GQ - [Die MSG]

Zuerst war Nicole eine Störung, für einen Moment. Geralt hatte sich abseits gesetzt, weil ihm jede Gesellschaft unangenehm war, eine Abweichung von der Stille und der Bedeutungsschwere des Alleinseins, voller leerer Worte und falscher Mienen. Und als ihre Finger die seinen berührten versteiften sie sich, ballten sich fast zur Faust zusammen, weil sie das schon so oft getan hatten. Aber die Berührung war sanft und leicht, kein Grund, selbst hart zu werden. Er ließ geschehen, was Nicole mit seiner Hand tat, sah nur wie verwundert auf ihre schlanken Finger und ihre raschen, zielstrebigen Bewegungen. Seine Aufmerksamkeit galt aber viel mehr dem, was sie sagte. Ihre Worte, so weich sie auch vorgebracht sein mochten, rührten an alten Wunden – weniger schmerzhaft als erwartet, aber dennoch nichts, worum der Waldläufer viele Worte hätte machen wollen.
Er schwieg lange, so lange, dass er in einem Gespräch mit mehreren schon längst übergangen worden wäre und viele sich wohl auch schon gefragt hätten, ob er sie nicht ignorierte. Aus seiner Vergangenheit zu plaudern behagte ihm nicht. Er wollte sie ruhen lassen. Aber Nicole wollte er dennoch antworten. Aus dem, was andere von ihm dachten, hatte er sich schon lange nichts mehr gemacht – aber es kümmerte ihn zu seiner eigenen Überraschung, was die junge Frau von ihm hielt. Ob sie noch einmal seine Nähe suchen würde.
"Der Wind treibt mich den Weg entlang. Wohin sollte ich gehen? Und wozu?"
Er hätte auch erzählen können. Angefangen mit dem Verlust seiner Heimat und seiner Familie, mit der Feidseligkeit, die er erfahren hatte, mit den Härten, die er durchgemacht hatte. Einen Grund dafür, dass er jetzt mit dieser Truppe zog, hätte sich darin nicht finden lassen. Und wo Geralt auch suchte, er fand auch andernorts keinen. Was für einen Grund hatte er denn schon, mit einem Haufen Wildfremder zu gehen? Es war vielmehr erstaunlich, dass er entgegen seiner Gründe nicht wieder auf eigene Faust loszog.
So mussten die paar Worte vorerst genügen, und Geralts Blick schwand wieder in die Ferne. Seine Hand bewegte sich ein wenig, als wolle er sie aus Nicoles ziehen, aber dann ließ er sie doch ruhen. Die Berührung war angenehm – überraschend angenehm.

Iorweth setzte sich zu Aldred, der damit begonnen hatte ein Feuer zu entfachen. Seit sie das Dorf verlassen hatten, war das feuer in ihm ruhig geworden. Es fühlte sich seltsam an. Durstig nahm er einen Schluck aus dem Wasserbeutel. Dann legte er ihn neben sich und nahm etwas Trockenfleisch aus seinem Proviantbeutel. "Zum Glück ist mein Proviant unbeschadet. Wir sollten morgen weiterziehen. Es gefällt mir hier nicht." Dann hielt er Aldred seinen Beutel entgegen. "Möchtet ihr etwas? Ich habe Trockenfleisch, Trockenobst und ein paar Kräuter. Letzteres ist aber eher da, um gekochtes essen zu würzen."

Aldred, der inzwischen seine Hände schützend um den Zunderbrocken gelegt hatte und durch vorsichtiges Pusten versuchte, das Feuer heran zu päppeln, blickte auf als der Elf seine Vorräte auszupacken begann. Mit kritischem Blick betrachtete er, was der Elf noch an Reserven hatte. Reiseproviant, verschrumpelt und zäh, aber haltbar. Es war jene Art von Nahrung, an die Aldred sich im Lauf der letzten Jahre gewöhnt hatte. Und so war er auch wenig wählerisch, was das anging. Es war ihm ohnehin gleich wie etwas schmeckte, solange es ihn sättigte und ihm Kraft für seine weitere Suche gab. Er hatte schließlich nicht vor das Leben zu genießen ehe er an seinem Ziel war. Er hätte es ohnehin nicht gekonnt. Dennoch zögerte er, das Angebot des Elfen anzunehmen. Es wäre Verschwendung...
"Was ist mit dem Keller? Gab es da keine frischen Lebensmittel?", wollte er wissen und fügte dann rasch, um nicht wählerisch zu klingen, erklärend hinzu, "Wir sollten eure Reisenahrung für Zeiten aufheben, in denen wir sie wirklich brauchen. Dörrfleisch hält sich lange, aber was wir hier mitnehmen können wird möglicherweise bald gegessen werden müssen. Wir sollten uns erst an dem gütlich tun, was wir hier finden, bevor wir an die eisernen Reserven gehen..."

