GQ - [Die MSG]

Verwundert blickte Neythani Aldred an. Mal der Göttin? Tempel der Erde? Sie konnte sich nicht daran erinnern von irgendeinem Tempel gesprochen zu haben. Aber sie bemerkte, das ihr einige minuten in ihrer erinnerung fehlten. "Du sagst also, ich hätte geleuchtet? wann soll das denn passiert sein?"

Langsam nickte Eve. Es war viel geschehen in dieser Nacht, aber ja, an das Leuchten der Katzenfrau erinnerte sie sich.
"Es war nach dem Kampf gegen die Schwarzen, als wir auf dem Weg zum Heilerzimmer waren. Offensichtlich wurdet auch Ihr gesegnet."
In diesem Moment flammte ein Funke von Eifersucht in der Priesterin auf. Warum war diese Ungläubige so viel offensichtlicher gesegnet worden, als sie selbst? Doch dann wurde ihr bewusst, dass auch sie selbst eindeutig von ihrer Göttin auserwählt worden war. Vor den Augen anderer Ketzer. Nein, die Zwillingsgötter hatten die Katzenfrau nicht lieber als sie. Viel mehr wirkte es so, als wenn Wujan kurzzeitig selbst von ihr Besitz ergriffen hatte. Es war nicht die Segnung selbst, die das Leuchten entfacht hatte, sondern die Präsenz des Gottes, der zumindest mit einem Teil seiner Macht auf der Erde gewandelt war, da eine Aufgabe erfüllt werden musste, für die Katzenfrau alleine wohl nicht ausreichte. Ein Lächeln legte sich auf Eves Lippen.
"Ohne Hinweis auf diesen Tempel, wie sollen wir ihn da finden? Er könnte überall sein."

Die Nacht im Unterrichtssaal verging unruhig, alle waren verunsichert und verängstigt und Finn verstand immer noch nicht genau, was eigentlich vor sich ging. Deshalb blieb er lieber ruhig und beschäftigte sich mit den Büchern auf dem Podest in der Mitte. Sie waren ziemlich interessante Werke über Magie und Finn entdeckte einige Zauber, die er noch nicht kannte. Auch wenn er sich nicht wirken konnte, er würde sie im Gedächtnis behalten. Wobei er sich nicht sicher war, ob die Worte des Magiers in E‘jin wirklich wahr waren, wenn er an den erstarrten Ozean in seinem Inneren dachte. Aber auch wenn er sich Zeit nahm und einige Meditationsmethoden ausprobierte, die er kannte, konnte er das Eis in seiner Seele nicht bewegen.
So verging die Nacht und Finn wachte auf, als sie gerade die Barrikade entfernte. Er musste eingenickt sein. Vorsichtig folgte er und beobachtete, wie sie die stillen Gebäude absuchten. Als schliesslich Aldred nach ihrer Weiterreise fragte, erinnerte Finn sich an ihre geschrumpfte Gruppe.
„Wo sind eigentlich Tristan und Trevin? Sie beide tragen auch die Zeichen einer Göttin“, fragte er.

"Trevin hat nach dem Tod der Hohepriesterin in dieser Ruinenstadt recht deutlich gemacht, dass er mit alledem nichts mehr zu tun haben möchte", erklärte Aldred, dem jetzt erst bewusst wurde, was Finn doch alles verpasst hatte. Als Trevin Yragona freigesetzt und diese den Avatar zerstört hatte, da musste diese seltsame Magie ihn bereits gefangen haben. "Und Tristan... seit der Begegnung mit seinen alten Bekannten in dieser Straße hat ihn niemand mehr gesehen." Halt, auch davon wusste Finn nichts. Da war er ja bereits verschwunden gewesen, davon gerannt nachdem Trevin den jungen Paladin ermordert hatte. "Sie hatten irgendeine Rechnung mit ihm zu begleichen. Es kam zum Kampf und Tristan ist geflohen. Wohin... keine Ahnung. Und wir hatten keine Zeit mehr, Kilath nach ihm abzusuchen. Wir mussten dich hierher bringen um dich von diesem Fluch zu befreien..."

