GQ - [Die MSG]

Die Warnung von Kazeel kam gerade noch so rechtzeitig. Mit einem Arm bedeckte Seline ihre Augen während Sie die anderen weiter in Abwehrstellung hielt. Selbst mit bedeckten Augen konnte Seline das intensive Licht zumindest erahnen und sie wollte gar nicht wissen, wie es war, wenn man ungeschützt in die Quelle blickte.
Das ganze Schauspiel war nur nach wenigen Sekunden wieder vorbei, doch es hatte gewirkt. Die Schattenspäher waren blind und desorientiert. Am liebsten hätte Seline die Gelegenheit genutzt ein paar von ihnen Niederzustrecken, doch sie unterdrückte den Impuls, auch ihr war klar das dies nicht wirklich viel bringen würde und sie ihre einzige Chance zur Flucht wegwerfen würde.
Sie drehte sich um und blickte zu dem Fenster, aus dem die Lichtkugel abgefeuert worden war. "Geralt schwing deinen Arsch durch das Fenster, ich komme gleich nach." Sie verpasste dem Schatten, der ihr am nächsten war, und blind nach ihr schlug, einen kräftigen Hieb, der ihn geradewegs in die Klinge eines Artgenossen schleuderte. Doch Zeit sich darüber zu freuen hatte Seline keine, stattdessen spurtete sie los um das Fenster zu erreichen. Blieb nur zu hoffen das Geralt bereits hindurchgeklettert war, denn wenn Sie auch nur kurz warten musste, bis sie selber hindurchklettern konnte, würden die Schatten sie vermutlich erwischen.

Mit beinahe zwei Metern Körpergröße und dem Leib einer Kriegerin spielte Seline in einer anderen Gewichtsklasse als der eher schmächtige Geralt, doch Aldred bemerkte es kaum als er ihr, einen Fuß gegen den Fenstersturz gestemmt, ins Innere des Hauses half. Furcht konnte schier übermenschliche Kräfte verleihen. Und was sich dort draußen im Finsteren undeutlich abzeichnete war mehr als dazu angetan, jedem Menschen, der noch bei Verstand war, Angst einzujagen. Kaum, dass er sein Gleichgewicht wieder gefunden hatte, warf Aldred die Fensterläden zu und schob den Riegel vor. Es würde die Schwarzen kaum länger als ein paar Herzschläge aufhalten, er wusste das wohl, aber es war besser als nichts. Ein paar Schritt Vorsprung.
"Da lang!", keuchte er und wies den Gang entlang, an dessen Ende die Bibliothek lag. Nicht, dass die ersten der Gruppe nicht ohnehin bereits eilends dorthin unterwegs waren. Aldred folgte als Schlusslicht. Sein Herz schlug wie wild als sie den Rest der Gruppe erreichten und das hatte wenig mit Anstrengung zu tun. Alexander und Iorweth hatten bereits notdürftige Barrieren errichtet: umgeworfene Bücherregale, mit denen sie den Eingang zu blockieren versuchten. Sie schoben sie zusammen und schlossen die letzten Lücken als Aldred es in den Raum geschafft hatte und, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, stehen blieb. "Das sind viele...", teilte er denen mit, die nicht am Fenster gewesen waren, "Zu viele. Vielleicht können wir sie aufhalten, wenn sie nur einzeln durch die Tür gelangen. Ein Mann mit Schild kann da lange durchhalten. Hat jemand einen Schild da?" Verdammt, warum nur hatte er seinen eigenen im Hauptraum des Tempels liegen lassen? Nie in seinem Leben hätte er einen Schild so gut gebrauchen können wie jetzt. "Amun, hast du die Zeichen entziffert? Steht da irgendwas, was uns helfen kann?"

Amun hatte bereits ein weiteres Regal verschoben und fuhr mit einer Klauenhand die Schriftzeichen nach. Von links oben nach rechts unten arbeitete er sich durch den Text. Die Schriftzeichen waren deutlich überdimensioniert, sodass nicht viele Zeichen hinter ein Regal passten. Trotzdem keimte bereits ein Verdacht in Amun auf. Im Grunde war es so offensichtlich. Vielleicht war es auch ein schlechter Scherz des Schicksals, aber wer wusste das schon. Die Zeichen sprachen von einem Avior, dem "neuen Sturmkönig", der die Avior in ein neues Zeitalter des Triumphes führen sollte. Nach den harten Zeiten fand Amun das nur gerecht.
"Vielleicht. Zeit brauche ich noch etwas, heh. Versucht durchzuhalten."
Wir werden ein Luftschiff brauchen. Oder zumindest einen adäquaten Ersatz, da die Landgeher nunmal nicht fliegen konnten.
"Brauche nicht mehr lange, denke ich, heh."

