E o V - Die Quartiere

Die Warterei war schon reichlich anstrengend gewesen. Eames hatte sich in erster Linie darauf konzentriert, seinem Anwalt dabei zuzusehen, wie er sich weiterhin Notizen machte.
Mittlerweile war er an einem Punkt der Resignation angekommen. Egal wie schlimm das Urteil auch lauten mochte ... Er wusste nicht, ob für ihn eine Welt zusammenbrechen würde oder nicht. Irgendwie war es ihm ein wenig egal geworden.
Schliesslich mussten sie sich erheben und durften sich anhören, was nun mit ihm geschehen würde. Eames geriet ins Stirnrunzeln. Sie verurteilten ihn, weiterhin genau das zu tun, was er bisher getan hatte? Das würde dem Kläger aber gar nicht gefallen. Yippie-ya-yeh!
Als der Stab sich zurückzog, wandte er sich als erstes an seinen Anwalt. Die meisten Leute strömten bereits aus dem Raum, doch Eames liess sich Zeit. Er verspürte nur bedingt Lust, seine Teammitglieder zu sehen. Deshalb kam ihm der Anwalt gerade Recht, der ihm noch einiges erklärte.
Gemeinsam gingen sie aus dem Raum raus, wo sie sich nach einem kurzen weiteren Gespräch per Händedruck verabschiedeten. Der Anwalt ging seines Weges, während Eames als Erstes von seinem Bruder begrüsst wurde.
"Und? Wie siehts aus?", wollte der natürlich gleich wissen und Eames gab ihm das Urteil weiter.
"Dann kannst du wohl hoffen, dass sich das Team niemals auflöst", meinte James und legte ihm einen Arm um die Schultern.
"Lass uns was trinken gehn."

Sie wollte zu Eames gehen als er aus dem Saal kam, genau darauf hätte sie gewartet. Nicht nur falls er sich bei ihr für ihre doch recht angenehm ausgefallene Aussage bedanken wollte... vielleicht hätten sie auch etwas reden, etwas Zeit miteinander verbringen können nach all dem Ärger...
Aber als er herauskam, wurde er umgehend von dessen Bruder in Beschlag genommen... Eames schaute nicht einmal zu ihr... So blieb Natalia stehen und schaute ihm mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck hinterher.
Sie konnte nicht beschreiben was in ihr vorging... ein Gefühl als würde sich eine immense Wut mit diesem unangenehm einengenden Gefühl in ihrer Brust vermengen. Ihr wurde schwindelig dabei, so wirklich topfit wie sie es gerne dargestellt hatte war sie immer noch nicht.
Was sollte das? War das einfach nur Undankbarkeit? Machte er sich über sie lustig...? Sie sollte ihn zur Rede stellen... ihn fragen was für ein widerwärtiges Spiel er nun zu treiben versuchte. Aber Natalia fühlte sich wie festgefroren... unbeweglich und sprachlos.

Während sein Bruder ihn voller Enthusiasmus mit sich zog, schob Eames ihn von sich.
"Ähm... Treffen wir uns nachher? Ich sollte vielleicht doch noch rasch mit dem Team, oder zumindest Teilen davon, rasch reden...", sagte er zu seinem Bruder. Es war nicht so, als wäre er unglaublich scharf darauf gewesen. Aber irgendwie wollte er auch nicht wie die beleidigte Leberwurst wirken, die sich jetzt davonschlich.
"Ja klar. Bis später", sagte James, der offenbar verstand, worum es ging.
Eames seufzte dann leise und wandte sich um, um zu schauen, wer denn überhaupt da war. Mit dem Glatzkopf wollte er nun sicherlich reden und sonst ... Natalia ...
Sein Blick fiel auf sie, wobei er merkte, wie sie ihn anstarrte, als hätte er sie abserviert und nicht umgekehrt. Es behagte ihm nicht, sie anzusprechen. Aber im Vergleich zu Nick war sie wohl doch irgendwie das kleinere Übel.
Also schritt er auf sie zu, den Gesichtsausdruck möglichst neutral gehalten.
"Hey", sagte er, "danke für deine Rede."