„Wenn Neythani nicht weiss, wo der Tempel der Göttin ist, der sie gesegnet hat, dann sollten wir uns auf die Suche nach ihm machen. Er trägt auch das Zeichen einer Göttin“, sagte Finn und seine Hand wanderte reflexartig zu seiner Schläfe, wo er die sanften Vertiefungen seines eigenen Zeichens spüren konnte. Es schien immer noch unglaublich, dass eine Göttin ihn als ihren Auserwählten ausgesucht hatte, aber Keezah musste einen Grund haben. „Trevin war Yragonas, Amun’Raak Derias und ich bin Keezahs Auserwählter. Reija, Weline, Topan, Luhane, Barada. Eine von ihnen hat Neythani und eine Tristan auserwählt. Wir müssen ihn finden und uns dann auf die Suche nach den anderen Auserwählten machen. Je mehr wir sind, desto besser können wir uns gegen die Schwarzen Reiter wehren und den Göttinnen helfen.“

"Barada", sagte Aldred, ein wenig zusammenhanglos, wie ihm einen Herzschlag später aufging, sodass er hastig nachschob: "Barada hat Tristan erwähnt. Er ist aus den Flammen gekommen, das Zeichen in seine Hand eingebrannt. Barada ist die Göttin des Feuers. Und Neythani hat von einem Tempel der Erde gesprochen. Das wäre Luhanes Tempel. Dann hat Luhane sie auserwählt. Bleiben noch Reija, Topan und Weline übrig. Aber Weline hatte Nicole auserwählt und Nicole ist tot..." Damit blieben nicht mehr viele Göttinnen übrig, die noch nicht in ihr Schicksal eingegriffen hatten. Bedachte man die Ereignisse in Kilath, dann wohl streng genommen nur eine: Topan. Seine Göttin. Die Herrin des stürmischen Tals. Die Frau aus seinen Träumen. Die Göttin, auf deren Spuren er nun seit Jahren wandelte. Die Göttin, deren Schicksal ihn mehr als das jeder anderen interessierte. Warum hatte sie sich noch nicht offenbart? Sie brauchte Hilfe, das stand außer Frage. Sie hatte damals um Hilfe gerufen, hatte ihn gerufen. Damals, in einem anderen Leben. Aber was nun? Wie sollte er ihr helfen, wenn sie ihm kein Zeichen gab?
Sein Blick war in die Ferne geglitten, während seine Gedanken abgeschweift waren, doch nun blieb er wieder an Finns Augen hängen. Und Aldred riss sich zusammen, zwang sich, sich wieder auf das Jetzt und Hier zu konzentrieren. Die Zeit, sich um Topan Gedanken zu machen, würde kommen. Doch sie war nicht jetzt. "Wir haben Tristan in Kilath verloren. Wenn wir seine Fährte wieder aufnehmen wollen, dann werden wir dorthin zurück müssen", erklärte er, "Und wenn es sich vermeiden lässt, dann würde ich die Stadt nicht mehr betreten. Wir haben uns nicht eben viele Freunde dort gemacht." Vielsagend klopfte er mit der Faust auf den Brustpanzer des verschiedenen Paladins, den er nun trug. Vier weitere Männer von Reijas Orden, tot, ihretwegen. Und eine ganze Menge weiterer erschlagener Paladine in der Stadt. Man hatte sie gehen lassen, aber man würde sie sicher nicht mit offenen Armen wieder empfangen. Und dennoch hatte Finn recht. Sie brauchten Tristan, so wenig dieser sich auch darum bemüht hatte, sich in ihre Gruppe einzufügen. Aber er war auserwählt. Ihre Queste war auch die seine. "Aber ich muss dir trotzdem zustimmen, Finn. Wir sollten versuchen, Tristan zu finden."

Neythani hatte sich etwas von den anderen abgesondert, die sich gerade über die Göttinnen und ihre abgesandten unterhielten. Nachdenklich hatte sie sich auf eine Bank gesetzt und blickte nachdenklich drein. Ein Tempel der Erde.. "Erdkind.." Schon wieder diese Stimme. Sie war nicht sehr laut, dafür aber sehr eindringlich. Diesmal sah sie wie ihr Fell wieder zu glänzen anfing. "Aldred, Eve.."rief sie nach den anderen. Eine Geisterhafte gestalt stand neben ihr. "Such nach einem Wald, kind der Erde. Geh nach Norden. Du wirst ihn erkennen, wenn du ihn siehst," wisperte die Frau. Ein kühler Windhauch strich um die Gruppe, als sie dann wieder verschwand.