Überraschung machte sich aufgrund dieses Geständnisses in Sahin breit. Finn hatte noch nie einen grünen Baum gesehen? Was hatte er all die Jahre gemacht? In seinem Zimmer rumgehockt und Bücher gelesen? Erneut musterte er den Jungen, während er nun endlich zum Brunnen ging und erfreut feststellte, dass dort ein metallener Eimer zum Wasserschöpfen stand. Schnell ließ er ihn in den Brunnen hinab, bis er ein platschen hören konnte und das Gewicht am Seil stärker wurde, bevor er ihn wieder nach oben zog. Dort angekommen stellte er den Eimer in Gras und füllte zunächst seine eigenen Trinkschlauch auf. "Willst du nen Schluck?" wollte er an Finn gewand wissen. Einige Augenblicke schwieg er, dann gewann seine Neugier die Oberhand. "Wenn du noch nie nen Baum gesehen hat...was hast du dann eigentlich all die Jahre gemacht?" fügte er hinzu.

Anscheinend hatte niemand den heroischen Zweikampf Avior gegen Rebhuhn mitbekommen. Mit dem Huhn in der einen Klauenhand und einer anschaulichen Anzahl dünner Hölzchen in der anderen kehrte Amun zurück zum Lager. Aldred hatte bereits damit angefangen das Feuer zum Laufen zu bringen. War ein Macher, der Eisbärmann. Das war gut. So jemand überlebte.
"Ich gehe, ich kehre zurück", gab Amun zu hören: "Gut schmecken wird der Vogel, heh? Etwas mit Substanz." Amuns Magen gab ein deutlich hörbares Knurren von sich.
"Zwei Tage geflogen, heh. Avior sind ausdauernd, aber das hält kein lebendes Wesen aus. Hrm." Das letzte mochte ein Laut der Unzufriedenheit sein. Das Feuer brannte immer noch nicht wirklich. Sicher, es gab ein paar Funken, aber man musste vorsichtig sein. Feuer ließ sich leicht verschrecken, wenn die Nahrung zu groß war.

"Frisches Fleisch?" Abermals blickte Aldred von seinem Feuer auf, dieses mal wirklich hellhörig. Ein Rebhuhn. Das war gar nicht schlecht. Das würde ausreichen, um sie heute Abend satt zu bekommen. Und es war schon eine ganze Weile her, dass Aldred eine ordentliche Mahlzeit bekommen hatte. Wenn er unterwegs war hielt er sich für gewöhnlich mit seinen Rationen über Wasser und das reichte aus um ihm Kraft zu geben. Wirklich satt wurde man davon aber nicht. Nun, er hatte sich daran gewöhnt. Er aß dann ordentlich, wenn er etwas zu essen bekam. Oder wenn er etwas fand. Wenn im Sommer die Beeren an den Sträuchern reiften konnte sich ein Wanderer auch unterwegs gut versorgen.
"Jemand sollte es schonmal ausnehmen während ich mich um das Feuer kümmere", erklärte er und deutete auf das tote Rebhuhn. Dann glitt sein Blick zum Zunder zurück. Die Glut entwickelte sich gut. Zeit, ihr etwas Nahrung zu geben. Er brach ein paar dünnere Splitter von den Rändern der Bruchstücke ab, die Iorweth ihm gebracht hatte und schichtete sie vorsichtig über den Zunder, darauf achtend, dass das Feuer wiederhin Luft bekam. Die Splitter gingen fast augenblicklich in Flammen auf, wurden erst an den Rändern schwarz, entzündeten sich dann schließlich. Aldred gab weiteres Holz auf das Feuer, größere Stücke diesmal. Es mochte vielleicht eine Viertelstunde dauern, dann brannte ein ansehnliches Feuerchen vor ihm. Zufrieden mit seinem Werk blickte er auf. "Ihr solltet die anderen hierher rufen", schlug er vor.

