GQ - [Die MSG]

Als Geralt seinen Freund Finn erblickte lächelte er trotz seiner Erschöpfung. Wärmer als sonst, wärmer als vorher. Vielleicht vor Erleichterung. Sie hatten überlebt, sie hatten gewonnen, einen Kampf, den sie nicht hätten überstehen sollen. Vielleicht. Vielleicht aber war es auch etwas anderes.
Immer noch an die Wand gestützt, aber schon wesentlich sicherer, kam Geralt ein paar Schritte auf Finn zu und lehnte sich bei ihm an die Wand. Er lächelte immer noch, auch wenn seine Augen sich mit Sorge füllten, als er sah, wie Finn humpelte, und dass sein Hemd mit Blut bedeckt war. Ohne Folgen war der Kampf an dem Jungen jedenfalls nicht vorbeigegangen.
"Ja. Mir geht’s gut. Jedenfalls besser als dir …"
Mit einem schiefen Grinsen, das auf seinem Gesicht wohl nicht nur ungewohnt aussah, sondern sich nachgerade ungewohnt anfühlte, ließ sich Geralt auf ein Knie herab und versuchte, einen Blick auf die Wunde zu werfen, die in Finns Bauch klaffte. Vorsichtig schob er das Hemd beiseite, wobei er sich kurz auf Finns Schulter abstützen musste, als ihm wieder kurz schwindelte. Wie ein rot vereister Riss zog sich die Wunde durch den hellen, flachen und völlig unvernarbten Bauch des Jungen. Der Kontrast schien die Verletzung nur noch schrecklicher zu machen.
"Jemand muss das heilen … verbinden."
Finn schaute skeptisch, eher von Sorge um Geralt als um sich selbst getrieben, wie es schien.
"Ich bin unverletzt … Wirklich."

"Seht beide scheiße aus", beschied Amun mit seinem üblichen Takt: "Rokling hat euch durch sein Nest gezerrt, runtergeschuckt und wieder ausgekotzt. So seht ihr aus! Heiler!" Das letzte Wort galt definitiv nicht den beiden, sondern einem Menschen mit Verbänden und mehreren Fläschchen, in denen es schimmerte und gluckerte. Möglichst vorsichtig befreite sich Amun von Geralt und zerrte den Heiler beinahe körperlich zu den beiden Verletzten. Kurz konnte man noch die Worte "Helden verdammte sind sie" hören, dann stand Amun mit seiner unfreiwilligen menschlichen Hilfe vor Finn und Geralt. Erneut schien sich der Avior größtmögliche Mühe zu geben ein beruhigendes Lächeln um seinen Schnabel zustande zu bringen. Es gelang ihm nicht wirklich.
"Versorgen sollt ihr sie! Sehen scheiße aus", beschied Amun dem Heiler, der anscheinend etwas überrumpelt war.
"Sorge keine müsst ihr haben. Sind alle versorgt drinnen und in keine Lebensgefahr. Allerdings ihr..."

"Ich... ich denke, ich bin... in Ordnung, oder?", stammelte Finn, als Geralt ihn auf seine Wunde ansprach. Er hatte zwar gewusst, dass sie da war, aber bisher hatte er sich gar nicht getraut, sie wirklich zu betrachten. Erst als sein Freund sich die Wunde ansah, viel ihm auf, wie schrecklich sie aussah. Aber er konnte sie wirklich nicht spüren und anderen, die gekämpft hatten, ging es sicher schlechter, um die sollte man sich zuerst kümmern. Doch angesichts Amuns rabiater Behandlung des Heilers bezweifelte er, dass er ihn einfach wieder wegschicken konnte. Also liess er die Behandlung einfach über sich ergehen. Angesichts der seltsamen Verbandmethode von Finns Bauchwunde schien der Heiler ziemlich verunsicherte, er fingerte ein wenig an dem Eis herum, zuckte dann aber mit den Schultern. Stattdessen wies Finn ihn leise auf seinen verstauchten Knöchel hin, der ihm viel mehr Probleme bereitete. Bei diesem wechselte er den Verband und legte irgendetwas auf, das zuerst ziemlich brannte, dann aber eine betäubende Wirkung hatte. Finn beschied, dass das genug war und überliess den Mann Geralts Wunden. Stattdessen trat er näher zu Amun.
"Wie... wie haben wir gewonnen? Und... und... was ist mit mir passiert?", fragte er den Vogelmenschen zögerlich.Tatsächlich konnte er sich nur undeutlich an das Kampfgeschehen erinnern. Die Visionen hatten sich klar und deutlich in seinen Kopf eingebrannt und er wusste auch, dass er mit irgend einer seltsamen Macht gekämpft hatte, aber was genau geschehen war, davon hatte er nur verschwommene Bilder, was schon Grund genug war, sich Sorgen zu machen, denn ansonsten konnte er sich an fast alles erinnern, dass er je erlebt hatte.