"Naja, sowas lernt man normalerweise ..."
Er lachte noch einmal ein wenig, griff dann zu einem Messer und begann ihr zu helfen, die Pilze zu schneiden. "Du bist vermutlich eines dieser Mädchen, die noch nie im Leben einen Fuss in die freie Natur gesetzt haben. Ich musste auch ziemlich viel lernen. Aber schau ... Ich kann dir schon helfen, wenn du dich dazu bereit erklärst ..."
Er legte einige Zweige nach, damit das Feuer auch schön weiterbrannte. "Und solange dein Kopf nicht luftleerer Raum ist, wirst du das schon lernen."

Warum war Tristan plötzlich so freundlich? Weil sie ihn amüsiert hatte? "Ich war oft in der freien Natur. Um Kräuter zu sammeln. Aber da hatte ich meistens meine Mädge und meine Wachen dabei, die sich um diese niederen Tätigkeiten gekümmert haben." Sie krabbelte auf Tristan zu und beobachtete ihn dabei, wie er die Pilze zerteilte. Seine Händen bewegten sich dabei sehr geschickt. Und sie waren schwielig, ganz im Gegensatz zu ihren eigenen, die weich und schmeichelzart waren. "Mein Kopf ist nicht luftleer. Ich habe in einer der besten Schulen des Landes gelernt."

"Aber offensichtlich hast du nicht in der Schule des Lebens gelernt ..."
Er schüttelte den Kopf. Bald waren alle Pilze in feinen Stücken in dem Sud und mit einigen Kräutern und Moosen die man im Wald fand verfeinert. "Woher genau kommst du? Was hast du in der Stadt gemacht und ... Warum denkst du, dass ich dich brauche? Aus irgendeinem Grund scheinst du keine Angst vor mir zu haben ..." Einen Moment lang dachte er an den Morgen zurück, als sie ihn fast umgebracht hatte .. War sie vielleicht eine Agentin? War sie vielleicht viel geschickter als sie zeigte? Das war natürlich auch eine Möglichkeit.

"Ich komme aus den Ländern der Perilia-Familie. Ich wurde als Heilerin ausgebildet und habe mich nach meiner Ausbildung um die Wunden derer gekümmert, die sich nicht selbst helfen können." Nina schnupperte misstrauisch am Sud und zuckte dann zusammen, als ihr Bauch ein lautes Knurren von sich gab und sich zusammenzog. Sehr irritiert betrachtete sie Tristan, als könnte sie das Hungergefühl immernoch nicht ganz sich selbst zuordnen. "Ich habe große Angst vor dir. Mein Vater hat mich vor Männern wie dich gewarnt. Aber ich glaube, dass du Hilfe brauchst. Immerhin hast du ausgesehen, als wärst du vor etwas geflohen. Und es ist nun einmal meine Pflicht, den Bedürftigen zu helfen. So gruselig sie auch sein werden. Wir ... werden doch nicht aus dem Topf essen, oder? Aus einem Löffel? Das gehört sich doch nicht."

"Ach. Ein verwöhntes kleines Mädchen also, verstehe ... Mädchen. Ich kann mir ganz gut ohne dich helfen, ja? Also ... Falls es demnächst zu einem Kampf kommt - und das kann durchaus vorkommen - dann steh mir bitte nicht im Weg rum."
Er rührte ein wenig. Das ganze blubberte ziemlich, war aber im Moment noch etwas dünnflüssig. "Du kannst auch gerne die Suppe schlabbern wie so ein Hund, wenn dir mein Löffel zu eklig ist. Oder dir selbst einen Löffel schnitzen. Bei deinem Talent wirst du dir wohl nur die Pulsadern aufschlitzen ..."
Er probierte ein bisschen etwas von dem Sud. Naja, schmeckte nach nicht viel. Aber nicht viel war besser als gar nichts.

„Wenn die Studenten auch nach Kilath gehen, können ja sie sich umhören. Sie sind viele und hoffentlich finden sie eine Spur, dann können wir es von dort aufnehmen“, meinte Finn. „Vielleicht ist er ja sogar noch-“
Ein kalter Wind strich über sie hinweg und Finn blickte sich erstaunt um. Hatte einer der Lehrlinge einen Zauber gewirkt? Nein, Neythani rief nach ihnen. Ein Schemen, der sich zu ihrem Ohr herabbog, löste sich gerade in Luft auf und das Fell der Katzenfrau leuchtete. War das Luhane gewesen? Wieder schaute Finn sich um, um zu sehen ob die Göttin noch da war, aber er konnte sie nirgends entdecken. Fragend blickte der Junge zu Aldred.

