GQ - [Die MSG]

"Hoffentlich, hoffentlich, heh?", murmelte Amun Finn zu und sah dabei doch das schmerzverzerrte Gesicht von Nicole nur allzu deutlich vor sich. Der Frau ging es weder gut, noch würde sie weit kommen. Amun überholte Finn mit ein paar langen Schritten und näherte sich rasch Nicole und Aldred.
"Was du brauchst ist Ruhe, keine göttliche Hilfe. Wenigstens für zwei oder drei Tage. Gib der Wunde Zeit...", sagte Aldred grade. Ohne zu Zögern unterbrach Amun die beiden.
"Müssen hier weg. Reiter wissen wo wir sind, heh. Gibt keine Garantie, dass Kommandeur der Reiter keine Nachricht bekam. Keine Garantie, nein. Müssen weg. Regalbrett aus dem Keller vielleicht? Zum Tragen? Nicht bequem, aber funktioniert."

Iorweth blickte Nicole kurz finster an, nachdem sie ihn so angefahren hatte. Er machte sich sorgen um sie und sie keifte ihn so an. Kurz kam er in versuchung, einfach zurückzuschnauzen, aber an ihrem Blick merkte er ,das sie wohl eher auf sich selber zornig war als auf ihn.
Dann bat sie ihn indirekt um unterricht im schwertkampf. "Wenn es dir bessergeht und wir zeit finden, werde ich dir zeigen wie mann kämpft. Aber jetzt lass dir von uns helfen. Wir wollen nicht, das du noch mehr verletzt wirst."

Eigentlich konnte Geralt Iorwrth nur zustimmen. Es war unverantwortlich, mit so einer Wunde noch irgendwo hinzugehen. Er selbst hatte nach solchen Verletzungen Tage und Wochen der Erholung gebraucht. Stirnrunzelnd sah er zu ihr. War es tatsächlich ein Segen der Göttin, der auf ihr ruhte und sie schützte, oder war es selbstmörderische Entschlossenheit, die zu ihrem Tod führen würde? Amuns Vorschlag sie zu tragen klang da schon wesentlich vernünftiger, aber dann würden sie kaum noch vorwärts kommen. Eigentlich, dachte sich Geralt, musste Nicole schon selber wissen was sie wollte. Andererseits – wenn sie eine Gesegnete der Göttin war, dann war es auf jeden Fall besser wenn sie nicht starb, und wenn jeder, der auch in ihrer Gunst stehen wollte, sie nach Kräften unterstützte.
In einem eher halbherzigen Versuch, die Entscheidung ein wenig zu beschleunigen, nickte der Waldläufer Amun zu. "Irgendetwas. Zu Fuß – zu langsam. Und gefährlich."
Vorsichtig beobachtete Geralt, wie die anderen wohl auf seinen Kommentar reagieren würden, allen voran Nicole. Er wollte sie nicht verärgern. Aber nich weniger wollte er sie tot sehen. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf, absurd und abwegig, aber für einen Moment dachte er sich, es sei wohl besser gewesen wenn er und nicht sie verwundet worden wäre.

Seline blickte zu Nicole, doch man konnte ihr nicht so recht ansehen was sie von der auserwählten hielt. Doch in gewisser art und weise erkannte Seline in Nicole's verhalten sich selbst wieder. Sie erinnerte sich, schlieslich hatte sie sich früher ähnlich verhalten, ganz am anfang als sie als Söldnerin angefangen hatte. Sie hatte allen beweisen wollen das sie nicht schwach war und darum so manche sachen getan, die sie heute als Dumm bezeichnen würde. Seline glaubte das Nicole nun das gleiche tat und nicht als Schwächling angesehen werden wollte. Seline glaubte nicht das einer aus der Gruppe dies ernsthaft tat, aber Nicole das mit gut zureden klar zu machen war im moment wohl keine gute idee, zumindest aus der sicht von Seline, wohl auch weil sie selbst nicht gut in solchen dingen war.
Aus der sicht von Seline gab es nur eine lösung. "Es ist mir egal ob einer dieser Göttinen über dich wacht oder nicht, ich jedenfalls glaube nicht an sie und auch nicht darauf das sie dich am Leben erhalten werden. Ich werde aber nicht zulassen das du dich diesem irrglauben hingibst und dich selber zugrunde richtest, also hast du die Wahl, entweder lässt du zu das wir dir Helfen, oder ich schicke dich ins Reich der Träume und Trage dich, mir ist es egal. Aber ich werde sicher nicht zusehen wie du dich selber zugrunde richtest nur weil du glaubst irgend eine Göttin würde dich beschützen oder wegen was auch immer." Seline wusste das ihre Worte hart klangen, doch nach dieser Drohung konnte sich Nicole helfen lassen ohne als Schwach oder nutzlos dazustehen, schlieslich hatte Seline sie dazu ja gezwungen.

