Kyusta (MSG)

Wo sie Mira kennengelernt hatte. Niyah lächelte leicht.
„Ich hab sie hier auf der Akademie kennengelernt. Weißt du, ich war ja eigentlich auf der Akademie der Wa’ankinu, aber als ich meine Kyusta Noah fand, war klar, dass sich in dem Bezug mein Vater durchgesetzt hatte, ich musste die Akademie wechseln und herkommen. An einem meiner ersten Tage bin ich mal wieder verloren durch die Akademie geirrt, ich wollte niemanden fragen wo es hergeht, da hat Mira mich angesprochen und gefragt, ob sie mir helfen kann.
Wir sind dann relativ schnell Freundinnen geworden!“
Als Niyah daran dachte, dass sie früher sogar noch schüchterner gewesen war, als es heute der Fall war, musste sie den Kopf schütteln. Dass sowas überhaupt möglich war.
„Und…wie hast du Mira kennengelernt?“, Niyah schaute kurz auf, richtete ihren Blick dann jedoch schnell wieder aufs Bett. Immerhin schaffte sie es irgendwie das Gespräch am Leben zu halten und sie fand, dass sie gar nicht mal so einsilbig redete, sie hatte in ganzen Sätzen geantwortet, was schon ein Fortschritt war, so im Vergleich zum letzten Jahr.

Das Gespräch ihrer beiden Freundinnen konnte noch nicht weit fortgeschritten sein, als Mira auch schon wieder auftauchte, weitere Kissen in der einen und den auf eine Flasche aus grünem Glas gezogenen Wein in der anderen Hand. Mit einem breiten Grinsen auf den Zügen, dass weniger einem konkreten Anlass als schlicht dem allgemeinen Gefühl von Glück und Wohlbefinden, dass sie in diesem Moment empfand, geschuldet war, ließ sie sich in eine freie Ecke des Betts fallen und zog einen Zipfel der Decke über ihre untergeschlagenen Beine. Routiniert, wie jemand, der soetwas häufiger tut, entkorkte sie die Flasche, nahm einen tiefen Schluck des süßen Weins und reichte sie dann an Niyah weiter.
Noch lange kreiste die Flasche zwischen den drei Freundinnen hin und her und noch lange erklangen leise Gespräche, immer wieder vom Kichern der Mädchen unterbrochen. Der Mond zog über die verglaste Dachschräge seine Bahn und Stunde um Stunde ging ins Land, bis Müdigkeit und Erschöpfung – der Alkohol hatte wohl auch seine Finger mit im Spiel – ihren Tribut forderten und die drei Freundinnen eine nach der anderen hinweg dämmerten.

Die Sonne war es, die Sayeth weckte. Durch die Dachschräge schien sie ihr mit aller Gewalt ins Gesicht und egal, wie sehr Sayeth versuchte sich irgendwas über den Kopf zu legen, kühler wurde es davon nicht.
Schliesslich setzte sie sich ergeben auf und blinzelte in die Sonne. Blödes Ding. Hier schien sie doch eher selten. Warum ausgerechnet heute so heftig?! Sie stand zur Zeit direkt zwischen zwei Steinsäulen, wo diverse Vögel kreisten.
Sayeth brummte der Kopf. Links von ihr schlief Mira, rechts von ihr Niyah. Sie gab sich alle Mühe, die beiden nicht zu wecken, als sie aus dem Bett kletterte. Man, am liebsten hätte sie einfach auf den Boden gereihert. Von draussen erklang fröhliche Musik. Das Fest ... es war immer noch in vollem Gange.

Sie wachte von einer Bewegung neben sich auf. Nanu, was war denn das? Sie war es nicht gewöhnt, dass sich etwas bewegte, wenn sie schlief, doch als sie die Augen öffnete sah sie gerade noch Sayeth aus dem Bett klettern. Ahja, da war ja etwas gewesen. Ihr Schädel brummte leicht. Der Himbeerwein. Zucker, Alkohol, keine gute Kombination. Immerhin waren die Nachwirkungen noch erträglich, ein leichtes hintergründiges Brummen und ein flaues Gefühl im Magen, vielleicht hatte sie auch einfach nur Hunger, was hatte sie als letztes gegessen und vorallendingen: wann?
Gähnend setzte sie sich auf und schaute zu Sayeth hinüber, die doch tatsächlich ein wenig blass um die Nasenspitze wirkte.
„Morgen!“, flüsterte sie leise, so leise, dass sie sich nicht einmal sicher war, dass Sayeth sie wirklich hören würde, „Alles klar bei dir?“
So wie Sayeth aussah war nicht alles klar, andererseits konnte das auch einfach nur vom Schlaf kommen, all zu viel hatten sie ja alle nicht davon gehabt.
Niyah streckte sich, ihre Gelenke knackten laut. Erschrocken schaute sie zu Mira hinüber. Hatte sie ihre Freundin damit geweckt?