Intuitiv lenkte Aldred auf seiner Suche nach dem Schreinwächter seine Schritte zu der Kammer, in der er Nicole zurück gelassen hatte. Er mochte Droghan noch nicht lange kennen, doch irgendwie traute er dem Mann zu, die Schlacht nicht nur überlebt, sondern weitgehend unbeschadet überstanden zu haben. Und wenn er nicht selbst in einem dieser Betten vor sich hin siechte, dann würde er wohl bei Nicole sein. Er hatte sich fast noch mehr Sorgen um sie gemacht, als Aldred selbst das tat. Irgendetwas hatte er in ihr gesehen, dass der Schmied nicht voll verstanden hatte.
Doch als sie die Kammer betraten lag Nicole allein in ihrem Bett. Von Droghan - oder jemand anderem, der sich um sie kümmerte - war weit und breit keine Spur. Vorsichtig ließ Aldred sich neben ihr auf der Bettkante nieder. Ihre Brust hob und senkte sich kaum merklich, ihr Atem ging flach. Aldred pellte sich den arg mitgenommenen, blutigen Handschuh von der Rechten und legte sie auf ihre Stirn. "Sie glüht...", murmelte er, mehr zu sich selbst als zu irgendwem sonst. Er schlug die Decke zurück, löste die Verbände um Nicoles Bauch. "... aber die Wunde sieht gut aus." Er zog die Bandagen wieder straff. Nicole gab im Schlaf ein schwaches Stöhnen von sich. Sie erschien ihm blasser noch als er sie zurück gelassen hatte. Schwächer. Als zehre etwas an ihr. Doch Aldred hatte nicht den geringsten Schimmer, was man für sie tun konnte.

Iorweth hatte sich draussen noch etwas umgesehen, um sicher zu gehen, das alle Schattenreiter tot waren. Dann ging er in die Garnison, wo er Geralt und Finn traf. Freundlich nickte er den beiden zu."Wie fühlst du dich Finn?" fragte er freundlich.
Der Elf sah auch nicht gerade gut aus, hier und da hatte er leichte verletzungen und seine Kleidung war teilweise voller Blut.
"Ich brauche etwas zu trinken," schnaufte er kurz und blickte sich suchend nach seinem Beutel um. Vermutlich war dieser im Gasthaus.

Besorgt runzelte Alexander die Stirn, als Aldred sich Nicoles Wunden besah. Sie sah wirklich schwach aus - vielleicht war das Kloster wirklich die richtige Wahl. Falls das Mädchen - nein die junge Frau - die Reise überhaupt überstehen würde. Diese verletzliche, allzu sterblich scheinende Frau sollte Welines Ausgewählte sein? Die Entscheidungen der Göttinnen waren wahrlich zu viel für den Verstand eines Menschlichen. Warum hatte Weline sie nicht beschützt? Dieser und andere Gedanken schossen Alexander durch den Kopf, als er auf die liegende Nicole schaute. "Woher willst du wissen, dass sie die Auserwählte von Weline ist? Mir dünkt, dass Weline doch ihre Ausgewählte beschützen sollte oder etwa nicht?" Natürlich würde Aldred keine Antwort darauf wissen. Er war nur ein normaler Mensch, kein Schreinwächter oder ähnliches. Hoffentlich würden sie Droghan - so hieß der Schreinwächter doch oder? - bald treffen.

