GQ - [Die MSG]

Milas nickte bei jeder Antwort, hörte aber keinen Moment auf, zu kauen. Schliesslich musterte er Aldred, die Lippen ein Stück nach oben gebogen und er schluckte den letzten Bissen herunter, um selbst etwas zu sagen.
„Der Meister wird euch allen sicher eine vernünftige Aufgabe zuweisen können. Wenn Sinna mit eurem Jungen fertig ist, wird sie sicher herkommen, um euch zu sagen, wie’s gelaufen ist, dann kann sie mit deiner Verletzung helfen. Sie ist unsere einzige richtige Heilerin“, seine Züge wurden ernster. „Und wenn ihr mehr über diese Ritter wisst, dann wird Meister Urnesso sich bestimmt auch dafür interessieren. Ich kann ihn aber nicht-“
Er wurde von den beiden Türflügeln unterbrochen, die auf der anderen Seite des Innenhofs gegen die Wände knallte, als jemand sie mit Schwung aufstiess. Ein kurzgeratener Mann in wallenden Roben aus Silber und Grün rauschte in den Raum und auf Milas zu. Sein Kopf war kahl und wirkte polierte und eine winzige Brille war auf seine Nase geklemmt. Dennoch war sein Auftauchen genug, um Milas und die beiden anderen Studenten augenblicklich zu verstummen. Es bestand kein Zweifel, dass das der Magister war.
„Student Milas, was hast du dir dabei gedacht, einfach Fremde einzulassen, ohne mich zu konsultieren. Der Malve-Wall ist ein fragiler Schutz, wir können nicht einfach ein- und ausgehen, wie wir wollen und wir können sicherlich nicht einfach Reisende aufnehmen“, sein Blick schwang über die Gruppe und er musterte die Mitglieder. „Was habt ihr hier zu suchen? Wir vergeben keine Almosen und für das Essen werdet ihr arbeiten müssen, nur dass das klar ist. Transfiguration ist harte Arbeit!“

Olnhalf plusterte sich auf.
„Ich bin immer noch ein Hauptmann der Paladine und ich verlange Respekt!“, schoss er zurück. „Meine Meinungen und Eile sind meine eigene und ich verbitte mir diesen verdächtigenden Ton. Ich habe keine Zeit, einer ‚Auserwählten‘ nachzueifern. Unser Orden ist immer noch in Gefahr und es ist meine Aufgabe, Führung zu geben. Und genau das habe ich vor. Bei Reijas Licht, hast du nichts zu tun, nun da sie weg ist? Ich, für meinen Teil muss mit meinen Männern sprechen. Aus meinem Weg!“

Der Meister war ein ungestümer Zeitgenosse, das war das mindeste, was man über ihn sagen musste. Und zweifelsfrei kein angenehmer. Er gab sich keinerlei Mühe, den Gastgeber zu spielen und machte keinen Hehl daraus, dass sie ihm hier nicht willkommen waren. Dennoch war es offenkundig, dass sie hier gute Miene zum bösen Spiel machen und trotz alledem höflich bleiben mussten.
"Verzeiht, Meister, aber wir sind Reisende und haben einen verwundeten Kameraden mit uns getragen, der dringend magische Hilfe benötigt hat", ergriff Aldred das Wort, sich vom Tisch erhebend und demütig vor dem deutlich kleineren Mann den Kopf senkend, "Wir haben nur knappe Mittel und können euch wohl nicht mit Münze für eure Hilfe entschädigen, aber wir haben gehört, dass ihr von der Schwarzen Heerschar belagert werdet." In diesem Moment hab Aldred den Blick und suchte die Augen des Magiermeisters. Seine Stimme klang fester, kein bisschen unterwürfig mehr, als er fort fuhr. "Magister, wir besitzen Informationen über euren Feind."

Neythani blickte den Mann verwirrt an, der laut keifend auf sie zueilte. "Wir haben einen Kranken Freund hierhergebracht, werter Magister. Ihr scheint nicht sehr gastfreundlich zu sein, wenn ihr uns schon so begrüsst. Und wurde gesagt, das unser Freund hier geheilt werden könnte," sprach sie dann recht ruhig und erhob sich dann. "Da ich hier nicht willkommen bin, werde ich die Sicherheit eures Walls verlassen. Ich komme alleine zurecht. Ausser ihr wollt vielleicht unsere Hilfe gegen die Schwarzen Reiter," meinte sie dann und blickte den Magister ruhig an.

