Broken Skies [MSG]

"Ich bin Choraz.", brummte der Luhpin. "Choraz Keres." Damit kannte er nun schon mehrere Namen seiner Mitreisenden, wenn auch noch lange nicht alle. Obgleich Apfel einer völlig anderen Rasse angehörte, schien er ähnlich unsensibel wie Choraz zu sein, zumindest im Hinblick darauf, wie der Gatha eingeschnappt war. Ihm selbst hatte man auch schon Unsensibelheit vorgeworfen, aber was war auch so schlimm daran, auszusprechen, was man dachte? Auch, wenn es vielleicht schmerzhaft war?
"Ehrlich gesagt.", murmelte er leise. "Mich hätte auch interessiert, wie er seine Hand verloren hat. Aber scheinbar erfahren wir es nicht."

Rasch verbarg Lésca den Armstumpf an seiner Seite. Zum Glück reichte ihm Valt nicht die Hand, denn ihm die Linke zu geben hätte bestenfalls Verwirrung hervorgerufen. Einen Moment sah er den Menschen misstrauisch an, nach seiner Erfahrung mit Apfel versucht, etwas vorsichtiger zu sein. Der junge Mann sah aber eigentlich recht nett aus, und so entspannte der Gatha sich wieder.
"Ich bin Lésca. Ich bin Jäger. Und ein bisschen Flieger. Als richtiger Matrose bin ich aber noch nie mitgeflogen."
Er wandte sich Valt zu, achtete aber immer noch darauf, seine Schwäche nicht zu zeigen. Vielleicht hatte er es ja schon gesehen, als er sich auf der Liste eingetragen hatte, aber trotzdem war es ihm unangenehm, wenn jemand den Stumpf anstarrte, als ob er ein Wundertier sei. Wahrscheinlich hatte auch der Mensch etwas zu verbergen, irgendeine Schwäche, etwas in seiner Vergangenheit, das er nicht zeigen wollte – aber er hatte es viel leichter, niemanden etwas erkennen zu lassen. Eine fehlende Hand war einfach offensichtlich, aber deswegen doch nicht weniger privat als die Geheimnisse anderer Leute.
"Ich hoffe nur, das wird nicht gleich so gefährlich … Die Mannschaft sieht total zusammengewürfelt aus."

"Es kann nicht gefährlich werden", beschwichtigte Valt. Nicht, dass er sich an der Gefahr gestört hätte. Aber ihn zu beruhigen schien ein guter Weg, das Vertrauen des Gatha zu gewinnen. "Die meisten von uns sind noch nie geflogen und der Kapitän weiß das. Solange, bis er glaubt, dass wir ordentliche Luftschiffmatrosen geworden sind, wird er keine Risiken eingehen. Das wäre doch Wahnsinn!" Er wandte sich um, warf einen Blick auf den graupelzigen Leoniden. Nahm jedes mal eine neue Mannschaft mit, hieß es. Segelte die gefährlichsten Routen der Welt. Mit Frischlingen wie ihnen. So langsam kamen Valt doch leise Zweifel, ob der Kapitän nicht doch ein wenig wahnsinnig war...

Die Augen eines Leoniden mochten vielleicht nur dem Durchschnitt entsprechen, wobei man mit ihnen prima im Dunkeln sehen konnte, aber die Ohren eines Leoniden waren überdurchschnittlich. Und Ragnar war es gewohnt Antworten durch Sturmböen zu hören. Inzwischen stand auch keiner mehr von seinem improvisierten Rekrutiertisch, weswegen er sich an seine neue Mannschaft wenden konnte. Alles in allem war die Gruppe zufriedenstellend. Sie hatten einen Zimmermann, ein paar erfahrenere Matrosen, einen Alchemisten und einen Magier. Mehr brauchte man eigentlich nicht. Das Kochen würde nacheinander jeder einmal übernehmen und diejenigen, die eher die Mannschaft unbeabsichtigt für Stunden auf den Abort verbannten, würden aussortiert werden.
"Die Strecke bis zu den ersten paar Inseln ist völlig ungefährlich", versuchte Ragnar zu beruhigen: "Da ist reichlich Zeit für euch, die Grundlagen zu lernen. In ein paar Tagen werdet ihr Luftschifferbeine entwickelt haben und von da an ist der Rest ein Klacks. Das größte Problem ist bei Wind noch stehen zu bleiben. Zwischen Neka und Jins Fall gibt es ein paar windige Stellen, wo wir das üben können."
Ragnar schlug mit der Faust auf den Tisch und fuhr fort: "Bisher habe ich jede Mannschaft heil wieder zurückgebracht. Und so war ich hier sitze, wir kommen auch wieder zurück! Bei meinem Wort!"
Mit einer grauen Pranke winkte er seiner Mannschaft aufzustehen.
"Auf, auf! Hier will sich keiner mehr einschreiben. Gehen wir zur Windfänger."
So wie Ragnar "Windfänger" aussprach, hätte das Wort auch "gewaltiger Goldschatz" oder "Heirat der Faykönigin" sein können.
"Gehen wir."

