich in den Zeremonienraum und öffnete das Buch, welches die Lichtzauber ihrer Göttin beinhaltete. Eine Weile blätterte sie gedankenverloren durch die Seiten, dann fand sie, was sie suchte und kniete vor dem Altar nieder, die Finger fest auf der goldenen Schrift des Zaubers. Sie sprach die Worte ab und lieh der Magie ihre ganze Kraft, dass sie sich entfalten und ausbreiten konnte. Licht erstrahlte über dem Buch als goldener Schein und bündelte sich, suchte sich dann seinen Weg hinauf durch das Oberlicht und für einen kurzen Moment schien ganz Kilath erleuchtet.
"Die Schatten können nicht ungestraft bleiben, niemand widersetzt sich dem Licht der grossen Reija. Sie haben Blut vergossen und dafür sollen sie bestraft werden. Das Licht der Wahrheit soll sie finden und durchdringen, sie blenden und lähmen, bis sie die Schandtat erkennen und spüren, unter ihrem Gewicht zusammenbrechen", wisperte die Priesterin und strich noch einmal über die Seite. Der Zauber war zu ende, das licht verschwunden. Aber da, wo das geweihte Blut des Paladins noch immer an Haut und Kleidung des Mörders und seines Gehilfen klebte, da funkelte es erneut golden und hell. Und dort blieb das Licht, wie ein Schleier breitete es sich aus, schlich den Körpern der Täter entlang und in sie hinein, um sich darauf auszubreiten und zu tun, wozu es beschworen worden war. Um ihnen die Sinne zu nehmen, sie zu entkräften und zu lähmen, während die Wahrheit ans Licht kam.

"Bleibt stets in meiner Nähe," wies Trevin den Söldner an. "Diese Gassen sind voll von den Knochen jener, die sich hinein verirrt, doch nie wieder hinaus gefunden haben."
Sicher war es nur ein Scherz oder zumindest eine Übertreibung, auch wenn sich Trevins Stimme nicht danach anhörte. Andererseits sagte das nicht viel, denn Trevin scherzte im allgemeinen ohnehin nicht.
Sie kehrten zunächst zurück zu der Straße, blieben aber weiter hinten verborgen, denn die Wachen waren bereits eingetroffen und hatten den toten Paladin entdeckt. Zweifellos würden sie auch bald den anderen Toten entdecken, den er vor dem Tempel der Yragona ermordet hatte. Trevin schlich näher heran, um die Worte der Wachen zu belauschen, und erfuhr so, daß Aldred und die anderen offenbar nicht mehr hier waren, da man die Täter noch nicht gefunden hatte. Er zuckte zusammen, als einer der Männer plötzlich direkt in seine Richtung blickte; Einen Moment lang hatte Trevin das unangenehme Gefühl, daß sich ihrer beider Blicke kreuzten. Doch der Mann wandte seinen Blick schnell wieder ab. Er hatte ihn wohl doch nicht gesehen. Trevin atmete erleichtert auf und zog sich rasch zurück.
Er wußte nicht, wie weit sich die anderen wohl durchgeschlagen haben mochten; von Amuns Verletzung hatte er nichts mehr mitbekommen, von daher wußte er nicht, daß sie nur langsam voran kamen.
Die beiden Männer zogen sich tiefer in die Gassen zurück, und nach ein paar scheinbar zufällig gewählten Abzweigungen hielt Trevin an und drehte sich zu Tristan herum.
"Also gut, Söldner. Wer waren diese Männer, die nach Euch suchten, und was wollten sie von Euch? Alte Rechnungen begleichen?"