Besorgt folgte Sahins Blick der Verwundeten, als Nicole sich schnell wieder aufrichtete und wieder weiterziehen wollte. Genau wie die anderen war er kaum davon überzeugt, dass es ihr dafür gut genug ging. Ihre Aussage, dass sie als Auserwählte der Göttin das schon überleben würde, zeugte seiner Meinung nach nur von ihrer derzeitigen Verfassung. Da die übrigen Gruppenmitglieder bereits auf Nicole einredeten, hielt er selbst den Mund und sah sich lieber nach etwas um, dass sie als Trage benutzen konnten, da ihm Amuns Vorschlag mit dem Regalbrett etwas unüberlegt vorkam. Vermutlich würde sie auf so einem kaum Platz haben, wodurch die Gefahr bestand, dass sie herunterfallen könnte. Langsam näherte er sich erneut der Kellerluke, doch dieses Mal lag sein Blick auf der Holzabdeckung, die gerade neben den Eingang auf einigen Trümmern lag. "Das würd vermutlich gehen..." murmelte er zu sich selbst und sah sich kurz die Befestigung an.

"Das würde es...", antwortete Aldred und nickte bestätigend. Unbemerkt war er hinter Sahin getreten, hatte sich vom Rest der Gruppe, von Nicole und ihrem Dickkopf, von Seline und ihren lästerlichen Reden abgewandt und sich stattdessen dem jungen Jäger beigesellt, der - wie es schien - sich mehr um die praktischen Details Gedanken zu machen schien. Ja, die Flügel der Kellerluke würden in der tat eine brauchbare Trage hergeben, wenn sie sie denn aus ihrer Verankerung gerissen bekamen. Doch das würde gehen. Das Feuer hatte die Angeln angegriffen. Mit ein wenig Gewalt würde man sie wohl einfach aus dem verkohlten Holz brechen können. Und mit ein wenig Werkzeug...
Aldred hob den Blick, sah sich suchend um, ob es nicht irgendwo ein Beil, ein Stemmeisen gab... und blieb mit dem Blick an der Kellertreppe hängen. Dort unten, am Ende der tief einfallenden Sonnenstrahlen - ganz als wollten diese sie hervor heben - lag die Karte. Er hatte sie über all die Aufregung hin vergessen, doch nun weckte sie erneut sein Interesse. Was mochte es für ein Ort sein, an den sie sie leitete? Hastig stieg er die Treppe hinab und las das alte Pergament auf. Mit nachdenklicher Miene machte er sich daran, es zu studieren.

Im Grunde unterschied sich die Karte kaum von einer, wie man sie bei den Kartenzeichnern kaufen konnte. Sie war leicht vergammelt, roch nach Keller und bestand aus brüchigem Pergament, was Rückschlüsse auf ihr Alter zuließ. Halb Ruhta schien darauf abgebildet - in erschreckendem Detail. Und aus irgendeinem Grund markierte ein rotes Kreuz ihren derzeitigen Standort. Hätte Aldred sich bewegt, das X wäre ihm gefolgt.

