E o V - Die Quartiere

Nach Eames Zusage dauerte es nicht all zu lange bis sie zu Fuß das Apartment ihrer Eltern erreichten, am ehesten sträubte sie sich aber noch davor mit ihrem Vater zu sprechen. Wie hatte ihre Mutter aber zu ihr gesagt...? Innerlich war Steven sehr stolz auf seine Töchter, er hätte es aus seinem Stolz heraus aber doch eher bevorzugt wenn sie ihren Weg etwas anders eingeschlagen hätten. Er wusste wie anspruchsvoll das alles werden konnte, die Sorge spielte sicherlich mit.
Am Apartment angekommen drehte sie sich noch einmal kurz zu Eames. "Bitte versuch so lieb und erfreut wie möglich zu sein...", bat sie Eames, bevor sie die Türklingel betätigte.
Kurz darauf öffnete sich auch schon die automatische Tür wobei sie Anna, Natalias Mutter, erwartete. "Hey Mom...", meinte Natalia mit einem leichten Lächeln. Ihre Mutter sagte im ersten Moment nichts, sondern schloss stattdessen Natalia recht stürmisch in ihre Arme. "Dein Vater... du... ihr schickt mich alle noch frühzeitig ins Grab! Derartig Sorgen mache ich mir immer um euch alle.", sprach Anna und drückte ihrer Ältesten einen Kuss auf die Wange. "Schon ok! Mom... jetzt hör schon auf...", meinte sie, auch etwas verlegen weil Eames dieser ganzen Szenerie auch noch beiwohnte.
Schließlich ließ Natalias Mutter sie aber wieder los und schaute zu Eames. "Oh... du hast jemanden mitgebracht. Naja, ich habe ohnehin mehr Kaffee aufgesetzt... Entschuldigen sie bitte. Ich bin Anna Cavin, Natalias Mutter. Und sie sind?"

"Wahrscheinlich haben Sie recht", gab Myra bei und stand auf. Nach kurzem Herumwerken an der Maschine spuckte die bereits eine neue Kanne Kaffee aus. Wie viele Tassen hatte sie bereits intus? Fünf? Sechs? Egal. Der Auftrag war erledigt und sie waren alle noch am Leben. Das musste man feiern. Mit Kaffee, ha! Und einem Donut, von denen eine ganze Packung hier herumstand. Irgendwer hatte die am frühen Morgen vorbei gebracht.
Nun gänzlich auf Etikette verzichtend ließ sich Myra gegenüber von Fendring nieder und legte die Beine auf den nächsten Stuhl.
"Wie lange dauert es normalerweise, bis man uns erneut ausschickt?"

"Das kommt ganz drauf an...", antwortete Nick ausweichend – geheimnistuerisch fast – und ließ sich ebenfalls eine weitere Tasse Kaffee aus der Maschine. Er nahm einen vorsichtigen Schluck der schwarzen Brühe, dann holte er zu einer Erklärung aus. "Zuerst einmal werden sie abwarten müssen, bis die Ärzte sagen, dass Cavin wieder einsatzbereit ist. Und das kann durchaus noch eine Weile dauern. Vor allem aber wird es davon abhängen, wann sie ein neues Ziel für uns ausgemacht haben. Das ist natürlich gänzlich unkalkulierbar. Bisher jedenfalls hat das Oberkommando keine Skrupel gezeigt, uns innerhalb von drei Tagen zweimal raus zu hetzen."

Höflich, wie er durchaus sein konnte, wartete Eames im Hintergrund erst einmal ab. Er wollte sich ja nicht vordrängen. Natalia hatte bei ihrer Mutter ja sicherlich Priorität. so schaute er dem Treiben schweigend zu. Er dachte nicht einmal ansatzweise daran, dass die Sonnenbrille etwas schräg rüberkommen könnte. Er war es sich einfach so gewohnt.
Als die Mutter sich ihm schliesslich zuwandte, lächelte er leicht und reichte ihr die Hand.
"Eames Westerfeld", stellte er sich vor. "Ich bin ein Arbeitskollege ..."