Auf diese offensichtliche Enttäuschung hin, folgte auch bereits die nächste Überraschung... Westerfeld löste sich von seinem älteren Bruder, schaute zu Natalia und kam dann schließlich doch zu ihr. Zu diesem Verlangen ihm in den Arsch zu treten, war dabei aber auch dieses seltsame Gefühl der Erleichterung...
Sie konnte aus seinem Gesicht nicht lesen was in ihm vorging oder was nun folgen würde, schließlich war er aber bei ihr angelangt. Als Eames sich dann bei ihr bedankte, senkte sie den Blick ein wenig und atmete einmal tief durch die Nase durch. "Ist schon ok... Ich wollte einfach wenn schon dann die ganze Wahrheit darlegen, schien sich doch gelohnt zu haben.", antwortete sie ihm daraufhin und zuckte kurz mit den Schultern. "Möchtest du eine Runde spazieren gehen? Erklären wie es dir jetzt geht?"

Er verschränkte die Arme vor der Brust und schaute sie einen Moment lang schweigend an.
Warum tat sie das? Gestern hatte sie ihn zum Teufel geschickt und nun wollte sie mit ihm spazieren gehen? Die Frau machte ihn noch fertig!
Seine Kiefermuskulatur spannte sich an, als er versuchte, nicht wütend mit den Zähnen zu knirschen.
"Klar. Warum nicht?", sagte er schliesslich und wandte sich dann ab,wobei er die Hände in seine Hosentaschen steckte. Er musste unbedingt was Anständigeres anziehn.

Nick hatte den Saal zur Urteilsverkündigung nicht wieder betreten. Das wäre ihm unangemessen erschienen. Was hätte er dort auch wollen sollen? Das Urteil würde er auch so erfahren. Und Westerfelds Reaktion darauf – ganz gleich wie es ausfallen mochte – war ihm gelinde gesagt egal. Aber direkt verschwinden, das wollte er obwohl ein Hauptmann ihm nach Abschluss der Zeugenanhörung mitgeteilt hatte, dass er nicht für eine erneute Aussage benötigt würde, dann doch nicht. Schließlich betraf dieser Prozess auch ihn. Also hatte er weiter vor dem Saal gewartet, bis dieser sich zu leeren begann. Als Cavin und Westerfeld hinaus traten war er bereits über das Urteil im Bilde. Es war eine Überraschung für ihn gewesen. Und keine der angenehmen Art. Hätte er selbst urteilen müssen, er hätte anders entschieden. Das hier entsprach schlicht nicht seinem Verständnis von Gerechtigkeit. Und von militärischer Räson. Ein unberechenbarer Soldat wie Westerfeld hatte in einer Truppe wie der ihren schlichtweg nicht verloren. Und nach diesem Vorfall und dem Prozess würde die Arbeit mit ihm gewiss nicht einfacher werden. Nick nahm sich vor, Cavin bei Gelegenheit auf diese Gegebenheit anzusprechen, doch als sie aus dem Saal kam schien sie wenig Interesse an einem Gespräch mit ihm zu haben, sondern vielmehr nach Westerfeld Ausschau zu halten, also ließ der First Sergeant sie in Frieden. Für ein Gespräch wäre auch später noch Zeit. Was Westerfeld selbst betraf: mit diesem zu sprechen verspürte Nick kein gesondertes Bedürfnis. Also verließ er zügig den Gebäudetrakt und machte sich auf den Weg zurück in die Quartiere der Outcast Recon.

Innerlich war Natalia froh, dass sich Eames dazu bereit erklärte sich ein wenig mit ihr die Beine zu vertreten. So schlenderten sie eine Weile ohne etwas zu sagen in Richtung der zivilen Trakte von Talon, kein wirkliches Ziel vor Augen... Die Offizierin hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt und dachte sich die ganze Zeit irgendetwas zusammen was sie sagen konnte, aber das einzige was dabei herauskam war absoluter Schwachsinn.
Sie erinnerte sich daran wie sie ihn Gestern einfach abgewürgt hatte... aber was hätte sie auch sonst tun sollen? Ihr wurde schlecht bei dem Gedanken dieses beschissene Thema anzusprechen, es gefiel ihr nicht...
"Und? Wie geht es dir jetzt? Irgendwelche speziellen Gedanken zu der ganzen Geschichte?", fragte sie um überhaupt irgendetwas als Thema zu starten. Dieses kurzzeitige Schweigen machte einen regelrecht mürbe.

