Die Heimreise

"Ich mag nur eine künstliche Intelligenz sein, Technical Commander, aber Ihr solltet dennoch wissen, dass ich nicht so dumm bin, Euch versehentlich zu töten", meinte Solis zu Kinara und man hätte meinen können, dass ihre Stimme dabei etwas gekränkt klang. Doch dies war völlig unmöglich, immerhin behaupteten diejenigen, die Solis entwickelt hatten, dass Solis zu keinerlei Gefühlsregungen fähig war.
"Commander, der Wasservorrat, den ich dem Reaktor zuführen könnte, ist nicht ausreichend. Sie müssen von der Trinkwasserversorgung Wasser ableiten und dann sollte möglichst bald das Wasser destiliert und der Reaktor gereinigt werden. Aber das wissen Sie sicher", fügte Solis den letzten Satz mit ihrem typischen Sarkasmus hinzu.

Kinara hatte bereits ein gutes Stück des Schachtes zurück gelegt als sie erneut die künstliche Stimme von Solis in ihren Ohren hören konnte. Die vorangehende Nachricht von Commander Tiarak hatte sie ignoriert. Der Baht und seine ganz Art kümmerte sie momentan eher weniger. Die junge Nehala stieß hörbar die Luft aus, sank ein wenig zusammen, legte die Stirn gegen das kühle Metall des Lüftungsschachtes. "Bei dir kann man nie wissen, Maschine... selbst Kinder der Neha'Prana übertreffen deine Programmierer.", flüsterte Kinara ohne aktiven Sprachlink zu der KI... Am Ende würde die KI noch den Lüftungsschacht mit flüssigem Plasma füllen, um die Nehala zu atomisieren und schließlich doch noch umzubringen. Der Gedanke war pure Schwarzmalerei, Solis konnte kein Verlangen darauf entwickeln Crewmitglieder zu töten.
Dennoch traute sie der KI nicht... so wie sie generell keiner Shejen-Technologie traute... dabei war dieses ganze Schiff Shejen-Technologie, bis auf den Antrieb...
Das Wasser reichte also nicht aus... Trinkwasser umleiten... dann kannte Kinara nun also ihre neue Route. "Das machst du doch absichtlich, Solis... ich weiß es...", sprach sie kühl und versuchte ein wenig sarkastisch zu klingen. Vermutlich hatte sie damit aber auch noch Recht...
Die Nehala krabbelte weiter durch den Schacht, zumindest war das Schiff noch sehr neu gewesen und so war Staub und Dreck in den Schächten nicht vorzufinden. Das würde sich aber wohl noch ändern, denn Menschen verloren eine unfassbare Menge an Hautschuppen und Haaren... die Nehala schüttelte sich kurz.

"Wie können Sie von einer Tat meinerseits wissen, Commander Velvar, die mir zu tun unmöglich ist? Ein findiger Fuchs hat mich darauf programmiert, Probleme möglichst effizient zu lösen. Sie direkt zu den Stellen zu lotsen, an denen Sie gebraucht werden, ist effizient. Sie auf einen Weg zu schicken, der unnötig ist, ist ineffizient. Außerdem habe ich ein persönliches Interesse daran, die Energieversorgung so schnell wie möglich wiederherzustellen."
Sie schwieg einen Moment, bevor sie wieder Kontakt zu Kinara aufnahm.
"Meine Prüfung hat übrigens ergeben, das meine Schaltkreise stabil genug sind, um den Energiewechsel zu überstehen. Sie brauchen sich um mich also keine Sorgen zu machen, Commander."
Spott klang in Solis Stimme mit. Sie wusste ganz genau, das die Meisten auf diesem Schiff ihr gegenüber eher misstrauisch eingestellt waren. Nur wenige feierten sie als den technischen Schritt, der sie war.