Nachdem er die Bücher an der Wand mit dem Schriftzug auf die Pulte in der Mitte des Raumes und darunter gestapelt hatte, stand Finn ein wenig hilflos herum. Alexander und Iorweth hatten die Tür blockiert und Amun war fieberhaft dabei, die Schrift zu entziffern. Noch immer befand sich ein Teil hinter weitere Regalen, die sie noch nicht weggeräumt hatten, doch scheinbar schien sich niemand verantwortlich dafür zu fühlen. Sie alle starrten auf die Tür, die in diesem Moment mit einem lauten Knall erschüttert wurde. Die Schwarzen Reiter warfen sich dagegen, doch die Regale hielten. Dennoch zuckte Finn heftig zusammen und wich an die Wand zurück. Dabei stiess sein Fuss gegen etwas am Boden und er erblickte das Magiebuch, das er auf den Boden gelegt hatte, als Amun das Bücherregal umgeschmissen hatte. Vorsichtig hob Finn es hoch. Er hatte in der kurzen Zeit schon einen Teil davon gelesen, aber er war sich nciht sicher, ob ihnen irgendetwas davon helfen würde. Aber er musste es versuchen.
Die Augen auf die immer wieder erzitternde Tür gerichtet, wich er in den hinteren Teil der Bibliothek zurück und kniete sich dort in den Staub. Wahrscheinlich würde er es wieder nicht schaffen, einen Zauber zu wirken, aber etwas anderes konnte er sowieso nicht tun. Nach einigem Suchen fand er die Seite und begann, Kreise und seltsame Symbole in den Staub zu malen.
Währenddessen gaben die Schwarzen ihre Bemühungen scheinbar auf. Doch die Eingeschlossenen hatten kaum Zeit sich zu organisieren, denn schon Momente später quoll schwarzer Rauch unter der Tür durch. Scheinbar hatten die Reiter sich entschlossen, sich über diesen Weg hineinzukommen.

Kazeel war den anderen in die Bibliothek zurück gefolgt und hatte sich tiefer in den Raum zurückgezogen, als sie die Tür verbarrikadiert hatten. Die Stimmung war aufgeregt, was angesichts ihrer Situation selbstverständlich war. Die anderen suchten verzweifelt nach einer Lösung, doch Kazeel konnte ihnen dabei im Moment nicht helfen. Er war zu sehr damit beschäftigt, die Stimme in seinem Inneren zurück zu drängen. Die ihn aufforderte, seine Lichtmagie gegen die Angreifer einzusetzen, sie alle zu verbrennen. Der Drang wurde allmählich stärker, und zudem spürte er eine seltsame Wärme, die seinen Körper erfüllte und stetig intensiver wurde.
Beinahe hoffte er, daß die schwarzen die Tür bald aufbrechen würden. Er mußte die Magie Yragonas einsetzen, um den Drang in seinem Kopf abzuschwächen, die Stimme zum verstummen zu bringen. Da - Rauch quoll unter der Tür hervor. Scheinbar versuchten die schwarzen sich mit Feuer den Weg zu bahnen. Kazeel hob automatisch seinen Stab und rief sich einen passenden Zauber ins Gedächtnis.

Aldred bemerkte den Geruch noch ehe etwas zu sehen war. Man konnte sein Leben nicht an der Esse verbringen, ohne, dass dieser Geruch sich tief ins Gedächtnis einbrannte. So roch nur Feuer. Und was das bedeutete war nicht schwer zu erraten. Die Schwarzen versuchten gar nicht erst, sich einen Weg in den Raum hinein zu erkämpfen. Lieber setzten sie den ganzen Bau in Brand. Und sie würden damit zweifelsohne Erfolg haben. Wenn der Rauch ihnen erst in den Augen biss und ihre Lungen mit giftigem Qualm füllte würde ihnen keine Wahl mehr bleiben, als durch die Flammen ins Freie zu flüchten. Direkt in en den schwarzen Stahl der wartenden Krieger. Wozu die Barrikaden stürmen, wenn man deren Verteidiger auch einfach ausräuchern konnte?
"Wir müssen raus. Das Feuer löschen!", gab Aldred knapp von sich und hustete als der beissende Gestank seine Nase hinauf kroch, "Rasch! Ehe der Türrahmen brennt!"
Iorweth war der erste, der reagierte. "Dann los!", verkündete der heißblütige Elf und machte sich ohne zu zögern daran, die Barrikaden wieder aus dem Weg zu zerren. Es war härtere Arbeit, als man hätte meinen sollen. Trotz der kurzen Zeit, die ihnen geblieben war, waren die Regale stabil ineinander verkeilt. Hätten die Schwarzen sie zu stürmen versucht, sie hätten ihre liebe Not damit gehabt. Nun jedoch wurden diese Vorbereitungen den Eingeschlossenen zum Verhängnis. Der Rauch quoll dick und schwarz unter der Tür hervor als Iorweth – wieder war der Elf an vordester Front – die Tür aufriss und mit gezogenen Klingen in den Gang hinaus stürmte.