Faint leerte seinen Krug in einem Zug, obwohl dieser noch etwa halbvoll war und hob dann ab um dem Kapitän - in torkelndem Flug - als Erster zu folgen. Er machte sich keine grossen Sorgen um seine Begabung als Schiffsmatrose, erstens war seine Rasse auch ohne Hilfsmittel dazu in der Lage, den Raum zwischen den Inseln zu durchqueren, Luftschifferbeine würde er also nicht brauchen und zweitens machten ihn seine Professionen wohl zu etwas Besserem als die anderen Mitfliegenden. Einzig diese Winde, die Ragnar da angekündigt hatte. Während Ragnar auf die sich erhebenden Menschen und anderen Rassenangehörige wartete, liess sich Faint wieder auf seiner Schulter nieder. Irgendwie verschwamm alles ein wenig, er würde sich hier ausruhen...
"Wie siehts eigentlich aus.... schschon mal 'nen Elvair dabei gehabt? Hat's die 'n den Wind'n forgepustet?", fragte er den Leoniden, wobei seine Stimme immer wieder von Hicksern unterbrochen wurde.

Das allgemeine Stühlerücken, die plötzlich über die Versammlung herein brechende Aufbruchstimmung, rissen Valt aus seinen Gedanken sowie seinem Gespräch mit dem Gatha. Der Kapitän war ganz offenbar ein Mann, der keine Zeit verschwendete. Zum Luftschiff! Valt hatte keine Ahnung, wie lange der Leonide schon hier gesessen haben mochte, aber allzu viel Zeit konnte er sich für die Rekrutierung kaum genommen haben. Und er schien entschlossen, ebenso wenig Zeit darauf zu verschwenden, im Hafen vor Anker zu liegen. Schien direkt los zu wollen. Nun, ihm konnte es nur recht sein. Was er an Besitz hatte trug er bei sich und je rascher sie aus der Stadt heraus waren, desto eher entzog er sich dem Griff der Wache.
"Sieht so aus, als ob's los geht", verkündete er seinem Gesprächspartner unnötigerweise und erhob sich, hastig seine Sachen zusammen suchend und sich in die Kolonne einreihend, die nun das Wirtshaus verließ und hinaus auf die Straße trat. Noch immer war eine Menge Volk auf den Beinen und das Gedränge dicht, doch mit Männern wie Ragnar oder dem Luhpin würde es kein Problem werden, sich einen Weg zum Hafen zu bahnen. Trotz aller eben noch gehegten Bedenken konnte Valt nicht umhin, mit einem mal ein aufkommendes Gefühl der Vorfreude zu verspüren. Ja, er war gespannt auf das, was sie erwarten würde! Für einen kurzen Moment war es, als bräche ein kleiner Sonnenstrahl durch den Nebel aus Trübsinn, der ihn umfangen hielt.

Auch Apfel griff sich rasch seine beiden Gepäckstücke, die, zu seiner großen Freude, immer noch da waren, und reihte sich in den Trupp von aspirierenden und bereits erfahrenen Luftschiffern ein. Schritt für Schritt ging es dann über die breiten Straßen und einige verwinkelte Gassen des Hafenbezirks hin zum Pier. Abrupt endete hier die Welt, und einige hundert Meter unter ihnen dämmerte das pastellfarbene Wolkenmeer vor sich hin, durchzogen von Schlieren lebendiger Magie. Der junge Dahkin hatte es oft betrachtet, an freien Tagen, wenn er zum Hafen hinunterging, und fragte sich auch heute wieder, was unter der Wolkendecke wartete, ausser dem sicheren Tod. Ab und an stiegen Brocken der Alten Welt herauf, getrieben von den magischen Strömungen unter und über dem Wolkenmeer, um nur wenige Minuten später wieder herabzusinken. Es war doch ein höchst interessantes Spektakel. Er ließ den Blick über den Pier schweifen, und der Leonide hatte bei einem Schiff angehalten. Prächtig sah es aus, mit seinem knorrigen Holz und den daran eingearbeiteten Leitsteinen. Das musste die Wolkenfänger sein.