Liegen bleiben. Das war alles, was Mira wollte. Sie war wach, seit einer ganzen Weile schon. Aber aufstehen? Nein, auf keinen Fall! Liegen bleiben! Zu müde! Sie konnte nicht mehr einschlafen, aber aufstehen, das kam überhaupt nicht in Frage. Es war so schön warm hier im Bett, so schön weich. Und sie fühlte sich so wohl. Wenn sie jetzt aufstand, dann wusste sie nicht, ob die unvermeidlichen Kopfschmerzen sich nicht einstellen würden. Sie wusste, dass sie gestern zu viel getrunken hatte. Es würde sie nichts wundern, wenn sie das nun mit einem Schädel bezahlen musste. Aber solange sie liegen blieb spürte sie nichts davon. Wenn sie einfach liegen blieb, dann konnte ihr nichts passieren.
Nur... langsam regten die anderen beiden sich auch. Waren also auch wach. Im Klartext hieß das für Mira selbstverständlich: sie würde auch aufstehen müssen. Vorsichtig öffnete sie erst ein Auge, dann beide, blinzelte. Langsam hob sie den Kopf, richtete sich auf. Ja, da war etwas. Ein dumpfes, taubes Gefühl in ihrem Hinterkopf. Aber es war erträglich. Erträglicher als sie angenommen hatte. Die Müdigkeit, die ihr noch immer bleiern unter den Lidern klebte, war schlimmer.
"Morg'n, Mäd'ls", nuschelte sie in die Runde, robbte zur Bettkante und erhob sich tapsig. Der steinerne Fußboden fühlte sich furchtbar kalt unter ihren nackten Füßen an. "Bleibt lieg'n, ich schau' mal, ob ich Frühstück auftreib'n kann..."

"Wah, ich hab nicht wirklich hunger", ächzte Sayeth, die Nyiahs Frage gar nicht wirklich realisiert hatte. Dafür wurde ihr beim Gedanken an Essen regelrecht übel.
"Wasser ... wasser wäre toll", meinte sie dann. Sie trat ans Fenster. "Alle Götter, was haben wir da gestern nur gesoffen?!"

Wasser? Das würde das geringste Problem sein. Wasser konnte sie allemal auftreiben. Aber zumindest war Mira selbst betraf, so würde sie sich nicht mit Wasser allein zufrieden geben. Ihr Magen knurrte. Ob es wirklich klug war, ihm jetzt schon allzu viel zuzumuten, das stand auf einem anderen Blatt, aber Mira war fest entschlossen, es zumindest zu versuchen. Unsicherer als sie das von sich gewohnt war – ganz schienen die Nachwirkungen von gestern Abend noch nicht verflogen zu sein! – stieg sie die Treppe hinunter und sammelte in der Speisekammer zusammen, was sie auf die Schnelle an Brot, Früchten und Rahm entdecken konnte. Beladen mit einem Korb mit diesen Errungenschaften und einer tönernen Karaffe Wasser machte sie sich wieder auf den Weg nach oben (wobei sie gegen einen Türrahmen taumelte und fast gestürzt wäre) und breitete dort alles vor ihren Freundinnen aus. Nun plötzlich doch ein wenig unsicher, was zu essen sie sich zutrauen konnte, ließ sie ihren Blick von einer Speise zur nächsten wandern. "Und was nun? Was ist der Plan für heute?", fragte sie in die Runde um ihre Unsicherheit zu überspielen.

"Schlafen", antwortete sie sofort, lachte dann aber. "Nein, im ernst ... ich würd eigentlich gerne mal eine der Säulen erklettern und dann eine Runde fliegen gehen, oder so ... Oder wir könnten ein wenig schwimmen gehen, das weckt den Geist ..."
Sie griff nach dem Wasser und trank gleich aus der Karaffe.