Aldreds Kleidung war blutig. Nicht, dass ihn das gestört hätte. Er war daran gewohnt. Er zog seit Jahren durch die Lande und oft genug hatte er sich mit dem Hammer in der Hand seiner Haut erwehren müssen. Dabei wurde man nun einmal dreckig. Und er hatte es bei weitem schon schlimmer erwischt. Er hatte von oben bis unten vor Blut und Dreck gestarrt. Die Spritzer, die nun sein Wams und die muffigen Reste des Eisbärenpelzes verunzierten, waren dagegen fast belanglos. Das meiste davon war sein eigenes Blut, das dem langsam verebbenden Rinnsal aus seiner gebrochenen Nase entstammte. Aber auch als er den Leichnam des Paladins verborgen hatte hatte er sich besudelt und als Trevin den zweiten Friedenswächter erschossen hatte, da war er nahe genug an diesem gestanden um einiges an Spritzern abzubekommen. Er konnte damit leben.
Als aber plötzlich einige der Flecken auf seinem Wams in goldenem Licht zu erstrahlen begannen, da wurde ihm die Sache schon weit weniger geheuer. Das war etwas, was er noch nie erlebt hatte. Soetwas tat Blut nicht. Hier wirkte Magie! Und es war naheliegend, dass es die Magie der Reija war, was in ihrer augenblicklichen Situation alles andere als willkommen war. Wie angewurzelt blieb Aldred stehen. Sie befanden sich noch immer im Gassengewirr der Altstadt, doch die nächste Hauptstraße war nicht fern. Und sie würden sie überqueren müssen, wenn sie dem beschriebenen Weg zum Versteck der Entführer folgen wollten. So, leuchtend wie ein Kerzenlüster, konnte er sich dort unmöglich blicken lassen. Blutig wäre es schon riskant gewesen, ins Freie zu treten. Aber so? Unmöglich! Hastig machte Aldred daran, sich seines Wamses zu entledigen.

Auf der Hauptstraße jedoch war in eben diesem Moment eine Patroullie der Stadtwache unterwegs. Sie waren keine Paladine der Reija, nur Männer der städtischen Miliz, aber nichtsdestotrotz gläubige Anhänger der Göttin des Lichts. Und sie befolgten die Befehle des Tempels. Diese Befehle waren eindeutig. Zwei Paladine waren ermordert worden und die Mörder auf freiem Fuß. Es galt sie zu fassen. Spuren gab es freilich keine. Den Männern blieb also wenig anderes übrig, als die Altstadt zu durchkämmen. Und so ließ sich der Feldwebel der Truppe ganz primär von seinem Gefühl lenken. In dem Moment, als das Licht der Reija für einen Herzschlag die Stadt erhellte, erfasste ihn ein ebensolches Gefühl. Der Führung seiner Göttin folgend – wenngleich er sie nicht als eben dies erkannte – bog er an der Spitze seines knappen Dutzends in eine Seitengasse. Und zwei Biegungen weiter erwies sich sein Gefühl als zutreffend. Dort standen drei Gestalten inmitten der Gasse. Sie waren ohne Zweifel ein merkwürdiger Anblick. Eine bewaffnete Frau, die das Aussehen einer Söldnerin besaß. Ein fremdartiges Katzenwesen mit einem schlanken Speer in den Händen. Der auffälligste jedoch war der Mann, der die Gruppe anzuführen schien. Ein bulliger Kerl mit schlohweißem Haar und Bart. Er hatte seine Waffen und seinen Rucksack abgelegt und versuchte in eben diesem Moment, sich von seinem Wams zu befreien. Einem blutigen Wams, auf dem anklagend das goldene Licht der Reija glänzte. Der Feldwebel reagierte unverzüglich.
"Im Namen der Göttin Reija und der guten Bürger von Kilath!", rief er und zog blank, "Legt eure Waffen nieder. Leistet Widerstand und wir müssen das Recht der Stadt mit Stahl durchsetzen." Es bedurfte keines weiteren Befehls, damit seine Soldaten ein knappes Dutzend Hellebarden, Speere und Armbrüste in Anschlag brachten.

Erschrocken blickte Neythani zu den Menschen, die ihre Hellebarden und andere Waffen auf sie und die anderen richteten. Sie konnte sich nicht erklären, warum das Hemd von Aldred plötzlich begonnen hatte zu leuchten oder woher so schnell diese Menschen herkamen. Oder warum ihr Fell leicht glühte, genauso wie Aldreds Hemd, nur nicht so strahlend hell. Vermutlich hielt sie der Zauber Reijas für genauso schuldig wie Aldred, obwohl sie die Paladine gar nicht getötet oder berührt hatte. Sie hatte nur dabei gestanden und nichts gegen den Mord getan.

Tristan latschte Trevin einfach hinterher, so wie der das verlangt hatte.
"Sowas in der Art", meinte er auf Trevins Frage. "Aber so wie du den Paladin gemetzelt hast, dürften die eigentlich kein Problem für dich sein..."
Er hob leicht die Schultern.


"Seid bitte still. Sonst sehe ich mich gezwungen, euch zu knebeln oder so..."
Navari legte den Kopf schief und legte die Spitze seines Degens an Finns Kinn.
"Habt ihr verstanden?"