Für einen flüchtigen Moment schlug Nicole die Augen auf. Ein schwarzhaariger Mann beugte sich über sie, obwohl er sich ganz offenbar kaum noch auf den Beinen halten konnte. Seine Haut war grau, seine Augen von einer Dunkelheit bedeckt, die sie nicht ganz zuordnen konnte. Furcht überkam sie, doch sie war zu schwach, um sich zu bewegen. Ruckartig bewegte sich ihr Blick durch den Raum, doch der Mann zog ihn beinahe magisch an sich. Sie fühlte, wie er ihr einen Finger auf die Stirn setzte. Kühl, erfrischend. Seltsam, wo er doch zerbrochen schien, blutverschmiert. Ihre Schmerzen waren verschwunden. Hatte er sie geheilt? Oder war sie einfach nur taub geworden, ihr Körper gestorben?
“Du musst aus dieser Gestalt fliehen ... Deine Kräfte sind versiegelt.” Seine Stimme streichelte ihr Gesicht und sie bäumte sich leicht auf, weil es ihr für einen Augenblick etwas von ihrem Lebensgeist zurückgab. Aus dieser Gestalt? Welche Kräfte waren versiegelt? Sie war doch nur eine Sklavin. Wieso hatte sich die Welt dazu entschieden, sie so früh sterben zu lassen? Sie hatte eine Heldin werden wollen! Ein Schwert schwingen, Leben retten und Gutes tun, aber jetzt lag sie hier und wusste, dass sie nicht mehr lange hatte. Sie sah es in den Augen des Mannes. Obwohl seine Präsenz befremdlich war und er ihr Angst machte, war es, als wäre er ein Teil von ihr, eine längst verblasste Erinnerung an einen Traum. Woher kannte sie ihn? Was hatte er vor mit ihr? Mit wachsender Aufregung betrachtete sie, wie er über ihre Brust fuhr, die schmutzigen Locken fortwischte und ihr Göttinnenzeichen freilegte, welches matt flackerte. “Vielleicht ...” Sie schaute zu ihm, ihr Blick verschwamm kurz, ehe er ihn wieder klärte, wie auch immer er das tat. Was hatte er vor? Seine Arme hoben sich, er schälte sich aus seiner Brustrüstung und legte dabei eine Vielzahl an kleinen Verletzungen frei. Sein Körper war ebenso grau wie sein Gesicht, seine Muskeln sahen aus wie der Panzer einer uralten Schildkröte. Wollte er sich nun an einer Sterbenden vergreifen? Das konnte er nicht tun ... Verzweifelt zuckte sie mit den Fingern, fühlte sich wie gelähmt. “Ich werde deinen Segen tragen, deine Seele. Dein Körper wird vergehen, aber du wirst weiterleben, bis wir deine wahre Gestalt gefunden haben, in der du so sein kannst, wie du immer warst.” Wie sie immer war? Sie war Nicole, aber wofür hielt dieser Mann sie? Und wie wollte er an ihre Seele gelangen? Wie sollte sie ohne Körper leben? Sie wollte protestieren, als er ein Messer aus seiner Tasche hervorzog und begann, sich in die Brust zu ritzen, an dieselbe Stelle, an der ihr Mal lag. Nein. Er durfte sich nicht töten ... Niemand durfte ihretwegen sterben! Dieses Dorf, Heaven's Glade, all der Tod, all die Qual ... Das war nur geschehen, um sie zu beschützen. Aber womit hatte sie das verdient?! Ihr Leben war wertlos gegen das der anderen und sie durfte nicht zulassen, dass der Mann sich umbrachte, damit sie in dieser Garnision lag und starb, egal wie sanft seine Stimme war, egal wie bekannt er ihr vorkam ... Irgendjemand musste sich um ihre Freunde kümmern, um Aldred, der sie gerettet hatte, und Geralt, dessen Geschichte sie so gerne gehört hätte. Blutstropfen fielen wie Tränen auf das Bettlaken. Was war mit Finn, der dazu bestimmt war ein Magier zu werden? Amun'Raak und Iorweth, Seline und allen anderen? Sie in Stich zu lassen konnte sie nicht verantworten, aber sie wusste nicht, was sie tun sollte. Der Schmerz des Mannes schien sich auf sie zu übertragen, sich in ihrer Brust zu manifestieren, als könne sie mit einem Mal die Präsenz des Bösen spüren, was in ihren Körper gefahren war. Dann spürte sie, wie es zerbrach. Ein schwaches Glimmen legte sich über ihr Zeichen, sie hob eine Hand und beobachtete, wie diese mit jedem Atemzug rosiger wurde, ihre Haut sich regenerierte. Hier in diesem abgeschiedenen Hinterzimmer begann es plötzlich hell zu werden, obwohl es doch Nacht war, seit sie aufgewacht war, oder? Mit einem gurgelnden, herzerfrischenden Atemzug setzte sich die Blonde auf und bemerkte, dass der Mann kam, der sich für sie geschnitten hatte und sich kaum, dass sie aufgestanden war, was plötzlich so unglaublich leicht zu gehen schien, auf die Knie warf, obwohl sie sah, dass er Schmerzen litt. Während sie in seine Augen schaute, durchströmte sie eine seltsame Art von Liebe, eine Verbundenheit, die ihr aufgezwungen wurde, sich aber zugleich anfühlte, als wäre sie schon immer dagewesen, als wäre der Mann nur bereits verblasste Narben auf seiner Haut nachgefahren. Mit Tränen in den Augen wollte sie ihn wieder hochziehen, doch als sie nach ihm griff, erstarrte sie. Ihre Hand durchfuhr seinen Körper, als würde sie durch Wasser greifen. “Nein...Nein! Ich will nicht!” Ihre Stimme war nur ein Hauch, aber er hörte sie und stand auf, streckte ihr seine Hand entgegen. Panisch griff sie danach, und diesmal war sie kein Geist mehr, kein Schatten, und er zog sie zu sich und umarmte sie. “Wir können uns unser Schicksal nicht aussuchen. Dein Weg spaltet sich an dieser Stelle von unserem, aber du wirst wieder zu uns zurückfinden, wenn du akzeptieren kannst, wer du bist. Eine Göttin hat die Macht über alles, auch über den Tod. Du wirst sie wiedersehen...Bis dahin passe ich auf sie auf. ”