Mit hochrotem Kopf und zitternder Hand streckte Nina ihren Arm aus und nahm den Löffel von Tristan entgegen. Der Speichel eines Mannes klebte daran. Das war ein Skandal. Wenn ihr Vater sie jetzt sehen könnte, würde er ohnmächtig werden! Ganz vorsichtig, um sich nicht zu sehr an den Ausflüssen des fremden Mannes zu beschmutzen, aß sie etwas von der Suppe. Und dann, als die Nahrung in ihren Magen sickerte, begann sie trotz der anfänglichen Angst zu spachteln wie eine Weltmeisterin. Erst als sie das Gefühl hatte, eine Kugel geworden zu sein, gab sie den Löffel wieder ab und lächelte sogar ein bisschen. "Das war ... besser als das Essen Zuhause. Allerdings hatte ich dort auch nie solchen Hunger ..."

"Hmm ... Na eben ..."
Er löffelte den Rest aus. "Schade, dass ich keine Gewürze mehr habe. Wenn wir das nächste Mal zu einer Hafenstadt kommen, dann ... werd ich mir wieder welche kaufen. Die machen das Essen erst richtig lecker ..."
Diese fade Brühe fand sie gut? Hatte wohl noch nie wirklich Hunger ...
"Und jetzt sei so lieb und wasch den Topf im Bach, bevor sich der Rest festsetzt und in Zukunft alles nach Pilzen schmeckt."

Obwohl sie sich etwas träge fühlte, weil vollgefressen, krabbelte Nina gehorsam in die Richtung des Baches und begann die Reste aus dem Topf zu spülen. Das kühle Wasser war angenehm auf der Haut und als sie fertig war, stellte sie den Topf neben sich und steckte das Bein ins Wasser, an dem das grobe Seil der Falle ihr ins Fleisch geschnitten und ihre Haut aufgekratzt hatte. Mit einem entspanntem Seufzer schaute sie zu Tristan herüber. "Glaubst du, dass die Fallensteller hier in der Nacht vorbeikommen? Es gibt doch bestimmt Räuber in der Gegend." Wenn sie beide an eine Hafenstadt kamen? Hatte er sie jetzt also als eine Weggefährtin akzeptiert? Das ging ja schnell mit ihm. Und er war auch gar nicht mehr so gemein ...

Bei den ganzen, ihr unbekannten Namen verzog Eve das Gesicht etwas. Namen falscher Göttinnen. Reija war der Einzige, den sie erkannte. Sie dachte an das Zeichen auf ihrem Fuß. Das Zeichen, das Zyn ihr geschenkt hatte, um sie vor den Fanatikern Reijas zu schützen. Auch anderen hatten Zeichen erhalten.. Aber warum assoziierten sie diese mit falschen Göttinnen? Die Priesterin verstand das nicht. Aber auch sie würden eines Tages den wahren Glauben erkennen. Und irgendwie hoffte Eve, dass sie diesem Glauben folgen würden. Irgendwas verband einen nun Mal, wenn man miteinander gekämpft hatte.
Evelynn atmete tief durch.
Und dann hörte sie Neythani, die nach ihnen rief. Bei der Katzenfrau stand doch tatsächlich eine schimmernde Gestalt. Undeutlich, aber erkennbar eine Frau. War dies...? Erfurchtsvoll erstarrte Eve, während sie den leisen Worten lauschte. Nach Norden also...
"Die Göttin hat gesprochen", ergriff sie als Erste wieder die Stimme, als die Erscheinung wieder verschwunden war. "Wir werden nach Norden gehen und diesen Tempel suchen." Mit festen Blick sah sie Neythani an. "Und Ihr wurdet offensichtlich dazu auserkoren, uns zu führen."
Die Tatsache, dass es noch einen Gesegneten gab ignorierte Eve schlicht. Die Göttin würde seinen Weg wieder zu ihnen führen, wenn es an der Zeit war.