"Ah, ich hätte nichts gegen ein oder zwei Tage Ruhe einzuwenden", murmelte Myra und biss ein Stück vom Donut ab. Mit dem Gebäck in der Hand wedelte sie in der Luft herum.
"Ein paar von der Sektion 2 mal wiedersehen. Hören, was es so neues gibt. Die Steckbriefe wieder auf Stand bringen. Ich weiß halt gern bescheid. Und wenn uns eins von den Arschlöchern auf meinen Bildern über den Weg läuft, schleife ich seinen verdammten Arsch nach Talon."
Mit kraus gezogener Stirn sah Myra ein wenig verlegen zu Fendring hinüber. Das war nicht wirklich notwendig gewesen.
"Ich möchte mich für meine Ausdrucksweise entschuldigen. Wir von der Sektion 2 haben mit den...bunteren Verbrechen zu tun. Und bei einigen von diesen Verbrechern möchte ich wirklich gerne beim Prozess dabei sein."

Anna schaute kurz zwischen Natalia und Eames hin und her, bevor sie erst einmal lächelte und die beiden herein bat. Drinnen hatten sie erst einmal die Schuhe auszuziehen, bevor Natalias Mutter sie in das Wohnzimmer führte. "Dein Vater ist leider nicht da. Er ist noch auf ein Glas mit seinen Arbeitskollegen. Könnte später werden...", meinte sie. Damit würde sie wohl recht haben... Ihr Vater würde wohl irgendwann gegen zwei oder drei Uhr Morgens dann zurückkommen, aber ab da lag Natalia wohl schon längst im Bett.
Im Wohnzimmer auf dem Sofa saß Natalias Schwester welche mit ihrem Mobiltelefon beschäftigt war und offenbar gewartet hatte. Man sah Nicole sofort die Ähnlichkeit zu Natalia an, auch wenn sich ihre 20 jährige jüngere Schwester die Haare blond gefärbt hatte.
"Hey Sis.", begrüßte sie Nicole als sie von ihrem Mobiltelefon aufblickte und jenes anschließend in ihrer Handtasche verschwinden ließ. "Schön dich zu sehen, Niki.", sprach Natalia zu ihr und schloss sie kurz in die Arme, bevor sie sich neben ihr auf das Sofa setzte. "Wer ist denn der...?", fragte ihre jüngere Schwester und beäugte Eames ein wenig. "Nicole das ist Eames... Eams? Nicole, meine jüngere Schwester.", stellte sie die beiden einander vor.
"Hey.", gab Nicole lediglich von sich und machte eine einzige winkende Bewegung.
Kurz darauf brachte ihre Mutter auch bereits Tassen, Zucker, etwas Milch, eine Schalke mit Schokokeksen und eine Kanne mit heißem Kaffee auf einem Tablett zu ihnen... sie hatten wohl wirklich schon eine Weile auf sie gewartet. "Bitte bedient euch.", forderte sie alle auf und setzte sich anschließend selbst.
"Also... Eames Westerfeld... der Westerfeld? Ich habe ja mit Natalia heute Morgen noch einmal telefoniert. Sie schwärmt ja richtig von ihnen...", erzählte sie und griff zu einem von den Keksen. "Mom...", entgegnete Natalia und schaute Anna mit einem ernsten Gesichtsausdruck an.