Choraz lächelte grimmig, als sich eine allgemeine Aufbruchsstimmung breit machte. Ja, das war nach seinem Geschmack. Wenig Gerede, sondern Aktionen, so mochte es der Luhpin! Er war ein Mann der Tat und diese Gemeinsamkeit schien ihn mit Käpt'n Grauprank zu verbinden. Und das bedeutete, dass diese Fahrt höchst amüsant werden würde. Sicher würde er seine Kräfte nutzbringend einsetzen können. Ordentlich Krawall!
Die Magiespären mochten sanften Gemütern Angst einjagen, doch er hatte sich daran gewöhnt und sie machten ihm nichts mehr aus. Er hatte keine Angst vor den Tiefen, natürlich wusste er trotzdem um deren Gefahren. Doch so lange Choraz sich nicht freiwillig hinunterstürzte, konnte das Meer aus Magie ihm nichts anhaben.
"Dann mal auf, Fußvolk!", lachte der Luhpin donnernd und setzte sich in Bewegung.

Im Vergleich mit den anderen Schiffen, die im Hafen vor Anker lagen, wirkte die Windfänger gradezu winzig. Die anderen Schiffe waren hauptsächlich Frachtkähne, plump und träge, die Frachtochsen des magischen Meeres. Dazu kamen ein paar Schlachtschiffe der Garde, die verzweifelt versuchte die Lufthoheit im Raum um die Stadt zu erhalten. Die Windfänger wirkte dazwischen gradezu jämmerlich in ihrer Größe, aber Schnitt und Bewaffnung zeigten an wer hier Jäger und wer im Zweifelsfall Gejagter war.
Die Windfänger war schlank aus gutem, festem Holz gefertigt. Die Leitsteine waren vor kurzem ersetzt worden. Über der Reling sah man die Mündungen einiger Kanonen. Ein paar kräftig aussehende Leoniden und Caniden waren grade damit beschäftigt Kisten auf das Schiff zu tragen und sie irgendwo in den Eingeweiden des Schiffes abzuladen. Ein Mensch stand an der Gangway, bewaffnet mit einer Kladde, und überprüfte anscheinend die gelieferten Waren. Alles schien mit einer Art stiller Effizienz abzulaufen.
Ragnar schlug dem Menschen mit einer Pranke auf die Schulter, was den leicht aus dem Gleichgewicht brachte.
"Alles gut?"
"Alles bekommen, Käpt'n. Die Windfänger kann ablegen."
"Bis dahin dauerts noch ein bisschen. Will erstmal ein paar Trockenübungen mit meinen neuen Jungs machen."
Ragnar drehte sich zu seiner neuen Mannschaft um.
"Jeder bekommt von euch erstmal Luftschifferausrüstung. Scheißegal, was euch eure Freunde erzählt haben, geht niemals ohne die Ausrüstung an Deck. Unter Deck könnte ihr von mir aus nackt rumlaufen, aber auf Deck will ich niemanden ohne Ausrüstung sehen. Gut, da wir das geklärt haben, alle Mann an Bord."

Helena grinste bei den letzten Worten von Ragnar, verkniff sich aber einen Kommentar. Es dauerte nicht lange und dann standen alle an Deck der Windfänger. Dass ein Luftschiff niemals stillstand, das kannte Helena bereits und es dauerte nicht Lange, bis Sie sich wieder an das wippen und leichte auf und ab gewöhnt hatte. Helena hatte nicht gewusst, was Sie erwarten sollte, den bisher war sie blos auf Frachtschiffen gewesen, die kleine aber schnelle Windfänger war da eine Überraschung. Helena war gespannt, wie sich dieses Schiff anfühlte, wenn sie erst einmal unterwegs waren und wie es in seinem inneren aussah. Doch das würde wohl noch einen Moment dauern, den der Kapitän hatte, ja bereits angekündigt das erst einmal ein paar Trockenübungen anstanden und vorher würden sie sicherlich noch Ausrüstung fassen. Gab es einen, unterschied zu den Handels- oder Kriegsschiffen?