"Solis... Das war ein Witz...", sprach Kinara kühl an die KI gewandt und bewegte sich weiter durch den Schacht. Sie lehnte sich gegen das kühle Metall der Seitenwand des Lüftungsschachtes, nahm ihr Holopad in die Hand und zoomte mit einer ziehenden Bewegung der Hand ein wenig von der Karte heraus.
Trinkwasser umleiten... das sollte kein wirkliches Problem darstellen. Da sie nicht wusste wie lange sie noch hier festsitzen würden, galt es nur eine minimale Menge des Wassers auf die Systeme der Energiegewinnung umzuleiten. Solis würde es innerhalb der Speicher präzise abmessen können, schließlich konnte die Nehala nicht an zwei Orten gleichzeitig sein.
Kinara erreichte die Trinkwasser Aufbereitung ohne große Umwege, trat das Lüftungsgitter aus der Halterung und krabbelte in den kleinen Raum mit der Steuerkonsole.
In dem Raum nahmen den meisten Platz wohl die zylinderförmigen Tanks weg, in welchen das Wasser zirkulierte und in mehreren aufeinanderfolgenden mechanischen und chemischen Schritten gefiltert wurde... wäre der nötige Strom dafür vorhanden gewesen. Die Tanks selbst waren über Winkelrohre mit den Zylindern verbunden, die Druckanzeigen waren alle ausgeschaltet und ohne Energie.
Die Nehala war dafür nicht einmal zuständig... der Antrieb des Schiffes war ihr Aufgabenbereich, keine Wasseraufbereiter und auch keine Elektrolyse-Aggregate...
Dennoch war Kinara klar, dass sie keine große Wahl hatte. Auch sie wollte ihre Heimat schließlich irgendwann erneut wiedersehen... dafür würde sie schlussendlich sogar durch das Feuer gehen. "Solis... leite verfügbare Energie von weniger kritischen Bereich auf die Aufbereitung um und starte sie.", sprach sie zu der KI, legte ihre Finger auf die simple Tastatur und machte sich daran das Wartungsprogramm und die Standard-Routinen des Filtervorganges der Anlage zu durchforsten. Es wäre wesentlich einfacher gewesen, wenn es sich um Schriftzeichen aus dem Hal'rella gehandelt hätte... Nachdem sie eine Möglichkeit gefunden hatte das Wasser umzuleiten, wandte sie sich erneut an die KI des Schiffes.
"Solis, ich kann den Stand des Wassers auf der anderen Ebene von hier aus nicht überprüfen. Sobald die minimal benötigte Kapazität erreicht wurde, gib mir ein Signal damit ich den Zufluss stoppe. Starte Umleitung in 3... 2... 1..."

Die Auflistung aller Geräte und Medizinischem zubehör hatte eine weile gedauert. Aber schlussendlich hatte Lysander eine gute liste zusammen, was da war, was heil war und was nicht. Danach hatte er noch ein wenig aufgeräumt. "Commander Girth, die Inventur ist fertig. Ich werde mich nun eine weile ausruhen. Sollten meine Dienste benötigt werden, ich bin in meinem Quartier." Dann schloss er den Kanal und begab sich auf sein zimmer.
Es war auch ein wenig durcheinander, aber das interessierte ihn gerade gar nicht. Also legte er sich in sein Bett und schlief direkt ein.

Es dauerte eine Weile, bevor Solis auf Kinaras Bitte - oder war es ein Befehl? - reagierte.
"Technical Commander, Sie können das Wasser abschalten. Meine Berechnungen haben übrigens ergeben, dass sie sich noch zu nahe an einer möglichen elektischen Fluktuation befinden, die ihre Implantate negativ beeinträchtigen könnte, wenn ich die Elektrolyse starte. Sie sollten sich am Besten zurück in die Messe begeben, dort sind sie und ihre Implantate sicher."
Eine kurze Pause folgte, bevor sich die K.I. abermals bei Kinara meldete.
"Commander, zwei Techniker sind auf dem Weg zu Ihnen. Soll ich sie ebenfalls in die Messe schicken?"