"Niemand kennt die Pläne der Göttinnen, aber sie ist nicht die Auserwählte von Weline." Scheinbar aus dem Nichts erschien der Schreinwächter in der Tür, ein Lächeln auf dem Gesicht. Sämtliche Erschöpfung schien aus seinem Körper getilgt worden zu sein, nur noch blasse Augenringe zeugten von einer ehemaligen Qual, doch jetzt war sein Teint gesund, seine Haare schwarz und seine Rüstung ganz. Er sah aus wie frisch gebadet. Nicole wiederum lag immernoch in ihrem Bett, schwach schnaufend, um ihr Dasein ringend. Die Ärmel des Mannes waren hochgekrempelt, als käme er gerade von einer Arbeit, doch in seinem Blick lag Strenge, Misstrauen, mit dem er den Neuankömmling fixierte. "Ich bin Droghan. Und das" Sein Arm wies auf Nicole, und ein sanftes, wissendes Lächeln legte sich über seine Züge. " ... ist Weline."

Eine starke Welle der Antipathie überrollte Aldred schier als der Schreinwächter den Raum betrat. Solange er ihn nicht gesehen hatte, solange sie dort draußen gekämpft hatten, hatte er sich mit ihm abfinden können, hatte sogar akzeptieren können, dass der Mann es gut mit ihnen und besonders mit Nicole meinte. Nun, da er ihm wieder ins Gesicht blicken musste, spürte er wieder die tiefe Abneigung gegen diesen in seiner Brust aufsteigen. Aldred hielt sich selbst für einen offenherzigen Menschen, doch mit diesem würde er einfach nicht mehr warm werden.
"Die Göttin selbst also... mehr als nur ein einfaches Sklavenmädchen... Deshalb also wolltest du ihre Seele retten...", brummte er ohne Gruß. Trotz seiner Antipathie gegenüber dem Schreinwächter zweifelte er die Wahrheit seiner Worte nicht an. An diesem Kerl war mehr, als das Auge sah. Er wusste Dinge. Eben dies war schließlich der Grund dafür, dass Aldred ihn nicht mochte. Vertrauen musste er ihm dennoch. Sie brauchten diesen Mann. Denn: Nicole oder Weline, das war letztendlich gleich - die Frau brauchte Hilfe. "Alexander hier wird uns zum Kloster der Reija führen. Die Mönche dort können möglicherweise mehr für sie tun als du", erklärte er dem Wächter kurz angebunden. Er machte sich nicht die Mühe, diesen um Rat oder Zustimmung zu fragen. Was getan werden musste stand bereits fest. "Dennoch werden wir deine Heilkräfte brauchen. Gib ihr die Kraft, die sie braucht, um die Reise zu überstehen. Du kannst nicht zulassen, dass sie stirbt!"

Das Schicksal bestimmte die Gefühle aller Menschen, und so war es ihm wohl bestimmt, von Aldred mit Abneigung gestraft zu werden. Aber das war er gewohnt: Schreinwächter waren seltsame Wesen. Sie gehörten nicht den Menschen und nicht den Göttinnen, sie waren irgendetwas dazwischen und deshalb von allen Seiten mit Misstrauen belegt. "Der Reija-Tempel scheint mir ein gutes Ziel zu sein. Die schwarzen Reiter werden versuchen, die naheliegenste Göttin zu zerstören, und der schnellste Weg führt zu ihrem Schreinwächter. Wenn der Wächter einer Göttin stirbt, verliert sie ihre Verbindung zu uns und kann verborgen auf die Erde kommen, um dort getötet zu werden und ihre Seele für immer zu verlieren." Droghan verzog das Gesicht zu einer Grimasse der Trauer, doch er ließ dies nicht lange währen und gesellte sich wieder zu Nicole, um ihre Hand zu nehmen und ihren Puls zu fühlen. Für eine Sekunde hielt er inne und schaute über die Schulter zu Aldred. "Ich hätte ihre Seele auch gerettet, wenn sie eine Sklavin gewesen wäre." Der Dunkelhaarige lächelte kurz, dann wandte er sich ihr wieder zu und stand schließlich auf. "Sie ist aufbruchsbereit. Organisiert einen Karren, ich werde die Leute heilen, die ich kann, bis wir alles beisammen haben."