Amun warf eines der von Finn leer geräumten Regale um. Die Schwarzen versuchten sie auszuräuchern, da blieb keine Zeit für Feinheiten. Aber er wurde belohnt. Die Schrift zog sich nicht über die komplette Wand hinter dem Regal. Also musste der Text sich seinem Ende zuneigen. Die Bibliothek sah inzwischen aus als wäre eine Horde Barbaren in ihr zu Werke gewesen. Einzig die Stapel, die Finn mit den Büchern und Schriftrollen gemacht hatte, brachten ein wenig Ordnung in den Raum. Mit der Klaue fuhr Amun das letzte Schriftzeichen nach.
"Hm~mh, heh. Gut. Habe übersetzt. Denke ich."
Die alte Schrift war manchmal nicht ganz eindeutig. Ein Zeichen konnte mehrere Bedeutungen haben, aber der Inhalt war trotzdem zu entziffern. Der neue Sturmkönig würde die Avior in ein neues Zeitalter führen. Er würde zum Palast des Sturmkönigs gehen und den Dämon, der Besitz von dem Tempel ergriffen hatte, austreiben und der Göttin ihre Freiheit zurückgeben. Seit Jahrhunderten war niemand mehr im Palast gewesen. Es war ein verbotener Ort, den nur die Auserwählten betreten durften. Die Windsprecher achteten darauf, dass niemand den Palast betrat. Aber sie würden eine Ausnahme machen müssen.
"Wir werden ein Luftschiff brauchen."

Der Gang war schmal, zu schmal, dass mehr als ein Mann darin kämpfen konnte. Aldred wollte kämpfen – einfach, weil er in dieser Situation doch nicht untätig sein konnte – doch Iorweth stand an der Front und er benötigte Platz. Mit der seinem Volk eigenen Eleganz ließ er die beiden Klingen in einem zornigen Reigen tanzen, drosch unerbittlich auf die schwarzen Krieger, die sich hinter dern Tür versammelt hatten, ein. Es war ein ungleicher Kampf. Die Schwarzen trugen lange Speere, mit denen sie den Elfen auf Distanz zu halten versuchten und nur mit Mühe gelang es diesem, sie langsam zurück zu drängen. Die Reisigbüschel, die sie am Türstock aufgeschichtet hatten, waren rasch beiseite gefegt, aber jeder weitere Schritt wurde mit unendlicher Mühe erkauft. Die Hitze, die von der Tür her ins Innere wehte, war grausam, ein Glutsturm, der die Haut austrocknete und die Augen tränen ließ. Aldred bewunderte die Leidensfähigkeit, der mitten in den Flammen kämpfte, aber was blieb ihnen anderes übrig? Die Hitze musste ihm furchtbar zusetzen, doch er kam nicht voran und keiner der anderen somit nahe genug an den Türstock um die Flammen zu ersticken.
Man konnte förmlich zusehen, wie die Kräfte des Elfen mehr und mehr schwanden und plötzlich bemerkte Aldred, dass dessen Hemd brannte. "Iorweth!", rief er warnend, packte den Krieger an der Schulter und riss ihn zurück in den Raum, fort von dem Feuer. Sofort drangen die Schwarzen nach, die Flammen schlichtweg ignorierend. Ein Pfeil zuckte aus dem hinteren Teil des Raums heran, streckte einen der Speerträger nieder. Von wessen Sehne er kam konnte Aldred nicht sagen. Alexander versuchte inzwischen den Platz des Elfen einzunehmen, doch Hitze und Stahl hielten ihn von der Tür fern. Inzwischen züngelten die Flammen um den gesamten hölzernen Rahmen und leckten gefährlich an den zusammen geschobenen Regalen.
Langsam bekam Aldred es mit der Furcht zu tun. Er wusste, dass es allein Glück gewesen war, dass sie die bisherigen Treffen mit den Schwarzen hatte überleben lassen, doch nie hatte er sich bisher so hilflos gefühlt, so erbarmungslos seinem Schicksal entgegen blicken müssen. "Ihr Göttinnen, helft uns!", stieß er ein heiseres Stoßgebet aus. Doch welche Göttin auch immer sie damals aus der Höhle bei Heaven's Glade gerettet hatte, sie schien sie diesmal nicht zu hören.