Auf Solis hinweis hin beendete die Nehala die Umleitung des Trinkwassers auf die Systeme zur Energiegewinnung. Viel hatte zur nötigen Kapazität offenbar nicht gefehlt, eine reine Schätzung aufgrund der Pumpen Aktivität... die Anzeige lieferte ihr keine spezifischen Daten des übertragenen Volumens, einzig und allein dadurch erklärt, dass das System normalerweise nicht dafür gedacht war. Die Aufbereitung fungierte lediglich in mehreren Phasen öfters koaxial zur Entsorgung des Abwassers, so wie auf jedem anderen Schiff mit reguliertem System.
"Verstanden Solis... begebe mich auf den Weg zurück. Die Techniker werden nicht benötigt. Schicke sie in kritische Abschnitte für weitere Reparaturmaßnahmen.", gab sie der KI zur Antwort und kletterte zurück in den Lüftungsschacht. "Die Implantate negativ beeinflußen könnte" heißt so viel wie neurologische Störungen in einem nicht erfassbaren Spektrum...
Erneut musste Kinara auf das Holopad blicken, die Karte aufrufen und sich neu orientieren. Man konnte an allen möglichen Orten heraus kommen wenn man nur einmal falsch abbog, nur nicht dort wo es eigentlich geplant war.
Nachdem sie ein gutes Stück in dem Schacht zurück gelegt hatte und kurz darauf den Schacht über der Messe entlang kroch, wandte sie sich über ihr Headset erneut an die KI. "Distanz dürfte nun ausreichen... du kannst die Systeme reaktivieren."
Die Nehala hoffte sie würde irgendwann auch wieder ein wenig Ruhe bekommen... ob sie überhaupt schlafen konnte? Das Blut, die Toten... das friedliche Grundwesen der Nehala kam mit solchen Situationen nicht wirklich zurecht.

Solis gab eine kurze Meldung an die Techniker raus, wo sie im Moment am effizientesten waren. In diesem Fall war es die Inspektion der Ortungssysteme. Sobald sie wieder mit ausreichend Strom versorgt werden könnten, sowie sie in Einsatzbereitem Zustand waren, konnte Solis den nächstgelegenen Raumhafen des Konzils anpeilen und das Schiff, sobald Kinara sich um den Antrieb gekümmert hätte, dorthin führen, um es dort reparieren zu lassen. Als die zweite Durchsage der Nehala kam, wandte sich Solis an das gesammte Schiff.
"Starte Hauptenergieversorgung. Bitte halten Sie sich von Stromquellen, offenen Kabeln und Flüssigkeiten unbekannter Herkunft fern, um Stromschläge zu vermeiden."
Einen kurzen Moment wartete die K.I. noch, bevor sie den entscheidenden Stromschlag absandte, der den Elektrolyse-Kreislauf wieder in Gang bringen würde. Es zischte, Funken stoben aus offenen Kabeln, dann erlosch die Notbeleuchtung. Einige Sekunden geschah nichts, dann gingen die regulären Lichter überall dort an, wo die Verbindung nicht unterbrochen war.

Zum Glück hatte Solis eine Durchsage gemacht, sonst wäre Tiarak von einem der freiliegenden Kabel geschockt worden. So konnte er nach einer kurzen Unterbrechung mit der Arbeit weitermachen. Dr. Rutland hatte seine Bestandsaufnahme abgeschlossen, aber damit würde er sich später beschäftigen.
Momentan überprüfte er die Funktionsfähigkeit der Brückenkonsolen. Er war zwar kein Techniker, aber kleinere Schäden würde er auch ohne Probleme reparieren können – Wer dazu nicht in der Lage war, hatte seiner Meinung nach nichts auf der Brücke oder generell auf einem Raumschiff verloren.
Er betrachtete nachdenklich die Sensoranzeigen. Von der Aussenwelt war nichts warzunehmen und das erfüllte ihn mit Sorge. Sollten sie jetzt angegriffen werden oder zufällig den Weg eines Asteroiden kreuzen, wäre es um sie geschehen.
Er hatte das Gefühl, dass es für ihr Problem eine einfache Lösung gäbe – aber sie kam ihm einfach nicht in den Sinn.
Mit einem missmutigen Grollen wandte er sich dem nächsten Terminal zu.