Die Windfänger mochte ein kleines Luftschiff sein, doch Valt war das nur allzu recht. Im Vergleich zu all den hoch aufragenden, schweren Pötten wirkte sie weit weniger einschüchternd, als er befürchtet hatte. Sie sah so aus, als wäre sie gut handzuhaben, auch für einen Haufen Anfänger wie sie. Diese Zuversicht begann jedoch wieder zu schwinden als sie einer nach dem anderen an Deck gingen und er das ungewohnte Schwanken unter seinen Füßen fühlte. Valt war noch nie zuvor an Bord eines Luftschiffs - oder eines anderen Schiffs - gewesen und es insofern gewohnt, festen Boden unter sich zu spüren. Wenn der Boden nicht mehr still stand, dann stimmte doch etwas nicht! Und auch wenn es hier im Hafen noch so ruhig war, dass selbst ihm das Laufen an Deck nicht wirklich schwer fiel, war er doch froh als der Kapitän von Luftschifferausrüstung sprach. Ein wenig zusätzliche Sicherheit wäre ihm mehr als willkommen. "Sollen wir uns die Ausrüstung gleich holen? Wo ist sie verstaut?", wollte er wissen, "Und haben wir Ausrüstung in allen nötigen Größen oder müssen wir sie erst noch anpassen?" Sein Blick glitt dabei von dem hünenhaften Choraz zu Faint, dem kleinen, pummeligen Elvair. Es war schwer vorstellbar, dass die Windfänger auf derart unterschiedliche Matrosen vorbereitet war.

Der Elvair hüpfte ungeduldig auf Rangars Schulter auf und ab. Er war ganz erpicht darauf, die Stadt zu verlassen, Trockenübungen konnte sie auch noch über dem magischen Meer machen. Wobei, Moment. Die anderen konnten nicht fliegen, also würde ein Fehler wahrscheinlich tödlich enden. Aber er konnte es, was sollte ihm also Fliegerausrüstung und Übungen für die Balance nützen?
"Ich brauche sowieso keine Ausrüstung, ich kann selbst fliegen. Muss ich die Übungen überhaupt mitmachen?", maulte er deshalb los, wobei er gleich noch Valts Frage miteinbezog. "Weshalb sollte man Fliegerausrüstung für Elvair herstellen. Wir brauchen schliesslich keine Sicherheitshaken. Nur der Wind macht mir ein wenig Sorgen, bläst der stark? Ich meine, nicht dass ich es nicht überleben würde, von Deck gepustet zu werden, aber man sollte ja nachfragen. Irgendwelche Referenzen, Käpt'n?"

Auch Choraz hatte nun das Deck erreicht. Das leichte Schwanzen war zwar am Anfang ungewohnt, aber er wusste, dass dies sich mit der Zeit geben würde. Schließlich war er schon mal auf einem Luftschiff mitgeflogen, wenn auch im Zusammenhang mit einer weit weniger waghalsigen Mission, als man es von der Windfänger hörte. Dies hier würde also kein Sonntagsflug werden, sondern ein sehr aufregendes Abenteuer. Und ihm machte das Vorfreude. Das würde sicher interessant werden und eine gute Abwechslung zu seinem Alltag bieten, der in der Regel daraus bestand, irgendwelche unbekannten Banditen zu jagen und tot oder lebendig zum nächstbesten Gefängnis zu bringen und das Kopfgeld einzustreichen. Oder beim Hausbau aushelfen oder ähnliche nicht erwähnenswerte Sachen.
Der Luhpin richtete seinen Blick wieder auf Grauprank, der als der Kapitän nun die weitere Vorgehensweise erläutern würde.

Mit schwankenden Schritten betrat Apfel das Deck, und nach ein wenig Herumfragen hatte sich herausgestellt, dass er seinen Kram unten im Ladenraum abstellen konnte. Den Seesack würde er aufs Mannschaftsdeck mitnehmen, schließlich war da das ganze leckere Trockenfleisch, das Mama gemacht hatte, drin, und darauf wollte er schnellen Zugriff haben. Das würde wohl keine zwei Tage halten. Er hob imaginär die Schultern. Was sollte es auch.
Als er an Deck kam, hatten sich die anderen schon mehr oder weniger über selbiges verteilt und gingen ihren Geschäften nach. Allein der große Luhpin stand alleine. Nun, das wäre ihm nur recht, er mochte, dass jemand seiner Art hier an Bord war. Noch dazu jemand, der ordentlich Rabatz machen konnte. Für eine Sekunde sinnierte der Dahkin darüber, ob er dem Wolfsmenschen ein paar explosive Fläschchen zum Werfen zusammenbrauen wollte, aber er verwarf den Gedanken schnell. Es gab intelligentere Ideen. Er trat an den Luhpin heran.
"Tag! Na, wann bringst du deinen Kram unter Deck?"