Nicole hatte keine Augen für ihn. Man zweiifelte an ihr. Bedrohte sie! Alles nur, weil sie niemandem zur Last fallen wollte. Es sah ganz so aus als hätte sie keine Wahl sich tragen zu lassen..

Nicole stoppte, schien sich in die feste Entschlossenheit der anderen zu fügen, sie zu tragen. Aldred allerdings, der sich aufgemacht hatte, um die Kellerluke herauszureißen, schien wieder von der Karte eingenommen. Kurz versuchte Geralt das Holz einfach von den grob befestigten und stark verkohlten Angeln loszureißen, aber die Bohlen waren zu dick und stabil. Also machte er sich auf den gleichen Weg wie Aldred, schob sich an ihm vorbei – presste sich dabei mit dem Rücken an die Wand, um jede berührung zu vermeiden – und hielt seinerseits Ausschau nach Werkzeug. Es war dunkel und wegen der Plünderer auch mehr als unordentlich, aber nach einigem Suchen entdeckte er in einer Ecke erdverkrustete Hacken, wie sie auf dem Acker Verwendung fanden, und auf einem kleinen Stapel Feuerholz ein Beil, das wohl zum Spalten benutzt worden war. Geralt griff sich eine Hacke und das Beil und kehrte zum offenen Kellereingang zurück. Wortlos hielt er Sahin das Beil hin. Je schneller sie wieder auf dem Weg waren, desto besser; viel hatten sie nicht zu essen, und wenn es noch mehr von diesen schwarzen Reitern gab würden sie sie umso eher finden je näher sie noch am Bauernhof waren. Alleine wäre Geralt schon Meilen entfernt gewesen.

Was hatte es mit dieser Karte auf sich? Sie wirkte unscheinbar, wie eine ganz normale Landkarte eben. Hätte er sie nicht in dem Altarraum gefunden, Aldred hätte sie wohl kaum eines Blickes gewürdigt. Was hätte er auch mit ihr anfangen sollen? Er wusste nicht einmal, wo er selbst sich befand. Da brachte es ihm wenig, dass auf der Karte ein Ort markiert war. Aber so... so war er sich sicher, dass es etwas Bedeutungsvolles mit dieser Karte auf sich hatte. Etwas, das speziell ihn, oder besser gesagt: speziell ihre Gruppe, betraf. Diese Karte war wichtig! Doch wie sollte er ihr Rätsel entschlüsseln? Er kannte sich nicht sonderlich mit Karten aus. Aber wer sonst tat das? Amun'Raak? Der mochte viel herum gekommen sein, aber im Zweifelsfall richtete er sich eher nach dem Wind, denn nach Karten. Wie eben auch Aldred selbst. Seline? Nein, auch sie war nicht der Typ, der gezielt wanderte. Mal dahin, mal dorthin, und das Schicksal würde ihr schon Arbeit bescheren. Nein, was er brauchte war vielmehr ein Gelehrter...
Nun, sie hatten zumindest soetwas in der Art in der Gruppe. Sorgsam rollte Aldred die Karte wieder zusammen, stieg die Treppe wieder empor, suchte Finn. Und fand ihn schließlich. "Möchtest du dir das hier einmal ansehen?", fragte er den Jungen und hielt ihm die Pergamentrolle hin.

Seline blickte sich kurz um und entdeckte wie einige aus der Truppe versuchten die Türe zum Keller herauszubrechen. Eine Gute idee, das ding war Stabiel und hatte auch das Feuer überstanden, damit würden sie Nicole sicher tragen können. Eine Weile beobachtete sie das ganze und fragte sich ob sie Helfen sollte oder nicht. Dann viel ihr Blick wieder auf Nicole. Sie sah niedergeschlagen aus und Seline war sich plötzlich nicht mehr sicher... vieleicht waren ihre Worte doch etwas zu hart gewesen. Und dennoch, sie konnte doch nicht zulassen das sich Nicole nur wegen ihres Stolzes nicht tragen lassen wollte und sich zutode lief.

