GQ - [Die MSG]

Aldred hatte, wie beabsichtigt, zusammen mit dem schweigsamen Geralt die zweite Wachschicht übernommen und etliche ereignislose Stunden in die Dunkelheit und Stille der Nacht hinaus gestarrt, die nur vom gelegentlichen Knacken des niedergebrannten Feuers und dem Aufsteigen einzelner Funken aus der Glut durchbrochen worden war. Mehr, als dass einige kleine Nachttiere in respektvollem Abstand zum Lager vorbei gehuscht waren, hatte sich nicht ereignet. Aldred hatte seine Aufgabe dennoch stoisch versehen und schließlich Sahin und Seline für die letzte Wache der Nacht geweckt. Er selbst hatte sich wieder hingelegt während die beiden seinen Platz am Feuer eingenommen hatten, doch wirklich eingeschlafen war er nicht mehr. Der Schmerz in seinem Arm hatte das Bedürfnis nach Schlaf vollkommen überschattet und so hatte er mit geschlossenen Augen dagelegen und abgewartet, bis die Dämmerung eingesetzt hatte.
Nun jedoch stieg die Sonne als glühender, roter Ball über den Horizont, warf malerisches Licht in die dünnen Wolken, die gemächlich über den Himmel zogen und der Gesang der Vögel verkündete unzweifelhaft, dass der Morgen herein gebrochen war. Aldred, wenig erholt aber dennoch glücklich, dass die Zeit der Finsternis und Einsamkeit vorüber war, wuchtete sich mühselig in die Höhe, kam auf die Beine und klopfte sich mit der Rechten Staub und Asche von Wams, Hose und Mantel. Von den anderen schien noch niemand wach zu sein, doch Aldred hatte den Verdacht, dass die meisten von ihnen nur noch am dösen waren, zu träge, sich jetzt schon zu erheben und unter den Decken in die Kühle des Morgens hervor zu kriechen. Stumm griff Aldred sich den Kessel, warf einen Blick hinein um sich zu vergewissern, dass er auch wirklich leer war und stapfte dann damit den Hügel hinauf in Richtung des Brunnens.
"Weckt die anderen", brummte er einsilbig zu den beiden Wachposten als er an diesen vorbei kam. Für mehr Worte war er nicht in der Stimmung. Er fühlte sich schlecht. Die Erschöpfung zehrte an ihm und der Schmerz in seinem verletzten Arm war seit dem Vortag schlimmer geworden. Mit grimmig verzogenem Gesicht ließ er den Eimer in den Brunnen hinab, zog ihn so gut ihm das einhändig möglich war hinauf und füllte dann den Kessel mit dem eiskalten Brunnenwasser. Ein paar Handvoll spritzte er sich ins Gesicht und tatsächlich spürte er, wie langsam seine Lebensgeister in ihn zurück kehrten. Dennoch, Schmerz und Erschöpfung blieben. Er wusch sich noch den Nacken, nahm sein Wams ab und goss sich dann den Kessel ungeschickt mit der Rechten über den Körper. Die Kälte ließ ihn nach Luft schnappen wie einen Fisch auf dem Trockenen, dennoch fühlte er sich danach ein wenig besser. Er füllte den Kessel noch einmal aus dem Eimer des Brunnens, nahm ihn in die Rechte und griff sich mit der Linken sein Wams, das er gemeinsam mit dem Mantel auf dem Brunnenrand abgelegt hatte. Dann ging er mit dem Kessel voll Wasser zurück zum Feuer.

Kurz nach Aldred kam auch Nicole an den Brunnen, weniger einarmig, dafür jedoch umso müder. Nach ihrem kurzen Gespräch mit Sahin war sie in die Ruine des Hauses gegangen und hatte dort grimmig in die Luft gestarrt, bis die ersten Sonnenstrahlen durch die zerbrochenen Fensterscheiben glitzerten. Das war vermutlich keine sonderlich kluge Entscheidung, doch sie hatte Zeit gehabt, über alles nachzudenken und war zu dem vorläufigen Schluss gekommen, dass es wohl keinerlei Sinn hatte, sich Vorwürfe zu machen. Sie musste ihr Leben irgendwie leben, da war keine Zeit für Göttinnen und deren Segen. Wer nur auf diese vertraute war am Ende ein Niemand, doch das wollte sie nicht. Als sie es geschafft hatte den Eimer zu füllen und sich ihrer Kleidung entledigt hatte, was ihr nach all den Monaten in der Zivilisation immernoch nicht im Geringsten unangenehm war, ja, sie geradezu befreite, als hätte sie eine Last von den Schultern geworfen, goss auch sie sich ähnlich des Eisbärmannes den Eimer einmal über den Kopf, tunkte ihre Kleidung in eine zweite Ladung, während sie im Gras kniete und die goldfarbenen Haare ihren Körper vor neugierigen Blicken zu verbergen versuchten, die sie nicht wirklich stören konnten. Nach allem war sie immernoch eine Hure...Ironisch, dass SIE der Schützling einer Göttin sein sollte, hm? Gründlich wusch sie den Staub aus ihrer Garderobe und breitete diese in der Sonne aus, nur noch eine Art Bandage um den Oberkörper und eine kurze Hose tragend, die als Unterwäsche fungieren sollten, und begab sich zu den anderen, die gerade am Aufwachen waren.
"Wie war die Nacht?", fragte sie, leicht lächelnd, und griff Aldred in den Kessel, um ihm mit dem Tragen zu helfen.