Niyah überlegte kurz. Was wollte sie machen? Sayeths erster Idee konnte sie nur zustimmen. Schlafen. Sie fühlte sich müde, gerädert und hätte wahrscheinlich alles für ein paar weitere Stunden Schlaf gegeben, aber es war auch doof allein hier zu bleiben, während die anderen etwas unternahmen. Damit würde sie sich ja selbst ausschließen und das schaffte sie zumeist schon, wenn sie dabei war, gar nicht erst mitzukommen schoss sie ins Aus.
Eine Runde fliegen hörte sich da schon viel besser an. Unternehmungslustiger irgendwie. Und sie hatte Noah seit gestern nicht mehr gesehen. Sie würde sicherlich auch ungeduldig hier herumhüpfen. Ihre Kyusta mochte so viele Leute auf einem Haufen nicht, da hatte sie nicht so viel Platz zum Fliegen, Kunststücke zu machen und sich auszutoben. Vielleicht konnte man ja ein Stück weiter weg fliegen.
Zum Klettern hatte sie auch noch Lust, aber Schwimmen, sie schwamm zwar sehr gerne, aber heute war sie irgendwie nicht so ganz in der Stimmung dazu.
„Lasst uns auf eine der Säulen klettern und von dort aus einen kleinen Rundflug machen. Vielleicht können wir etwas zum Picknicken mitnehmen, dann können wir ein bisschen aus der Stadt raus, was meint ihr?“, schlug Niyah leise vor. Sie wollte den anderen nicht das Schwimmen ausreden, aber sie würde wahrscheinlich im Zweifelsfall einfach draußen bleiben und warten.

"Beim Schwimmen wäre ich dabei", stimmte Mira zu, "Aber klettern... besser nicht. Glaube nicht, dass ich momentan sicher genug wäre. Nicht in diesem Zustand.." Mira war eine herausragende Kletterin, eine selbstbewusste Kletterin und sich dieser Stärke auch voll bewusst. Aber zeichnete es nicht eben das Können aus, sich selbst soweit einschätzen zu können, dass man auch einmal 'Nein' sagte? Zum Vorschlag eines Rundflugs antwortete sie gar nichts. Der kam für sie ohnehin nicht in Frage. Siraex war eine mächtige Bestie, aber nicht groß genug, um sie zu tragen. War es nicht irgendwie paradox, dass ausgerechnet sie als Vra'ankinu die einzige hier war, für die das Fliegen ausfiel? Mira konnte nicht verhindern, dass ein leichtes Gefühl von Neid in ihr aufflammte. Doch sie wischte es rasch wieder weg.
"Wir sollten aber nicht zu lange fort bleiben", beeilte sie sich hinterher zu schieben, "Die Feier wird heute weiter gehen und das können wir doch unmöglich verpassen wollen. Sowas erleben wir nur einmal in unserem Leben..."

(iiich hab irgendwie gar nicht gerafft, dass hier gepostet wurde o.O)


Sayeth seufzte auf. Man, die eine wollte dieses, die andere wollte jenes.
"Was machen wir denn nun? Schwimmen oder klettern?", ächzte sie. "Beides geht nicht ... wir könnten natürlich auch auf eine der Säulen gehen, in die eine Treppe gehauen wurde ... und von da oben ein wenig die Aussicht geniessen."
Treppen in den Säulen waren zwar rar, doch es gab sie.
"Ist das ein Vorschlag?"

Leise seufzte Niyah. Sie hatte zwar keine besondere Lust aufs Schwimmen, sie konnte sich wirklich Schöneres vorstellen, gerade, da sie geradeerst von ihren Eltern zurückgekehrt war und man bei den Wa’ankinu niemals darum herumkam mindestens einmal am Tag zu schwimmen, doch sie wollte ihren Freundinnen auch nicht den Tag dadurch vermiesen, dass sie ihren Kopf durchsetzte. So war sie einfach nicht. Da steckte sie lieber zurück. Im Prinzip Tauchen ja auch, das konnte sie auch machen, anstelle zu Schwimmen. Vielleicht würde der Spaß ja kommen, wenn sie erst einmal am Tauchen war?
„Ich bin ja der Meinung, dass deine Idee gut ist, Sayeth, aber wenn ihr beiden lieber Schwimmen wollt, komme ich auch wohl mit, habe aber ehrlichgesagt nicht ganz so viel Lust darauf. Ich musste in den letzten Tagen so oft Schwimmen und kann die nächsten Tage getrost darauf verzichten.
Aber auf die Säulen klettern, oder auch die Stufen nehmen. Das klingt gut, ich bin ehrlichgesagt noch nie auf eine Säule gelangt, indem ich die Stufen hochgegangen bin und das obwohl ich schon einige Zeit hier war.“
Sie lächelte. Es war doch gar nicht so schwer gewesen ihre Meinung zu sagen, man musste sich nur erst einmal dazu bekommen.