Es war nicht mehr ihre Verantwortung. Eve hatte ihre Unterstützung bereits zugesichert. Dennoch, dieser Magister war nicht gerade sympathisch. Ein Grund mehr wieder aufzubrechen, sobald Finn und Aldred wieder genesen waren. Ihr selber war nicht aufgefallen, wie schlecht es dem Schmied ging, aber er interessierte sie auch nicht sonderlich. Er war schließlich nicht von der Göttin gesegnet - schlimmer noch, er verleugnete ihre Existenz! Gut, genau genommen tat Amun'Raak das auch, aber die Göttin - oder was es vielleicht auch der Gott? - schien mehr in ihm zu sehen, als bloß einen Fehlgeleiteten oder einen Ketzer. Es blieb abzuwarten. Ersteinmal richtete sich ihre Aufmerksamkeit aber wieder auf Aldred und den Magister.

Die Priesterin sank ein wenig in sich zusammen und trat einen Schritt nach hinten. Sie stand nun vor der Tür, aber immer noch zu nahe, als dass der Paladin in seiner Rüstung sich hätte berührungslos vorbeischlängeln können.
"Ich wollte nicht unhöflich sein", nahm sie die Zurechtweisung zu Kenntnis, hielt seinem Blick jedoch stand. "Mir liegt das Wohl des Ordens und der Stadt genauso am Herzen wie Euch. Gerade aber deswegen will ich Euch anraten, mit ruhiger Hand und kühlem Kopf ans neue Werk zu gehen. Viele unsere Männer sind noch geschwächt und momentan schöpfen sie ihre Kraft aus den Worten ebenjener Auserwählten, Olnhalf. Ob Ihr ihren Worten glaubt oder nicht, ist Euch selbst überlassen. Aber ich habe gesehen, wie das heilige Licht sie getroffen hat und selbst wenn es nur ein Zeichen Reijas war, dass wir unseren Glauben nicht verlieren dürfen, und keine eigentliche Segnung an sich, so ist es dennoch ein Schimmer in der Dunkelheit, die Hohepriesterin Cassandra mit ihrer letzten Tat über uns gebracht hat."
Sie seufzte und zögerte einen Augenblick, wich seinem Starren nun doch aus, in dem sie ihren Kopf zur Seite hin wegdrehte.
"Ich zog in Bedacht, Kontakt mit den Anhängern Yragonas aufzunehmen. Viel unterscheidet uns seit langem, aber dennoch sind wir beide dem gleichen Glauben entsprungen und haben nun den gleichen Feind. Es waren nicht ihre Männer, die uns auflauerten, das wissen wir inzwischen wohl. Also haben wir denselben Feind vor unseren Mauern sitzen."

"Nicht so bequem wie in meiner Kutsche, nein." Sie seufzte leise, als wäre es ganz alleine Tristans Schuld, dass sie nun mit ihm reiten musste, was es ja auch eigentlich war. Offensichtlich hatte dieser niedere Mann einen wichtigen Auftrag, sonst würde er nicht so hetzen. Und sie war wie gemacht für derartige Dinge. Es war eine Frage der Ehre, nachdem sie hier niemanden hatte von großem Leid erretten können. Sie gab ihrem Pferd ein Signal und ritt hinter dem Älteren her. "Wohin wollt Ihr eigentlich?"

"Oh, das werdet Ihr noch früh genug sehen, meine Teure..."
Er lächelte, ehe er sein Pferd etwas schneller gehen liess. Sein Weg führte sie durch ein paar Gassen und dann zur grossen Hauptstrasse, wo sich einige Leute aufhielten, sodass sie nicht mehr ganz so schnell vorwärts kamen. Es war aber ziemlich rasch klar, dass Tristan die Tore der Stadt hinter sich lassen wollte, denn er hielt zielgenau darauf zu und ritt auch hindurch.
Was aus seiner Gruppe geworden war interessierte ihn im Moment nicht wirklich. Er wollte in erster Linie mal weg von hier.