Iorweth erhob sich von seinem Schlafplatz und streckte seine müden Glieder. Mit einer Hand fuhr er sich durch seine Haare, die wieder mal zerzaust aussahen. Seine Schwerter lagen neben ihm am Boden und glänzten leicht in der Sonne. Der Elf hob die Waffen auf und steckte diese in die Halterungen am Rücken. Dann tappte er in richtung Brunnen um sich Frisch zu machen. Ausser Sichtweite der Anderen band er seine Haare wieder zurecht und kehrte Topgepflegt zu den anderen zurück."Guten Morgen,"grüßte er Aldred und Nicole und lächelte leicht.

Seline hatte es weder besonders Eilig, noch besonders Lust den Weckdienst zu spielen. So blieb es dabei das sie alle, die nicht bereits auf den Beinen waren einfach kurz rüttelte, sich aber nicht weiter darum kümmerte ob die Leute danach auch wirklich aufstanden. Statdessen Ging sie ebenfalls zum Brunnen um ihre beiden Wasserschläuche wieder aufzufüllen. Sie wünschte sich im moment das sie noch einen dabei hatte, den wenn sie sich durch die Wildniss schlugen würde es fraglich sein wann sie das nächste mal einen Brunnen oder eine Saubere quelle finden würden.
"Ich hoffe ihr habt nicht vor den inhalt des Kessel über jemanden hier zu kippen."

Der Wachdienst zusammen mit dem Elfen war ereignislos verlaufen. Finn hatte die ganze Zeit in seinem Buch gelesen und nicht auf die Umgebung geachtet. Falls es zu einem Angriff gekommen wäre, wäre die ganze Verantwortung bei Iorweth gelegen, denn der Junge war vollkommen von seinem Folianten absorbiert. Wahrscheinlich wäre einer der schlafenden noch früher bei den Waffen gewesen, als dass Finn Alarm geschlagen hätte. Als die Schicht schliesslich vorbei war, fühlte er doch noch eine bleierne Müdigkeit und verstaute sein Buch deshalb in seiner Tasche, um sich dann nahe des Feuers zusammen zu rollen und sofort einzuschlafen. Der Marsch hatte ihn mehr erschöpft, als er selbst bemerkt hatte.
Am nächsten Morgen weckte ihn jemand, der ihn rüttelte. Langsam öffnete er die Augen und entdeckte gerade noch die burschikose Frau, die sich schon dem nächsten Schlafenden zuwandte. Hatte sie ihn geweckt? Irgendwie machte ihn diese Riesenfrau Angst. er wusste nicht, was sie war, aber sie war sicher kein Mensch. Und wenn etwas kein Mensch war, dann lernte man ihm Norden schon frühe eine gewisses Misstrauen zu entwickeln. Damit sie nicht noch einmal zu ihm kam, weil er nicht wach schein, rappelte Finn sich schnell auf und kramte beschäftigt in seiner Tasche während er sich etwas ängstlich umsah. Es war ihm zwar gar nicht aufgefallen, aber das war seine erste Nacht, die er im Freien verbracht hatte. Das Gras war nass von Tau und er fühlte sich etwas steif, aber sonst hatte er das ganz gut überstanden, anders als in den Geschichten, die er von den Matronen gehört hatte, dass jeder, der die Nacht nicht in einem sicheren Haus verbringen konnte, fast schon tot war. Das konnte aber auch damit zusammenhängen, dass sie damit eine Nacht in den Eisigen Einöden gemeint hatten.
Schliesslich würde Finns Blick von Aldred und der Frau angezogen, die zusammen eine Kessel zu ihnen rüber trugen. Erst jetzt bemerkte er, dass er ziemlich durstig war. Deshalb erhob er sich und trat auf die beiden zu.
"Könnte... könnte ich vielleicht... ein wenig zu trinken haben?", fragte er mit gesenkten Kopf. Noch immer traute er sich kaum, den anderen direkt in die Augen zu schauen. Hoffentlich musste er sich nicht noch selbst Wasser aus dem Brunnen holen.