Ich hatte mich - auf Anraten von Rutland hin - ungefähr eine Standardstunde ausgeruht und eine Flasche mit Wasser, die ich in meinem Zimmer fand, geleert. Als Solis die Warnung durchgab, wollte ich gerade wieder anfangen zu arbeiten. Mein schlechtes Gewissen meldete sich zu Wort, ICH hätte mich um die Energieversorgung kümmern sollen, das wäre meine Pflicht gewesen.... Leider konnte ich jetzt nichts daran ändern.... Wenigstens ging es mir nun besser als vorher, meine Kopfschemrzen waren verschwunden, das Gel und meine natürlichen Heilkräfte sorgen dafür, dass meine - vermutlich - gebrochenen Finger wieder heilten, ich konnte sie schon wieder vollständig mit minimalen Schmerzen nutzen. Nur meine Seite tat noch weh, vermutlich würde da ein riesiger blauer Fleck entstehen...

"Solis, bin einsatzbereit. Effizienteste Stelle zum Arbeiten?" meldete ich mich einige Minuten nach dem Wiederherstellen der Hauptenergieversorgung. Hoffentlich würde "es" mir eine vernünfitige Stelle raussuchen, bei der ich nützlich sein könnte.

"Supervisor Zyrak, ich halte es für am sinnvollsten, meine Sensoren zu reparieren. Sie erlauben uns eine Standortprüfung, welche Ausschlaggebend für weitere Vorgehensweisen sind. Andererseits ist meine Meinung lediglich eine Hilfestellung und in keinster Weise bindend. Soll ich eine Kommunikationsverbindung mit Technical Commander Velvar herstellen, damit Sie von Ihr die Befehle annehmen können?"
Zu gerne hätte Solis selbst den Befehl erteilt. Ihre Sensoren waren außerordentlich wichtig, allein schon um Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen. Und, wie sie schon gesagt hatte, um herrauszufinden, WO sie überhaupt waren. Doch wie sie den Technical Commander einschätzte, würde diese ihr zustimmen.

Kinara hatte nicht bemerkt, wie ein Wachmann verwundert den Geräuschen aus dem Lüftungsschacht oberhalb an der Decke der Mensa gefolgt war. Die Nehala entdeckte bald darauf ein weiteres Gitter, welches sich durch zwei Scharniere einfach aufdrücken ließ. Sie blickte nach Unten und zögerte ein wenig... es war ziemlich hoch.
Da erblickte sie den Wachmann der mit einem Stirnrunzeln zu ihr nach Oben blickte, jedoch sein Gesichtsausdruck einem breiten Grinsen wich als er wohl erkannte wer dort in den Lüftungsschächten herum kletterte. "Commander? Soll ich sie auffangen?", fragte sie der Mensch, konnte dabei aber sein nerviges Grinsen noch immer nicht ablegen.
Das hatte ihr noch gefehlt... als würde man als Nehala unter all den anderen groß gewachsenen Konzilrassen nicht bereits genug Komplexe entwickeln.
"Die Umstände des um-sein-Leben-Rennens wären empfehlenswert, wenn sie mich fallen lassen.", meinte Kinara ruhig, bevor sie sich aus dem Schacht lehnte, die Beine nach Außen schwang und sich fallen ließ.
Der Wachmann ging nur ein wenig in die Knie, als er sie auffing... und da war es erneut, dieses lästige Grinsen von ihm... "Eine Störung der Gesichtsmuskulatur? Soll ich versuchen diesen Umstand zu beheben?", fragte sie den Menschen kühl, griff zu ihrem Schneidbrenner und aktivierte die heiße grüne Flamme des Gerätes vor seiner Nase. Der Mann stellte das Grinsen umgehend ein, räusperte sich und ließ die Nehala wieder los. Kinara nickte dem Menschen zum Dank lediglich zu, bevor sie sich abwandte und sich in der Mensa umsah. Kurz wichen ihre Gedanken zu Doktor Rutland, dabei hatte sie sich bis jetzt relativ gut davon ablenken können. Sie machte sich Sorgen um den Menschen... und sie selbst konnte noch nicht wirklich sagen, wie sie mit seinem Geständnis umgehen sollte.