Ein weiteres Zeichen? Eine Offenbarung? Es war alles so schnell gegangen, dass Aldred nicht mehr als einen Windhauch davon mitbekommen hatte. Hatte Neythani wirklich etwas gesehen, etwas gehört? War dort etwas – oder jemand – gewesen? Oder hatte die Göttin nur im Kopf der Katzenfrau zu dieser gesprochen? Wer hätte es zu sagen vermocht?
Nichtsdestotrotz folgte Aldred ihrem Ruf und es dauerte nicht lange, bis er in Erfahrung gebracht hatte, dass Neythani nun einen Weg vor ihnen sah. Nach Norden. Den Tempel der Erde in den Tiefen eines Waldes suchen. Das war zumindest ein Plan. "Das heißt... wir geben Tristan auf?", hakte er nach. So wenig er bis eben selbst noch an den Söldner gedacht hatte, so wenig wollte ihm nun die Idee schmecken, ihm endgültig den Rücken zu kehren. Er war letztendlich ebenfalls ein Auserwählter. Auf der anderen Seite hatten sie kaum die Zeit, das Land nach ihm zu durchkämmen. Die Schwarze Heerschar war auf dem Vormarsch und das Leben der Göttinnen hing am seidenen Faden. Sie mussten handeln. Rasch und entschlossen. Nach Norden also! Und doch nagte etwas an Aldreds Gewissen. Irgendwie war es falsch. Irgendwie konnte er sich nicht des Verdachts erwehren, dass all dies anders hätte laufen sollen.

"Sollten wir nicht zumindest nach Kilath reisen, um herauszufinden, ob Tristan noch dort ist?", warf Finn ein. Nun da sich durch Luhanes Offenbarung ein neuer weg bot, hatten sie wieder ein klares Ziel, aber Finn hielt es immer noch für eine gute Idee, ihre Gruppe so gross wie möglich zu machen. Wer wusste schon, was sie in diesem Wald im Norden erwartete.

"Hat Luhane sonst noch irgendetwas gesagt? Was uns erwarten könnte?", fragte er, an die Katzenfrau gewandt. "Vielleicht haben sie hier eine Karte oder jemanden aus dem Norden, der uns mehr über die Wälder dort erzählen kann. Wir sollten nicht einfach in eine Himmelsrichtung aufbrechen."

"Kilath..." Evelynn dachte an die Kirche der Reija zurück. Die Paladine, die sie hatten töten wollen. Und die Priesterinnen, die wollten, dass sie in der Stadt blieb und half. "Nein, ich werde diese Stadt nicht ein weiteres Mal betreten. Es war schon schwer genug, einmal aus ihr herraus zu kommen." Sie zögerte einen Moment. Was, wenn diese Paladine alle waren, die an ihr zweifelten?
"Andererseits", begann sie ihre Gedanken dann freizulegen, "könnte ich die Gläubigen dort vielleicht dazu bringen, uns zu helfen, diesen Tristan zu finden."
Kaum ausgesprochen schien sie weiter über diese Idee nachzudenken. Vielleicht wäre das wirklich das sinnvollste, immerhin hatten sie keine Ahnung, wo er war. Und wenn er die Stadt bereits verlassen hatte...

"Es tut mir leid, mir wurde nur gesagt ich solle einen Wald im norden suchen und das ich ihn erkennen würde, wenn ich ihn sehe. Mehr hat sie nicht zu mir gesagt. Und ja, ihr habt recht, wir sollten zumindest nach Tristan suchen. Das sind wir ihm zumindest schuldig."

"Wenn wir nach Kilath zurück kehren verlieren wir drei Tage", gab Aldred zu bedenken, "Wir wissen nicht, wie lange wir noch Zeit haben um die Göttinnen zu retten und die Heerschar zu stoppen. Aber wenn Luhane nun nach Hilfe ruft, dann fürchte ich, dass Zeit das ist, wovon wir am wenigsten haben. Wenn wir zurück nach Kilath wollen um Tristan zu suchen, dann müssten wir uns aufteilen..."
Er ließ die Worte unheilschwanger in der Luft hängen. Sie waren auch so bereits furchtbar wenige und taten sich auch in ihrem jetzigen Grüppchen schwer genug, auch nur am Leben zu bleiben. Allein Glück – oder war es die Fügung der Göttinnen? – hatte sie bis hierhin kommen lassen. Sich nun aufzuteilen wäre gefährlich. Denn selbst wenn sie Tristan wieder finden sollten, es war alles andere als gewiss, ob sie auch wieder zueinander finden würden.