Aldred hatte sich darauf beschränkt, Nicoles Frage mit einem Schnauben und einem halbherzigen Lächeln in ihre Richtung zu beantworten. Er war nicht in der Stimmung zu reden. Und wenn er ehrlich war, dann wusste er auch gar nicht, was er auf so eine Frage hätte antworten sollen. Ihn hatte schon lange niemand mehr gefragt, wie seine Nacht gewesen war. Vor allem, da er schon lange nicht mehr morgens in Gesellschaft aufgewacht war. Auf den Routen, die er bevorzugte, traf man selten andere Wanderer. Als Finn ihn jedoch um Wasser bat brach er sein Schweigen.
"Natürlich", antwortete er, seine Stimme wieder das monotone, klanglose Murmeln, das er so häufig an den Tag legte, "Habe den Kessel nicht umsonst hier runter geschleppt. Dafür ist er da..." Er stellte den Wasserbottich vor dem Jungen ab, warf seinen Pelz und das Wams, die er über dem Arm getragen hatte, auf den Boden daneben und ließ sich dann selbst auf dem Eisbärenfell nieder. Die Morgensonne fiel auf seinen muskulösen Oberkörper und schimmerte auf den zahlreichen Narben, die diesen bedeckten. Er wandte den Blick wieder Nicole zu, zögerte, sprach dann mit rauer Stimme.
"Wir sollten bald aufbrechen. Wir sind schon viel zu lange an diesem Ort...", erklärte er, "Ich möchte mir noch diesen Keller ansehen, denn Iorweth gestern gefunden hat. Sobald die Sonne hoch genug steht, dass man auch ohne Fackel etwas sieht." Es war gefährlich, mit offener Flamme in einen unbekannten Keller zu gehen. Früher, als er noch ein Kind gewesen war, war Aldred einmal Zeuge einer Mehlstaubexplosion geworden, die den Keller der Mühle verwüstet und den Müller ein Auge gekostet hatte. "Vielleicht finden wir dort noch etwas, was wir an Vorräten mitnehmen können. Aber dann sollten wir so rasch wie möglich aufbrechen..."

Es hatte tatsächlich niemand Amun aufgeweckt. Das war unerwartet. Der Avior hatte fest damit gerechnet, dass er mitten in der Nacht durch ein Rütteln an der Schulter oder ähnlich ekelhafte Massnahmen geweckt werden würde. Stattdessen hatte man ihn schlafen lassen. Der Avior streckte sich genüsslich und massierte sich die Schultern. Er fühlte sich erfrischt wie schon lange nicht mehr, was angesichts der Umgebung doch verwunderlich war. Aber einen Avior brachte man nicht so schnell aus der Fassung. Ein paar der anderen waren schon auf den Beinen.
"Warme Winde", wünschte Amun der Gruppe um den Kessel einen guten Morgen. Klauenhände waren zwar denkbar ungeeignet, um Wasser aus einem Kessel zu schöpfen, aber Amun brachte es trotzdem irgendwie fertig seinen Durst zu stillen. Etwas abseits von der Gruppe war eine kleine Gruppe mit etwas Kies und Sand. Amun schritt hinüber und warf sich in den Sand, der in alle Richtungen davonstob. An den Federn der Avior perlte Wasser zwar ab, aber sie nahmen trotzdem lieber Sandbäder.

Finn erlaubte sich ein seltenes Lächeln und tauchte dann seine Hände in das Wasser, um sich zuerst ein wenig ins Gesicht zu spritzen. Dann formte er sie zu einer Schale und schöpfte sich einige Schlücke in den Mund. Schon nach dreimal schöpfen bekam er ein schlechtes Gewissen, dass er den anderen so nicht genug übrig lassen würde und liess von dem Kessel ab, damit jemand anderes trinken konnte. Dass sie noch mehr Wasser aus dem Brunnen schöpfen konnten, bedachte er gar nicht. Stattdessen trat er mit fast schon schuldbewusstem Gesicht einige Schritte zurück und blickte sich um. Der Grossteil der Gruppe war wach, die seltsame Frau und das burschikose Weib standen ebenfalls bei dem Kessel, der Vogelmensch suhlte sich in einer kleinen Grube und der Elf trat ebenfalls zu ihnen. Dann fiel sein Blick auf Aldred und er konnte nicht verhindern, dass er ob dessen vernarbtem Oberkörper scharf die Luft einzog. Er ahnte zwar, das der eine oder andere Veteran in der Letzten Stadt nicht anders aussah, aber dort trugen sie alle dicke Felle wie das Fell des Mannes und verbargen sich so. Erst jetzt fiel Finn auf, dass es sich bei dem Pelz des Mannes um den eines Eisbären handelte. Er ahnte zwar, dass es die Tiere noch in anderen Gegenden gaben, doch gleichzeitig hoffte er, einen Landsmann vor sich zu haben. Sich selbst Mut zusprechend trat er auf seinen gestrigen Retter zu und liess sich neben ihm im nassen Gras nieder.
"Aldred... dein Fell... ich frage mich, ob... kommst du vielleicht auch aus dem Eisigen.. Einöden?", stotterte er vor sich hin. Sein Mut hatte leider nur zum hinsetzen und anfangen zu sprechen gereicht, aber einfach so abbrechen wollte er nicht. Erwartungsvoll schielte er sein Gegenüber an und hoffte auf eine positive Antwort. Obwohl er nie viel mit seinen Landsleuten zu tun gehabt hatte, hoffte er hier in dieser fremden Gegend einen 'Verwandten' zu haben. Das würde seine Bewunderung für den Eisbärenmann nur noch steigern-