Tiarak seufzte ehrleichtert, als er sein Quartier betrat. Die Reperaturen auf der Brücke waren abgeschlossen und da er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, hatte er sich entschlossen einen raschen Snack in seinem Quartier einzunehmen und dabei weiter zu arbeiten.
Zielstrebig ging er zu dem Terrarium aus bruchfestem Glas, dass in einer Ecke stand. Eine ganze Familie von Naptas saß darin: Genügsame kleine Säugetiere, die sich rasant fortpflanzten, wenn man es zuließ. Schon bei dem Gedanken etwas zu essen lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Rasch tippte er den Code für die Luke ein und griff sich eins der kleinen Tiere.
Nachdem er die Luke wieder verschlossen hatte betrachtete er seine Beute, wenn mans denn so nennen mochte: Ein junges Männchen mit grünem Flaum.
Rasch biss er ihm den Kopf ab. Tiefe Erleichterung durchströmte ihn – Für einen Baht gab es nicht vieles, was mehr die Entspannung förderte als ein Beutetier mit den eigenen Kiefern zu töten.
Nachdem er sich so etwas gestärkt und entspannt hatte wandte er sich seinem Terminal zu und ging die eingegangenen Bestandslisten durch. Dabei fragte er sich, wie so oft, ob andere Spezies wohl auch eine so angenehme Art der Entspannung hatten.
Die Bestandslisten waren das einzig positive, dass er seit dem Unfall gesehen hatte: Zwar war etliches kaputt gegangen oder anderweitig verloren, aber durch die schweren Verluste würden insbesondere die Vorräte wesentlich länger reichen.
Mehr Sorgen machte ihm der generelle Zustand des Schiffs, der Technical Commander hatte bislang noch keine Einschätzung über die benötigte Reperaturzeit gemacht, was nichts gutes verhies.

Lysander hatte eine weile geschlafen und fühlte sich nun gut ausgeruht. Aber er musste sich um seine Patienten kümmern. Er machte sich auf den Weg zur Messe, wo immer noch einige Crewmitglieder lagen. Er sah sich jeden einzelnen nochmal gründlich nach und diejenigen, die keine versorgung mehr brauchten, schickte er zur Krankenstation, damit die dort aufräumten. Den Rest versorgte er nochmal mit Medikamenten und die Toten sortierte er nochmal aus und ließ diese zum Hangar zu den anderen Toten bringen. Nachdem es nichts mehr zu tun gab, nahm er auf einem der Sofas Platz und dachte über sich und Kinara nach. War es wirklich das was er wollte?

Es stellte Solis zufrieden, dass ihre inneren Funktionen wieder funktionierten. Gut, als Machine war sie nicht sehr schwer zufrieden zu stellen. Doch es gab ihr das Gefühl, wieder etwas zu bedeuten. Gefühle... Eigentlich dürfte die K.I. gar keine Gefühle haben und doch empfand sie Zufriedenheit. Plötzlich merkte sie, dass etwas nicht stimmte. Unverzüglich nahm sie Kontakt mit dem Ranghöchsten, noch lebenden und einsatzfähigen Mediziner an Deck auf.
"Doktor Rutland, Notfall in der Krankenstation auf Deck E-3. Die Vitalfunktionen des Captains haben versagt. Sofortige Wiederbelebungsmaßnahmen sind erforderlich. Ich wiederhole, Doktor: Der Captain zeigt keinerlei Vitalfunktionen mehr."
Währe sie ein Mensch wäre sie nun wohl in Streß und Panik geraten, doch immerhin von diesen Gefühlen konnte sie Abstand nehmen. Was machte das schon für einen Unterschied, ob der Captain starb oder nicht? In seinem Derzeitigen Zustand wäre er sowieso auf längere Sicht nicht Fähig, die Führung zu übernehmen. Und wer weiß, möglicherweise konnte Rutland ihn noch retten. Aber nun war es ersteinmal Zeit, den Commander zu kontaktieren.
"Commander Girt? Der Captain schwebt in Lebensgefahr. Ich habe Doktor Rutland zu ihm gesandt, doch ich glaube kaum, dass er überleben wird. Wollen sie etwas an die Crew richten, oder noch warten, bis sie Sicherheit über des Captains Zustand haben?"