"Kein Grund, sich zu entschuldigen", erwiderte Nick und gluckste amüsiert bei Langfields vollkommen übertriebener peinlicher Berührtheit, "Sie sind jetzt beim Miliär, da ist die Ausdrucksweise vermutlich nur noch schlimmer als bei der Polizei. Solange wir nicht im Dienst sind besteht kein Grund, förmlich zu sein. Wir anderen fluchen genauso." Er nahm einen Schluck von seinem langsam eine trinkbarere Temperatur annehmenden Kaffee und wollte eben zu einem Kommentar bezüglich der von Langfield angesprochenen Verbrecher ansetzen, da aktivierte sich die Kommunikationseinheit an der Wand der Küche und auf dem Bildschirm erschien eine Frau mittleren Alters mit streng zurück gebundenen Haaren und Hornbrille.
"Guten Tag, Alpha Recon, ich bin Dr. Eleanor Turner", grüßte sie.
Nick erhob sich, aktivierte den gegenläufigen Kommunikationskanals, sodass nun auch sein eigenes Bild auf dem Monitor angezeigt wurde. "Guten Tag. Hier ist First Sergeant Nicolas Fendring. Was kann ich für sie tun, Dr. Turner?", antwortete er.
"Ich bin vom wissenschaftlichen Dienst und wurde mit der Aufgabe betraut, den von ihnen in Gewahrsam genommenen Ödland-Probanden zu untersuchen", kam Turner direkt zum Punkt, "Ihr Vorgesetzter, Colonel Enlay, bat mich, Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Er meinte, die Ereignisse meiner Untersuchung könnten auch sie interessieren. Wenn sie das möchten und die Zeit dazu finden könnten mich in Sektion Kappa, Labor 422, aufsuchen."
Das war eine knappe, wenig sagende Aussage. Also waren diese Ergebnisse vermutlich militärisch relevant. Zu relevant, um sie einfach so mitzuteilen.
"Betreffen ihre Ergebnisse die Squad denn direkt?", hakte Nick nach.
"Nicht unmittelbar, aber ihr Vorgesetzter meinte, sie hätten ein Anrecht darauf, zu erfahren, wie es mit ihrem Gefangenen weiter geht", erhielt er zur Antwort.
"Nun gut, ich denke, ich werde sie aufsuchen und mir das einmal ansehen. So etwa in einer halben Stunde?"
"Wie sie wünschen, First Sergeant."
"Dann in einer halben Stunde."
Sie verabschiedeten sich, dann wurde der Bildschirm des Kommunikators wieder schwarz. Ja, das klang doch zumindest nicht uninteressant. Und im Moment hatte Nick ohnehin nichts besseres zu tun.
"Wollen sie mich begleiten?", wandte er sich an Langfield, die das Gespräch mit angehört hatte.

"Natürlich", bejahte Myra die Frage und fischte ihre Beine von dem anderen Stuhl. Immerhin interessierte sie auch, was mit dem Gefangenen geschehen sollte. Aber sie musste sich noch etwas anderes anziehen. Und vielleicht ein wenig dezente Schminke auflegen. Und schnell musste es auch noch gehen.
"Geben Sie mir zwei Minuten", bat Myra. Nach exakt einer zwei Minuten fünf Sekunden stand sie, jetzt in einem Anzug, mitsamt ihrem einen Orden, vor First Sergeant Fendring und salutierte spaßeshalber.
"Bereit zum Ausmarsch, First Sergeant. Nach Ihnen."

Ordentlich erzogen, wie er trotz allem eigentlich war, griff er nicht direkt nach den Leckereien. Das kam ihm unhöflich vor.
Dass Natalia angeblich von ihm schwärmte, überraschte ihn aber schon ein wenig.
"Ach ja?", fragte er. "Was hat sie denn so gesagt?"
War doch interessant, das zu fragen. Dass es möglicherweise eigentlich nicht angebracht war ... So weit dachte er dann doch nicht.
Immerhin schaute er kurz etwas irritiert zu Natalia.