Finn kniete in der Mitte eines Pentagramms, dass er in den Staub gemalt hatte, umgeben von zwei Dutzend obskuren Symbolen, das Magiebuch vor sich liegend. Allerdings hatte er die Augen geschlossen und rezitierte die Sprüche auf den Seiten vor sich aus der Erinnerung. Mit jeder Wiederholung wurden seine Worte hastiger, je lauter der Kampflärm von der Tür her wurde, desto leiser wurde Finns Gemurmel. Es klappte einfach nicht. Es klappte nicht! Wieso klappte es nicht? Mitten im Wort brach der Junge ab, ballte die Hände zu Fäusten und biss sich auf die Unterlippe. Wieso klappte es nicht?! Wieso konnte er diesen einen Zauber nicht wirken, wenn es vielleicht ihre einzige Chance war. Wenn es das einzige war, was er tun konnte? Es musste klappen! Noch einmal wiederholte er die Worte, diesmal lauter, energischer. Es musste klappen!
Eine plötzliche Welle der Energie floss durch Finns Körper und er riss die Augen auf. Sie waren ganz mit blauem Licht gefüllt und auf die Zeichen um ihn herum begannen zu leuchten. Er sah es! Er sah den Eingang! Die Gewundenen Untiefen. Er riss einen Arm hoch und deutete auf eines der Regale, das er zwar leergeräumt hatte, hinter welchem sich aber kein Text befand. Stattdessen sah er klar und deutlich im blauem Licht eine Pforte dahinter. Er hatte es geschafft, er hatte sie beschworen! Gerade wollte er etwas rufen, damit ihm jemand half, das Regal wegzuräumen, als sich dahinter etwas regte. Kleine Flecken aus Schatten sammelten sich an den Rändern des Regals und das hölzerne Gestell begann zu erzittern. Verdattert starrte er auf diese seltsamen Schatten, die er schon vorher gesehen hatte. Wo kamen sie her und was taten sie?
Diese Frage wurde im nächsten Moment beantwortet. Das Regal begann, sich nach vorne zu lehnen, schwankte vor und zurück bis es einen kritischen Punkt erreicht hatte. Für einen Moment schien es auf der Kante zu stehen, dann fiel es mit einem lauten Knall zu Boden. Die Schattenflecken lösten sich sofort voneinander und schossen in alle Richtungen davon, so schnell wie sie aufgetaucht waren, waren sie auch wieder verschwunden. Statt sich weiter um dieses Rätsel zu kümmern, konzentrierte Finn sich auf die runde Pforte, die nun an der Wand sichtbar war. Kaum war die Blockade davor weg, öffnete sich die Tür und offenbarte eine tiefe, lichtlose Schwärze im Inneren. Der Junge schoss in die Höhe und rannte auf die Öffnung zu. Kaum hatte er das Pentagramm verlassen, verschwand das blaue Licht in seinen Augen und aus den Symbolen. Gerade noch rechtzeitig erreichte er die Tür und konnte sie offen halten.
"Schnell!", rief er. "Hier rein! Die Pforte ist nicht lange stabil!"

Aldred hatte weder eine Ahnung, wo diese Pforte her kam, noch, wohin sie führte, doch in diesem Augenblick war ihm das gleich. Es war ihm sogar egal, dass sie ganz offensichtlich magischen Ursprungs war und alles andere als vertrauenswürdig aussah. Die Wahl war, sie zu passieren oder hier zurück bleiben und verbrennen, ersticken oder unter Trümmern begraben werden sobald das Dach herunter kam. Keine schwere Wahl.
"Alle... raus hier!", versuchte er zu rufen, doch der Rauch ließ es zu nicht mehr als einem rauhen Krächzen verkommen. Hatten die anderen ihn gehört? Hatten sie mitbekommen, dass ihnen diese unerwartete Fluchtmöglichkeit offen stand? Die Gedanken schossen ihm durch den Kopf, durch sie drangen nicht durch den Schleier der aufkeimenden Panik. Das hier war kein geordneter Rückzug mehr. Es war eine heillose Flucht. Hier hieß es 'jeder für sich'. "Weg hier!", rief er noch einmal, die Furcht nieder kämpfend. Um sich nach den anderen umzusehen reichte sein Mut jedoch nicht. Stattdessen durchschritt er ohne zu zögern die Tür, trat in die Schwärze und wurde augenblicklich von dieser verschluckt. Er fühlte, wie er fiel, wie er mit Händen und Knien auf hartem Fels aufschlug. Spitzer Stein drang in seine Handflächen, die Haut brach, warmes Blut sickerte hervor. Aber die Luft war frei von Rauch! Kühl und muffig, ja, aber frei von Rauch. Tief atmete der Schmied durch, den Schmerz in seinen Händen ignorierend. Um ihn herum war Schwärze, so tief, dass er nicht einmal die Hand vor Augen hätte erkennen können. Unsicher kam er wieder auf die Beine. In der Nähe konnte er Geräusche hören, Stimmen. Die Stimmen der anderen. Sie hatten es auch geschafft. Aber was war mit den Schwarzen? Verfolgten sie sie weiter? Würden sie die Pforte ebenfalls durchschreiten? "Weiter!", hörte Aldred sich selbst sagen, "Weg hier! Sie könnten uns noch immer auf den Fersen sein. Bleibt zusammen!"