"Jeder kriegt eine Fliegerausrüstung!", donnerte Ragnar so laut, dass der Elvair von seiner Schulter verschwand. Mit der Leichtigkeit jahrelanger Gewohnheit sprang der Leonide auf das leicht erhöhte Steuerdeck. Dort befand sich das Steuerpult. Und es war ein Steuerpult. Im Gegensatz zu den normalen Schiffen verfügten die Luftschiffe zusätzlich über Höhenruder und über die Steuerung für die Leitsteine. Dazu kamen natürlich Steuerruder, ein Leitsteinkompass und ein kleines Pult für Seekarten, die man dort einspannen konnte, damit sie nicht wegflogen.
Ragnar holte Luft und erfahrene Konversationalisten hätten den Beginn einer Rede erkannt und gleich darauf legte der Leonide auch gleich los: "Willkommen an Bord der Windfänger. Dieses Schiff ist für die nächsten Woche euer Zuhause! Es sorgt für euch, aber dafür erwarte ich, dass ihr auch für es sorgt! Ihr seid nicht einfach nur Besatzung! Ihr seid ein Teil des Schiffes! Und wenn ihr gut für es sorgt, wird uns das alte Mädchen durch jeden Sturm tragen!"
Mit einer Hand förderte Ragnar die Liste mit den Namen seiner Mannschaft zutage. Natürlich hatte er dieses kleine Ritual schon mehrfach durchgeführt, aber es bereitete ihm trotzdem jedes Mal eine diebische Freude. Mit der freien Pranke schlug er auf eine Stelle des Schaltpults, was dafür sorgte, dass blaues Feuer vor ihm ausbrach. Ragnar warf die Liste hinein und sah zu, wie das Papier Feuer fing und in der Flamme tanzte. Leiser fuhr der Leonide fort: "Ihr seid jetzt an das Schiff gebunden. Ein jeder von euch hat sich freiwillig gemeldet. Egal was ihr vorher gemacht habt, ihr seid jetzt die Crew der Windfänger!"
Sein gutes Namensgedächtnis half Ragnar wieder einmal aus als er von seiner erhöhten Warte aus auf den Luhpin deutete: "Choraz, du siehst stark aus. Hol die Kiste mit der Ausrüstung aus dem Lagerraum. Steht direkt steuerbord, sobald du runterkommst."

Er hatte das Schiff mit einem gierigen Blick begutachtet. Wie es wohl wäre wieder Kapitän zu sein und mit diesem Schiff auf Beutefahrt zu gehen? Schon als er das Schiff unter seinen Füßen spüren konnte, den sacht schwankenden Boden, kehrte ein altbekanntes Kribbeln in besagte Füße zurück. Es war nun schon eine gefühlte Ewigkeit her seit er das letztemal auf einem Schiff gewesen ist. Vorher hat er seine gesammte Kindheit in der Nähe, und sein Erwachsen werden auf ihnen verbracht. Trotzdem war er selbst von sich überrascht wie positiv er doch darauf reagierte.
Nur ein kurzer Stich trübte dieses Gefühl bei der Erinnerung an seine Vergangenheit, wo sich mehr finden lies als nur Schönes.
Einen weiteren Stich verspürte er als der Kapitän den Zettel in die Flammen warf und seine Rede hielt. Kaar war nicht der Kapitän, würde es sicher auch nie werden. Das war kein Wolkenschneider Schiff und er war der einzige Rakkish, was sich wohl kaum ändern würde.

"Werd ich wohl bald mal machen.", sagte Choraz auf die Frage des kleineren Caniden. Doch nun hatte er erst mal eine Aufgabe zu erledigen. Die Ausrüstung hervorholen.
Sofort machte sich der Luhpin auf den Weg und ging die Treppe hinunter, die in den Lagerraum führte. So, jetzt musste er kurz nachdenken. Steuerbord, das war rechts, soweit er wusste, also wandte er sich in die Richtung und sah direkt eine große Kiste aus Holz stehen. Er umfasste sie und hob sie in einem beeindruckenden Kraftakt nach oben. Wow, die war wirklich ganz schön schwer, ein Mensch hätte sie wahrscheinlich kaum alleine schleppen können. Doch bei einem Luhpin sah die Sache schon gleich anders aus. Deutlich schwerfälliger als auf dem Hinweg stapfte Choraz nun die Treppe wieder hoch. Bei jedem Schritt ertönte ein dumpfes Poltern.
Als er schließlich wieder an Deck ankam setzte er die Kiste schließlich ab.
"So, hier ist das Zeug.", knurrte er.