Erstaunt blickte Alexander zwischen Droghan und Nicole hin und her. Es war schon kaum vorstellbar gewesen, dass Nicole die Auserwählte von Nicole sein sollte und jetzt ist sie in Wirklichkeit Weline selber? Alexander konnte es nicht glauben. Eine Göttin würde sich doch niemals von ein paar sterblichen Wesen so schwer verletzen zu lassen. Nein nicht nur verletzen lassen, sondern sogar dem Tode nahe kommen. Schließlich fragte Alexander den Schreinwächter :" Diese Frau hier soll Weline sein? Ich kann das nicht glauben. Eine Göttin würde sich doch niemals von einem dieser Reiter dem Tode nahe bringen lassen." Dann fiel ihm ein, dass er sich noch gar nicht vorgestellt hatte. "Ich bin Alexander von Leuchtenberg und ich komme in der Tat aus einem Reija-Kloster in der Nähe" fügte er hinzu. Alexander schaute auf Nicole. Wenn das hier Weline war, war es dann auch möglich, dass Reija selber irgendwo auf der Erde wandelte? Vielleicht sogar in diesem Moment angegriffen wurde und vielleicht im Sterben lag? Dieser Gedanke fraß sich in Alexander und ein ungutes Gefühl legte sich über ihn, wie ein dunkler Schleier. Am liebsten wäre er jetzt aufgesprungen und hätte nach Reija gesucht - doch natürlich würde das nichts bringen. Er würde sie niemals finden. Also blieb er weiterhin im Zimmer.

Kurz überlegte Aldred sich zu protestieren. Einzuwenden, dass vielleicht Nicole nun, dafür jedoch der Rest von ihnen in keiner Verfassung zum Reisen war. Sie waren die ganze Nacht auf den Beinen gewesen, von den erschöpfenden Befestigungsarbeiten oder dem kräfteraubenden Marsch durch die Ebene hier her gar nicht zu reden. Seit sie das letzte mal Schlaf bekommen hatten waren sie zweimal von den Schwarzen Reitern angegriffen worden, hatten ein Dutzend Meilen Weg zurück gelegt und bis zum Morgengrauen ausgeharrt. Aldred hielt sich selbst für einen starken und ausdauernden Mann, doch auch er war mit seinen Kräften langsam am Ende. Die Müdigkeit kroch nun, da die Gefahr gebannt war und das Adrenalin in seinem Blut versiegte, stärker und stärker in ihm hoch.
Und doch hielt er sich mit einem bissigen Kommentar zurück. Nein, Droghan hatte recht. Sie mussten jetzt aufbrechen. Wenn sie jetzt ausruhten, dann würde es Abend werden bis sie aufbruchbereit waren. Und in der Nacht konnten sie nicht reisen. Die Straßen waren zu gefährlich. Sie konnten vom Weg abkommen und sich verirren, konnten den Karren in ein Schlagloch fahren und eine Achse brechen, konnten sich selbst in der Finsternis im unbekannten Gelände verletzen. Aber wer mochte zu sagen, wie lange Droghans Magie Nicole noch am Leben erhielt? Aldred war sich sicher, dass sie nicht bis zum nächsten Morgen mit dem Aufbruch Zeit hatten. Sie mussten jetzt los, sich noch einmal zusammen reissen. Sich zwingen. Stark sein. Um Nicoles Willen.
"Kümmert ihr euch um den Wagen", bat er Alexander mit tonloser, müder Stimme, "Ihr seid der Retter dieses Dorfes, euch geben sie gern was auch immer sie noch haben. Karren, Proviant... vielleicht hat sogar noch ein Ochs überlebt, der den Karren ziehen kann. Mich werden sie eher verfluchen und mit Prügeln davon jagen. Wir haben dieses Unheil erst über sie gebracht..." Vor allem aber - doch dies verschwieg er wohlweislich - brauchte er Ruhe, einen Augenblick nur, einen kurzen Moment um zu Kräften zu kommen. Er ließ sich neben Nicoles Bett auf dem Boden nieder, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, schloss die Augen. "Und zweifelt nicht an den Worten des Schreinwächters, Freund Alexander", sprach er mit geschlossenen Lidern weiter, "Dieses Mädchen ist mehr als sie scheint. Wenn er sagt, ihr Körper trägt die Göttin, dann erklärt das so vieles, was uns widerfahren ist. Aber es stimmt, dass sie schwach ist. Nicht nur Nicole, auch Weline in ihr. Etwas böses geht um in diesen Landen. Etwas, gegen das auch Göttinnen allein nicht bestehen..."