Nachdem sie wieder zu den anderen gestossen waren und Geralt und Amun sich schnell nützlich machten, stand Finn etwas verloren abseits der Gruppe und beobachtete das Treiben. Während ein Teil Nicole umschwärmte, suchte ein anderer etwas, was man als Trage brauchen konnte. Finn machte einige Schritte Richtung Haus, um ihnen mit der Kellertür zu helfen, blieb dann aber wieder unschlüssig stehen, weil sie scheinbar gut ohne ihn zurechtkamen. So stand er einfach da und beobachtete die anderen. Als Aldred dann auf ihn zutrat und ihm eine Karte unter die Nase hielt, zuckte er vor Schreck zusammen, hüstelte und wollte dann nach dem Pergament greifen, zögerte aber wieder.
"Da... darf ich?", fragte er, gab sich dann aber in Gedanken selbst die Antwort und nahm die Karte in die Hand. Natürlich durfte er, sonst hätte Aldred sie ihm schliesslich nicht hingehalten. Staunend studierte er die Zeichnungen. Diese Karte war detaillierter, als alles, was er bisher gesehen hatte. Und Karten hatte er schon eine Menge gesehen, die fand er fast so interessant wie Bücher. Tatsächlich konnte er viele grössere Städte und markante Landmarken erkennen. Und wenn er sich nicht täuschte, dann befanden sie sich genau an der Stelle dieses Kreuzes. Scheinbar hatte der Besitzer des Hofes diesen eingezeichnet.
"Das ist... ich habe... habe noch nie so eine genaue Karte gesehen", murmelte er mehr zu sich selbst als in Aldreds Richtung, dann blickte er den Eisbärenmann doch an udn deutete mit einem Finger auf das Kreuz. "Ich glaube, wir... sind hier, bei dem Kreuz... Diese Karte ist beeindruckend..."

Sahin nickte kurz, als er das Beil von Geralt entgegennahm, um sich anschließend seinem Lukenflügel zuzuwenden. Schnell hatte er mit der Hilfe des Jägern das Holzbrett gelöst und trug es zu Nicole. "Damit sollten wir dich einigermaßen gut tragen können. Ist das in Ordnung für dich?"

Iorweth stand etwas unschlüssig herum und wusste nicht so recht was er nun tun sollte. Aldred stand bei Finn, der sich eine Karte anschaute und Sahin und Geralt hatten gerade die Kellerluke zu einer Trage umfunktionert und diese zu Nicole getragen. Dann fiel ihm ein, das er ja die beiden Wasserschläuche bei ihrem provisorischen Lager hingelegt hatte und lief zu der stelle um diese aufzusammeln. Wasser war immer gut. Schnell verstaute er die Schläuche in seinem Beutel und hing diesen elegant über seine schulter. Dann kehrte er zu den anderen zurück und wartete.

"Glaubst du?" Aldred beugte sich ein wenig zu Finn hinab, sodass er auch selbst einen guten Blick auf die Karte werfen konnte. Ja, warum eigentlich nicht? Es könnte durchaus sein, dass der vormalige Besitzer der Karte seinen Heimatort dort eingezeichnet hatte, seinen nun nieder gebrannten Hof. Das war gut. "Dann wissen wir jetzt zumindest, wo es uns hin verschlagen hat..." Er sah sich die genauere Umgebung der Karte genau an und entdeckte dicht neben dem Kreuz einen Ortsnamen. "Das könnte das Dorf sein, das Sahins Vogel entdeckt hat...", mutmaßte er und deutete mit einem schwieligen Finger auf den Schriftzug. "Dann... können wir auch entscheiden, wohin wir weiter gehen wollen..." Nicht, dass ihn selbst das sonderlich gekümmert hätte. Solange er sein Ziel nicht kannte war jede Richtung so gut wie die andere. "Wir sollten das Nicole zeigen."
Vorsichtig um das alte Pergament nicht zu beschädigen, aber dennoch bestimmt entwand er die Karte Finns Griff, ging mit ihr in der Hand die paar Schritte hinüber zu Nicole, Sahin und Geralt, die inzwischen die Kellerluke gelöst hatten. "Nicole, sieh dir das mal an!", verlangte er und hielt der jungen Frau das Pergament hin, "Finn meint, das Kreuz würde diesen Hof hier markieren..."