Finn zog noch mehr den Kopf ein, als Sahin schliesslich sprach, doch er fragte nur, ob er Wasser wollte. Wortlos schüttelte Finn den Kopf. Und das stimmte auch. Er war nicht durstig. Wenn man in einem Waisenhaus in den Eisigen Einöden aufwuchs, dann lernte man schnell, genügsam zu sein. Er spürte zwar die Trockenheit im Hals, doch er ignorierte sie. Da Sahin ihn nicht nach dem Grund fragte, weshalb er noch nie einen Baum gesehen hatte, hob Finn langsam den Kopf, hoffend, dass das doch nicht so etwas Schlimmes war.
Doch Momente später zerschmetterte der Waldläufer diese Hoffnung schon wieder, als er ihn doch fragte. Plötzlich waren Finns Füsse wieder ausserordentlich interessant und der Junge starrte nur noch auf seine Stiefelspitzen. Es war also seltsam, noch nie einen grossen Baum gesehen zu haben. Aber er konnte doch nichts dafür. So hoch im Norden fand man nur selten Bäume und man verliess allgemein nur selten die Stadt, vor allem wenn man in der Letzten Stadt aufwuchs.
"Ich... ich komme aus dem Norden... Eisige Einöden... Wir... haben da keine Bäume in... der Letzten Stadt. Deshalb habe ich noch... eigentlich noch nie Bäume gesehen. Nur heute im Wald... aber die waren nicht so gross und... und sahen überhaupt nicht so aus wie dieser hier..."

Iorweth erhob sich und blickte leicht um sich. "Ich konnte nicht mehr viel erkennen in dem Keller. Das licht kam nicht so gut hinein. Deshalb kann ich auch nicht sagen ob dort Vorräte sind," wandte er sich noch an Aldred. Dann ging er zu Seline.
"Aldred hat ein kleines Feuer gemacht, da hinten an der kleinen Mauer. Und der Avior hat ein Huhn gefangen. Es wird also bald etwas zu Essen geben."

Seline hatte es inzwischen aufgegeben irgendwie an das Wasser aus dem nahen Brunnen zu kommen und sammelte statdessen die übrigen Bretter des Daches ein, wenn sie schon ein Feuer machten um etwas zu Braten würden sie sicherlich noch etwas mehr Holz benötigen. Kurz darauf kam Iorweth zu ihr hinüber und informierte sie über das Lager. "Gut ich komme, an das Wasser in dem Brunnen kommen wir wohl nicht mehr heran, das ganze ist viel zu tief. Ich hoffe beim anderen Brunnen haben sie mehr Glück." Sie schnappte sich die angekokelten Bretter und folgte dem elfen zurück zum Feuer. "Glaubst du das ein einziges Huhn für alle reicht?"

Während Amun zum Jagen aufgebrochen war, hatte Arale sich von ihm getrennt und hatte den Hof auf eigene Faust erkundet, hatte aber nicht wirklich etwas interesantes gefunden. Sie war auch kurz in dem unterirdischen Keller gewesen, hatte dort aber nichts gefunden was ihre aufmerksamkeit erregt hatte. sie flatterte einmal um Aldred und Amun und landete dann auf dem Kopf des Aviors. Bei der ganzen aktion verteilte sie einen hauch feinen Mehl-staub-Regen. "Hey grosser Bruder der Lüfte, erfolggehabt?"

Iorweth hatte sich schon herumgedreht und wollte zu Nicole und Geralt rüber, als er sich noch einmal zu Seline umdrehte.
"Ich weiss nicht ob das eine Huhn ausreicht. Bei Aldred liegen zwei Wasserbeutel. Ich hab in dem Keller des Hauses ein Fass mit Frischwasser gefunden. Ich werde den anderen mal bescheid sagen. " Dann nickte er ihr zu und ging weiter.