"Aus den Einöden?" Aldred konnte sich trotz seiner grummeligen Stimmung und obwohl er sich von der vorigen Nacht wie gerädert fühlte ein Schmunzeln nicht verkneifen. Irgendwie mochte er Finn. Der Junge war still und schüchtern, aber er hatte gute Manieren. Ein angenehmer kleiner Kerl. "Nein, ich komme aus Jedha. Das ist hier auf dem Kontinent. Das heißt... falls wir denn noch hier sind. Aber das hier..." Er griff nach einem Stück des Eisbärenfell, das unter seinen Beinen hervor schaute und ließ den verfilzten, dicken Pelz durch seine Finger gleiten. "... das hier ist aus den Eisigen Einöden. Ich war... eine zeitlang dort oben. Glaub mir, du möchtest nicht wissen, was ich dort oben getan habe. Das wäre ohnehin eine lange Geschichte... eine zu lange Geschichte. Vielleicht eine Geschichte... für ein Lagerfeuer... am Abend." Er verstummte, schwieg. Dann jedoch, als der Junge ebenfalls stumm blieb, ergiff er erneut das Wort. "Aber du, Finn, du kommst aus den Einöden, richtig?"

Ein mittelprächtiger Sandsturm fegte über das Lager der Gruppe hinweg. Amun stieß einen Schrei aus, aus dem pure Lebensfreude klang. Der würde die noch schlafenden Mitglieder der Gruppe mit Sicherheit wecken. Amun schüttelte sich, was noch eine Sandwolke auslöste. Die beachtlichen Schwingen klappten auf und sandten einen Windstoß über den Boden, der den Sand weiter verteilte. Durch die staubige Luft stakste Amun mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck zu der Gruppe am Wasserkessel hinüber. Er war sauber, er war ausgeruht, er war satt. Was wollte ein Avior mehr? Hm. Ein breithüftiges Weibchen vielleicht. Aber abgesehen davon?
"Mögen uns warme Winde erwarten", grüßte Amun erneut freundlich. Ein weiterer Flügelschlag vertrieb die umherschwebenden Sandkörner.

Es war für den Waldläufer eine Selbstverständlichkeit geworden, sich spätestens vom ersten Morgenlicht wecken zu lassen, und so lag er schon wach als sich noch die meisten anderen still in ihren Decken veergruben. Nicht, dass Geralt das nicht auch noch getan hätte; es gab nichts zu tun und der Morgen war kühl, also verschränkte er die Arme unter dem Kopf und sah in den Morgenhimmel hinauf. Sich zu waschen hielt er nicht für nötig. Er war dem zwar nicht abgeneigt und hielt sich auch sauber, aber sich jeden Morgen fein zu machen hielt er für durchaus unnötig.
Erst als sich langsam Aufbruchsstimmung im kleinen Lager verbreitete und sich schon wieder Gespräche entwickelten schlug Geralt die Decke beiseite, stand langsam aus, reckte sich und gähnte ausgiebig, bvevor er anfing, seine paar Habseligkeiten wieder zusammenzuräumen. Dann ging er ebenfalls Wasser holen, füllte seinen Wasserschlauch auf und machte eine kurze Katzenwäsche. Das war es auch schon mit seinen Reisevorbereitungen; Bis Aldred in den Keller gehen würde gab es für ihn wohl nichts mehr zu tun. Also hörte er stattdessen Finn und Aldred zu, halb abgewandt, um nicht aufzufallen oder wie eine Störung zu erscheinen. In den eisigen Einöden war er noch nicht gewesen.