Valt ging, kaum dass Choraz die Kiste abgestellt hatte, vor dieser in die Knie und machte sich an ihrem schweren Deckel zu schaffen. Als jemand, der sein halbes Leben mit Holz gearbeitet hatte, erkannte er sofort ihre gute Verarbeitung. Das war kein schlichter Behälter, in dem man ein paar Räder Käse oder eine Ladung Wachskerzen verschickte um sie bei der erstbesten Gelegenheit schnöde aufzubrechen. Diese Kiste war für die Ewigkeit gebaut, oder so kam es ihm zumindest vor. Gedankenverloren strich Valt über die eisernen Beschläge, die sei einfassten, besann sich dann jedoch und hob den Deckel an. Im Inneren befanden sich etliche kurios anmutende Fabrikate aus ledernen Riemen, die über und über mit eisernen Haken und Ösen besetzt waren. Valt nahm die erste der Flugschifferausrüstungen heraus und hielt sie hoch, so dass alle - und vor allem er selbst - sie in Augenschein nehmen konnten. Entfernt erinnerte ihn das Konstrukt an ein langes Überhemd. "Wie... legt man sowas an?", fragte er, "Und wie nutzt man sowas?"

"Das", stellte Ragnar mit einem Blick auf die Ausrüstung in Valts Hand fest: "Legst du garnicht an. Das ist die Leonidenausgabe. Aber da wir schonmal einen Freiwilligen haben", fuhr der Kapitän fort und zwinkerte Valt zu: "Kann ich das ganze gleich mal demonstrieren." Mit einem Sprung über die Reling war Ragnar unten bei der Kiste und förderte zielicher einen Luftschiffermantel in Menschengröße zutage. Der Mantel wurde sogleich Valt mehr oder weniger freiwillig angelegt, wobei Ragnar Ösen und Schnallen verstellte, um den Mantel Valts Maßen anzupassen. Das Ergebnis mochte seltsam anmuten, aber wie Ragnar ausführte: "Es ist wichtig, dass die Riemen um die Arme und Beine eng anliegen. Die Ausrüstung hilft euch garnichts, wenn ihr in der Luft hängt und dann rausrutscht. Also, die Riemen hier und hier festzurren. Lasst euch von einem anderen helfen. Der Riemen über den Oberkörper muss oberhalb des Mantels liegen, so."
In Ragnars Augen sah Valt schon aus wie ein halber Luftschiffer. Die Haltung des Menschen war noch falsch, aber nach einer Weile verfiel jeder in den Luftschiffergang. Mit einer Pranke löste Ragnar ein Seil aus einem Knäuel, das um den Mast gebunden war, und hielt es der versammelten Mannschaft entgegen.
"Das ist eure Lebensversicherung. Die Winde da draußen können stark genug werden, um einen Elvair von Deck zu fegen und manchmal reicht es sogar für einen Menschen. Die Magie kann sich plötzlich entladen und euch über Bord gehen lassen. Und dann werdet ihr froh sein über diese Leine. Niemand arbeitet an Deck, ohne eingeklinkt zu sein!"