Seline hatte bisher geduldig zugehört, doch sie konnte nicht wirklich glauben was hier vor sich ging. Sie hatte gesehen wie Nicole Dinge getan hatte die sie vielleicht den mächtigsten Magiern zugetraut hätte, aber nicht einer einfachen Frau aus einem Dorf. Dennoch konnte sie nicht glauben das Nicole in Wirklichkeit eine Göttin sein sollte, das passte ihrer Meinung einfach nicht zusammen. Wenn das stimmen würde hätten selbst diese Schattenwesen doch nie in der Lage sein sollen Nicole zu verletzen, geschweige den ihr solch tödliche magische wunden zuzufügen. "ich wünschte ich hätte deinen Glauben Aldred.. dein vertrauen...." sie blickte zu dem Schreinwächter. "Ich kann einfach nicht Glauben was ihr da behauptet..." Trotz allem schien Seline weniger wütend, sondern viel mehr verwirrt zu sein.

Beinahe anklagend setzte Amun Finn einen Klauenfinger auf die schmale Brust und sagte: "Du? Warst tot. Schwöre bei den Winden. Kein Herzschlag. Menschen brauchen auch Herzschlag, heh? Habe zweimal geprüft. Warst tot. Passiert öfter, dass Menschen einfach wieder aufstehen und herumlaufen, wenn sie waren tot? Menschen, selbst im Tod noch verrückt." Amun lächelte, was angesichts der Schnabels alles andere als einfach war, und fuhr freundlicher fort: "Aber jetzt du bist wieder lebendig. Ist gut, ist gut. Habe nichts dagegen. Würde euch nur ungern dem klagenden Wind überlassen." Irgendetwas kratzte am Verstand des Avior und wollte seine Aufmerksamkeit erregen, wurde aber von einer Welle aus erschöpfungsbedingter umnachteter Glücksseligkeit weggespült. Amun endete mit einem: "Beim nächsten Mal Bescheid sagen, heh?"

Tot? Aber er war doch am Leben, oder? Zumindest konnte er seinen Körper spüren, seine Schmerzen, er konnte denken, agieren und man reagierte ihn. Wie konnte er da gestorben sein? Erst nachdem er Amuns erste Worte verarbeitet hatte, konnte er sich auf die anderen konzentrieren. Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen. Sein Herz? Er erinnerte sich an den Moment, als seine Kräfte versiegt waren. Da hatte er seinen Herzschlag ganz deutlich gespürt. Hatte diese Kraft ihn etwa ohne Herzschlag am Leben gehalten und als sie versiegt waren, hatte er wieder eingesetzt. Aber wenn er zuerst gestorben war, hätte er doch sterben müssen, oder?
"Die Frau...", murmelte Finn. "Sie hat... mich gerettet... glaube ich... ich... ich... ich... war..."
Verwirrt brach er ab, weil er nicht wusste, wie er erklären sollte, was mit ihm passiert war. Wie auch? Er verstand selbst nicht, was an diesem Ort passiert war und wer diese Frau wirklich war. Aber wusste, sie war wichtig. Und er kannte sie irgendwie. Vorsichtig strich er über den Anhänger um seinen Hals, fühlte seine Konturen und starrte in die Ferne.
"Amun...", murmelte er schliesslich. "Normalerweise sterben Menschen, wenn ihr Herz aufhört. Wieso... ich... ich verstehe.... nicht..."
Während er so vor sich hingemurmelt hatte, hatte er gar nicht bemerkt, wie Iorweth zu ihnen getreten war. Stattdessen fuhr er fort, über seinen Anhänger zu fahren und zu versuchen, das Gewirr in seinem Kopf zu entwirren.

Alexander blickte auf den sitzenden Aldred. Er sah wirklich müde aus - nein nicht müde, sondern sehr erschöpft. So als wäre die letzte Ruhe die er hatte, schon lange her. Dieser Ausdruck von Erschöpfung bewog Alexander dazu zuzustimmen. Also nickte er und sagte :" Nun gut, ich werde versuchen einen Wagen aufzutreiben. Doch ich mache mir keine all zu großen Hoffnungen, immerhin haben die Bewohner nicht gerade wenig verloren in dem Angriff. Sie werden sich wahrscheinlich an alles klammern, was sie noch besitzen." Vielleicht würde er sogar einen Wagen auftreiben können, aber einen Ochsen oder ähnliches...unwahrscheinlich. Dann warf er einen Blick auf Nicole. Er hatte keine Zeit hier rumzustehen und zu plaudern, egal ob sie wirklich Weline sei oder nicht. Wenn er sie retten könnte, würde er es tun, auch wenn sein Teil zu der Aktion wohl nur aus transportieren bestehen würde. Also nickte Alexander noch einmal in die Runde und ging. Er musste den kleinen Teil, den er beitragen konnte, erledigen.
Als er auf den Platz vor der Garnison kam, blickte Alexander sich um. Wo sollte er hier einen Wagen auftreiben? Nach einem kurzen Moment entschied er sich einfach dazu, den Leuten als Retter zu begegnen und ihnen von der Dringlichkeit seiner Bitte zu überzeugen. Ob er dadurch auch wirklich einen Wagen erhalten würde, war eine andere Frage.