Jedha? Von der Stadt hatte er gelesen und die wäre auch eigentlich eine Zwischenetappe seiner Reise gewesen, da man über Jedha hervorragend nach E'jin kam. Aber in den Eisigen Einöden gewesen, das war er immerhin. Sein Respekt vor Aldred wuchs noch etwas, wenn dieser seine Narben wirklich aus Finns Heimat hatte und dort sogar mit einem Eisbären gerungen hatte. Wahrscheinlich nicht alleine, aber die Berichte, die Finn über diese Ungetüme gelesen hatte, führten ihm lebhafte Bilder vor Augen. Ohne Zweifel war Aldred ein sehr mutiger Mann.
"Ja, aus der Letzten Stadt...", für einen kurzen Moment driftete Finns Blick ab, während er sich an seine Heimat erinnerte. Vermisste er sie, die kalte Stadt im Norden des Kontinents, unter ständiger Belagerung und unter den Augen der Matronen? Ja, irgendwie schon ein wenig, aber das, was ihm dort wichtig gewesen war - die Bibliothek - hatte man ihm genommen, also musste er andere Wege gehen. "Ganz im Norden... wahrscheinlich warst... du dort, ist der einzige Luftschiffhafen auf dem Kontinent."

"Zwei mal...", bestätigte Aldred langsam nickend, "Einmal beim Kommen und einmal beim Gehen. Die Jahre dazwischen... nicht. Ich bin kein Freund von Städten. Wo so viele Menschen sind werde ich... nicht finden was ich suche." Er faltete die Hände, legte die Arme auf seine Knie. Blickte dann zum Himmel. Das Rot des Morgens war gänzlich verschwunden, das Gelb zerfloss langsam in immer bleichere Schwaden während klares Blau sich immer tiefer gen Horizont drängte. Die Schatten, lang und schmal als Aldred erwacht war, schrumpften immer weiter in sich zusammen. Es war hell geworden. Es wurde Zeit, dass sie aufbrachen. Doch zuvor...
"Ich sehe mir jetzt diesen Keller an...", erklärte er seinem jungen Gesprächspartner und stemmte sich mit dem gesunden Arm in die Höhe, "Wenn du willst kannst du mich ja begleiten..." Er schlüpfte wieder in sein Wams - was mit dem verwundeten linken Arm weniger leicht war als er angenommen hatte - legte das Fell wieder an und schob den Schmiedehammer in seinen Gürtel. Mehr aus Gewohnheit, als dass er wirklich glauben würde, den Hammer dort unten zu brauchen. Das gefährlichste, was ihn in diesem Keller erwarten konnte wären fette Ratten. Er hielt auch einen Moment nach seinem Schild Ausschau, dann fiel ihm wieder ein, dass dieser ja beim Angriff der schwarzen Reiter gesplittert war. Mit der Hand auf dem Hammerkopf und der wunden Linken eng an den Leib gepresst näherte er sich dem Kellerloch. Es wirkte absolut unscheinbar, abgesehen von all dem Ruß, der die weitgehend verkohlten Flügel der Luke bedeckte. Die Morgensonne stand günstig, in Aldreds Rücken, und warf lange Strahlen die Treppe hinab. Aldred sah sich um ob Finn im folgte, dann stieg er hinab ins Zwielicht.

Sahin überleß es Seline, die anderen zu wecken, während er selbst von seinem Posten aufstand und sich kurz streckte. Er hatte weder das Bedürfnis sich zu waschen, noch seinen vollen Trinkschlauch aufzufüllen, weshalb er sich von dem Bauernhof entfernte und das umliegende Grasland durchquerte. Vielleicht konnte er ja etwas Beute machen, so wie Amun gestern, die sich vor dem Aufbruch essen konnten, falls die anderen Hunger hatten. Er selbst brauchte nichts zu Essen, etwas Hunger hatte noch nie geschadet. Sollten die anderen nachher aufbrechen wollen, konnte ihm Rhischa bescheid geben.

Seline hatte sich auf eine abgebrannte Mauer gesetzt und den anderen ein wenig zugesehen, momentan gab es ja auch nichts anderes zu tun. Besonders das Morgenritual des Aviors war irgendwie witzig anzusehen. Sie hatte das schon bei Vögeln gesehen doch bei dem Avior wirkte es auf irgend eine art und weise ulkig, so das sie sich ein grinsen nicht verkneifen konnte. Als dieser dann aber einen kleinen Sandsturm hervorbrachte hielt sie schützend eine Hand vor die Augen. "Hey vorsichtig kumpel. Ich will dir ja nicht die gute Laune verderben aber du musst uns ja nicht gleich im Sand einbuddeln ok?" das lächeln von Seline machte aber klar das ihre Worte nicht ganz ernst gemeint waren.
Als Aldred dann kurz darauf aufstand um den Keller zu erkunden blickte sie ihm nach. "Melde dich falls du was interesanntes gefunden hast, ok?"