Sie durchschritten die Tore der Stadt, vorbei an den geschäftigen Menschen und Nina begann sich ein wenig zu sorgen ... Was, wenn ihre Leibwächter zurückkehrten und bemerkten, dass sie zusammen mit zwei ihrer schnellsten Pferde verschwunden war? Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und schaute zur Seite, zu ihrem zeitweiligem Begleiter, konnte sich aber genauso wenig vorstellen, dass er ihr helfen würde, eine Nachricht zu hinterlassen. Er sah aus, als würde er schnell wegwollen. Nun ja. Dann würde sie ihm eben helfen und dann wieder in die Stadt gehen, als wäre nichts geschehen. Es war schließlich ihre Pflicht, Menschen zu helfen. "Na gut, dann reitet voran."

Es war irgendwie seltsam. Die olle Dame kam einfach mit ohne zu wissen, dass Tristan nicht vorhatte zurück zu kehren. Hatte sie denn keine Angst?
Als die Stadt nach einer Biegung in einen Waldweg hinter ihnen verschwand mässigte der Söldner das Tempo.
"Sagt ... Seid Ihr Euch bewusst, dass ich lediglich eure Pferde stehlen wollte? Ich brauchte eines, um aus der Stadt zu entkommen. Also wenn Ihr gehen sollt, geht. Lassen wir uns gegenseitig in Frieden."
Hoffentlich machte sie nun keine Szene. Er wollte sie nicht dabeihaben und er wollte ihr auch nichts antun. Nicht dass er damit ein Problem gehabt hätte, aber Leichen machten meist im Nachhinein noch eine Menge Probleme.

„Wunderbar, ein Maul weniger, das wir füttern müssen. Milas kann dir den Weg nach draussen zeigen“, meinte Urnesso spöttisch an die Katzenfrau gewandt und drehte sich zu Aldred um, seine Stimme schlagartig schmeichelnd. „Und Ihr wisst mehr über die – wie nennt Ihr sie? – Schwarze Heerschar? Dann erzählt, bitte! Jedes bisschen Wissen hilft.“
Milas hatte aufgehört zu essen und blickte unsicher zwischen seinem Meister und Neythani hin und her, scheinbar unsicher, ob er den Worten Folge leisten sollte. Schliesslich blickte er die Katzenfrau auffordernd an, als erwarte er eine Entscheidung von ihr.
 
„Meine Hand ist ruhig und mein Kopf ist kühl, glaub mir!“, brauste Olnhalf auf, besinnte sich dann aber wieder. Sie tat nur das, was sie für richtig hielt und versuchte, Reijas Lehren zu folgen. Aber er musste dasselbe tun und dafür musste er Reijas Gerechtigkeit bringen. Mörder durften ihrem Licht nicht entkommen. Der Vorschlag der Priesterin unterbrach seine Gedanken aber wieder und er hielt inne, um darüber nachzudenken.
„Es wird schwer, sie zu überzeugen, nach allem, was wir ihnen angetan haben“, meinte er. „Aber Kilath ist auch die Stadt der Schattengöttin und wir werden jede Hand brauchen, um sie zu halten. Bitte, leite ein Treffen in die Wege. Kümmere dich darum.“