"Und du meinst, die Karte fängt an zu sprechen, wenn ich sie berühre? Ich denke nicht, dass das..."
Gerade noch hatte sich Nicole mit Sahin darüber unterhalten, dass diese Tür ganz ausgezeichnet dafür war, um getragen zu werden, doch jetzt hatte etwas Anderes ihre Aufmerksamkeit und somit auch ihr Temperament geweckt. Natürlich fragte Aldred sie nicht, weil sie die Auserwählte einer Göttin war - er wollte einfach nur ihren Rat. Dennoch fühlte sie sich gerade nutzlos genug, um schon wieder schlechte Laune zu bekommen. Außerdem tat ihre Wunde vom Stehen stärker weh, als sie zugeben wollte. Obwohl sie gedämpft vor sich hin meckerte, griff sie nach dem Fetzen und betrachtete das X auf der Karte eindringlich. Tatsächlich schien das Schicksal sie verhöhnen zu wollen, denn als ihr Finger über die Markierung strich, leuchtete dieses leicht auf und bewegte sich - direkt auf das Dorf zu, welches schon zuvor ihre Alternative gewesen wäre. "Oh, großartig. Sieh dir das an, Aldred. Offenbar haben wir unser nächstes Ziel gefunden." Nicole konnte sich den Sarkasmus nicht verkneifen. Er war praktisch, wenn man versuchte, seine Angst und die eiskalten Schauer, die einem bei solch übersinnlichen Dingen den Rücken runterliefen, zu verarbeiten. "Dann werde ich mich jetzt einmal auf diese Tür bewegen..." Auf das Holzbrett zu steigen war kein Problem, doch wie sollte sie sich darauf setzen? Schnell oder langsam? Würde nicht beides wehtun...? "Ich...Hilfe. Ich möchte einfach so schnell wie möglich hier weg. Lasst uns zu diesem Dorf gehen..."

Aldreds Reaktion auf das mit einem mal wandernde Symbol der Karte hätte keinen größeren Kontrast zu Nicoles darstellen können. Während die junge Frau das ganz offenbar göttliche Zeichen mit bitterem Hohn, in dem auch eine Spur von Schicksalsergebenheit mit schwang, kommentierte, neigte Aldred augenblicklich den Kopf, führte die Faust in einer Geste der Gottesfürchtigkeit zur Stirn und begann mit geschlossenen Augen stumm ein rasches Dankgebet an seine Herrin. Er war sich nicht sicher, ob es ein Zeichen von ihr oder doch das Eingreifen einer anderen göttlichen Wesenheit war, doch dieses Verhaltensmuster hatte sich im Lauf der letzten Jahre tief eingeschliffen. Dank entrichtete er stets der Schlafenden Göttin aus seinem Traum, der mystischen Schönheit aus dem sturmumtosten Wintertal.
Erst Nicoles Flehen um Hilfe riss ihn wieder aus seiner Trance. Hastig eilte er an ihre Seite, stellte sich hinter sie und schob ihr die breiten, kräftigen Hände unter die Achseln, fasste sie behutsam aber doch sicher um die Brust. "Lass dich fallen, ich halte dich", brummte er, leise wie es seine Art war, und ließ sie dann, als sie seiner Aufforderung nach kam, langsam und so gerade wie nur möglich auf das am Boden liegende Brett der einstigen Kellerluke hinunter.

"Wandernde Zeichen auf Karten. Welt ist verrückt, heh?", stellte Amun fest, der den beiden Kartenhaltern über die Schulter gesehen hatte. Wobei eigentlich hatte er nur Nicole über die Schulter gesehen, Aldred war nunmal viel zu groß für sowas. Menschen waren so unfokussiert. Ein Avior hätte schon längst das weite gesucht. Inzwischen wäre er nur noch ein Schemen am Horizont gewesen, aber Menschen mussten alles untersuchen und diskutieren, anstatt Dinge einfach mal so zu nehmen, wie sie waren.
"Los, los. Keine Zeit zu verlieren. Müssen Land gewinnen. Zum Dorf? Zum Dorf." Und Menschen vertrauten einfach so wanderen Symbolen auf Karten. Ein Avior hätte das Symbol Symbol sein lassen und sich auf sich selbst verlassen.