"Ich werte warten, pis Klarheit tarüper herscht, op er üperlepen wirt."
Tiarak grollte missmutig: Nun würde er sich auch noch über noch mehr Dinge Gedanken machen müssen. Ganz unerwartet kam die Nachricht über das mögliche Dahinscheiden des Captains nicht, aber er hatte schon gehofft, dass es nicht ganz so schnell kommen würde.
Auf seinem Terminal rief er die aktualisierte Crewliste auf. Es würde einige Beförderungen geben müssen. Und irgendwie würde er die Moral der Crew heben müssen, sobald die Reparaturen weitgehend erledigt waren.

Lysander fluchte. So schnell er konnte lief er zur Krankenstation. Der Captain sah schon blau aus und atmete nicht mehr. Der Doc begann mit der Herzmassage und der Mund zu Mund beatmung. Zwischendurch prüfte er nach, ob ein puls zu fühlen sei. Als dies nicht half, brachte er einen sensor an der Schläfe und an der Brust an, um einen Elekroimpuls in den Cerebralen Kortex zu schiessen. Vielleicht ließ sich so der Captain retten. Zwischendurch überprüfte er immer wieder mit dem Scanner die Vitalwerte... aber es brachte nichts. Der Captain war Tod.. "Solis, Todeszeitpunkt... 00:34 Standardzeit..."

Stoisch nahm Tiarak Solis Meldung über den Tod des Captains hin. Nach geltenden Konzilsverordnungen bedeutete das, dass nun er Captain war und die Verantwortung für, sowie die Befehlsgewalt über Schiff und Crew hatte. Nachdenklich strich er sich über die Hörner, während er sich die Situation zum wiederholten Male durch den Kopf gehen lies: Er war Kapitän eines beinahe schrottreifen Prototypens, hatte keine Ahnung wo sich das Schiff befand und zu allem Überfluss auch nur noch einen Bruchteil der vorgesehenen Crew. Wenn er an höhere Mächte glauben würde, könnte er es für einen perfiden Scherz irgendwelcher Götter halten. So aber sah er was es wirklich war: Eine unbekannte Herausforderung, die alle seine Fähigkeiten bis ans Limit fordern würde – ganz anders als damals auf der OFV-Carnage. Seine Augen verengten sich leicht vor Befriedigung.
Nach einigen Minuten öffnete er einen Kanal für eine schiffsweite Durchsage.
"Hier spricht Kaptain Kirt, vor weniken Minuten ist ter Kaptain ten Verletzunken erleken, tie er pei unserem Unfall erlitt. Um 8:50 Stantartzeit wirt für ihn unt alle anteren Kefallenen eine Kedenkfeier in ter Messe stattfinten."
Er machte eine kurze Pause bevor er fortfuhr.
"Tie Führunksoffiziere sowie Doktor Rutlant finten sich unverzüklich in ter Offiziersmesse zu einer Lakepesprechunk ein."
Mit diesen Worten beendete er die Durchsage und machte sich auf den Weg zur Offiziersmesse.

Kinara überflog einige Statusberichte auf ihrem Holopad und wanderte dabei in dem Raum ein paar Schritte auf und ab. Zumindest verfügte das Schiff wieder über eine aktive Stromversorgung, der erste Schritt für weitere Maßnahmen der Instandsetzung. Die gelben Augen der Nehala hoben sich von dem Gerät, als sie die Stimme von Tiarak durch die Sprechanlagen vernehmen konnte. Es rührte sich nichts in den Gesichtszügen der Nehala als bekannt gemacht wurde, dass der Captain verstorben war... großartig, dadurch hatten sie nun einen Baht als behelfsmäßigen Captain... was hätte Kinara in jenem Moment dafür gegeben um wieder Zuhause in Sheon zu sein.
Bei dem Befehl sich umgehend in der Offiziersmesse einzufinden, senkte die Nehala ihren Blick wieder auf das Holopad, schloss die Berichte und deaktivierte das Gerät schließlich wieder. Sie hatte so eine Ahnung was nun folgen würde... der Baht würde nun mehr als notwendig klar machen, dass sein Wort das meiste Gewicht hatte, sicher gehen, dass niemand es wagte ihn in Frage zu stellen... eben all Jenes was von Vertretern dieser Rasse zu erwarten war...
Kinara machte sich also auf den Weg in Richtung der Offiziersmesse, die Sinnhaftigkeit jener Versammlung stellte sie in ihren Gedanken weiter in Frage. Sie hätten den Tod des Captains verschweigen sollen... sie hatten damit nur noch mehr Verzweiflung in diese ohnehin aussichtslose Situation gesät.
Als die Nehala die Räumlichkeiten erreichte und jene betrat, befanden sich bereits einige andere Personen dort und warteten. Ein wenig abseits stellte sich die Nehala hin und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Sie stellte keine großen Erwartungen...