"Sauber bin ich immerhin", stelle Amun fest und streckte Arme und Flügel aus wie um seine Worte zu beweisen. Tatsächlich war nirgendswo Dreck an einer Feder zu sehen. Das Gefieder präsentierte sich in makellosem Weiß und Gold. "Probieren solltet Ihr es auch einmal. Schaden kann es nicht. Genug Sand ist für jeden da, hehe." Die meisten Landgeher hatten sich einer solchen Aufforderung doch eher verschlossen. Die dachten, das würde schmutzig machen. Amun betrachtete sein Gefieder. Das war doch der beste Beweis dafür, dass die Menschen - wieder einmal - unrecht hatten. Menschen war ohnehin komisch. Was sollte man da anderes erwarten? Hatten Schaum im Gehirn und wenn der raustropfte, wurden sie verrückt. Das hatte Amun schonmal gesehen. Hatten das Tollwut genannt. Hatte eher nach Schmerzen als nach toller Wut ausgesehen, hatte Amun gemeint. Die Menschen hatten gelacht.
"Falls Ihr findet Stoff dort unten, mir bitte geben, ja? Ist ein Loch in meiner Tunika." Tatsächlich war ein ungefähr pfeilspitzengroßes Loch in einem Ärmel von Amuns Oberkörperkleidung. Wo das wohl herkam? Vielleicht wirklich von einem Pfeil?

War er etwa durch de ewigen Schneelandschaften gewandert, durch das offene Land der Lyarden und der Ernachon gewandert? Finn wusste, dass das gefährlich, in den meisten Fällen sogar tödlich war, vor allem, wenn man alleine unterwegs war. Deshalb war es um so erstaunlicher, dass Aldred immer noch gut in Form war und nicht einmal mit irgendwelchen Erfrierungen zu kämpfen hatte. Finns Respekt vor dem eindrucksvollen Mann wuchs nur noch. Als dieser ihn fragte, er mit in den Keller wollte, war er zuerst unschlüssig. Die Andeutungen Aldreds, dass das gefährlich sein konnte, machten ihm nicht gerade Mut, aber er wollte ihn beeindrucken. Und schliesslich hatte er beschlossen, dieser Gruppe keine Last zu sein. So folgte Finn dem Mann bei seiner Kellerexpedition mit wenigen Schritten Abstand. Dass er den Keller mit seinem Spähzauber ganz einfach und sicher durchsuchen konnte, bedachte er gar nicht.

Iorweth kicherte etwas, als Amun sich im Sand reinigte. Sah recht ulkig aus das Ganze. Dann begab sich Aldred in den Keller und Finn folgte ihm. Interessiert folgte er den beiden und sah sich um. " Da ist das Wasserfass," deutete auf die rechte Seite.
Jetzt, da das Licht in den Raum leuchtete, konnte er mehr erkennen. "Wir sollten das mit nehmen, was noch brauchbar ist, " merkte er an und wanderte noch etwas tiefer in den Raum.

"Deshalb sind wir hier", gab Aldred dem Elfen bestätigend zur Antwort und nahm selbst den Kellerraum in Augenschein. Er wirkte unspektakulär, kleiner, als er erwartet hatte. Eigentlich nur eine Vorratskammer. Ein Fass Wasser, daneben zwei Säcke, die - wie ein kurzer Blick hinein offenbarte - Zwiebeln enthielten. Dazu ein schweres, simpel gezimmertes Regal aus ungeglättetem Holz, in dem einige kleinere Säcke lagen. Aldred warf einen Blick in jeden von ihnen. Der größte von ihnen enthielt - wenig verwunderlich - Mehl, ein weiterer groben, bräunlichen Zucker. Außerdem lag noch ein Bund dicker, erdig-schmutziger Rüben daneben, den Aldred sich direkt in seinen Gürtel schob. Aber alles in allem eine ernüchternde Entdeckung. Er hatte mit mehr gerechnet. Sicher, sie konnten das Mehl untereinander aufteilen und so den größten Teil mitnehmen, dennoch: Aldred hatte mit mehr gerechnet. Das hielt jedoch nur an, bis er die verstaubte Tür bemerkte, die sich unscheinbar hinter dem Regal versteckt in die Wand drückte. Wäre das Regal voller gewesen, er hätte keine Chance gehabt, sie im Halbdunkel zu erkennen.
Mit der Schulter drückte Aldred das Regal zur Seite und griff dann mit der Rechten nach dem schweren eisernen Ring an dieser. Die Tür war unverschlossen, das merkte Aldred sofort als er daran zog, doch sie klemmte. Sie musste sich verkantet haben, oder die Scharniere waren im Lauf der Zeit festgerostet. Mit nur einem Arm, den er einsetzen konnte, würde er sie nicht frei bekommen. Dennoch, so einfach würde er nicht locker lassen. Diese Tür hatte seine Neugierde geweckt und zusammen mit der Enttäuschung über den annähernd leeren Kellerraum bestärkte dies in in seinem Entschluss: er wollte wissen, was dort dahinter lag. Es musste wohl einen Sinn haben, dass jemand eine Tür hinter einem Regal verbarg. "Greift hier mal mit an!", wandte er sich über seine Schulter hinweg an Finn und Iorweth.