Natalia schaute mit ernstem Blick beinahe drohend schon zu ihrer Mutter, welche lediglich schmunzelte. "Naja, so einiges.", sprach Anna schließlich doch ausweichend. Natalia schüttelte lediglich ein wenig den Kopf und ließ ihre Nase in ihrer Tasse mit Kaffee verschwinden. Das war doch nicht zu glauben... sie hatte doch nicht geschwärmt. Sie hatte lediglich von der Truppe erzählt und die einzelnen Mitglieder etwas näher erläutert. Was hätte sie auch sonst großartig für Gesprächsthemen nehmen sollen bei einem der Telefonate?
"Sie hat sich aufgeführt wie ein verträumtes Schulmädchen... Da gibt es einen Mann der mir so gut gefällt, er ist irgendwie ziemlich cool und so weiter...", warf Nicole einfach von der Seite ein. Natalia schaute nahezu schockiert zu ihrer jüngeren Schwester, während sie ein wenig zu auffällig rot im Gesicht wurde. Schließlich holte sie aber aus und boxte Nicole gegen die Schulter, welche sich jene nach einem kurzen "aua!" rieb, schließlich aber in sich hinein kicherte. "Sie übertreibt etwas... so wie immer.", sprach sie nahezu beschwichtigend zu Eames. "Ja von wegen...", erwiderte Nicole dabei lediglich und kassierte von Natalia einen weiteren nicht all zu groben Schlag gegen die Schulter.

Nick nutzte die zwei Minuten, die Langfield sich ausbat, um selbst aus seiner Galauniform, die er zur Anhörung vor Gericht getragen hatte, heraus und in etwas hinein zu kommen, in dem er sich weniger verkleidet vorkam. Eine ganz normale Uniform war ja wohl vollkommen genügend um in einem wissenschaftlichen Labor aufzuschlagen. Schließlich war das, so wie er die Sache interpretierte, ein ganz und gar inoffizieller Termin. Nick hatte insofern nicht nennenwert weniger Zeit als seine Begleiterin von der Polizeistaffel benötigt und somit zumindest nicht auf diese warten müssen.
"Sind sie mit den Hintergründen, wie es zu dieser Gefangennahme kam, vertraut", eröffnete er das Gespräch während sie Seite an Seite durch die Gänge des Turms schritten. Langfield war schließlich erst später zur Einheit gestoßen und er war sich nicht sicher, inwieweit sie sich in ihre alten Einsatzberichte eingearbeitet hatte. Falls Enlay ihr nicht alles lang und breit dargelegt hatte, dann mochte sie vielleicht nicht einmal wissen, dass sie damals einen Gefangenen gemacht hatten.

"Ich habe Ihre Einsatzberichte zwar gelesen und meine auch mich an einen Gefangenen erinnern zu können, aber helfen sie meinem Gedächtnis doch noch einmal auf die Sprünge", bat Myra und stiefelte weiter neben dem First Sergeant her. Diese Enheit der Recon hatte vor diesem Einsatz erst zwei weitere durchgeführt. Zwar hatte Myra die Einsatzberichte zusammen mit dem Brief über ihre Versetzung bekommen, aber es war zu viel noch abzuschließen gewesen. Sie hatte ihre eigenen Berichte schreiben müssen und dafür Sorge getragen, dass nach ihrer Versetzung bei der Sektion 2 alles wie gewohnt weitergehen konnte. Das war sie ihren Kollegen schuldig gewesen.

"Dein Verhalten spricht nicht wirklich dafür, dass sie Unwahrheiten erzählt", bemerkte Eames.
Er hob die Schultern.
Dann blickte er zu der Mutter.
"Natalia ist manchmal etwas seltsam. Sie ändert ihre Meinung ständig", sagte er. "War sie schon immer so?"

"Unsere Mission bestand darin, ein Lager der Brutes in einem alten Fabrikkomplex auszuräuchern", begann Nick zu berichten, "Wir hätten nie damit gerechnet, dass diese Halbirren auch nur auf die Idee kommen könnten, Gefangene zu machen, aber wie es scheint haben sie Spaß daran gefunden, irgendwelche armen Kerle in Gladiatorenkämpfen gegeneinander antreten zu lassen. Als wir ankamen gab es nur einen einzigen Überlebenden, den sie in einer Grube oder einem Schacht oder dergleichen eingesperrt hatten. Es war..." Nick zögerte ehe er weiter sprach. "... merkwürdig. Der Mann war in erstaunlich guter Verfassung. Ich hätte erwartet, dass er halb verrückt oder ein seelisches Wrack sein müsste, nachdem, was er erlebt hat. Oder dass die Strahlung ihm das Hirn zerfressen hat, so wie den Brutes. Aber er war in den Umständen entsprechend guter Verfassung, körperlich und geistig. Er hat sogar den Mumm aufgebracht, uns blöd zu kommen. War alles andere als kooperationsbereit, weshalb wir ihn der Militärpolizei übergeben haben. Über das, was seitdem mit ihm passiert ist, habe ich aber auch nichts gehört."