Nach rund einer halben Stunde blickte Alexander auf das Ergebnis seiner Bemühungen. Die Dorfbewohner sahen ihn tatsächlich als Retter an und so gaben sie ihm was er wollte. Er hatte einen Wagen bekommen und sogar einen Ochsen. Das einzige Problem war nur, dass der Ochse schon alt und schwach war, also würde die Reise wohl nicht allzu schnell voranstatten. Alexander seufzte - er war zwar froh, dass er überhaupt etwas bekommen hatte, doch gleichzeitig enttäuscht, dass die gestellten Mittel so minderwertig waren. Doch Trübsal zu blasen würde nichts bringen, also ging er wieder zurück in Nicoles momentanes Zimmer.

Aldred hatte während Alexanders Abwesenheit nicht wirklich geschlafen. Eher gedöst. Mit geschlossenen Augen gewacht. Von der Stelle bewegt hatte er sich jedenfalls nicht. Es war nicht viel Erholung, die ihm das gebracht hatte, aber besser als nichts. Als Alexander den Raum wieder betrat schlug er augenblicklich die Augen auf. Stemmte sich an der Wand in die Höhe. Er musste den jungen Krieger nicht fragen, ob er Erfolg gehabt hatte, ein Blick in dessen Gesicht genügte. Aldred nickte. "Wir brechen auf", verkündete er, für einen Mann seiner Statur ungewöhnlich leise, jedoch fest. Vorsichtig hob er Nicole aus ihrem Bett. Sie war so leicht. Zu leicht! Ihre Schwäche war beinahe körperlich spürbar. "Wir müssen die anderen zusammen trommeln. Seline, sieh zu, dass du sie findest. Zerr sie nach draußen, wenn es sein muss. Wir brechen sofort auf. Es ist mir gleich, wenn sie protestieren..."

"Normalerweise, heh?", versicherte sich Amun noch einmal und zuckte dann mit den Schultern. Wenn ein lebender Finn nicht der Norm entsprach, konnte die Norm Amun mal am gefiederten Hintern lecken, von ihm aus auch im Muster. Außerdem hatte Amun keine Lust darüber nachzudenken. Langsam aber sicher forderte die Erschöpfung ihren Tribut ein und die Schwingen der Euphorie, die Amun bisher getragen hatten, wurden langsam lahm. Trotzdem schlug Amun Iorweth, den er grade bemerkt hatte, auf die Schultern und deutete stolz auf Finn als wäre der kleine Junge sein Erstgeborenes.
"Lebt, heh. Und wir haben gewonnen! Muss einen dem Heldenlied eine Strophe hinzufügen. Für die Ewigkeiten zu hören. Gefallen würde euch das, heh?"
Es war der Wunsch eines jeden Avior in das Heldenlied einzugehen. Ihre heutige Heldentat wäre aber sicher eine Strophe wert.

"Es ist auch nicht wichtig, ob Ihr mir glaubt oder vertraut. Ihr vertraut Nicole, oder? Dann tut es für sie." Droghan lächelte leicht, als gäbe es nichts auf der Welt, worüber man sich Sorgen machen müsste, sondern als wäre alles in Ordnung, dann verließ er den Raum nicht ohne Aldred beim Anheben der Göttin genauestens zu beobachten, und trat zu einem der Verwundeten, um den sich bisher noch niemand kümmern konnte. Es waren viele, das hieß, er würde beschäftigt sein, bis sie aufbrachen. Aber das war nicht unbedingt schlecht.