Am Ende einigten sie sich darauf, dass sie sich nicht einig waren. Oder besser gesagt: Mira entschied, dass es bei dieser Entscheidung bleiben sollte. War ja auch offensichtlich, dass nichts mehr dabei raus kommen würde, wenn sie noch länger diskutierten. Jede von ihnen wollte etwas anderes und wenn sie jetzt hocken blieben, bis sie sich einig waren, dann wären am Ende zwei unglücklich. Oder aber, der Tag war soweit fortgeschritten, dass sie auch gleich wieder ins Stadtzentrum zum feiern gehen konnten.
"Gehen wir!", verkündete Mira also und schwang sich, nach dem Frühstück nun wieder mit mehr Elan, auf die Beine. Die Nachwirkungen des vorigen Abends flauten zusehens ab und ihr unzerstörbarer Optimismus übernahm wieder die Oberhand. Mäßig sicher, aber doch flott tappte sie, die Linke zur Sicherheit auf dem Handlauf, die Treppe hinunter und suchte an deren Absatz nach ihren Stiefeln. Ihr Plan war, die beiden Freundinnen einfach aus der Stadt hinaus zu führen. Wenn sie erst einmal zwischen den Säulen waren, dann konnten sie immer noch tun, worauf sie gerade Lust hatten. Mussten ja auch nicht alle das selbe machen. Es gab Säulen, die nahe am oder unmittelbar im Wasser standen, sodass die, die klettern wollten, das konnten während die anderen schwommen. Und ihre Kyusta würden zweifelsohne auch früher oder später zu ihnen finden...

Auch Sayeth wurde zunehemds wieder munterer und fand auf dem Weg raus aus der Stadt so einige Gesprächsthemen, mit denen ihre Kolleginnen vollgeplappert wurden, ob sie nun hören wollten oder nicht.
Bald schon wurden sie dann auch von Raykin begleitet.
"Also, ich würde gerne mal da hochklettern", meinte Sayeth und deutete auf eine der Säulen.
"Oder es zumindest versuchen."

Trotz ihrer Aussage, sie wolle heute – oder zumindest so früh, da sie sich noch nicht wirklich sicher fühlte – nicht klettern hatte Mira ihre Ausrüstung mit auf die Wanderung aus der Stadt heraus genommen: Seil, Haken, Hammer, Felsnägel. Die Säule, die Sayeth auserkoren hatte, machte zwar auf sie nicht unbedingt den schwierigsten Eindruck, aber dennoch war sie in diesem Moment dankbar für diese Entscheidung. In einem besseren Zustand hätte sie, als erfahrene Kletterin, es vermutlich ohne Sicherung versucht. Es war schließlich keine allzu hohe Säule und die Westseite war nur mäßig steil. Aber Sayeth war weder so versiert im Klettern wie Mira, noch war sie in einem Zustand, in dem diese ihr den Aufstieg ohne weiteres zugetraut hätte.
"Nimm mein Material!", bot sie ihr deshalb an und nahm die Seilrolle von der Schulter, "Ich kann unten bleiben und sichern."

Ein kleines bisschen fühlte Sayeth sich ja schon in ihrem Stolz verletzt. Also wirklich, Kletterausrüstung, pfs.
Dennoch lächelte sie und nahm das Zeug entgegen.
"Dankeschön. Dann bleibt ihr beide also unten?", fragte sie, während sie zu der Säule marschierte.

Niyah schaute Sayeth mit etwas schief gelegtem Kopf an. Unten bleiben? Eigentlich hatte sie nur wenig Interesse daran, jetzt auf dem Boden zu bleiben, andererseits war es für Mira wahrscheinlich auch uncool, wennn sie allein zurücklbleiben musste. Sayeth wäre ja beschäftigt, aber Mira würde nicht all zu viel beim Sichern zu tun haben, nicht, wenn Sayeth sich gut anstellte.
"Was meinst du, Mira!", erkundigte Niyah sich schließlich bei ihrer Freundin, "Soll ich dir hier unten Gesellschaft leisten?"
Lieber konnte sie jemand anderen entscheiden lassen. Sie würde auch bei ihrer Freundin bleiben und sich mit ihr unterhalten, klettern konnte sie ja auch ein anderes Mal.