Kurz wandte Aldred den Blick Neythani zu, nickte ihr stumm zu, eine kleine Geste, von der er hoffte, dass sie die Katzenfrau zur Gesonnenheit gemahnte. "Wir haben gegen diese Kreaturen gekämpft, etliche male", antwortete er dann dem Magister, "Sie scheinen aus dem nichts aufzutauchen, aber das trügt. Man kann ihnen entkommen, sich vor ihnen verbergen. Aber sie sind zahlreich. Sie sind eine Armee, wie Ruhta sie noch nicht zuvor gesehen hat. Im Kampf besitzen sie die Fähigkeit, sich für kurze Zeit in Schatten aufzulösen um einem Schlag zu entgehen, aber wenn man sie trifft, dann sterben sie wie jeder Mensch auch. Und sie sind nicht von dieser Welt. Ein Hohepriester der Grindyl hat mir erklärt, dass die Heerschar eine Macht ist, die das Gegenstück zu den acht Göttinnen darstellt. Sie sind reines Chaos und wünschen Ruhta den Untergang. Sie wollen die Göttinnen vernichten und diese sind zu geschwächt um die Schwarzen in Zaum zu halten. Deshalb sind wir ausgezogen. Amun'Raak und Evelynn hier tragen die Zeichen der Deria und der Reija. Wir müssen die Göttinnen befreien, retten. Es ist der einzige Weg, die Heerschar zu stoppen." Er beendete seine Erzählung und blickte den Magister herausfordernd an. Er war sich nicht sicher, wie der Mann darauf reagieren würde. Nach dem wenigen, was Aldred bisher von ihm gesehen hatte, hatte er nicht das Gefühl, dass er ein Mann war, für den die Göttinnen großes Gewicht besaßen. Dieser Mann schien vielmehr in sich selbst seinen eigenen Gott zu sehen.

Sie zögerte noch einen kurzen Augenblick, dann nickte sie jedoch und senkte demütig den Kopf vor ihm.
"Wird erledigt, Meister Olnhalf. Ich werde schauen, was sich machen lässt. Wenn in den Katakomben wirklich auch die Dunkle ihre Finger im Spiel hatte, werden ihre Anhänger das bemerkt haben und vielleicht als ihr Zeichen sehen, einen neuen Pfad einzuschlagen."
Sie trat einige Schritte zurück in den Gang und wandte sich halb von ihm ab, hielt aber noch einen Moment inne.
"Ein Treffen auf neutralem Grunde wird das beste sein. Ich hoffe, Ihr werdet dem Treffen dann ebenfalls beiwohnen, Olnhalf. Die Worte der Paladine hatten schon immer viel Gewicht."

Neythani blickte den alten Magister wütend an, als überlege sie, ihm den Hals umzudrehen. Sie ließ sich bestimmt nicht von so einem Mistkerl vertreiben, aber sie wollte auch nicht vor ihm buckeln, damit sie bleiben durfte. Soll der doch verrecken, wenn die Schwarzen kamen. Entschlossen nickte sie Silas zu und ging in Richtung Wall.

Milas zuckte die Schultern und hüpfte von der Bank auf, um Neythani wieder nach draussen zu führen. Magister Urnesso schenkte den beiden keinen Blick, stattdessen schweifte dieser kurz über Amun‘Raak und Evelynn und kehrte dann zu Aldred zurück.
„Die ‚Göttinnen‘, sagst du? Die Existenz dieser ‚Göttinnen‘ mal dahingestellt ist, das ist nicht besonders hilfreich. Dass man sie töten kann, haben wir bereits bemerkt, schliesslich wurden wir auch schon mehr als einmal angegriffen“, entgegnete der Mann schliesslich. „Und wieso sollten sie uns angreifen? Wir haben hier schliesslich keinen Auserwählten der Göttinnen, zumindest nicht, bis ihr hier aufgetaucht seid. Wobei ich bezweifle, dass das der Grund ist, wieso ihr angegriffen wurdet. Viel wahrscheinlicher ist es, dass es einfach Zufall war. Bevor wir von der Umwelt abgeschnitten wurden, habe ich einige Begriffe von anderen Angriffen dieser Schwarzen Heerschar, wie du sie nennst, gehört. Es muss also ein anderes Element sein, das sie anzieht und wenn du nicht noch mehr weisst, muss ich mich wieder zurückziehen, damit ich mehr über sie herausfinden kann, schliesslich habe ein drei von ihnen gefangen. Ihr könnt hier warten, einer meiner Studenten wird sich dann um euch kümmern.“
Er blickte Aldred erwartungsvoll an.
 