Schweigend sah Sahin seinen seltsamen Kollegen an, bevor er selbst den Eimer hoch hob, um einige Schlucke daraus zu trinken. Die eisige Einöde also, da kam Finn her. Er selbst hatte nur ein oder zwei Gerüchte über den Ort gehört, aber durch dem Namen konnte man sich bereits ein vermutlich gutes Bild von dem Ort machen. Als er fertig mit trinken war, füllte er den Eimer erneut auf und wandte sich zum gehen. "Kopf hoch, Kleiner." murmelte er vor sich hin, nachdem er mitbekam, dass der Junge erneut auf seine Schuhe schaute. "Es gibt für alles ein erstes Mal. Jetzt sollten wir aber zu den anderen zurückkehren." Mit langen Schritten ging er zum verbrannten Bauernhof zurück und hatte die anderen in der Dunkelheit schnell gefunden. "Wir haben bei dem Baum nen Brunnen gefunden." teilte er Aldred mit, während er den Eimer abstellte. "Ist noch intakt und wir können unsere Schläuche morgen dort auffüllen. Soll ich den ausnehmen?" fügte er an Amun gewandt hinzu, als er das Rebhuhn entdeckte. Er war sich nicht sicher, ob die Krallen des Aviors dazu geeignet waren.

"Aye, Windschwester. Stellte mich dem Monster, dass du dort niedergestreckt siehst, mit großem Mut. Wie es die Avior machen", witzelte Amun, dessen Laune sich merklich gehoben hatte. Alleine die Aussicht darauf, den Schnabel in frisches Fleisch bohren zu können, reichte dazu aus. Aber der Elf hatte Recht. Der eine Vogel würde niemals für sie alle ausreichen. Und Amun würde sich nicht von dem ihm nach allen guten Konventionen und des geltenden Rechts zustehenden Stück trennen. Dazu war er viel zu hungrig.
"Eine Suppe wir könnten machen, heh? Dann reicht es vielleicht? Ist ein Bauernhof. Müssen irgendwo Gemüse haben oder Kishs", Amun stockte für einen Moment, während er nach dem richtigen Wort suchte: "Kartohfeln? Sowas." Amun hatte die Sprache der Menschen beim Wüstenvolk gelernt. Es gab einige Begriffe, die er schlicht nicht kannte, die hier aber geläufig sein mochten.
"Den Vogel kannst du ausnehmen", bestätigte Amun Sahins Nachfrage: "Roh würde ich ihn essen. Menschen mögen das aber nicht. Heh."

Es dauerte, bis Geralt antwortete. Das kannte Nicole nicht. Bisher hatte man immer mit ihr gesprochen. Die Gespräche hatten zwar meist aus Vorwürfen bestanden, doch es fehlte ihr nie eine Stelle, an der sie einhaken konnte. Es war ihr großes Talent feine, unsaubere Maschen in der Verteidigung ihrer Gegner zu finden, sich auf jene zu stürzen, das Gewebe so lange mit spitzer Zunge zu lockern, bis sie von dem meist schwachen Geist glitt. Aber Geralt...der Waldläufer baute seine Rüstung nicht aus Stoff, er mauerte sie fein säuberlich. Die Stille kam ihr vor, als würde sie vergebens gegen eine Mauer anrennen, und nur die Wärme seiner Hand, die in flüchtigen Bewegungen verfangenen Pupillen, erinnerten sie daran, dass sie nicht neben etwas Totem saß. Während sie darauf wartete, dass er etwas sagte, beobachtete sie seine Augen, wie sie es schon zuvor bei Aldred getan hatte. Auch wenn er sie nicht ansah, sondern in die Ferne blickte, hatte sie das Gefühl, dass er durchaus bemerkte, was sie tat. Keine Sinneswahrnehmung war nötig, kein Blick zum Augenwinkel. Nur einen Moment lang erahnte sie, dass Geralt vielleicht Erfahrung damit hatte, beobachtet zu werden, und sich vielleicht deshalb abseits gesetzt hatte, doch seine Stimme verwischte ihre Hypothesen. Mit schiefgelegtem Kopf hörte sie zu. "Der Wind treibt dich." Nicole sagte das langsam, zögerlich. "In Ordnung. Das genügt mir. Wie wäre es, wenn dein Wind uns zu den anderen ans Feuer treibt?" Sie warf einen Blick über die Schulter, erkannte, dass der Elf bereits auf dem Weg war, und machte dann Anstalten, den Waldläufer mit sich zu ziehen. Er musste nicht einsam sein. Darum würde sie sich kümmern. Zwangssozialisierung, sozusagen.