Nichts hielt Lésca in der Taverne, und er brach ebenso rasch auf wie die anderen. Auf dem Weg wälzte er schon wieder unangenehme Gedanken. Hatte er sich blamiert, Feinde gemacht, irgendetwas dummes angestellt, das ihm die Zeit auf dem Luftschiff schwer machen könnte? Er konnte nur hoffen, dass der Canide die Feindseligkeit, die zwischen ihnen herrschte, nicht zum Anlass nahm, eine ganze Vendetta gegen ihn aufzuziehen. Er jedenfalls würde seine Abneigung persönlich halten. Alles andere wäre auch seiner ganzen Erziehung entgegen gelaufen, der Kultur, in der er aufgewachsen war. Daran zu denken fühlte sich an, wie gegen den Strich gebürstet zu werden. Unnatürlich und widerwärtig.
Die schweren Gedanken hielten über den Weg an, aber sie verflogen, als Lésca die Windfänger sah. Er liebte schnittige Skipper, und dieses Schiff sah ganz wie ein großer Skipper aus, zwar geräumiger und weniger grazil gebaut, aber von der gleichen wilden, stolzen Eleganz. Eilig, fast begierig, stürmte er über die Gangway auf das Schiff, und wiegte sich gleich im alten Schiffertakt, um das Schwanken des Schiffs auszugleichen. Ein wenig besorgt blickte er auf das Ritual, das der Kapitän durchführte, aber die Kiste, die gleich darauf an Deck getragen wurde wischte jegliche Bedenken wieder fort. So schnell er mit einer Hand konnte – immer versuchend, den Armstumpf zu verbergen und ihn geschäftig zu verwenden, um den Anschein von Normalität zu bieten – suchte er sich eine Kluft in seiner Größe heraus und legte sie an, nicht geübt, aber auch nicht zum ersten Mal. Die Nesteln und Haken waren für einen Einhändigen natürlich schwierig zu schließen. Zuerst ließ sein Stolz nicht zu, dabei um Hilfe zu bitten, aber es war aussichtslos, die Haken auf der linken Seite ohne seine linke Hand zu schließen. Nachdem ihm dreimal beinahe der ganze Mantel von den Schultern gerutscht wäre sah er sich hilfesuchend um – aber jemanden fragen wollte er doch nicht. Er kannte keinen, wusste nicht, wer ihn für seine Hilflosigkeit verachten würde.
Warum hatte er nur noch keinen Haken bekommen? Abermals nervös warf Lésca dem Kapitän einen Blick zu, aber der war beschäftigt.

Es war ein merkwürdiges Gefühl in der Luftschifferausrüstung zu stecken, mit den um sämtliche Gliedmaßen geschnürten Riemen. Wie eine Wurst, nur ohne den Darm. Zugegeben, das Gestell schränkte die Beweglichkeit nicht wirklich ein, aber trotzdem fühlte sich jede Bewegung irgendwie falsch an. Valt beschlich der Gedanke, dass der stakende Gang der Luftschiffer nicht allein dem schwankenden Deck geschuldet war. Und er war sich nicht sicher, ob er diese Schutzmaßnahmen in absehbarer Zeit zu schätzen lernen würde. Valt hielt sich für einen Mann, der einen sicheren Tritt besaß. Als Zimmermann musste er häufig in offenen Dachstühlen herum turnen, mehrere Meter über dem Boden, auf Balken, die kaum mehr als eine Handbreit waren. Ohne Sicherung! Das würde ihm doch auch hier gute Dienste leisten. Wie geschickt sich die anderen anstellen würden, das war hingegen die Frage. Valt zweifelte nicht an den Fähigkeiten des Luhpin oder des Gatha, aber gerade die beiden Forscher von der Akademie - der Dahkin und Faint, der Elvair - machten ihm Sorgen. Er gesellte sich zu den beiden als diese gerade Luftschiffermäntel in ihren Größen aus der Truhe erhielten. "Soll ich mit Hand anlegen?", fragte er in die Runde, seine Hilfe anbietend. Es wäre keine Schande, diese anzunehmen. Ihm hatte schließlich auch der Kapitän in die Kluft geholfen.

"Klar kannst du mir helfen.", erwiderte Apfel, der gerade dabei war, sich in eines der Beine des Luftschiffermantels zu zwängen. Zugegebenermaßen hatten Dahkin recht dürre Beine, da würde er noch ordentlich zuschnüren müssen. Aber eines machte ihm doch Sorgen, bei allen Haken und Ösen. Sie würden ihn doch wohl hoffentlich nicht unters Schiff hängen! Die Höhe machte ihm schon ein bisschen Sorgen. Und der Fall erst... Nach allem, was man wusste, war das Herz Jins doch verseucht mit Magie aller Art, das bedeutete für den Fallenden, dass er auf dem Weg zum Tod tausende an schmerzhaften Mutationen durchmachte, um dann beim Aufprall auf was auch immer da unten noch von der alten Welt herumflog zu sterben. Nicht gut, und kein Luftschiffermantel der Welt konnte seine Paranoia diesbezüglich stillen. Das zweite Bein ging entgegen aller Vermutungen doch leichter in die Kluft, und mit der Hilfe des Mannes, dessen Namen er immer noch nicht wusste, kam er auch rasch in die Arme des Mantels, und mit spack sitzenden Riemen über Brust und Bauch und klappernden Haken machte er ein paar versuchsweise Schritte über das Deck, das, für seinen Geschmack, immer noch zu heftig wankte. Ob er es hier überhaupt schaffen würde, irgendetwas in Ruhe zu destillieren? Er griff sich ein Seil aus dem Gewirr und hakte es an seiner Hüfte ein. Schwer war er ja nicht, das bedeutete, wenn eine Windböe kam, - oh, wenn eine Windböe kam! Er würde bestimmt fallen, wenn er sich nicht sicherte.