Finns Kehle fühlte sich wie verknotet an und seine Augen waren schmerzhaft weit aufgerissen.. Er konnte kein Wort herausbringen und die Klinge, die gegen seine Haut presste, machte das Ganze nicht besser, im Gegenteil. Er war sogar zu panisch, um zu weinen. Aber der Mann schien eine Antwort zu erwarten. Deshalb bewegte Finn seinen Kopf übertrieben langsam nach hinten, von der Klinge weg. Die Andeutung eines Nickens. Mehr würde er nicht zustande bringen.

Nur mit Mühe konnte Aldred einen Fluch unterdrücken, zischte stattdessen feindselig zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor. Kalt erwischt! Das auffällig leuchtende Wams hing noch immer halb an seinem Leib, ließ keinen Zweifel zu, wen das magische Leuchten zu brandmarken gedachte. Und seine Waffen lagen am Boden, außerhalb seiner Reichweite. Aber selbst wenn er sie in Händen gehalten hätte, einen Kampf gegen eine solche Übermacht hätten sie nicht ausfechten können. Auf jeden von ihnen kamen vier Wachmänner und selbst wenn die Enge der Gassen sie behindern mochte: gegen diese erdrückende Zahl war ein Sieg ausgeschlossen. Ebenso sinnlos wäre eine Flucht. Wenn sie nicht von Bolzen in den Rücken erledigt wurden, dann würden sie garantiert eingeholt und überwältigt werden. Die Männer der Stadtwache kannten sich zweifellos besser hier aus als sie. Alles was also noch blieb war, den Anweisungen Folge zu leisten und sich zu ergeben.
"Lasst die Waffen fallen!", forderte er, den Kopf halb zu diesen umwendend, seine Begleiterinnen auf und hob selbst beide Hände auf Kopfhöhe, zum Zeichen, dass er nicht unbewaffnet war.
"Wir haben uns nichts zu schulden kommen lassen, Herr", wandte er sich dann wieder dem Anführer der Wachpatroullie zu, "Ich leugne nicht, dass wir in einen Kampf geraten sind, aber wir haben ihn nicht vom Zaun gebrochen. Wir haben uns lediglich gegen eine Bande von Schurken verteidigt, die einen Freund von uns entführt haben, einen Jungen von vielleicht fünfzehn Jahren. Bitte..." Er gedachte an die Menschlichkeit des Offiziers zu appellieren, ihm die Notwendigkeit klar zu machen, Finn, der ja noch ein halbes Kind war, zu retten. Doch dazu kam es nicht.
"Euer Wams spricht eine andere Sprache, Halunke!", fiel ihm der Mann mit kalter, schneidender Stimme ins Wort, "Das Licht der Göttin darauf enthüllt eure Schuld. Ihr habt einen Diener der Reija ermordert!"
"Der Paladin fiel in eben dem Kampf, in den wir verwickelt wurden", verteidigte Aldred sich, es mit der Wahrheit versuchend, die ihm hier am Vielversprechendsten erschien, "Aber wir waren es nicht, die ihn getötet haben. Jemand hat ihn aus dem Hinterhalt erschossen. Uns aber trifft keine Schuld!" Das war vielleicht nicht ganz richtig. Wenn wirklich Trevin der Schütze war, dann hatte er durch seine Provokation des Paladins diesen zum Tode verurteilt. Aber das konnten diese Männer nicht wissen. Fraglicher war im Moment ohnehin, ob sie ihnen glaubten.
Der Feldwebel zögerte tatsächlich für einen Moment. Aldred begann bereits Hoffnung zu schöpfen, doch so glimpflich davon zu kommen war wohl schlichtweg unmöglich.
"Bindet ihnen die Hände und führt sie ab!", befahl der Offizier, "Soll der Tempel entscheiden, ob sie schuldig sind oder nicht."