Tristan hatte sich schon öfters ausgemalt, wie er sterben würde. Elendig verbrennen gehörte nicht dazu. Er hatte immer kämpfend sterben wollen, mit dem Schwert in der Hand und einem Fluch auf den Lippen.
Deswegen wusste er, dass er hier und jetzt nicht sterben konnte.
Der Rauch biss sich in seinen Lungen fest, hinderte ihn daran, rief Luft zu holen. Was unter diese. umständen wohl auch besser war. Die Hitze schlug ihm ins Gesicht, Funken sprühten.
In dem ganzen Chaos, hielt er sein Schwert umklammert. Dennoch stand er wie gelähmt da. Er konnte hier nicht sterben. Nicht in diesen Flammen!
Sein Kopf fuhr nach rechts, als er eine Stimme vernahm. Er verstand die Worte nicht, doch im dicken Rauch konte er nur eine Gestalt ausmachen, die davonrannte. Und Tristan rannte hinterher. Nur wenige Augenblicke später stürzte er. Der Aufprall war hart und unerwartet, er presste ihm den restlichen Sauerstoff aus den Lungen. Alles war finster und alles wiran er sich klammerte, war sein Schwert.
"Weiter!", hörte er von irgendwoher. Ja, weiter, einfach weiter!
Er rappelte sich auf, keuchte und erst da sog er wieder Luft in seine Lungen, ehe er mir pochendem Herzen und zitternden Knien losstürmte.

Obwohl er nicht an einen Erfolg glaubte, beschwor Kazeel einige Schattenlanzen und warf sie auf einen der schwarzen Krieger, als dieser durchbrach. Und tatsächlich, der Feind wurde von den Geschossen durchbohrt und fiel röchelnd zu Boden. Über das Warum machte sich der Grindyl nun keine Gedanken, denn die Lage im Raum wurde immer schlimmer. Das Feuer griff immer weiter um sich, und er wankte automatisch zurück, weg von der Hitze und dem Rauch, welcher ihm den Atem raubte. Die Stimmen in seinem Kopf war verstummt, er konnte sich nun wieder darauf konzentrieren, nach einem Ausweg aus ihrer Lage zu suchen. Nur, gab es überhaupt einen?
Sein Kopf flog zur Seite, als er von dort die Stimme des Jungen, Finn, hörte. Durch den Rauch sah Kazeel etwas... leuchtendes. Er konnte nicht genau erkennen, was es war, doch einem Instinkt folgend hastete er darauf zu. Es war eine Art Portal, das in der Wand des Raumes entstanden war. Er sah Aldred hindurch stürmen, und ohne lange nachzudenken, von schierem Überlebenswillen getrieben, folgte er ihm und trat durch die Öffnung.

Die Stimme des Zweifels verdrängend warf sich Amun ebenfalls durch das Portal, wobei er unwillkürlich mit den Flügeln flatterte, um einen eventuellen Sturz abzufangen. Trotz seiner guten Augen kam sich Amun vor wie erblindet. Probeweise streckte er eine Krallenhand aus und wedelte damit herum. Tiefste Schwärze war eine Untertreibung für sein derzeitiges Sehvermögen. Man sollte doch meinen, dass man wenigstens irgendetwas würde sehen können. Nicht einmal in dem einen Grab, das Amun einmal durchsucht hatte, war es dermaßen finster gewesen.
"Finn, heh? Wo sind wir? Ist noch richtige Ebene, ja? Nicht Geisterebene?"
Amun fragte nicht, ob noch jemand da sei. Wäre jemand da würde er sich dumm vorkommen und wäre niemand da, würde er die Antwort nicht wissen wollen.