Als First Sergeant Fendring herein kam, stand Myra dann doch einmal auf und salutierte. Ein bisschen Respekt konnte schließlich nicht schaden. Der Gesichtsausdruck des Sergeant sprach Bände, was das Gerichtsurteil anging. Aber bis jetzt war noch keine offizielle Mitteilung geschickt worden. Da blieb eigentlich nur zu fragen, andererseits war die Nachricht wohl keine Gute, was Myra zögern ließ.
Zunächst einmal füllte sie ihrem Kollegen eine Tasse Kaffee ein und stellte sie auf den Tisch.
"Wie ist der Gerichtsbeschluss ausgefallen?"

Während sie schweigend nebeneinander her schritten, machte Eames sich nicht die Mühe, zu verbergen, dass er nicht sonderlich gut auf Natalia zu sprechen war.
Als sie ihn schliesslich ansprach, gab er ein Geräusch von sich, das implizierte, dass er eigentlich gar nicht hatte reden wollen. So verstrichen einige Sekunden, bis er überhaupt zu einer Antwort ansetzte.
"Nun. Ich freue mich schon auf den nächsten Auftrag. Es wird garantiert ein wunderbares Klima vorherrschen", knurrte er, ohne sie auch nur anzuschauen. "So gesehen kannst du dir wohl denken, wie es mir im Moment geht."

"Sie haben Westerfeld dazu verdonnert, weiter in der Einheit Dienst zu tun", berichtete Nick gallig, griff sich den Kaffee mit einem dankbaren Nicken in Myras Richtung und setzte die Tasse an die Lippen, ohne sich die Mühe zu machen, nach Zucker oder Milch zu suchen. Die schwarze Plörre rang heiß und bitter seinen Rachen hinab, aber das passte ganz gut zu seinem momentanen Gemütszustand. Schwerfällig ließ er sich auf einen Stuhl am Küchentisch nieder. "Eine für mich absolut nicht nachvollziehbare Entscheidung", fuhr er fort, "Kann nicht eben sagen, dass es mich freut. Leute, auf die man sich nicht verlassen kann, können wir hier wirklich nicht brauchen. Wenn dieser Idiot sich in Zukunft nicht zusammen reisst werde ich ihm den Kopf waschen müssen, dass er nicht mehr weiß wo oben und unten ist..." Seine Worte verhallten, beständig leiser werden, in unverständliches Gemurmel, während er düster auf seinen Kaffee starrte.

Ein bestätigendes Brummen war erst einmal Myras einzige Antwort. Das war seltsam. Es lag ihr fern das Urteil des Gerichtes infrage zu stellen, aber die Lösung dieses Problemchens ließ sich nicht einfach so erschließen. Was mochte das Gericht dazu bewogen haben einen Soldaten, der nachweisbar nicht zuverlässig war, weiterhin in dieser Einheit Dienst tun zu lassen. Es mochte daran liegen, dass die Recon die besten aus jedem Tätigkeitsbereich beinhaltete. Und auch wenn sie Westerfeld sicher nicht mehr ihre Rückendeckung anvertrauen würde, so war er doch effektiv gewesen. Auf eine ein bisschen erzürnende Art und Weise.
"Nuuun, ich persönlich würde ihm nicht mehr vertrauen mir den Rücken freizuhalten oder ihm das Leben eines Zivilisten in die Hände geben. Bei der Sektion 2 wäre er bereits unehrenhaft entlassen worden, aber wir haben sehr oft mit Geiselnahmen zu tun."