Finn stand zögernd hinter Aldred und beobachtete ihn, wie er Nicole die Karte und Finns Vermutungen zu dieser erklärte. Und natürlich wurde sie wieder mit einem magischen Zeichen beschenkt. Das war wirklich nicht fair! Andererseits sollte er ihr nicht dafür zürnen, dass sie auserwählt wurde und nu von allen Seiten mit Magie beworfen wurden, vor allem, wenn man betrachtete, was es ihr eingebracht hatte. Einen aufgeschlitzten Bauch und eine in Sorge und Panik versetzte Gruppe...
Während Finn noch herumdruckste, machte man sich für den Aufbruch bereit und lud Nicole auf die zur Trage umfunktionierten Kelltür. Da fiel Finn auf, dass ihm etwas fehlt. Seine Tasche! Er stürmte los zu ihrem nächtlichen Lager. Panik kochte in ihm hoch und er hoffte, dass sie nicht unter die Hufe der Reiter geraten oder noch schlimmer, von ihnen mitgenommen worden war. In dieser Tasche befand sich sämtliches Geld, das er noch besass - nicht viel, aber er würde es brauchen, wenn er E'jin erreichen wollte - und natürlich noch viel wichtiger, all seine Bücher.
Glücklicherweise fand er sie neben seinem Schlafplatz. zwar führten die Hufe durch das Lager, doch die Tasche war verschont worden. Die Spuren führten knapp daneben vorbei. Erleichtert hob Finn sie hoch und drückte sie kurz an seine Brust. Dann hängte er sie um und kehrte zu den anderen zurück. Er blickte in die Runde und wandte sich schliesslich an Sahin.
"Wo... gehen wir jetzt hin?"

Iorweth blickte zu den anderen und war leicht irritiert. Hatte er richtig gehört? Zurück zu dem Dorf? Wären sie doch gleich dorthin gegangen. Leise brummte er vor sich hin und ging dann zu Finn. " So wie es aussieht gehen wir jetzt zu dem Dorf das in der anderen Richtung liegt." Dann blickte er zu Aldred. "Ich helf dir tragen, wenn du möchtest."

Zitat :

Das Nicole probleme hatte sich auf die Türe zu setzen, oder zu legen, war für Seline bestätigung genug das es die richtige entscheidung gewesen war die junge Frau zu tragen und nicht selber marschieren zu lassen. Sie wartete bis Aldred ihr geholfen hatte sich auf der Türe nierderzulassen und ging danach schonmal am hinteren ende der Türe in Position um sie anzuheben. Fragend blickte sie sich um, wer würde noch beim Tragen helfen? Aldred sicher nicht, der war verletzt.

Mit vereinten Kräften schaffte es die Gruppe - wenn auch nicht allzu schnell - Nicole zu transportieren. Anfangs stemmte sie sich gegen den guten Rat, der ihr hin und wiedee zuteil wurde, doch als die Stunden verstrichen, bog auch sie sich den angesagten Pausen. Mit klammen Gefühl erreichten sie letzzendlich diie Ausläufer eines größeren Dorfes. Die schwarzen Reiter schienen diesen Landstrich noch nicht entdeckt zu haben: Es herrschte Idylle. Grom grasten auf den Feldern, Kinder spiten am Weg - und die Prozession fiel auf wie ein bunter Fedell. "Lasst mich runter und stützt mich. Wir dürfen nicht zu sehr auffallen...