Milas hatte Neythani aufgeholt, bevor sie den Innenhof verliess und ging an ihrer Seite, seinen kurzen Stab wieder fest in den Händen.
„Bist du sicher, dass du einfach gehen willst?“, fragte er, seine Stimme wieder deutlich unsicherer. „Ich meine, ja, Meister Urnesso ist etwas schroff, aber hier bist du sicher. Und du weisst nicht, was dort draussen auf dich wartet. DU solltest das wirklich nochmal überdenken. Wirklich.“
 
„Natürlich“, sagte Olnhalf. „Aber jetzt muss ich mich wieder um meine Männer kümmern. Entschuldige mich.“
Damit drängte er sich an ihr vorbei und machte sich auf den Weg zu den Quartieren der jüngeren Paladine. Einer seiner letzten Knappen lebte dort und er war sich sicher, dass er auf diesen zählen konnte. Und die Zeit drängte, er konnte nicht mit dutzenden Paladinen reden. Nein, er musste zwei, drei gute Männer finden und dann aufbrechen, bevor es dunkel wurde.

Neythani blickte zu Silas und lächelte schwach. "Ich bin ein Kind der Wildnis. Die Menschen sind mir fremd. Es fällt mir immer noch schwer, mich in der Welt der Menschen zurecht zufinden. Und wenn ich jetzt zurück gehe, wird sich euer Meister bestimmt über mich lustig machen," erwiderte sie.

Die Priesterin lauschte, wie sich seine lauten, schnellen Schritte entfernten. Kurz sah sie über die Schulter, dann ging sie aber auf einem anderen Weg davon. Sie durfte ihn nicht ohne Beweise solch einer verräterischen Ansicht verdächtigen. Es würde schnell seine Kunde machen, wenn er seinen eigentlichen Pflichten nicht nachkam und etwas anderes tat, oder weiter gegen die Auserwählte Unmut sprach. Der Schutz der Stadt hatte aber erste Priorität.

"Sie greifen wahllos an", entgegnete Aldred, fest entschlossen, dem Magister wenigstens einiges an hilfreicher Information zukommen zu lassen, wenn dieser sich schon von der offenkundigen Wahrheit nicht beeindrucken ließ, "Sie jagen nicht die Diener der Göttinnen und ich glaube auch nicht, dass sie sich bewusst sind, dass einige meiner Gefährten diese Male tragen. Sie wollen Ruhtas Volk ausrotten. Sie haben auch Kilath angegriffen, wieder und wieder. Wir haben miterlebt, wie sie über hilflose Dörfer hergefallen sind, die keinerlei strategischen Wert besaßen. Alles, was sie wollen, ist morden und brandschatzen. Ich fürchte, sie werden nicht aufhören, eure Akademie anzugreifen, bis niemand mehr hier lebt. Es wäre besser, wenn ihr Zuflucht in der Stadt sucht. Kilath Mauern sind hoch und ihre Verteidiger entschlossen. Aber besiegen können sie nur die Göttinnen."
Dass Neythani sich entfernt hatte, hatte er gar nicht wirklich mitbekommen. Zu gebannt war er von dem alten Magister. Er mochte ein unfreundlicher, schroffer Mann sein, der keinerlei Respekt vor den Göttinnen zeigte, aber er hatte dennoch eine nicht zu verleugnende Autorität. Und er besaß Macht. Er mochte ihnen nützlich sein. Wenn sie ihn nur überzeugen konnten, dann würde er ihnen vielleicht Hilfe zukommen lassen können.

"Und sie sind extrem anpassungsfähig", steuerte Amun noch rasch zu den Informationen, die Aldred grade preis gab, zu. Der Avior saß mit gefalteten Flügeln und gerader Postur auf der Bank und sah den Magister starr an. Landgeher! Bah. Unfähig außerhalb der getretenen Wege zu denken. Aber im Gegensatz zu Aldred interessierte sich Amun ohnehin mehr für die Gefangenen des Magisters als für den Mann selbst. Immerhin hatte dieser grade gesagt, dass er einen oder mehrere der Schwarzen Heerschar gefangen genommen hätte.
"Sie können sich Flügel wachsen lassen. Zumindest jene, die uns in den Wolkenbergen angriffen, waren beflügelt. Ihr habt einen der Angreifer gefangen genommen, sagtet Ihr? Eine beachtliche Leistung, muss ich sagen. Dürfte ich mir diesen Gefangenen einmal ansehen?"