Lysander seufzte.. Jetzt war es also soweit.... Sie waren mitten im Nirgendwo, die Hälfte der Crew war entweder Tod oder verletzt und sie hatten einen Baht zum Captain..Ausserdem musste das Schiff repariert werden, damit sie wieder heim fliegen konnten, oder zumindest noch längere zeit am leben blieben. Mit einem unguten Gefühl im Magen machte er sich auf den weg in die Offiziersmesse. Wie zu erwarten, waren schon die meisten Führungsoffiziere da. Kurz lächelte er Kinara an, dann suchte er sich einen platz, von dem aus er das Spektakel beobachten konnte. Das konnte wirklich was werden..

Nachdem auch Dr. Rutland eingetroffen war, waren endlich alle versammelt. Ohne große Umschweife fing Tiarak an zu sprechen: "Ich weiß, dass Sie nicht sonterlich erfreut tarüper sint, tass ich nun Captain pin. Aper als Offiziere ist ihnen hoffentlich tie Wichtikkeit einer klaren Pefehlskette klar. Um tiese zu kewährleisten hape ich peschlossen, Toktor Lysanter Rutlant in ten Rank tes Metical Commanters zu peförtern, auch wenn seine Apteilunk momentan nur aus ihm selpst pesteht." Er blickte dabei den Arzt aufmerksam an, dann wandte er sich dem Technical Commander zu. "Was Technical Commanter Velvar ankeht, so hape ich peschlossen sie zum Commanter zu peförtern. Aufkrunt ter momentanen Notlake, hape ich nicht vorkesehen, einen neuen Technical Commander zu perufen, sodass sie weiterhin als Chefinkenieurin arpeiten werten." Er machte eine kurze Pause.
"Klaupen sie tieser Pelastunk kewachsen zu sein, Commanter?"

Die Nehala war mit ihren verschlungenen Gedanken ganz wo anders, hatte die gelben Augen starr auf den Boden gerichtet und den Kopf dabei gesenkt wobei ihr Strähnen ihres silbrig weißen Haares in ihr Gesicht hingen. Einige male zuckte ihr Blick durch das Nichts, als würde sie nicht vorhandene Zeilen lesen, erneut rechnete sie verschiedene Szenarien durch. Dieses ganze Szenario, dieser ganze Vorfall entband sich selbst jedweder Logik und Sinnhaftigkeit... Die KI des Schiffes hatte ihr nicht die gewünschten Daten geben können welche sie benötigt hätte, um weiterhin logisch und effizient schlussfolgern zu können. Nunja, vielleicht würde sich dies bei fortschreitendem Instandsetzungsprozess ja automatisch einpendeln, die Möglichkeiten standen gut. Sobald sie in der Lage wären den Kontakt nach Draußen herzustellen, würden sie es ja vielleicht doch noch schaffen...
Kinara hob den Blick als Doktor Lysander Rutland den Raum betreten hatte, die Mimik der jungen Nehala blieb auf sein Lächeln jedoch unverändert. Jedoch bekam es Kinara nicht mit, wie sie unbewusst rot um die Wangen wurde...
Schließlich wandte sich der neue Captain an sie, sprach aus was ohnehin bereits jeder dachte... überraschend war jedoch die Beförderung von Lysander in den Rang des Medical Commander. Doch dies war nicht das Ende der Überraschungen... Tiarak hob die Nehala selbst in den Rang des Commanders, der Sinn dahinter erschloss sich ihr jedoch nicht wenn er keinen neuen technical Commander belegen wollte. Sie würde ohnehin die selben Arbeiten leisten... aber sie wollte es nicht in Frage stellen, also blieb sie völlig ruhig.
"Ich danke euch für diese... Chance... Captain...", antwortete ihm Kinara ruhig und wandte den Blick wieder desinteressiert ab.
Oh, sie würde der Belastung schon standhalten... lieber würde sie freiwillig aus der Luftschleuse springen, anstatt irgend einem Shejen ihre Arbeiten und vor allem den Antrieb zu überlassen.