Bereitwillig kam Geralt mit. Vielleicht bereitwillig, weil er gesehen hatte, dass der Avior ein Rebhuhn erlegt hatte. Vielleicht auch, weil der Elf schon kam, um sie wohl genau das Gleiche zu fragen. Vielleicht nur, weil der Abend langsam kühl wurde und er sich am Feuer wärmen wollte. Aber so bereitwillig, wie er dem Zug von Nicoles Hand nachgab, vielleicht auch ein wenig weil es ihre Hand war, die da zog.
Nur ein recht teilnahmsloses "In Ordnung" bestätigte, dass der Waldläufer freiwillig mitkam, als er sich erhob. Ein Zeichen von mehr Anteilnahme war vielleicht, dass keine Anstalten machte, sich von Nicoles Hand zu lösen, aber vielleicht lag das auch nur daran, dass er gewohnt war, anderen Leuten ihren Willen zu lassen. Erst, als er sich auf den Boden vor dem Feuer setzte, befreite er seine Hand von Nicoles Griff.
Er hätte das Rebhuhn ebenfalls ausnehmen können, aber Sahin war ihm zuvorgekommen – nicht, dass Geralt danach gefragt hätte. Man hätte ihm die Aufgabe zuweisen können und er hätte sich nicht beschwert, aber er riss sich nicht darum. Stattdessen saß er wieder still und blickte erst einmal in die Runde, dann ins Feuerchen. Die Sonne war schon hinter dem Horizont verschwunden, nur noch ein roter Schein in den Wolken erinnerte daran, wo sie versunken war. Das Feuer stellte das einzige Licht dar, das noch die werdende Nacht erhellte, und warf fratzenhafte Schatten in den Gesichtern der zusammengewürfelten Truppe. Was steckte dahinter – die Gesichter, die sie am Tag trugen, oder die Grimassen, die sich erst in der Nacht zeigten? Geralt wusste es nicht. Aber auf die Wahrheit gefasst sein würde er.

Langsam kamen sie doch zusammen. Die Dunkelheit und die aufsteigende Kühle der Nacht trieben sie zum Feuer, lockten sie an wie die Motten, von denen die ersten bereits über den Flammen kreisten. Die Angst vor der Dunkelheit war eben doch größer als die latente Angst vor diesem unheilschwangeren Ort, zumal die Nacht ihn gnädigerweise vor Blicken verschleierte. Jeder kannte diese Angst vor der Dunkelheit. Bei manchen war sie stärker ausgeprägt, bei anderen weniger und mit der Zeit ließ sie nach, doch frei war man nie davon. Wenn die eigenen Augen einen Mann verrieten, wenn man mit einem mal hilflos, blind da stand, dann konnte man sich des aufsteigenden Unwohlseins, des kalten Schauers nicht mehr erwehren. Auch Aldred war froh um das Feuer, ganz gleich was er in den letzten Jahren erlebt und durchstanden hatte. Der Flammenschein drängte die Nacht zurück, erhielt in einem kleinen Kreis die Herrschaft des Lichts aufrecht. Der Tanz der Feuerzungen und der ihnen folgenden Motten hatte etwas beruhigendes.
Eine Weile lang ließ Aldred schweigsam den Blick über die Gesichter der anderen wandern. Über Amun'Raak, den Vogelmenschen, der ihm trotz all dessen, was sie in den letzten Stunden durchgestanden hatten, seltsam fremd und ungewöhnlich erschien. Über Sahin, der sich mit deutlich erkennbarer Routine über dessen Jagdbeute her machte. Über Nicole und Geralt, die Hand in Hand ans Feuer gekommen waren. Er fragte sich, was die beiden jungen Leute wohl gesprochen hatten. Und er fragte sich, wie es mit dieser Gruppe weiter gehen würde. Im Moment vereinte sie der Schock über das gemeinsam durchlebte und die Verlorenheit in der Wildnis, in der die Gruppe Schutz und Halt versprach, doch das würde nicht ewig so bleiben. Spätestens wenn sie in die nächste größere Ortschaft kamen - und früher oder später würden sie eine solche aufsuchen müssen - würde sich zeigen, ob nicht jeder wieder seinen eigenen Zielen folgen würde. So er denn solche hatte.
"Wie geht es weiter?", sprach Aldred seine Gedanken aus und ließ seinen Blick dabei wieder hinauf zu den Flammen gleiten. Er hatte sich an niemanden gesondert gewandt.