„Ich werde meine Schule nicht verlassen! Diese Heerschar kann sich an meinem Wall den Schädel einhauen, ich gebe nicht nach!“, meinte Urnesso und wandte sich dann Amun’Raak zu, ein Glimmen von Neugier auf dem Gesicht. „Anpassungsfähig? Vielleicht gibt es einfach nur verschiedene Arten. Aber wenn es stimmt, was ihr erzählt, dann scheinen sie wirklich darauf aus zu sein, alles Leben auszulöschen und nehmen dafür jede Form an. Interessant! Ich werde einige Experimente ausführen…“
Die Stimme des Magisters wurde zu einem unverständlichen Gemurmel, dann deutete er ruckartig auf einen der Studenten, der am Tisch sass.
„Du! Bring unsere Gäste in die Gästezimmer und sie zu, dass alles Nützliche daraus entfernt wird“, der Mann sprang auf, aber Urnesso bedeutete ihm mit einer wedelnden Hand, sich wieder hinzusetzen. „Erst, wenn sie fertig sind! Junge!“
Damit rauschte er wieder davon, durch dieselbe Tür durch die er gekommen war, um zu seinen Experimenten zurückzukehren und ohne noch einmal das Wort an die Gruppe zu wenden.

„Mmhm“, machte Milas nur. Die beiden näherten sich inzwischen der Mauer und kamen schliesslich vor dem Tor an. der Zauberlehrling hob seinen Stab. „Letzte Chance, um umzukehren.“

Es dauerte eine Weile, bis Olnhalf eine Handvoll Männer gesammelt hatte. Sein erster Ansprechpartner hatte ihn vehement zurückgewiesen, zu sehr war er von den Worten der falschen Auserwählten verführt worden. Aber er kannte die Paladine der Reija und abgesehen von einigen Fehlschlägen wusste er, wer auf seiner Seite war. Die Sonne näherte sich bereits dem Horizont, als er, zusammen mit drei Paladinen, auf das Stadttor zuritt. Er hatte den Moment gewählt, weil gerade Schichtwechsel war und glücklicherweise war Thoram derjenige, der den Paladin dort ersetzen würde. So schafften sie es ohne Probleme, aus Kilath hinauszuschlüpfen und die Fährte von Olnhalfs Leuchtfeuerzauber aufzunehmen.

Verärgert starrte Eve dem Magier nach. Er bestätigte hervorragend das Klischee, dass sie als Kind anerzogen bekommen hatte: Magier waren arrogant, egoistisch und unfreundlich. Sie schüttelte schließlich verständnislos den Kopf.
"Ich mag ihn nicht", meinte sie schließlich ruhig und sah die Anderen an. Sie konnte sich vorstellen, dass diese ihre Meinung teilten. Doch zur Zeit waren sie auf den Magier - beziehungsweise auf die Heilerin in seinem Heim - angewiesen. Sie mussten den Jungen wieder auf die Beine bekommen...

"Er hat sich wenig Mühe gegeben, liebenswert zu erscheinen", pflichtete Aldred der Priesterin bei, "Aber er ist ein starker Mann. Entschlossen. Nur zu entschlossen für sein eigenes Wohl, fürchte ich. Er wird sich kaum von uns umstimmen lassen. Ich glaube nicht, dass wir viel für ihn tun können." Er leerte seinen Becher, schob sich einen letzten Bissen Brot in den Mund und erhob sich dann. "Ich werde nach dieser Heilerin sehen. Und nach Finn", erklärte er, sich erhebend, "Sobald der Junge wieder auf den Beinen ist sollten wir zusehe, dass wir weiter kommen."