"Du kannst ruhig mit...", hatte Mira eben angesetzt als plötzlich ein gellender Schrei sie unterbrach. Ein Schatten glitt über die Köpfe der drei hinweg und landete einen Augenblick später in Gestalt eines mächtigen Eisenschwingenadlers auf einem Felsblock nicht weit entfernt. Es bedurfte nicht mehr als der Dauer eines Herzschlags, damit Mira erkannte, dass etwas nicht in Ordnung war. Etwas in den Bewegungen des Vogel stimmte nicht, etwas in der Art, wie er auf dem Felsen saß, wie er die Flügel hielt. Vorsichtig und gleichzeitig ungelenk. Und da war Blut in seinem Gefieder. Blut, dass nicht etwa von einem Beutetier stammte.
"Siraex!", rief Mira erschrocken aus und ehe die Freundinnen auch nur hätten versuchen können, sie aufzuhalten, war sie davon gestürmt und hatte mit bemerkenswerter Leichtigkeit, die sie sich selbst nicht zugetraut hätte, den Felsen erklommen. Es kostete Mira Überwindung, den verwundeten Adler nicht in die Arme zu schließen, als sie bei ihm an kam, doch sie hielt sich zurück. Siraex hasste Berührung. Stattdessen ließ sie sich vor dem Vogel auf die Knie fallen und blickte ihm in die großen, ernsten Augen. "Was ist passiert?", flüsterte sie, "Was ist passiert?"

Das ging schon ziemlich rasch. Syeth schaute Mira hinterher und legte ihre Hand an ihre Stirn, um die Augen in Schatten zu legen.
"Was ist?", rief sie nach oben, als sie sah, dass ihre Kollegin bei ihrem Kyusta angekommen war.
Hatte es eine Auseinandersetzung gegeben?
Sie hoffte nicht.

Es erschien Mira unendlich lange, bis Siraex endlich seinen Stolz aufgab und sie an sich heran ließ. Man hätte es dem Vogel kaum ansehen können, vielleicht ein wenig in der Körperhaltung, aber Mira, die ihm so eng verbunden war, wie das nur möglich war, spürte es. Vorsichtig, nur mit den Fingerspitzen sein Gefieder berührend, schob sie die Flügel des Adlers beiseite, suchte nach der Wunde. Es dauerte nicht lange, bis sie sie entdeckt hatte: ein gezackter Riss zog sich über den rechten Schenkel des Adlers, eine hässliche, offene Wunde wie von einem Zahn, einer Klaue. Kein Unfall, ein Angriff wohl eher hatte Siraex verwundet. Mira zweifelte nicht daran, dass der Adler selbst es gewesen war, der angegriffen hatte. Aber was auch immer er sich zur Beute erkoren hatte, hatte zurück gefochten. Und auch wenn die Blessur nur oberflächlich erschien, sie konnte dem Vogel auf sich allein gestellt das Leben kosten.
"Er ist verletzt!", rief Mira erklärend den Freundinnen zu und machte sich rücklings an den Abstieg, den Felsblock hinab, "Ich muss ihn in die Stadt zu einem Heiler bringen. Siraex, zu mir!"

Niyah konnte mit ihrer Freundin mitfühlen und wartete ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trappeln darauf, dass Mira wieder unten bei ihnen ankam, während es in ihrem Kopf ratterte. Sie wusste, dass Mira nicht auf ihrem Adler reiten konnte, jetzt erst recht nicht und der Weg in die Stadt würde lange dauern, wenn sie laufen musste. Sie wäre schneller, bei weitem schneller, wenn sie fliegen würde. Selbst, wenn Siraex nicht gut fliegen konnte, es wäre schneller, als jetzt zu laufen und den Vogel sinnlos noch Kraft vergeuden zu lassen, weil er fliegen musste. Nein. Da gab es eine andere Lösung, auch wenn Niyah sich sicher war, dass der ihrer Kyusta nicht all zu gut gefallen würde.
"Mira, zu Fuß bist du in die Stadt langsam. Ich kann Noah rufen, wenn du willst, sie würde dich schneller in die Stadt bringen!"
Eigentlich ließ sie nur äußerst ungern andere Leute auf ihrer Kyusta reiten, aber bei Mira war das etwas anderes, Mira war ihre beste Freundin und Noah kannte sie bereits, sie würde also wenig herumzicken, davon ging sie zumindest aus.