"Wir werden so oder so mehr auffallen, als uns das lieb sein kann...", brummte Aldred, der den größten Teil des Tages neben der Trage her gegangen war, und warf dabei vielsagende Blicke zu Iorweth, Amun'Raak und Seline. Wo auch immer sie hier sein mochten: es dürfte für diese Menschen nicht alltäglich sein, Mitglieder solch fremder Rassen in ihrem Dorf zu sehen. Erst recht nicht eine so bunte Mischung. Und das sie - Nicole und er - verwundet waren würden sie auch wenn sie die Trage zurück ließen kaum kaschieren können. Dennoch widersprach er Nicoles Bitte nicht. Was hätte es auch für einen Sinn? Seline und Geralt, die die junge Frau getragen hatten, ließen sie zu Boden und Aldred bückte sich um ihr auf die Beine zu helfen.
Inzwischen war die Dämmerung herein gebrochen. Die sinkende Sonne zeichnete den Horizont weit hinter dem Dorf erst gelb, dann rot als sie sich diesem näherten. Männer, die von den Feldern und Herden kamen, warfen ihnen misstrauische Blicke zu als sie an ihnen vorüber gingen und ein Junge von vielleicht zwölf Jahren gesellte sich an Aldreds Seite. "Was ist mit eurem Arm passiert, Herr?", wollte er wissen. Aldred wandte ihm langsam den Kopf zu, musterte ihn unter dichten Brauen und einem noch dichteren Bart hervor. "Banditen. Sie sind nicht mehr...", antwortete er abweisend und der Junge schien den Ton in seiner Stimme zu verstehen, denn er machte sich eilig wieder daran, ins Dorf zu kommen.
Aldred stützte Nicole, doch er konnte bei jedem ihrer Schritte spüren, wie sehr sie sich plagte. Die Wunde war ernst. Er ging nicht davon aus, dass sie selbst diesen langsamen Marsch noch lange durchhalten würde. Vielleicht gab es hier im Dorf aber einen Heiler. Als sie die ersten Häuser des Dorfes erreichten wandte Aldred sich an die Burschen ihrer Gruppe. "Geralt, Sahin, geht mal vor und schaut, ob ihr irgendwo ein Gasthaus findet. Es wäre besser, wenn wir heute Nacht ein Dach über dem Kopf und ein bisschen Stroh unter den Leibern hätten..."

Es war anstrengend, den schweren Lukendeckel auf der Schulter zu tragen, aber Geralt beschwerte sich nicht. Er hätte es für klug gehalten, zwischendurch die Seiten zu wechseln, sagte aber nichts – die Anderen würden schon ihre Gründe haben, und er wollte sich gewiss nicht in den Vordergrund drängen. Dennoch war er erleichtert als Nicole wieder selbst gehen wollte. Bereitwillig ließ er sie herab, auch wenn ihm ihre Verletzung immer noch Sorgen bereitete. Für einen Moment rieb er sich die Schulter, in der die Planken fühlbar einen Abdruck hinterlassen hatten und hörte Aldred zu. Ohne sich ihm zuzuwenden nickte der Waldläufer und ging die Hauptstraße hinab, die das Dorf in zwei Hälften teilte – beinahe die einzige Straße. Nur ein paar enge Gassen führten noch zwischen den Fachwerkhäusern zu einer zweiten Reihe von Wohnhäusern. Beinahe im Zentrum des Dorfes, als ob es eines der ersten Gebäude gewesen sei, stand ein Haus von beinahe der dreifachen Größe der bescheidenen Behausungen umher. Es war dreistöckig, mit einigen kleinen Fensterluken unter dem Giebel des Schindeldachs. Als eindeutiger Beweis ragte ein Schild über der Tür hervor, auf dem mehr oder weniger gut erkennbar ein Grom mit einem Bierkrug abgebildet war. Zielstrebig hielt Geralt darauf zu, hielt aber vor der Tür an und trat zur Seite, um Sahin vorzulassen – ihm war ganz und gar nicht danach das Reden zu übernehmen.