Es war schon spät und dunkelte, als die junge Priesterin von ihren Papieren aufsah und mit einem erschöpften, aber zufriedenen Seufzen die Spange in ihren Haaren wieder richtete. Beide Fronten hatten Verluste einstecken müssen. Beide Fronten waren irritiert und verunsichert. Aber sie hatten beide einen gemeinsamen Feind und es auch erkannt. Verhandlungen würden stattfinden. Die positive Nachricht war soeben eingetroffen und wie ein Schatz hielt sie sie nun in den Fingern. Wenn die Anhänger der Reija und der Yragona sich nicht gegenseitig schwächten, sondern für einmal gemeinsam arbeiteten, dann konnten sie die Gefahr von aussen vielleicht wirklich bannen. Ihre Mauern waren stark und beide Seiten hatten ihre Stärken und Schwächen. Sie ergänzten sich perfekt, so war es schon immer gewesen. Die Gilde war bereit, über Verhandlungen nachzudenken. Jetzt mussten sie alles daran setzen, diese auch positiv verlaufen zu lassen.
Die Priesterin trat aus ihrem Arbeitszimmer und gab die Nachrichten an die stellvertretende Obere ihrer Zunft weiter. Weitere Punkte wurden besprochen, abgewogen. Auch das Thema ihrer neuen Erwählten fiel. Und den schlechten Reaktionen einiger. Nach einer weiteren Stunde trat die Priesterin müde aber zufrieden mit der Arbeit hinaus auf die Gänge und machte sich einmal mehr zu den Quartieren der Paladinen auf. Olnhalf hatte eine wichtige Stellung in ihrem Orden inne. Er war wichtig. Darum war auch wichtig, dass sie ihn auf ihrer Seite hatten. Mit vollem Einsatz, nicht abgelenkt und geblendet vor Wut.
Die Priesterin fand ihn aber nicht in den Quartieren vor. Auch hatte er niemandem eine Nachricht zurückgelassen, wo er sich sonst gerade befinden würde. Lediglich ein-zwei Wachen hatten ihn zuletzt in Richtung Mauer reiten sehen, zum Schichtwechsel. Ein ungutes Gefühl machte sich in der Priesterin breit und eilig hastete sie davon, um sich zu vergewissern, ob alle Posten an der Mauer besetzt waren.

Neythani betrachtete den Wall unschlüssig und blickte dann zu Milas. "Ich weiss nicht, was ich tun soll," seufzte sie leicht.
"Ich habe keine waffen, und kein messer um mir einen speer zu schnitzen," meinte sie dann zu Milas.

Amun sah inzwischen aus wie ein verärgerter Gockel. Die Halsfedern standen hoch wie der Kragen einer altmodischen Dame und legten sich nur sehr langsam wieder. Der Avior breitete die Flügel aus und vollführte einen raschen Flügelschlag, dann schüttelte er den Kopf.
"Was für ein...fokussierter Zeitgenosse", murmelte der Avior mit müder Stimme und nahm die Maske ab. Das Zeichen der Göttin glomm sanft um seine Augen. Inzwischen hatte er sich an den leichten lilanen Schein, der immer am Rande seines Blickfelds verblieb, gewöhnt. Zu Anfang war er irritierend gewesen.
"Geht, Eisbärmann Aldred. Berichtet Ihr uns später, wie es vorangeht, heh."

Es war ein merkwürdiges Gefühl. Hinter sicheren Mauern – sicherer, als selbst die hohen Wälle von Kilath sein konnten – gesättigt und ausgeruht und doch wollte sich so gar kein Gefühl der Geborgenheit einstellen. Sie waren nicht willkommen hier. Man hatte ihnen lediglich das Maß an Gastfreundschaft zukommen lassen, das der schlichte Anstand gebot. Und Aldred legte wenig Wert darauf, diese mehr denn irgend nötig auszunutzen. Auf der Straße hatte er sich weniger sicher, aber doch wohler gefühlt. Es wäre besser, wenn sie von sich aus aufbrachen, ehe der Magister entschied, sie vor die Tür zu setzen. Aber zuerst musste Finn wieder auf die Beine kommen. Und auch um seine eigenen Wunden musste jemand sich kümmern. Vom Hieb des Avatars verletzt war er seine Kameraden keine große Hilfe.
Er überquerte den Hof, hielt zielsicher auf das Gebäude zu, in welches die Heilerin Finn gebracht hatte. Die Tür war verschlossen, aber durch einen Spalt fiel Licht nach draußen. Kurz hielt Aldred an der Tür inne, dann klopfte er.