Natalias Mutter schaute Eames kurz fragend an und schaute dann zwischen ihm und ihrer Ältesten hin und her. Schließlich legte sie aber einen Blick auf welcher wirkte als schiene sie zu verstehen... Natalia selbst hatte Eames bei seiner Aussage angestarrt, sie wusste selbst nicht wirklich was sie davon jetzt halten sollte...
"Naja... hätte ich sie eher gekannt, dann hätte ich es ihnen früher gesagt. Sie ist eben eine Cavin... Mein Mann hatte es mit beiden Töchtern immer schon etwas leichter. Sie war schon immer sehr dickköpfig und das weiß sie auch, diese stete Veränderung ihrer Meinung kommt davon. Wenn sie sich etwas nicht eingestehen kann oder sich unsicher ist, dann übertüncht sie das damit ganz gerne. Das machen aber beide... Nicole genauso.", erklärte sie Westerfeld und kassierte entnervte Blicke von ihren Töchtern.
"Und du warst schon immer ein Plappermaul... Mom.", warf Natalia dabei ein und kassierte einen nach Oben zeigenden Daumen von ihrer jüngeren Schwester auf diese Aussage hin.
Anna lachte lediglich kurz und trank einen Schluck von ihrem Kaffee. "Tja so ist das... aber warum die Frage, Eames? Ist irgendetwas spezielles vorgefallen?", fragte sie ihn um nachzubohren.

"Man sollte doch meinen, dass dieser Gefangene über seine Befreiung entzückt wäre, oder nicht?", warf Myra ein, während sie mit dem First Sergeant Schritt hielt. Die beiden durchquerten eine ganze Anzahl Gänge im Turm, wobei ihnen die Beamten und Soldaten zunickten. Meistens erwiderte Myra den Gruß mit einem Nicken und einem Lächeln. Sie kannte sogar einige von den Leuten hier, hatte früher mit ihnen zu tun gehabt, wenn mal wieder ein Bericht verfasst werden musste.
"Vor allem, wenn sein geistiger Zustand so weit über dem der Brutes lag. Naja, wir werden schon sehen, was die MiPo aus ihm rausbekommen hat."
Mit einem Schritt war Myra vor dem First Sergeant und hielt ihm die Tür zu dem Raum auf, der ihr Ziel war.

"Es war wohl weniger der Umstand seiner Befreiung, als vielmehr die Tatsache, dass wir ihn direkt erneut gefangen nehmen mussten, die ihm missfallen hat", sinnierte Nick mit einer Prise schwarzem Humor, "Wie sie wissen waren wir gezwungen, den gesamten Komplex vernichten zu lassen. Für unseren unfreiwilligen Begleiter bedeutete das, dass er sich entweder ebenfalls in Grund und Boden bomben lassen oder aber uns nach Talon begleiten musste. Und für letztere Option mussten wir gewisse Routine-Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, mit denen er nicht ganz einverstanden war. Er wäre wohl lieber dort draußen im Ödland geblieben. Warum auch immer... Danke ihnen!" Er trat durch die Tür, die Langfield ihm aufhielt, und fand sich in einem langen Gang wieder, von dem links und rechts Türen abzweigten, deren aufgedruckte Beschriftungen und Biohazard-Symbole jedem Unbefugten strikt den Zugang verboten.
Es dauerte nicht lange, bis sie sich zu Dr. Turners Labor durchgefragt hatten. Die Wissenschaftlerin begrüßte sie freundlich, aber mit der kühlen Distanz jener, die mit der Berufsgruppe des jeweiligen Gegenüber naturgemäß nur wenig anzufangen wissen.
"First Sergeant Nicholas Fendring", stellte Nick sich noch einmal vor, "Das ist meine Kollegin Lieutenant Myra Langfield von der Sektion 2 der P.E."