Tiarak nickte leicht. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Velvar irgendwelche Einwände erheben würde. Nur die Wortwahl der Antwort irritierte ihn etwas, aber so waren Nicht-Telepathen nunmal.
"Tann weiter zum nächsten Punkt: Kepen sie pitte eine Einschätzunk ap, wann tas Schiff wieter manövrierfähik ist, Commanter."
Vermutlich würde die Nehala sich irgendwie winden um sich nicht auf einen Zeitrahmen festlegen zu müssen, den sie womöglich nicht würde einhalten können, aber er brauchte wenigstens eine Prognose mit der er arbeiten konnte.

Eine ganze Weile lang sprach die Nehala einfach nichts, starrte ein Loch in die Luft und es schien schließlich sogar so als würde sie dieser irrelevanten Aufforderung von Tiarak nicht einmal nachkommen sondern sie absichtlich ignorieren. Schließlich blickte sie dann doch wie gewohnt völlig ausdruckslos zu dem neuen Captain empor.
Belanglos und paradox... was wollte er von ihr hören? Dies würde ganz davon abhängen wie viele Probleme sich ihnen während der Reparaturen noch in den Weg stellen würden. Bei den weitreichenden und intensiven Schäden würde es sich wohl kaum um Stunden handeln... mehrere Tage waren ein recht realistisches Spektrum. Den Antrieb wieder online zu bringen war eine Sache, aber das Schiff wieder vollständig raumtauglich zu bekommen... Die Wiederherstellung der Manövrierfähigkeit des Schiffes war für die Nehala zudem nicht die beste Lösung. Der registrierte Schaden an der Hülle schließt einen Wiedereintritt in Atmosphären aus, zudem wussten sie nicht wo sie waren, der Einsatz des Antriebes konnte unter den Belastungen höherer Umdrehungszahlen die Grundstruktur des Schiffes nur noch mehr schädigen, oder Schlimmeres. Sie sollten zuerst versuchen die Navigationssysteme wieder online zu bekommen... Doch danach hatte der neue Captain nicht gefragt...
"Da es bereits bei der Reaktivierung der Stromversorgung zu Problematik kam... Tage... doch sie sollten die Prioritäten der Instandsetzungen noch einmal überdenken, Captain.", sprach sie schließlich kühl und senkte anschließend ihren Blick wieder. Die Nehala hatte noch nicht geschlafen seit dem Vorfall... sie hoffte sie könnte sich anschließend zumindest für ein paar Stunden ein wenig hinlegen.

Lysander versuchte ruhig zu bleiben. Der Baht hatte ihn zum Medical Commander befördert und Kinara zur Commander.. naja jemand anderes stand ja nicht mehr zur verfügung oder? Als erstes müsste Lysander die Crewliste durchgehen, um nochmal nachzusehen, wieviele sie überhaupt noch waren. Und wen er als Assistent in die Krankenstation holen könnte. "Sir? es wäre unklug, Commander Velvar ohne pausen durcharbeiten zu lassen," meldete er sich zu wort. Er vermutete zwar, das der Baht dies sicher auch schon überlegt hatte, aber es war seine pflicht als Arzt, dem Captain dies mitzuteilen. "Wir wollen doch nicht, das irgendetwas passiert... wenn Commander Velvar unkonzentriert ist, warum auch immer." Kurz sah er Kinara an. Hoffentlich begriff sie, das er ihr helfen wollte.