Trevin schnaubte abfällig. "Ihr wollt mir nicht weismachen, daß Ihr vor ein paar Männern geflüchtet seid, nicht gefährlicher als ein Rekrut, den man in die Rüstung eines Paladins gesteckt hat, oder?" Was immer es war, das die Paladine von Kilath stark genug machte, um der Schwarzen Heerschar Einhalt gebieten zu können - dem Wächter vor dem Yragona-Tempel hatte es eindeutig gefehlt. Der Wachposten war den örtlichen Machthabern wohl nicht wichtig genug gewesen, um einen fähigen Krieger dort zu postieren, und das war durchaus ein Glück gewesen.
Er mußte zugeben, daß dieser tote Paladin ihnen einiges an Ärger eingebracht hatte; Finn hatte die Nerven verloren und war davongelaufen und von Tristans Feinden eingefangen worden. Sie waren in einen Kampf mit diesen Männern verwickelt worden, und er war gezwungen gewesen, einen weiteren Paladin zu töten - diesmal auf offener Straße. Das würde sich der Reija-Orden zweifellos nicht bieten lassen.
Seine Gedanken wanderten ein Stück zurück zu dem Mann, den er als erstes getötet hatte. Wer er wohl gewesen sein mochte? Möglicherweise hinterließ er eine Familie, die nun um ihn trauerte. Ob es richtig gewesen war, ihn zu töten, nur weil seine Organisation den Tempel der Yragona geschändet hatte?
Trevin hielt inne - was im Namen der dunklen Fürstin waren das für Gedanken, die da seinen Geist vergifteten? Hatte sich gerade wirklich sein Gewissen gemeldet, weil er einen räudigen Ketzer getötet hatte? Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu. Einen durchaus erschreckten Ausdruck auf dem Gesicht machte er ein paar Schritte vorwärts und verließ dabei den Lichtkegel, in den er unbewußt getreten war. Die Kühle der Schatten in der Gasse umfing ihn wieder, und die Gewissensbisse schwanden wieder.
Fassungslos fuhr er herum und starrte auf den schmalen Streifen Sonnenlicht, der zwischen den Häuserdächern hindurch fiel. Das roch verdächtig nach Reija-Magie...

Auch Eve hatte ihre Waffe abgelegt, um den Soldaten keinen Grund zu geben, anzugreifen. Sie wusste, das sie im Recht war, hatte sie doch nur einer Gruppe helfen wollen, ein verlorenes Mitglied zu finden und war dadurch ungewollt in den Mord an dem Paladin verwickelt worden. Doch selbst daran hatte sie keine Schuld, denn sie hatte weder den Mörder gesehen, noch irgendeine Chance gehabt, den Mord zu verhindern. Außerdem gab es nur einen einzigen Anhaltspunkt dafür, das diese Gruppe etwas mit dem Mord zu tun hatte, doch war dies kein Beweis für die Schuld. Davon ab, aber das war nicht klug, im Verhör vorzutragen, hatte es sich bei dem Paladin um einen ungläubigen gehandelt, um den es nicht schade war.
Widerstandslos ließ sie sich die Hände binden und wegführen.

Neythani lies ihren Speer fallen, fauchte die Soldaten aber an, als sie ihr fesseln anlegen wollten. Aldred und die fremde Frau hatten auch die Hände gebunden bekommen und die Soldaten führten sie irgendwo hin. Wohin genau wusste die Katzenfrau auch nicht. Aber so wie es aussah, weg von Finn und den anderen. Hoffentlich würden sie sie nicht einsperren oder sowas. Furchtsam duckte sie sich zwischen die anderen und tippelte zwischen den Soldaten her.

Die Tatsache, dass sie keine Anstalten machten, sich zu wehren, bedeutete freilich nicht, dass die Soldaten sonderlich zimperlich mit ihnen umgesprungen wären. Die Brutalität, mit der zwei der Männer Aldred die Hände auf den Rücken drehten und ihm die Fesseln fest zurrten als beabsichtigten sie, seine Gelenke mit dem Strick zu durchschneiden, hätte auch vollkommen ausgereicht, einen wild um sich schlagenden Delinquenten zu bändigen.
"Seht wenigstens zu, dass ihr den Jungen befreit!", fluchte Aldred in Richtung des Feldwebels, "Wenn ihr Menschen mit Herz seid, dann holt ihn da raus. Er ist nur ein Kind!" Doch dieser gab keine Regung von sich und einer der Soldaten drückte Aldreds Kopf grob herab um ihn dann aus dem Gassengewirr zu führen. Kaum hatten sie die Hauptstraße erreicht bildete die Patroullie einen waffenstarrenden Cordon, die Gefangenen in ihrer Mitte, und setzten sich zügig in nördliche Richtung in Bewegung. Aldreds Nase hatte erneut angefangen zu bluten und irgendwie waren ihm während der unsanften Behandlung einige Spritzer ins Auge geraten. Blinzelnd versuchte er, wieder freie Sicht zu bekommen, doch was er gesehen hätte, hätte ihm nicht gefallen. Am Ende der schnurgeraden Straße erhob sich, wenngleich sicher noch eine halbe Meile entfernt trotzdem gut sichtbar, der Tempel der Reija.