Obwohl Sahin ihn aufmunterte, wurde Finn das Gefühl nicht los, dass er ihn dennoch etwas seltsam fand. So liess er den Kopf trotz Aufforderung seitens des Waldläufers, es nicht zu tun, weiter hängen und trottete seinem Gefährten hinterher. Zurück am Feuer setzte er sich in die grösste Lücke, die er am feuer entdecken konnte. Nicht unbedingt wegen der Wärme, obwohl die natürich schon wohltuend war. Aber er war kältere Temperaturen gewöhnt. Nein, es ging ihm viel mehr um das Licht, das das Feuer abstrahlte. In diesem Licht kramte er ein Buch aus seiner Tasche hervor und beugte sich tief über dieses, damit ihn ja niemand ansprach. Seine Augen hefteten sich auf die dunklen Zeilen und wie so oft schon las er das selbe Buch über Beschwörungsmagie, das er schon viele Male in seinem Leben gelesen hatte und dessen geheimnisvolle Kräfte er doch nicht vollumfänglich erfassen und beherrschen können. Eine Hand verschwand während des Lesens in der Tasche und er umklammerte wie von selbst den kleinen, glatten Glassplitter. Die einzige, "grosse" Magie, die er bisher gewirkt hatte. Und dennoch konnte er es nicht benutzen.
Weil Finn aber so tief in seine Lektüre versunken war, bekam er Aldreds Frage nicht mit, so dass er sich wieder einmal von der Gruppe abkoppelte, die grösstenteils immer noch nicht seinen Namen kannte.

"Schmeckt der roh überhaupt?" wollte der Waldläufer wissen, als er von Amun das Rebhuhn entgegennahm. Er entfernte sich einige Schritte vom Feuer, da das Ausnehmen etwas blutiger werden konnte und er die ungeniesbaren Innereien gleich entsorgen konnte. Schnell hatte er den Vogel von seinen Federn befreit und der unschöne Teil konnte beginnen. Zuallererst trennte er den Kopf der Beute ab und öffnete mit seinem Messer deren Hals, aus dem er den mit Nahrung gefüllten Kropf fischte und entfernte. Anschließend schnitt er die Brust ihres Essens auf und griff mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger hinein. Schnell hatte er die inneren Organe gefunden und begann damit, diese herauszuziehen. Sobald er mit dieser Tätigkeit fertig war, trennte er noch die Füße des Rebhuhns ab und ließ ihn etwas ausbluten, bevor er zur Gruppe zurückkehrte. "Da ist das gute Stück." meinte er an Aldred und Amun gewandt und wartete darauf, was diese mit dem Vogel wohl als nächstes machen würden.

Eigentlich hatte sich Seline ans Feuer setzen wollen, doch der Vorschlag von Amun, den Vogel zu einer Suppe zu verarbeiten damit es für alle reichte war zu gut um ihn einfach zu ignorieren. Doch dazu brauchten sie einen Topf und genau das versuchte sie zu finden. Bei der aufziehenden Dunkelheit war dies gar nicht so leicht. Zum Glück hatte Iorweth diesen unterirdischen Keller gefunden, der vom Feuer verschont geblieben war, dort erhoffte sie sich die besten chancen noch einen Kessel oder Topf zu finden. Merkwürdiger weise konnte sie trotz der immer stärker werdenden Dunkelheit recht gut sehen. Und tatsächlich fand sie einen Kessel aus Metall, ein bischen Staubig zwar, aber ansonsten intakt.
Sie machte sich auf den Weg zurück zum Feuer, wo Sahin inzwischen fertig war mit dem ausnehmen. "Ich habe einen Kessel gefunden, nur für den Fall das die idee eine Suppe zu machen noch nicht verworfen wurde."