Nachdenklich warf Eve einen Blick über ihre kleine Gruppe, dann nickte sie Aldred schließlich zu.
"Ihr habt Recht. Mich kümmern eure falschen Göttinnen nicht, aber die Botschaft war dringlich. Meine Göttin braucht Hilfe und offensichtlich auch die Eure."
Sie wandte sich an die Lehrlinge, denen es offenbar schwer fiel, ihre Lernstätte aufzugeben und in die Stadt zu fliehen, auch wenn die ersten eindringlich auf ihre Kameraden einredeten.
"Könnt Ihr von uns vielleicht eine Nachricht in die Stadt bringen, wenn ihr dort Zuflucht sucht? Sollte sich dort ein Tristan befinden, dann soll er nach Norden reisen. Wir brauchen ihn." Sie dachte kurz nach, bevor sie hinzufügte: "Und es wäre schön, falls ihr eine Karte mit Informationen zu den nördlichen Wäldern besitzt, Ihr uns diese zur Verfügung stellen könntet."

Die Lehrlinge versprachen Evelynn, ihre Botschaft nach Kilath zu tragen, doch Aldred, der stumm daneben stand, zweifelte stark daran, dass es irgendetwas bringen würde. Was sollten diese jungen Leute auch tun? Am Vielversprechendsten wäre es, in Reijas Tempel vorzusprechen und nach dem Söldner zu fragen, doch so wie Aldred Tristan einschätzte würde dieser sich von den Paladinen und Priestern so weit wie nur irgend möglich fern halten. Falls er noch in der Stadt sein sollte, dann war er sicherlich untergetaucht. Wenn nicht die Göttinnen selbst die Magierlehrlinge leiteten, dann war es ein Ding der Unmöglichkeit, dass Evelynns Worte Tristan erreichten. Und selbst wenn er ihre Botschaft erhalten sollte, dann war es alles andere als gewiss, dass er ihnen folgen würde. Oder sie fand. Nein, hier mussten sie vielmehr auf göttliches Eingreifen hoffen, anstatt die Dinge selbst in die Hand nehmen zu wollen.
Hinsichtlich Kartenmaterial konnten Urnessos Schüler dagegen handfestere Hilfe leisten. "Im Studierzimmer des Magisters hängt eine große Karte des weiteren Umlands an der Wand", wusste eine Novizin zu berichten, "Ich kann nichts versprechen, aber vielleicht befinden sich die Wälder, die ihr sucht, darauf."
"Ist es sicher, dieses Zimmer aufzusuchen?", schaltete Aldred sich nun in die Konversation ein, "Nach allem... dem hier?" Eine unangenehme Stille legte sich über die Gruppe als er vielsagend den Verrat des Magisters ansprach. Nervöse Blicke wurden zwischen den Lehrlingen ausgetauscht. Dann fasste einer der Älteren sich ein Herz.
"Sicher ist es nie, das Zimmer eines Magiers zu betreten. Garantieren können wir für nichts", erklärte er, "Aber ich wüsste nicht, dass es irgendwelche besonderen Gefahren dort gäbe, auf die man immer zu achten hätte. Was an Bannzaubern auf dem Studierzimmer gelegen hat sollte man dem Tod des Meisters erloschen sein."
Aldred warf Evelynn einen Blick zu. Fragend, forschend. "Ich denke, wir werden es darauf ankommen lassen", verkündete er dann jedoch fest.

Einer der Lehrlinge gab ihnen eine Wegbeschreibung und dann machten sich die Magierstudenten daran, ihre Sachen zusammenzupacken. Die Gruppe fand den Eingang zu Urnessos Räumen ziemlich schnell und zum Glück wurde kein Zauber ausgelöst, als sie die Türen aufwarfen und eintraten.
Ihnen zeigte sich das Bild eines runden Raumes, der in einem Chaos zurückgelassen wurde. Der Boden war noch leicht feucht und Blut, das bereits dunkel wurde, hatte sich im Holz festgesetzt. Bücher und loses Papier lagen auf dem Boden und dem grossen Tisch in der Mitte des Raumes verstreut, als hätte jemand hastig das Wichtigste zusammensammelt. Ein leerer Käfig mit runenbeschriebene Eisenstangen stand an der hinteren Wand, die einzige, die nicht mit gefüllten Bücherregalen oder Glasschränken, die mit allerlei magischen Zutaten gefüllt waren, vollgestellt war. Über diesem Käfig hing eine grosse Karte, die einen Teil der Landmasse Ruthas zeigte. Rechts führte eine angelehnte Tür in einen weiteren Raum.
Finn warf nur einen kurzen Blick auf die Karte und trat dann an den Tisch, um die Blätter dort zu studieren. Vielleicht konnte er etwas darüber herausfinden, was diesen Magister dazu getrieben hatte, sie anzugreifen.