Vorschriftsgemäß salutierte Myra und grüßte selbst noch einmal: "Sehr erfreut Sie kennen zu lernen."
Das Labor war ausgesprochen stereotyp eingerichtet. Überall standen die Tische herum, die aus dem Manufaktorium Talons zu tausenden ausgespuckt wurden. Darauf lagen, standen oder kullerten allerlei Gerätschaften. Aber, wie Myra anerkennend bemerkte, war der Schreibtisch an sich in tadellosen Zustand. Die Wissenschaftlerin schien mit ihrem Bericht beschäftigt gewesen zu sein.
Eine weitere Türe, versehen mit einer gewaltigen Menge Sicherheitsmaßnahmen, führte in einen angrenzenden Raum.
"First Sergeant Fendring war so freundlich mich über ihre Aufgabe und die Umstände, unter denen der Probant zu ihnen gelangt ist, zu informieren. Ich bin gespannt darauf, was sie erfahren haben."

Dr. Turner schüttelte ihnen beiden kurz die Hand, dann bedeutete sie ihnen zu folgen und führte sie zu ihrem Computer, wo sie sogleich einen Haufen Charts mit Daten aufrief, aus denen ein Wissenschaftler sicher einiges an Informationen ziehen konnte, die für Nick jedoch nicht mehr als bunte Punkte und Linien darstellten, aus denen er gar nicht erst versuchte schlau zu werden. Abwartend blickte er deshalb zu Turner, darauf vertrauend, dass sie ihre Erkenntnisse in für Normalsterbliche verständliche Worte zu packen verstand.
"Wir haben ihren Patienten nach seiner Einlieferung hier einem vollständigen medizinischen Standardcheck unterzogen", tat sie ihm sogleich den Gefallen und begann, "Ich kann ihnen gleich sagen, dass er gesund war. Und das hat uns stutzig gemacht. Dank der Sensoren ihrer Anzüge hatten wir eine ganz gute Vorstellung von der Umgebung, der er ausgesetzt war und auch wenn er sich generell nicht eben gesprächsbereit gegeben hat, hat er uns zumindest verraten, wie lange er gefangen war. Sämtlichen Standardmodellen zufolge kann es als praktisch unmöglich angesehen werden, dass die Strahlung über einen solchen Zeitraum keine Schäden bei ihm angerichtet hat. Wir haben ihn deshalb einer Genomsequenzierung unterzogen."
Turner rief ein paar weitere Dateien auf. Auf einem Bild konnte Nick Chromosomen erkennen, doch Turner lenkte ihre Aufmerksamkeit stattdessen auf eine andere Graphik, die aus zahlreichen Strichmustern bestand. Mit dieser konnte Nick selbstverständlich wieder nichts anfangen, ein frustrierendes Gefühl. "Wie sie hier erkennen können trägt der Patient Mutationen auf mehreren Allelen des 12. und 14. Chromosoms", redete Turner ungeachtet dessen weiter, "Die entsprechenden Sequenzen codieren für gewisse Reparationsproteine. Wir haben mal eine Simulation der Struktur errechnet und festgestellt, dass deren Aktivität gegenüber der Wildform um einen Faktor von über zehntausend erhöht ist. Noch sind wir nicht so weit, dass wir Tierversuche hätten durchführen können, aber wir vermuten stark, dass diese Mutation der Grund für seinen bemerkenswerten Gesundheitszustand ist."
"Und das bedeutet...?", hakte Nick nach, dem die wissenschaftliche Fachsprache der Doktorin entschieden zu hoch war.
"Der Mann ist praktisch immun gegen die Auswirkungen der radioaktiven Strahlung da draußen."