"Er hat einen guten Kill-Count", gestand Nick widerwillig ein, "Und er ist ganz zweifelsohne ein sicherer Scharfschütze. Das alles will ich ihm ja gar nicht absprechen." Er ließ die Aussage unvollendet. Was er hinterher zu setzen gedacht hätte schwang deutlich im Raum mit. Westerfelds Individualfertigkeiten standen außer Frage. Aber das war eben nicht alles. Er war ein lausiger Teamplayer. Er war unfähig, sich in bestehende Kommandostrukturen einzufügen. Er verweigerte Gehormsam, Disziplin. Um Missionen wie die ihren zu einem erfolgreichem Abschluss zu bringen bedurfte es mehr als einer Gruppe von Einzeltalenten. Und insofern war Westerfeld seiner Meinung nach für diese Arbeit absolut ungeeignet. Aber offenkundig schien das Oberkommando dort anderer Meinung zu sein. Vielleicht hatten sie in dem Burschen ja doch noch ein Potential erkannt, dass Nick bisher nicht offenbart hatte. Oder sie hofften zumindest, dass ein solches vorhanden sein mochte.

Er freute sich auf den nächsten Auftrag also... ah ja... sonderlich Schwierigkeiten mit Sarkasmus hatte sie ja nicht gerade. Aber er hatte was das Ganze anging vermutlich recht, die Stimmung würde sicherlich etwas zu leiden haben. Zudem würde sie wohl etwas mehr die Hände voll zu tun haben um Fendring von ihm fern zu halten, vielleicht sollte sie beiden einen Maulkorb kaufen... oder sich ein Betäubungsgewehr zulegen. Wäre doch irgendwie cool... Großwildjagt... und sich dann Eames Kopf Zuhause über dem Kamin aufhängen. Natalia schmunzelte bei dem schwachsinnigen Gedanken und schüttelte jenen anschließend umgehend wieder ab.
Schließlich seufzte sie, begab sich kurz auf die Zehenspitzen und drückte Eames einen Kuss auf die Wange... "Wird schon... und gehts jetzt etwas besser?", fragte sie und anschließend griff mit ihrer Rechten zu Seite, packte Eames linken Ärmel und zog so seine Hand aus seiner Hosentasche damit sie jene in die Ihre nehmen konnte.

Daraufhin blieb er fast ein wenig abrupt stehen und schaute sie das erste Mal richtig an. Dann blickte er auf ihre Hände hinunter und wusste nicht, wie er jetzt darauf reagieren sollte.
"Ich weiss nicht...", sagte er schliesslich und wandte dann den Blick wieder ab. offenbar war der Grosse irgendwie überfordert.
"Was wird das, Natalia? Gestern hast du mich weggeschickt ... und jetzt das hier. Ich versteh das nicht."

Nach dieser Ansprache wurde Natalia in ihren Schritten langsamer und ließ Eames Hand wieder los, ihr Blick ruhte ein wenig verloren vor sich im Nichts. Er hatte etwas angesprochen was sie sich selbst ja nicht einmal erklären konnte... zumindest hielt sie irgendwie verbissen daran fest, dass sie dies nicht konnte.
Ihr ganzes Leben lang hatte es für sie nichts anderes gegeben als den eigenen Erfolg, ihre Arbeit und alles was nur sie selbst betraf... nie hatte es viel Platz für anderes gegeben, sogar ihre eigene Familie hatte sie dies deutlich spüren lassen.
Schließlich stieß sie die Luft langsam aus... in Wirklichkeit wusste sie genau was los war, es war im Grunde sogar mehr als einfach zu erklären.
"Ich verstehe das nicht... das habe ich mir auch die ganze Zeit eingeredet, aber dabei weiß ich es genau. Weißt du... ich hatte nie etwas übrig für diesen ganzen Beziehungsquatsch. Ich hatte weder die Zeit noch hätte ich die Geduld dafür aufbringen können, außerdem lebe ich in dem Glauben es würde meine Freiheit extremst einschränken. Das hat recht gut funktioniert so... Jetzt aber habe ich diese ganzen seltsamen Gefühle und...", erneut atmete sie einmal durch und schaute dann zu Eames. "...du bist die erste Person welche so etwas bei mir auslöst... und das macht mir Angst."

"Warum macht es dir Angst?"
Er furchte die Stirn. "Es ist doch nur ein GEfühl. Davor muss man doch keine Angst haben..."
Ein Seufzen entwich ihm.
"Aber wenn du so empfindest... dann hättest du mir das gestern auch so sagen können, statt mich rauszuschicken, als hätte ich dir irgendwas angedroht."