Eine Weile lang stolperten sie blind vorwärts. Mit weit von sich gestreckten Händen versuchte Aldred den Weg zu erahnen, dennoch stieß er immer wieder gegen kalten Fels oder geriet auf dem unebenen Boden ins Stolpern. Die Schritte der anderen, ihr Atem und die gelegentlichen erstickten Schreie wenn einer von ihnen zu Boden fiel waren die einzigen Geräusche, die an sein Ohr drangen. Es war ein krasser Unterschied zum tosenden Schlachtenlärm und dem Brüllen des Feuers, die die Bibliothek erfüllt hatten. Irgendwann schließlich flaute die Panik ab und klare Gedanken gewannen wieder die Überhand.
"Halt!", rief Aldred und blieb stehen. Irgendwer stieß trotz der Warnung mit ihm zusammen. "Feuer! Wir brauchen Licht", verkündete er knapp, gepresst, "Ich... ich habe meinen Feuerstein noch, aber nichts brennbares. Hat irgendwer etwas? Holz, Zunder, Pergament?"

Angenehm konnte man es nicht nennen, durch die Dunkelheit zu stolpern und nicht zu wissen, was vor einem lag. Doch nun da er überlebt hatte, war er einfach nur froh, trug er das Wichtigste stets nahe am Körper.
Das Keuchen und die SChritte der Anderen waren durchaus beruhigend. Es war irgendwie schön zu wissen, dass noch jemand da war, der genauso ziellos in der Dunkelheit herumirrte, wie er selbst. Er stolperte zwar zwei Mal über seine eigenen Füsse und wäre beinahe hingefallen, konnte sich aber jedes Mal noch irgendwie auffangen.
Irgendwann erklang ein 'Halt!', woraufhin der Söldner auch relativ abrupt stoppte und tief durchatmete.
"Ich sollte irgendwo Zunder haben", antwortete er der Stimme schliesslich und begann auch danach zu suchen.

Die Tür in seinem Rücken drückte immer stärker gegen ihn und er lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen, um sie offen halten zu können. Doch schliesslich würde die Kraft, die die Pforte schliessen wollte, zu stark und Finn wurde von ihr mitgerissen und durch die Öffnung geworfen. Er schrie kurz, als er in die Tiefe fiel, konnte unter sich im Licht von aussen die anderen erkennen, dann schlug er auf dem harten Boden auf und alle Luft wurde aus seinen Lungen gepresst. Die Tür über ihnen schloss sich und verschwand mit einem kurzen Aufblitzen. Währenddessen hörte Finn schon Schritte, die von ihrem Landeplatz weghasteten. Der Junge rappelte sich schnell auf und biss die Zähne zusammen, obwohl sein ganzer Körper schmerzte und er lieber liegen geblieben wäre, doch das Adrenalin hielt ihn aufrecht. Er hatte einen Zauber gewirkt. Sie waren entkommen. Die unangenehmen Fragen verdrängte er.
So stolperten sie einige Minuten keuchend durch die Dunkelheit, bis die Schritte plötzlich langsamer wurden und eine Stimme – Aldreds Stimme – nach Feuer fragte. Bei dem Wort Pergament legte Finn unwillkürlich beide Hände auf seine Umhängetasche und starrte erschrocken in die Richtung aus der die Stimme des Schmieds gekommen war. Zum Glück reagierte jemand anderes – der Mann mit dem Pferd – und sagte, dass er Zunder hatte. Während sie darauf warteten, dass ein Feuer aufflackerte, beruhigte Finn sich langsam und musste sich dem Gedanken stellen, wo er sie hingebracht hatte.
"Ich... ich weiss nicht, ob... ob wir hier wieder rauskommen...", murmelte er in die Stille.

Der Zunder würde nicht lange vorhalten, wäre nur all zu rasch herunter gebrannt, aber es war besser als nichts. Ein wenig Licht war alles, was sie brauchten. Vielleicht würden sie etwas finden, woraus sich eine Fackel machen ließ. Allein über den Klang ihrer Stimmen fanden Aldred und Tristan zusammen, bildeten auf dem blanken Felsboden ein kleines Zunderhäufchen. Als Aldred begann mit Stahl und Feuerstein Funken zu schlagen war es wie eine Erlösung. Grell orange sprang es von der Messerklinge, kein Lichtschein, aber immerhin etwas, das die Dunkelheit durchbrach. Es dauerte quälende Minuten bis ein Funke endlich soweit verfing, dass er zündete. Eine kleine Flamme entwand sich dem Zunderhäufchen und mit einem mal konnte Aldred wieder zumindest seine Hände erkennen. Und da war die schemenhafte Silhouette des Söldners Tristan auf der anderen Seite des Flämmchens.
"Kommt näher, kommt ins Licht!", rief Aldred, seltsam berauscht von dem kleinen Schein, der durch die Dunkelheit brach, die anderen zusammen, "Lasst euch sehen! Seid ihr verletzt? Haben wir es alle geschafft?"