Arale war Sahin gefolgt als dieser sich etwas entfernte um die Wachtel auszunehmen. Nicht das sie unbedingt scharf darauf war dabei zuzusehen, sie wollte die federn haben. Hastig sammelte sie die kleineren auf und trug sie zurück zum Feuer. Mithilfe eines kleinen magischen Tricks säuberte sie die Federn und sortierte sie nach grösse. Dann begann sie damit sich die Federn unter ihre Schuppen zu klemmen, so das sie kurzdarauf aussah wie eine gefiderte Schlange. Mit einem breiten grinsen flatterte sie zu Amun und setzte sich auf dessen Schultern.

Mit einer Hand kramte Amun in einer seiner Gürteltaschen herum. Irgendwo musste das Zeug schließlich sein. Mit sichtlichem Stolz förderte er schließlich ein Büschel trockener Pflanzen zutage. Sofort breitete sich ein betörender Duft aus. Kenner hätten wohl Thymian und Rosmarin erkannt. Amun hatte diese Kräuter geschenkt bekommen, zusammen mit dem Versprechen, dass sie auch nach Monaten noch genauso wirkungsvoll seien. Der Händler hatte nicht gelogen.
"Den Geschmack sollten sie verbessern", stellte Amun zufrieden fest und nickte Seline bestätigend zu: "Suppe sollten wir kochen."

"Ein Kessel ist eine gute Idee, aber ohne Schüsseln wird das Essen kompliziert, meint ihr nicht auch?" Nicole betrachtete das Huhn neugierig, teilte es in Gedanken auf. Sie würde nicht unbedingt etwas davon brauchen, Suppe an sich war in Ordnung. Am besten, die Verletzten schöpften zuerst neue Kraft. Ein Seitenblick auf Aldred ließ sie daran zweifeln, dass dieser das genauso sehen würde. Ständig machte er den Eindruck, als hätte er seine Ehre verloren, doch in der Höhle, bei ihrer Begegnung und auch jetzt zeigte er immer wieder, dass dem nicht so war. Er dachte voraus, fragte, wie es weitergehen sollte. Die Frage ging in der Menge unter, die sich auf das Essen stürzte, und erst als Geralt sie losließ - er hatte sie ohnehin ziemlich lange festgehalten, was sollte es also - wandte sie sich ihm zu. "Unser nächstes Ziel steht noch nicht fest. Wir werden die Nacht hier verbringen, und dann sehen wir weiter."

Iorweth kam als letzter ans Feuer, nachdem er die runde beendet hatte und alle am Feuer saßen. "Nun, Nicole hat recht. Wie sollen wir die Suppe essen, wenn wir keine Schüsseln haben? Und Löffel haben wir auch nicht." Verwirrt blickte er zu den anderen.