"Glaub mir... ich fürchte mich davor... und du hast wohl recht, es war wirklich nicht fair von mir. Es tut mir leid...", sprach sie daraufhin lediglich, schlang ihre Arme um Eames und lehnte ihren Kopf gegen seine Brust. So verweilte sie eine ganze Weile an ihn geschmiegt und hielt die Augen geschlossen, sie war froh diese ganze führende Offizierin und Respektsperson Rolle einfach einmal fallen lassen zu können. Sie wusste ja selbst, dass die private Natalia viel umgänglicher war als die Natalia im Dienst... "Ich hatte vorgehabt meine Mutter und meine jüngere Schwester gleich noch auf einen abendlichen Kaffee zu besuchen... es wäre schön nicht alleine zu gehen. Oder was sagst du dazu?", fragte sie und schaute mit einem Augenaufschlag zu Eames auf.

"Aber das ist eben nicht alles, nicht wahr?", murmelte Myra und sippte an ihrem Kaffee. Dass Fendring geladen war, würde selbst ein Blinder sehen. Die Stimmung in der Einheit würde in der nächsten Zeit nicht sonderlich gut sein. Und dann war da noch der nagende Gedanke, dass sie zwar nichts gegen Westerfeld persönlich hatte, aber nur sehr wenig über für Personen, die Befehle verweigerten. Es versprach Sicherheit. Solange man Befehle befolgte konnte einem die Schuld nie so ganz in die Schuhe geschoben werden. Und wie Westerfeld eindrucksvoll bewiesen hatte, passierten dumme Dinge, wenn man sich nicht an seine Vorgesetzten hielt.
"Wie geht es Ihrer Frau? Bei dem Ball habe ich mich ein wenig mit ihr unterhalten können. Eine sehr sympathische Frau."
Natürlich war das ein Versuch die Sprache auf angenehmere Dinge zu lenken, aber vielleicht lenkte das Fendring ein wenig ab und kühlte ihn runter. Spätestens morgen würde Westerfeld wieder hier sein.

Offensichtlich wusste er nicht so recht, was er dazu sagen sollte.
"Mh... Ich wollt mit meinem Bruder eigentlich noch was trinken gehen. Aber ich kann ihn rasch anrufen und ihm sagen, dass es heute nichts mehr wird", sagte er und zog auch schon sein Handy hervor.
"Wo wohnt deine Familie?"

Dass es so einfach wird hatte Natalia nicht erwartet... vermutlich hatte Eames nicht einmal wirklich darüber nachgedacht? Wie auch immer, sie freute sich innerlich deutlich darüber nicht alleine hinzugehen. Ihre Mutter Anna hätte ihr nur wieder die Ohren voll geheult wie wenig man sie doch zu Gesicht bekam, während ihre jüngere Schwester Nicole sie die ganze Zeit über alles mögliche ausfragte. So würde Nicole vermutlich dem armen Eames ordentlich auf die Nerven gehen... sie würde regelrecht darauf herumtrampeln.
"Eigentlich nicht weit weg von hier... wir müssen durch die Einkaufsmeile durch, rüber in den Zivilturm B), mit dem Lift in den 11. Stock und dann zum Apartment Nummer 109.", erklärte sie ihm per Kurzbeschreibung.

"Ich habe gestern Abend noch mit ihr telefoniert", ging Nick bereitwillig auf Langfields Themenwechsel ein. Sein Bedürfnis, weiter über Westerfeld und das Urteil zu reden, war gering. "Es geht ihr gut." Ja, das war es, was sie gesagt hatte. Wenig aussagekräftig, wie es Nick durch den Kopf ging. Aber was sollte im Lauf von zwei Tagen schon Spektakuläres passieren, das des Erzählens wert gewesen wäre. Im Grunde führte Ophelia ein wirklich beschauliches Leben. Manchmal beneidete Nick sie dafür. Nicht Tag für Tag sein Leben riskieren und das anderer auslöschen zu müssen, das erschien ihm bisweilen höherer Luxus.