"Habt ihr etwas gefunden?" Ein blonder Schopf blickte von draußen in den Keller. Nicole hielt sich an einer verkohlten Wand fest und kletterte den mutigen Männern hinterher. Sie hatte nur wenig Interesse für die Vorräte, die meisten von ihnen konnte man vermutlich sowieso nicht mehr verwenden, und schaute stattdessen recht verwundert auf die Tür, welche Aldred gerade öffnen wollte. Irgendwie war ihr plötzlich mulmig. Als hätte jemand einen Haken an ihrem Bauchnabel befestigt und würde nun daran ziehen, und dieses Gefühl breitete sich bis zu ihrer Brust aus, wurde zu einem Brennen, welches sie zu ignorieren versuchte, so gut es ging. "Hinter dieser Tür gibt es etwas...Ich bin mir nicht sicher, was es ist, aber es ist nicht normal."

"Etwas nicht Normales?", wiederholte Aldred. Er zweifelte nicht einen Moment lang daran, dass Nicole mit ihrer Einschätzung recht haben würde. Sie war von einer Göttin berührt worden, davon war er inzwischen überzeugt. Sie selbst mochte es leugnen, doch er wusste es besser. Er wusste, dass es die Göttinnen gab. Er hatte eine Göttin - seine Göttin! - gesehen! Es war mehr als nur ein Traum gewesen, der ihn in die Eisigen Einöden getrieben hatte. Und ebenso sicher wie er diesbezüglich war, so sicher war er sich auch bei seiner Einschätzung dessen, was der jungen Frau widerfahren war. Wenn Nicole, die Gesegnete, also nun sagte, dass irgendetwas hinter dieser Tür lag, dann konnte dies nur eine Eingebung ihrer Göttin sein. Und die Göttinnen irrten nicht. Also würde Aldred Nicole bedingungslosen Glauben schenken.
Er erinnerte sich an die Bitte der Riesenfrau und trat zur Treppe des Kellers. "Seline!", rief er hinauf, "Wir haben hier wirklich etwas! Komm mal runter!" Auch ansonsten würden sie die Frau hier unten gut gebrauchen konnte. Seline verfügte über Kräfte, die ihrem Wuchs nur angemessen waren. Wenn es jemanden gab, der diese Tür aufbekam, dann sie. Und spätestens jetzt, nach Nicoles unheilvoller Ankündigung, war Aldred fest dazu entschlossen, diese Tür zu öffnen. Und wenn sie sie zerschlagen mussten...!

Seline grinste als Amun sich streckte und meinte sie solle diese Art der Körperpflege auch einmal ausprobieren. "Nein danke Amun, das ist nicht böse gemeint, aber das wird nicht funktionieren. Bei Federn oder Schuppen mag der Sand wirklich eine reinigende Wirkung haben, aber bei einer Haut wie Menschen sie haben würde es eher das Gegenteil bewirken, der Sand würde kleben bleiben und dann wären wir noch dreckiger als vorher." Sie musste sich gerade bildlich vorstellen wie zum Beispiel ­Iorweth aussehen würde, wenn er sich im Sand gewälzt hätte.
Doch kurz darauf wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Aldred hatte anscheinend wirklich etwas entdeckt und nach ihr gerufen. Mit einer Mischung aus Verwunderung und Neugierde, sie hatte nicht ernsthaft damit gerechnet das sie da unten noch etwas Wertvolles finden würden, stieg sie die Stufen hinunter in den Keller. "Ja was gibt es denn?"
Kurz und knapp wurde ihr die Situation erklärt und Seline machte sich an die Arbeit. Sie versuchte gar nicht erst die Türe aufzustemmen oder dagegen zu drücken. Stattdessen griff sie nach dem Hammer, den sie von einem der schwarz-gepanzerten erbeutet hatte, und verarbeitete die Türe kurzerhand zu Kleinholz. Nach nur zwei heftigen Schläge war der Widerstand gebrochen und der Durchgang war frei. "Schade das Wir die Türe gestern Abend nicht entdeckt haben, das Kleinholz hätten wir gut als Feuerholz verwenden können."