"Hm ... Sie hat mich aus ihrem Zimmer geworfen", erklärte er mit einem leisen Seufzen und lehnte sich dann zurück.
"Aber ich denke, das sollte sie dir vielleicht erklären."
Er hob leicht die Lippen zu einem Lächeln und schaute Natalia an.
Dann begann er ein wenig Kaffee zu trinken, um allenfalls Natalia das Wort zu überlassen.

"Solange aber kein Weg gefunden ist, wie wir uns das zu Nütze machen können, ist diese Entdeckung zwar beeindruckend, aber von nur wenig praktischem Nutzen. Ein unwilliger Probant ist von nur wenig Nutzen für die Recon oder die anderen Einheiten. Ich vermute, dass ihre Priorität also im Finden einer Möglichkeit liegt diese Eigenschaft des Probanten allgemein anwendbar zu machen?"
Allzu schnell hatte Myras Begeisterung ob dieser Entdeckung nachgelassen. Aber es stimmte nun einmal. Die Entdeckung an sich war beeindruckend, aber solange sich daraus kein praktischer Nutzen für die Bewohner Talons ziehen ließ war sie trotz allem wertlos. Sie war keine Wissenschaftlerin und hatte in der Schule den Biologieunterricht eher verschlafen, aber vielleicht kannte die schlauen Köpfe ja Mittel und Wege.

Wortlos schaute Natalia zu Eames, stieß dann die Luft aus und stand von ihrem Platz auf. "Ich muss mal schnell wo hin...", meinte Natalia mit einem Unterton in der Stimme welcher erahnen ließ wie zornig sie in diesem Moment war. So ging sie in das Badezimmer der Wohnung ihrer Eltern, verschloss die Tür hinter sich und setzte sich auf den Rand der Badewanne des kleinen Raumes.
Es hatte sich um eine Ausflucht gehandelt um dieser Situation zu entgehen... sie fühlte sich vollkommen bloßgestellt und dem Umstand gegenüber, dass Eames da auch noch so bereitwillig mitmischte, herrschte eine gewisse Fassungslosigkeit in ihr vor. So rieb sie sich die Schläfen und versuchte dem ganzen zumindest in Gedanken ein wenig zu entfliehen.

Währenddessen hatte Natalias Mutter ihre Tasse mit Kaffee abgestellt und räusperte sich leise. Sie kannte ihre Älteste sehr gut und hatte im Laufe der Jahre einen guten Riecher dafür entwickelt was in ihr vorgehen könnte. Offenbar war der Bogen ziemlich überspannt worden... "Hören sie... Natalia war immer schon sehr stur und das einzige was ihre Dickköpfigkeit überragte war ihr Stolz. Sie hat immer ihre Karriere und ihre persönliche Laufbahn über zahlreiche andere Dinge gestellt, auch oft genug über ihre eigene Familie. Aber ich habe sie trotzdem sehr, sehr lieb und ich weiß auch, dass sie dies insgeheim auch so sieht... Meine Tochter hat sie wirklich sehr gerne, Eames.", erklärte sie Westerfeld. "Was Anna damit sagen will, meine Schwester fährt ziemlich auf dich ab.", warf Nicole in Richtung von Eames ein. Dabei seufzte deren Mutter kurz und warf ihr einen Blick zu auf welchen Nicole lediglich mit den Schultern zuckte.
"Alles weitere liegt bei ihnen, Eames. Aber es würde mich nicht wundern, wenn sie das was eben passiert ist wieder etwas zurückgeworfen hat. Nur weil sie sich gerne hart und eigenständig gibt, so muss das nicht heißen, dass ihre Gefühlswelt auch so stabil ist. Sie sollten vielleicht mit ihr reden."