"Hm ... In Ordnung ..."
Er holte sich seinen Bruder ans Telefon und erklärte ihm die Situation grob. Er musste ja nicht ganz genau im Detail wissen, was vorgefallen war, dass er nun doch nicht kam.
"Vielleicht morgen", meinte er, um James zu beschwichtigen, der bereits in einer Kneipe sass und was bestellt hatte.
Dann konnte er sich endlich Natalia widmen und mit ihr gemeinsam zu ihrer Familie gehen.

Als die beiden gerade ihren Themenwechsel eingeleitet hatten taumelte Snyder in den Raum, murmelte irgend etwas von Psilocybin und begann, seine immer noch kümmerliche Pflanzensammlung zu gießen, sowie den mittlerweile etwas aufgeschossenen Pilz zu studieren, der von seiner Kappe herab einen rötlichen Saft zu bluten begonnen hatte. Mit einem Spatel nahm er eine Probe und verzog sich damit wieder in das Schlafquartier.

Nach einigen Tests hatte er die aktiven Komponenten des Saftes isoliert und machte sich daran, das ganze zu testen, was soviel bedeutete wie sich eine Spritze mit einer kleinen Dosis zu setzen. War soweit halt nicht anders möglich, irgendwer musste Versuchskaninchen spielen. Die Droge schlug ihn ins Gesicht wie ein Frachtzug, relativ immediat. Er taumelte mit einem Klemmbrett Richtung Duschen und schloss sich ein.

Als erstes spürte er Hunger, dann immer mehr ein flaues Gefühl in der Magengrube. Mit einem Seufzen kauerte er sich in eine Ecke der Dusche und aktivierte die Regenbogenbeleuchtung. Schlechte Idee. Er begann mit dem Farbzyklus zu halluzinieren.

Als er zwei Stunden später grummlig und verkatert die Dusche verließ stand nur eine Sache auf seinem Klemmbrett, das er halbherzig in einer Hand hielt: "Nur zum rekreativen Eigenkonsum zu gebrauchen."

"Mh, bewundernswert. Ich bringe nicht den Mut auf jemanden in mein Leben zu lassen", antwortete Myra und nahm einen Schluck von ihrem Kaffee, bevor ihr aufging, dass sie das vielleicht besser erklären sollte. Immerhin konnte man das missverstehen. In diesem Moment taperte Snyder durch die Wohnung und reagierte nicht auf ihren Gruß. Myra zuckte mit den Schultern, während der Arzt an seinen Pflanzen herum doktorte und danach in Richtung seiner Unterkunft verschwand.
"Was wollte ich sagen? Mh, genau. Bewundernswert. Immerhin ist es trotz aller Überlegenheit unserer Ausrüstung möglich, dass einer von uns im Einsatz fällt. Ich weiß nicht, ob ich mit dieser Möglichkeit in Aussicht heiraten könnte. Und vor der Recon waren Sie ja auch schon beim Militär, nicht wahr?"

Nicks Antwort war ein Schulterzucken. Die Überlegungen, die Langfield da anstellte, waren von einer Art, wie sie jedem Soldaten früher oder später in den Sinn kamen. Es lag dabei jedoch am jeweiligen Individuum, wie es damit umging.
"Würde ich damit rechnen, früher od später abgeschossen zu werden, ich hätte mir schon längst einen anderen Job gesucht", führte er ungerührt an, "Ich habe nicht vor, da draußen im Staub zu verbluten. Sicher, das Risiko besteht. Aber auch in jedem anderen Beruf kann man einen Unfall haben. Ist vielleicht nicht so wahrscheinlich, wie bei uns, aber trotzdem. Bin kein Mann, der allein für seinen Job leben kann. Muss auch noch etwas darüber hinaus geben. Ich wollte immer Familie haben. Und nur weil ich Soldat geworden bin wollte ich nicht darauf verzichten. Ophelia kommt damit klar. Sicher macht sie sich Sorgen, wenn ich da draußen bin. Aber sie kommt damit klar. Schätze, dass ist alles, was zählt. Das der Partner damit zurecht kommt, meine ich. Für mich selbst ist es schließlich weniger das Problem..."