Finns Blick war der eines kleinen Jungen, dem man gerade eine neue Süssigkeit hingestreckt hatte. So ein Dorf hatte er noch nie gesehen. Die Leute eilten umher, warfen ihnen seltsame oder neugierige Blicke zu, ein Junge sprach sie sogar an, wurde aber von Aldred abgewimmelt. Das war etwas ganz anderes als die grosse, steinerne und schneebedeckte Letzte Stadt oder Heavens Glade, das von den Schwarzen Reitern niedergebrannt worden war. Dieses Dorf war voller Leben, es pulsierte. Und es gefiel Finn. So hatte er sich die Städte von Rutha immer vorgestellt. SO hatte er sich E'jin vorgestellt. Natürlich in grösser, aber die Idee war die gleiche. Es war einfach... beeindruckend. Beeindruckend und schön.
Während er sich so bewundert umsah, vergass er für einen Moment den Schmerz in seinem Knöchel. Die Kräuter hatten gute Arbeit geleistet, fast hatte er die Verletzung vergessen, doch während des langen Marsches hatte ihre Wirkung immer mehr nachzulassen begonnen und Finn war sich ihrer wieder bewusst geworden. Die Flucht vor dem Reiter hatte ihm sicher auch nicht gut getan. Als sie das Gasthaus erreichten, zögerte er kurz, doch dann gab Finn sich einen Ruck und er trat auf Sahin zu.
"Sahin... mein Knöchel, ich glaube... die Kräuter wirken nicht mehr so gut. Könntest du... vielleicht mal draufschauen?", fragte er den Waldläufer zögerlich und hoffte, dass es ihn nciht verärgerte, dass Finn so sorglos mit seiner Verletzung umgesprungen war.

Sahin hatte die Reise über geschwiegen, während er etwas hinter den anderen gewandert war und sich immer wieder nach erneuten Angriffen umgesehen hatte. Auch wenn sie die Reiter auf dem Bauernhof besiegt hatte, so glaubte er kaum, dass sie sie zum letzten Mal gesehen hatten. Ab und zu wanderte sein Blick in den Himmel und beobachtete Rhischa, die über ihnen kreiste und ebenfalls nach Gefahren Ausschau hielt. Glücklicherweise erreichten sie die Stadt, ohne erneut angegriffen zu werden. Bei Aldreds Anweisung nickte er nur und folgte Geralt die Hauptstraße entlang zum vermutlichen Gasthaus. Kurz warf er dem Waldläufer einen fragenden Blick zu, als dieser zur Seite trat um ihn vorzulassen, sagte jedoch nichts dazu. Bevor er die Tür öffnen konnte, wurde er von Finn aufgehalten. Schweigend hörte er dem Jungen zu. Wieso war er ihnen gefolgt und nicht beim Rest der Gruppe geblieben? "Kann ich später mal machen." meinte er ruhig und wandte sich erneut der Tür zu, die er im nächsten Moment öffnete.

Eine sanfte Brise strich das Gras und brachte es zum Rascheln. Mit einiger Willensstärke unterdrückte Amun den Wunsch einfach die Flügel auszubreiten und davonzufliegen. Die meisten Avior sahen es als eine Art Krankheit oder Defekt an, dass es alle Fernaugen immer wieder weiter zog. Amun hingegen gedachte all der Orte, an denen er bereits gewesen war und konnte nicht anders als Mitleid für seine daheim gebliebenen Artgenossen zu empfinden. Sie würden nie die Fälle von Hijay sehen, nie eine Fata Morgana in der Al'Khahali miterleben. Der Avior wandte einen sehnsüchtigen Blick zum Himmel und blieb doch auf der Erde.
"Werde nicht im Gasthaus schlafen. Kann nicht unter Decke schlafen. Fühle mich unwohl. Dach müsste reichen", murmelte Amun mehr zu sich selbst als zu irgendjemandem sonst: "Werde noch mithelfen dich zu versorgen, heh." Der letzte Satz ging definitiv an Nicole. Das hier war die sympathischste Gruppe Landgeher seit den Karawanen, das musste man ihnen lassen.
"Hoffe nur, dass die Schwarzen uns nicht finden."