"Das ist allein eine Frage der Zeit", erwiderte Dr. Turner selbstsicher, "Die Sequenzen sind vollständig entschlüsselt. Sobald wir zweifelsfrei geklärt haben, dass sie gutartig und nutzbringend sind ist es uns möglich, die Mutation auch in das Genom von Menschen einzubringen und ihnen diese Resistenz zu verschaffen."
"Ein nicht zu verachtender Vorteil für alle, die aus Talon hinaus müssen...", kommentierte Nick trocken, wenngleich nicht unbedingt begeistert. Er verstand nicht viel von dem, was Dr. Turner da in ihrer kühlen Art berichtete, aber für ihn klang es wie modernes Hexenwerk.
"Wir planen nicht, in das Erbgut von Soldaten einzugreifen, wenn sie das meinen, First Sergeant", gab Turner zur Antwort, "Das ist auch mit den modernen Methoden der Biochemie ein wirklich vielversprechendes Unterfangen. Aber es wäre möglich, das Genom von Embryonen zu manipulieren und den daraus entstehenden Kindern eine Resistenz zu verleihen." Sie wandte sich in ihrem Drehstuhl Nick zu, musterte dessen mehr als skeptische Miene mit indifferentem Blick. Dann zuckte sie mit den Achseln. "Ich bin Wissenschaftlerin. In einer verstrahlten Welt wie dieser muss ich weiter denken, als bis zu irgendwelchen kurzfristigen Erfolgen, wie sie Militärs sie anstreben. Uns persönlich wird das hier wohl kaum weiter bringen. Aber die Menschheit an sich könnte davon gewaltig profitieren."

"Eine wirklich bahnbrechende Entdeckung, die sie da gemacht haben, Doktor", lobte Myra, ganz Pressesprecherin der Sektion 2, und gab gleich darauf zu bedenken: "Aber der Boden wird zu weiten Teilen weiterhin verseucht bleiben. Immerhin werden sie der Menschheit damit ein paar wertvolle Kilometer erkaufen. Das kann man, denke ich, mit Fug und Recht als gewaltigen Erfolg bezeichnen."
Mit feierlicher Miene salutierte Myra wieder einmal und wandte sich dann zu Fendring um, dessen skeptische Miene sie belustigte. Leicht schmunzelnd wandte sie sich also an den First Sergeant.
"Ihre Kinder werden wohl noch nichts davon haben, First Sergeant, aber vielleicht ihre Großkinder. Wenn diese Forschung weiter betrieben wird, erschließt sich Talon ein nicht zu verachtender Teil der Badlands. Die Stadt platzt doch ohnehin schon fast aus den Nähten. Ein wenig mehr Platz kann ihr nicht schaden. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, Doktor Turner."

Eine bissige Antwort – etwa, dass er als Militär über Ergebnisse mit kurzfristiger Wirkung, die ihn am Leben halten konnte, wesentlich erfreuter gewesen wäre – lag Nick auf der Zunge, doch er hielt sich zurück. Dr. Turner mochte eine etwas verschrobene Persönlichkeit sein, aber das rechtfertigte nicht, dass er ebenfalls schroff geworden wäre. Und bis zu einem gewissen Grad war ihre Erkenntnis ja tatsächlich beeindruckend. Auch, wenn die Genmanipulation von Embryonen doch wohl auch eine ethische Komponente enthielt, die die Wissenschaftlerin komplett unterschlagen hatte. Die gewährten Vorteile konnten ja wohl nicht alles sein, was zählte, oder?
Um einen Streit oder zumindest böses Blut zu unterbinden wechselte Nick das Thema. "Was ist eigentlich nach den Untersuchungen aus dem Gefangenen geworden?", fragte er nach, "Läuft der jetzt irgendwo frei in Talon rum?"
Dr. Turner schüttelte den Kopf. "Der Mann hat sich wie erwähnt bisher wenig kooperativ gezeigt, gerade im Hinblick auf die Fragen, die die Kollegen von der Militärpolizei an ihn hatten. Soweit ich weiß befindet er sich nach wie vor in Gewahrsam. Wenn sie wollen können sie ja einmal bei ihm vorbei schauen. Vielleicht bekommen sie ja mehr aus ihm heraus."