Die Kraft von Seline - eine beeindruckende und irgendwie furchterregende Stärke, die Nicole normalerweise niemals mit einer Frau in Verbindung gebracht hätte, doch Ruhta war voll von mysteriösen Wesen, mit all ihren eigenartigen Talenten, da war eine muskelbepackte Wüstenfrau geradezu normal, öffnete ihnen die Tür. Nicht, dass sie allzu viele Wesenheiten gesehen hatte. Einmal war sie einer Nomadengruppe Katzenwesen begegnet, das war interessant gewesen, doch ihr Herr war misstrauisch und distanziert geblieben. Die geschmeidigen Jäger galten als geschickte Diebe. Paradox, denn auch ihr Sklaventreiber hatte sich damals oftmals illegal aus den Taschen anderer erleichtert. Auch die Menschen waren teilweise seltsam, errichteten Städte, stellten gesellschaftliche Normen auf - und bauten Altäre in ihren Kellern?
Mit wenigen Schritten, bei denen sie sich an Aldred vorbei in den freigewordenen Gang drückte - obwohl sie spürte, wie er sich bewegte, vermutlich, um als Erster zu gehen, wusste sie, dass es ihre Aufgabe war, dies zu tun - gelangte die ehemalige Sklavin in einen Raum, in welchem sich die Spinnenweben und deren Besitzer tummelten und es roch, als wäre dort ein Tier verendet. Was jedoch die volle Aufmerksamkeit der jungen Frau einnahm, war ein großer, steinerner Altar, der mit einem vergilbten Bild eines kleinen Mädchens belegt war, sowie einem ganzen Haufen zerknitterter, vertrockneter Pflanzen. Beim Vorbeugen und Staubwischen konnte sie das Wort mee'la darauf lesen. Als ihre Fingerkuppen darüber glitten, schimmerte der Schriftzug, woraufhin sich hinter ihr eine Luke in der Decke öffnete und Aldred ein Stück Papier vor die Füße warf. Nicole bemerkte davon nichts, sie war zu beschäftigt damit das kleine blonde Mädchen auf dem Bild zu betrachten. Mysteriös...man könnte fast meinen, es wäre ihre kleiner Schwester...oder sie selbst. Aber wieso sollte jemand eine Zeichnung von ihr in seinem Keller aufbewahren?

Ein Schauer lief Aldreds Rücken herab als die Inschrift des Altars bei Nicoles Berührung zu leuchten begann. Er konnte es genau beobachten, hatte er sich doch dicht hinter der jungen Frau in die schmale Altarkammer gedrängt, gar nicht darauf achtend, dass sein breites Kreuz die anderen somit völlig zurück hielt. Für ihn war offensichtlich, was er in diesem Leuchten zu sehen hatte: ein weiteres Zeichen der Göttin, ein Wink des Schicksals. Sie sollten hier sein. Es war kein Zufall, der sie diesen Weg hatte einschlagen lassen. Und was sie hier gefunden hatten, das war von äußerster Bedeutung, wenngleich Aldred sich noch keinen Reim auf den seltsamen Altar machen konnte.
Dann erst fiel ihm das Stück Pergament auf, das, an seiner Schulter abgleitend, unbemerkt zu Boden gesegelt war. Wo kam es her? Neugierig bückte Aldred sich danach, las es mit der gesunden Hand auf. Das Licht war schlecht hier unten, trotz der flach und weit hinein fallenden frühen Sonnenstrahlen, doch selbst im schummrigen Zwielicht des Kellers war es nicht schwer zu erkennen, dass es eine Karte war, die er da vor sich hatte. Das, was er darauf erkennen konnte, sagte ihm nichts, die Gegend wirkte fremd auf ihn, ja, er hätte nicht einmal sagen können, welchen Erdteil die Karte darstellte. Unverkennbar jedoch war die eingezeichnete Markierung, ein grober, schwarzer Kreis, nachträglich mit Kohlestift auf die Karte geschmiert. Es wollte Aldred nicht gelingen, die halb von der Kohlelinie verdeckte Schrift zu entziffern. Er würde mehr Licht dazu brauchen. Doch er konnte jetzt nicht einfach nach oben. Er musste erst wissen, was es mit dem Altar auf sich hatte. Wie gebannt trat er noch einen halben Schritt näher, beugte sich über Nicole hinweg, dabei den Blick ins innere des Raumes und auch auf die Karte in seiner Hand frei gebend.

Seline hätte ebenfalls gerne einen blick in den Raum geworfen, doch Aldred versperrte mit seinen Breiten Schultern den Weg und verhinderte so das man viel vom Raum sah. Seline klopfte ihm deswegen auf die Schulter, "Hey alles in Ordnung? Oder ist da drinnen etwas das wir nicht sehen dürfen?" Sei war etwas verwirrt, sowohl Aldred als auch Nicole benahmen sich sehr seltsam.