Helena hatte so ihre liebe Mühe mit der der Luftschiffkleidung, nicht nur weil Salamander normalerweise keine Kleidung trugen, sondern weil die dicken Schuppen an Armen und Beinen es ihr auch schwerer machten, überhaupt in die Kleidung hineinzuschlüpfen. Schliesslich schaffte Sie es dennoch, nach ein paar Gescheiterten versuchen, doch danach brauchte sie wirklich Hilfe. Die Riemen und Schnallen hier waren viel kleiner als an ihrem eigenen Schultergurt, zu klein für ihre Klauen. Helena seufzte und blickte zu Ragnar, wie machte der Leonide das wohl? Oder lies auch er sich jedes Mal helfen? Das hielt Helena eher für unwahrscheinlich.
Sie begann erneut in der Kiste zu suchen, vielleicht hatten die Sachen die für Leoniden gedacht waren ja auch Schnallen, die sie selber anziehen konnte. Nach Kurzer suche hatte sie ganz am Boden der Kiste tatsächlich ein Stück gefunden das zu passen schien und diesmal hatte sie auch viel weniger Probleme beim Anziehen, selbst ein Loch für ihren Schwanz war vorhanden. Trotzdem erforderte es ein bisschen Übung um die Riemen wirklich festzuziehen und mit den Schnallen umzugehen. Ähnlich wie Valt fühlte sich auch Helena recht merkwürdig in diesen Sachen und testete erst einmal aus ob, und wenn ja, wie stark diese neue "Kleidung" sie in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkte.

Faint murrte leise vor sich hin, aber auch er schwirrte von der Schulter des Kapitäns herab zu der Kiste, wo er nach einigem Wühlen einen ausgebeulten, kleinen Luftschifferanzug. Das Ding sah nicht halb so bequem aus wie seine Toga, aber was sein musste, musste sein. Leider passte er nicht rein. Beziehungsweise, der Anzug war einfach zu klein für einen normal genährte Elvair. Zumindest bis er herausgefunden hatte, wie die Schnallen funktionierten. Danach war alles ganz einfach. Oder so. Am besten war, dass der Anzug sogar rückenfrei war, so dass er seine Flügel nicht durch irgendwelche Lücken quetschen musste. Das hatte er an seiner Magierrobe am meisten gehasst. Zum Glück hatte er sie nicht so lange tragen müssen. Zwar gab es bei dieser Art von Kleidungauf den Seiten noch einige freie Stellen, da der Stoff im äussersten Loch der Riemen nicht alles abdecken konnte, aber wahrscheinlich war der vorherige Elvair noch fast ein Kind gewesen.
Nadchdem Faint sich angezogen hatte, flatterte er wieder zum Rest zurück. Mit Unbehagen betrachtete er die Seile, mit denen er sich an Deck anbinden sollte. Die sahen ziemlich schwer aus. Selbst wenn sie ihn vor Winden schützen sollten, wahrscheinlich würde er damit nicht fliegen können. Und laufen war verdammt anstrengend, vor allem, wenn man noch ein Seil mit Haken und allem hinter sich herschleppen musste! Abgesehen davon würde er zu Fuss auch ewig brauchen irgendwo hinzukommen.
"Gibts für mich ein besonders Seil. Wenn ich an so einem Ding hänge, werde ich mich kaum über Deck schleppen können", murrte er wieder los.

Auch Choraz fand relativ schnell in seine Ausrüstung. Der zwar große, ihm aber trotzdem noch sehr eng anliegende Anzug in Luhpingröße fühlte sich zwar gewöhnungsbedürftig an, doch er war der Typ, der solche Dinge einfach abkonnte, und er kannte die ganze Prozedur ja schon.
Wobei es klar war, dass nicht alle so wenig Probleme haben würden wie er. Der Dahkin, der Gatha, dem eine Hand fehlte und der Elvair, ihnen würde es wahrscheinlich am schwersten fallen. Aber sie würden sich zusammenreißen, sonst konnten sie diesen Flug vergessen. Und er war dankbar für diesen Schutz. Auf seinem ersten Luftschiffflug war das Seil von einem Anderen gerissen. Den armen Teufel hatten sie nie wieder gesehen. Auch wenn Choraz die Meinung vertrat, dass man sich auch den harten Seiten des Lebens stellen musste, war er nicht erpicht darauf, dieses Schicksal zu teilen.