Obwohl es für Kazeel ein leichtes gewesen wäre, die Dunkelheit zu vertreiben, verzichtete er darauf. Es bestand keinerlei Notwendigkeit, sein Gleichgewicht erneut zu stören, und das Feuer, das Aldred und Tristan entfachten, würde ausreichen, um ihre Umgebung notdürftig zu erhellen.
Tatsächlich flackerte kurz darauf eine kleine Flamme auf, und in ihrem Licht konnte er einige aus ihrer Gruppe erkennen. Da waren zunächst einmal Aldred und Tristan. Neben ihnen schien Seline zu stehen, die anhand ihrer vier Arme leicht zu identifizieren war. Er selbst trat, Aldreds Aufforderung folgend, näher und in den Schein der Flamme.
"Ich bin nicht verletzt. Was ist mit euch anderen?"

Erst als Aldred danach fragte, wurde Finn bewusst, dass er verletzt sein könnte. Oder erschöpft. Immerhin hatte er gerade einen ziemlich mächtigen Zauber gewirkt, auch wenn er immer noch nicht wusste, wieso es geklappt hatte. Aber er fühlte sich nicht erschöpft. Im Gegenteil. Ein Teil von ihm, der sich gerade nicht Sorgen um ihr weiteres Überleben machte, war ziemlich euphorisch. Nicht nur, weil er es geschafft hatte, einen Zauber zu wirken. Der Zauber selbst hatte ihn nicht geschwächt. Eher... gestärkt.
"Ich... bin auch in Ordnung... glaub ich", sagte er und sah sich im schwachen Licht der Flamme um. Die Anderen waren schemenhaft um sie herum zu erkennen, auch wenn er nicht sehen konnte, wer alles da war. Hinter ihnen flackerte das Licht über grobe Felswände. Der Tunnel sah nicht so aus, als wäre er von Menschenhand geschaffen worden, irgendetwas anderes hatte das getan. Oder vielleicht war er schon immer da gewesen. Finn knabberte auf seiner Unterlippe herum und wandte sich wieder dem Teil zu, der sich Sorgen machten. Sie würden es hier nie raus schaffen.
"Wir sollten... uns beeilen..."

"Bei mir ist alles in Ordnung", teilte Tristan mit. Das Feuerchen war wirklich eine regelrechte Erlösung. Und gleichzeitig war es irgendwie ironisch, dass er sich nun so über die paar Flammen freute, nachdem er gerade einem Brand entkommen war.
Langsam zwang er sich definitiv zur Ruhe, atmete einige Male tief durch und rieb sich seine Hände an den Hosen ab. Er hatte sie sich aufgeschürft, wie er nun bemerkte. Doch das war ihm zuvor nicht aufgefallen.
Sein Puls normalisierte sich, ein letzter, tiefer Atemzug und er konnte sich wieder konzentrieren.
"Beeilen?", brummte er dann. "Warum, ist doch ganz gemütlich hier."

Langsam traten sie alle näher, eine Gestalt nach der nächsten schälte sich aus der Finsternis. Und sie alle schienen unverletzt. Das war gut. Da war Kazeel, der kleine Grindyl, der ihm den Arm gerichtet hatte. Und Finn, Finn, der sie überhaupt erst hier her gebracht hatte. Er schien sich alles andere als wohl zu fühlen. Und wer konnte es ihm verdenken? Dieser Ort war... unheimlich, was immer er auch war. Auch Aldred begann nun, da der Schock der Flucht überwunden und dieser Ort nicht mehr die ersehnte Rettung, sondern mehr eine neue Gefahr zu sein schien, sich fort zu sehnen. An einen anderen Ort. Einen helleren Ort. Ein Ort, der in so vollständiger Finsternis lag wie dieser konnte kein guter Ort sein. Nur: wie sollten sie hier weg kommen? Finn hatte sie hierher gebracht...
"Finn!", rief er den Jungen zu sich, "Was genau ist dort oben passiert? Wo kam dieses Tor her? Und was ist das hier für ein Ort? Wir sind vielleicht den Schwarzen entkommen, aber das ist..." Er ließ den Satz unvollendet. Er konnte nicht beschreiben, was er für diesen Ort empfand. Auf seltsam unwirkliche Art und Weise machte er ihm Angst.