Es dauerte einen Augenblick, bis Mira den Sinn hinter den Worten der Freundin überhaupt erfasste. Nicht, dass sie langsam von Begriff gewesen wäre, aber derart durch den Wind, wie sie sich momentan fühle, fiel es ihr schwer irgendetwas Sinn zu entnehmen. Dann jedoch schüttelte sie langsam den Kopf. "Nein... es ist besser, wenn ich zu Fuß gehe", erklärte sie, "Ich werde Siraex tragen. Es ist besser so..." Sie ließ sich vor dem Adler, der ihr inzwischen hinab gefolgt war, auf die Knie hinab und schlang vorsichtig die Arme um seinen massigen Leib. Er war fast so groß wie ein kleiner Mensch und ebenso schwer und noch dazu machte er deutlich, dass er alles andere als begeistert davon war, sich wie ein Kind herum tragen zu lassen. Doch er hielt still. "Ich will euch den Ausflug nicht verderben", wandte sie sich, sich mit ihrer Last erhebend, an die Freundinnen, "Ihr könnt ruhig hier bleiben, wenn ihr wollt. Aber ich kann Siraex nicht alleine lassen."

"Ach wo", winkte Sayeth ab.
"Wir begleiten dich natürlich. Das steht ausser Frage."
Für sie war es eine Selbstverständlichkeit. Es ging hier schliesslich um einen Kyusta. Da mussten sie ihrer Freundin doch einfach beistehen.
"Lass uns gehn."

"Auf jeden Fall, wir bleiben bei dir!", stimmte Niyah zu und setzte sich in Bewegung, folgte ihrer Freundin zurück in Richtung Stadt.
Dabei betrachtete sie Siraex eingehend. Sie vergaß immer wieder, dass Siraex kleiner war als Noah, ein ganzes Stück kleiner sogar. Sie selbst würde es niemals schaffen, ihre Kyusta zu tragen, dafür war sie viel zu groß und zu schwer. Dafür konnte sie eben auf Noah reiten, was sie auch voll ausschöpfte, wann immer es ging. Der Wind, der ihr durch die Haare wehte war einfach das schönste Gefühl, was sie sich vorstellen konnte.
Hoffentlich war das mit Siraex nichts schlimmes. Mira musste es grässlich gehen, aber sie wusste auch nichts zu sagen, was sollte sie schon sagen? "Es wird alles wieder gut"? Nein, das klang viel zu abgedroschen, eine Standardfloskel. Da schwieg sie lieber.

Mira hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass die Freundinnen sie im Stich lassen würden. Sie fühlte sich ein wenig schuldig, ihnen derart den Ausflug durchkreuzen zu müssen, aber die Dankbarkeit, nicht von ihnen allein gelassen zu werden, überwog. Siraex, der den Kopf auf ihre Schulter gelegt und die Flügel folgsam angezogen hatte, wog schwer in ihren Armen und es dauerte nicht lange bis sie das Gefühl bekam, ihre Muskeln müssten jeden Moment reissen. Die Sorge um ihren Seelenpartner jedoch hatte Miras Kämpferwillen geweckt und so biss sie die Zähne zusammen. Sie wusste, dass Sayeth oder Niyah ihr augenblicklich mit ihrer Last geholfen hätten, hätte sie darum gebeten. Aber das hier war ihre Aufgabe. Das war sie Siraex schuldig.
Die Straßen von Curtis hatten sich gefüllt seit sie die Stadt am morgen verlassen hatten. Ankinu drängten sich dort, in Richtung des Zentrums drückend, wo die Feier weiter ging. Mira, die sich in der Stadt auskannte, jedoch, fand dennoch ihren Weg durch abgelegene Seitengässchen und über Hinterhöfe zum Haus eines Heilers. Sie kannte den Mann noch aus Kindestagen. Mehr als einmal hatte er sie selbst nach Unfällen wieder zusammen geflickt. Nun würde sich zeigen, was er für ihren Kyusta tun konnte. Man musste wohl von Glück sprechen, dass der Heiler zuhause und nicht wie der Großteil der Stadt auf der Feier war. Er erklärte sich sogleich bereit, für den Adler zu sorgen und nahm ihn Mira, die inzwischen wirklich dem Ende ihrer Kräfte angekommen war, ab. Die Tür des Hauses schloss sich vor ihnen und ließ die drei Mädchen allein in dessen Garten zurück.