Zuerst blickte Aldred Nicole und Iorweth eine ganze Weile lang verwirrt an, dann ging ihm jedoch auf, dass die junge Frau bisher wohl wohlbehütet in ihrem Dorf gelebt hatte - hatte sie nicht vorgehabt, sie in ein Herrenhaus oder dergleichen einzuladen? - und für den Elfen offensichtlich ähnliches zutreffen musste. Das erklärte dann wohl ihre Befangenheit, ohne Schüsseln zu essen. Aldred selbst konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte mal Suppe aus einer Schüssel gegessen hatte. Vielleicht in einem der Gasthöfe, in die er hin und wieder eingekehrt war. In der Letzten Stadt wahrscheinlich...
"Wir essen aus dem Topf, was sonst?", erläuterte er ungerührt, als wäre es das Normalste auf der Welt. Was es ja letztendlich doch wohl auch war. Warum sollte man Suppe nicht einfach aus dem Topf essen? So tat man das eben, wenn man auf Reisen war. Was hatten die anderen erwartet? Eine gedeckte Festtafel? Sie sollten eher dankbar sein, dass Seline überhaupt einen Topf aufgetrieben hatte. "Und was Löffel angeht... sowas ist schnell geschnitzt wenn man mit einem Messer umgehen kann." Er warf einen raschen Blick auf die Vorräte an Brennholz, die sie noch hatten. Es war ein recht kümmerlicher Haufen. Für den Rest der Nacht würde es nicht reichen. Andererseits... Holzlöffel konnte man nach dem Essen ja auch wieder in die Glut werfen. "Vielleicht aber besser nur einen oder zwei, die wir uns teilen. Mehr gibt das hier wohl kaum her..." Er griff nach einem länglichen Bruchstück aus dem Vorrat, den Iorweth aufgetrieben hatte und hielt ihn prüfend in der Hand, denn jedoch ging ihm auf, dass er mit seinem wunden Arm kaum in der Lage sein würde, einen Löffel zu formen. "Wer von euch kennt sich mit Schnitzen aus?", fragte er in die Runde und lächelte dabei entschuldigend, "Ein Messer kann ich anbieten, aber ich bräuchte zwei gesunde Hände dazu..."

Iorweth blickte Aldred leicht beleidigt an. "Ich bin lange Zeit herum gewandert. Ich habe nur leider mein ganzes reisegeschirr sowie mein Messer verloren. Ich bin es nur nicht gewohnt mein essen mit anderen zu teilen." Das einzige sichtbare zeichen, das er wütend war, waren seine geballten Fäuste. "Ich kann ein paar löffel schnitzen.Es hilft mir beim beruhigen."

Aldred warf dem Elfen einen verdutzten Blick zu. Warum auf einmal die scharfen Worte, die feindseligen Blicke? Hatte er etwas falsches gesagt? Er hatte doch eigentlich gar nichts getan. Aber vielleicht war das einfach nur die Art des Elfen. Vielleicht Iorweth einfach... schwierig. Jemand, der Probleme mit anderen hatte. Aldred beschloss, es dabei zu belassen und zog mit fließender Bewegung sein Messer aus dem Gürtel, reichte es dem Elfen mit dem Heft voran. Ein leise vor sich hin gemurmeltes "Ich hab gar nichts gesagt..." konnte er dann aber doch nicht zurück halten.
Die Flammen des Feuers züngelten inzwischen eine gute Handbreit über das Holz hinweg und spendeten angenehme Wärme in der rasch aufziehenden Kühle der Nacht. Ein gutes Feuer! Aldred, nun ohne jegliche Aufgabe, lehnte sich ein wenig zurück und betrachtete sein Werk. Die tanzenden Funken. Dabei fiel sein Blick auf den stummen Jungen, der ihm gegenüber am Feuer saß. Zu seiner Verwunderung erkannte Aldred, dass der Junge einen großen Folianten aufgeschlagen auf den Knien hielt. Aldred konnte lesen, aber er hatte nie ein eigenes Buch besessen. Und er kannte auch niemanden, der eines hatte. Schon gar nicht so eines. Es sah ungewöhnlich aus.
"Was liest du da?", wandte er sich mit mildem Interesse in der Stimme an den Jungen und neigte sich wieder ein wenig nach vorn, diesem zu. Dabei war es ihm im Grunde egal, wovon dieses Buch handelte. Aber vielleicht gab es ja eine gute Geschichte zu diesem Buch.

Iorweth nahm das Messer und fing an, das Holz zu verkleinern. Dann begann er, die form eines Löffels zu schnitzen.
Er konnte Aldreds gemurmelte antwort noch vernehmen und schnaufte leise. "Das Feuer in meinem Blut macht es mir schwer, längere zeit mit anderen Leuten zusammen zu sein. Timanris war nur der letzte tropfen in dem Fass, das mein Feuer entbrannt hat, weswegen ich gehen musste. Und weswegen ich auch nicht zurück kann. Es ist fast so, als treibt es mich. Und oftmals habe ich das Bild einer Frau in meinem Kopf, wenn ich schlafe. Sie raunt mir zu das ich weiter reisen soll. Immer weiter, bis zum unbekannten ziel."