Langsam schienen auch die anderen zu bemerken, dass etwas mit diesem Ort nicht stimmte. Finn sah sich nervös um und strich über seine Umhängetasche, in dem das Buch steckte, aus dem er den Zauber gelernt hatte. Diesen Ort hatte er aber schon vorher gekannt. Es gab einige Geschichten darüber. Die meisten Magier taten sie als Märchen und Übertreibungen ab und auch Finn hatte sie nicht glauben wollen, aber dann hatte er den Zauber entdeckt und nun waren sie hier. Es gab keinen Zweifel daran, wo sie sich befanden.
"Die Gewundenen Untiefen. Das... das sind die Ge... Gewundenen Untiefen. Ich habe eigentlich nicht... geglaubt dass es sie gibt, aber... aber dann hab ich diesen Zauber i... in einem der Bücher gefunden un... und ihn ge... gewirkt. Ich habe nicht geglaubt, dass es funktionieren würde", antwortete er mit unsicherer Stimme, räusperte sich und zitierte dann: "Die Gewundenen Untiefen sind ein Ort der Dunkelheit, ein Ort der Unwirklichkeit. Sie befinden ich nicht in unserer Welt und doch sind sie unweigerlich mit ihnen verbunden. Ein Labyrinth in tiefster Finsternis, dessen Wege nur darauf aus sind, alle, die auf ihnen gehen, zu verschlingen. Die Leute, die daraus entkommen sind, kann man an zwei Händen abzählen und man sagt, sie hätten ihren Verstand in der Dunkelheit zurückgelassen. Alle, die hineingeraten, sind dazu verdammt, bis zu ihrem Tod darin herumzuirren."
Finn verstummte und senkte den Kopf.
"Ich... ich habe nciht gedacht, dass... dass es funktionieren würde."

Finns Beschreibung klang wenig Zuversicht erweckend und die Reue in seiner Stimme ließ offenkundig erkennen, wie nahe es ihm ging, dass er sie in diese Lage gebracht hatte. Vielleicht war da auch Furcht, Furcht vor dem, was nun vor ihnen lag. Aldred hingegen blieb bei der Erklärung des Jungen seltsam ruhig, unbekümmert fast. Natürlich behagte auch ihm die Aussicht, durch ein Labyrinth ewiger Finsternis zu irren bis sie irgendwann verhungerten, kein bisschen, aber immerhin... "Es ist besser, als dort oben zwischen all diesen Büchern zu verbrennen. Es ist gut, dass es funktioniert hat. Wir leben noch." Er sah Finn über das kleine Feuer hinweg lange mit ernsten Blick an. "Ich schätze, wir sind dir zu Dank verpflichtet, kleiner Magier. Ab nun liegt unser Schicksal in der Hand der Göttinnen. Sie werden uns wieder hier heraus... Wo ist Iorweth?" Erst jetzt ging Aldred mit einem mal auf, dass sie nicht vollzählig waren. Der Elf, der sich so tapfer gegen die schwarzen Angreifer gestellt hatte, den er eben noch aus den Flammen gezogen hatte, war nirgends zu sehen. Und auch von Geralt und Alexander war keine Spur zu entdecken.

Bei Aldreds letzten Worten zuckte Kazeel erschrocken zusammen und sah sich hektisch um. Von dem Elfen war nichts zu sehen, ebenso wie von...
"Alexander? Geralt? Iorweth?" rief er mit halblauter Stimme. Doch nur sein eigenes Echo antwortete ihm. Als auch nach einigen Sekunden nichts zu hören war, begann er zu frösteln.
"Bei Licht und Schatten..." hauchte er. "Haben wir sie verloren?" Er fuhr zu Aldred herum. "Kann es wirklich sein, daß sie es nicht geschafft haben?" Der Blick, mit dem er den Menschen bedachte, war beinahe flehentlich, als hoffe er, daß Aldred ihm etwas anderes sagen würde.

Was diese kleine Kröte erzählte, liess in Tristan unwillkürlich Wut aufsteigen. Er hatte verdammtnochmal einfach nur eine ruhige Nacht in diesem bescheuerten Tempel hinter sich bringen wollen! Und nun war er erst fast verbrannt und jetzt sollte er also in dieser Dunkelheit verrecken?!
"Das ist nicht dein verfluchter Ernst?!", fuhr er Finn auch sogleich an. "Wie kann man nur so verantwortungslos sein?! In dem Feuer wären wir wenigstens einigermassen schnell verreckt! Und hier werden wir nun vor uns hinsiechen, bis einer nach dem anderen langsam zu Tode kommt?!"
Er schmiss sein Schwert klangvoll auf den Boden und ging dann selber in die Hocke, um sein Gesicht mit den Händen zu verdecken. "Ja, natürlich, ich hab mir schon immer mal gewünscht, irre zu werden!"
Am liebsten hätte er diesen Bengel eigenhändig erwürgt und er war auch kurz davor auf zu springen und genau das zu tun.