Der Karren, den Alexander aufgetrieben hatte, war klein und schmal, im Grunde mehr ein Handkarren als ein wirkliches Gespann, aber er würde seinen Zweck erfüllen. Abgesehen von der stark angekohlten rechten Bordwand und den Brandspuren am selbseitigen Rad war er in gutem Zustand. Einen Kutschbock gab es nicht, aber die mit Stroh und ein paar leeren Säcken ausgelegte Ladefläche war groß genug um Nicole Platz zu bieten und wohl auch noch einem weiteren von ihnen. Finn, vielleicht. Seit dem Ausfall hatte Aldred den Jungen aus dem Blick verloren, aber er bezweifelte, dass er mit seinen Wunden in der Lage sein würde, den Weg fußläufig zurück zu legen. Ganz gleich was der Schreinwächter für ihn tun konnte.
Aldred bettete Nicole ins Stroh und wickelte einen leeren Kornsack um ihre Schultern. Vermutlich eine kratzige Angelegenheit, schließlich war Rupfen keine Seide, aber er würde die Wärme in ihrem Körper halten. Dann erst ging er um den Wagen herum und besah sich den Ochsen, den die Dorfbewohner bereits eingespannt hatten. Alt, wie Alexander gesagt hatte, aber auch er würde seinen Zweck erfüllen. Den Zaum des Tieres mit der Linken greifend wandte er sich zur Garnison um. Wo blieb Seline mit den anderen?

Iorweth lächelte schwach, als der Avior ihm auf die Schulter klopfte und gutgelaunt den Sieg feierte."Nun, die Epen der Quel`doreen werden sicher nicht von mir erzählen. Jetzt können wir uns etwas ruhe gönnen." Müde rieb er sich durch sein Gesicht und seufzte. "Ich befürchte, mein Gepäck ist verloren. Wenigstens hab ich meine Waffen noch." Leise seufzte er. "Kein Geld, kein proviant, kein wasser, alles weg.. Liegt alles im abgebrannten Gasthaus."

"Leben aber noch, heh", stellte Amun Iorweth gegenüber mit einem freudigen Gesichtsausdruck fest. Für einen Moment überlegte er, ob der dem Elfen noch einmal auf die Schulter klopfen sollte, aber mit den Gunstbezeugungen sollte es erstmal genug sein. In diesem Moment trat Seline zu ihnen, um ihnen mitzuteilen, dass Aldred aufbrechen wollte. Gutgelaunt stolzierte Amun in die angegeben Richtung und fand dort Aldred neben einem Karren stehen, mit der Hand an der Leine eines Ochsen. Mit einem Mal schlug die Erschöpfung, bisher durch gute Laune und Euphorie zurückgehalten, zu. Mit einer Hand stützte sich Amun an dem Karren ab und warf dem rudimentär vorhandenen Kutschbock einen verlangenden Blick zu.
"Kann...kann ich sitzen eine Weile? Verfluchte Magie. Bin...müde."

Endlich kamen auch die anderen. Alexander wollte schon Aldred fragen, ob es nicht besser wäre selber nach ihnen zu schauen. Auf die Frage des Vogelmenschen nickte Alexander und sagte :" So wie du aussiehst, wäre es wirklich gut wenn du dich etwas ausruhst." Dann blickte er die anderen an. Ein müde und verletzt erscheinender Jüngling, der Elf von vorhin, die Frau, welche die anderen holte, und ein normal scheinender Mann. Jeder von ihnen schien erschöpft zu sein und größtenteils auch verletzt. Außer der Schreinwächter - Droghan falls er sich richtig erinnerte -, welcher nicht mal Anzeichen von Müdigkeit anzeigte. "Wahrscheinlich solltet ihr euch gegenseitig auf dem Wagen ausruhen" meinte Alexander nach kurzer Überlegung. Er selber war zwar auch den vorherigen Tag durchmarschiert, aber er würde es noch durch halten, bis sie eine Rast einlegen würden. Nach einem Blick auf Nicole - nein Weline, falls er Droghan glauben sollte - fügte er dann noch hinzu :" Wir sollten gehen, die Reise wird auch so schon lange genug für diese junge Frau. Oder habt ihr noch etwas dringendes hier zu erledigen?"

Seline seufzte ob der Antwort des Schreinwächters, was sollte sie mit einer solch nichtssagenden und ausweichenden Antwort anfangen? Selbst nach dem Aldred ihr aufgetragen hatte die anderen zu sammeln grübelte sie noch ein Weilchen darüber nach, doch ohne wirklich zu einem Ergebnis zu kommen.
Nachdem sie alle beim Karren angekommen waren, Aldred hatte Nicole bereits in eben jenen verfrachtet, half sie Amun auf den Kutschbock hinauf und blickte dann zu Finn. Noch so ein Fall, den sie wohl nicht geglaubt hätte, hätte sie es nicht mit eigenen Augen gesehen. Müde und verletzt waren sie alle doch der Junge war getötet worden und wieder auferstanden und hatte dabei noch mehr dieser Schwarzen Soldaten getötet als sie selber, wenn sich noch jemand auf dem Karren ausruhen, sollte dann wohl er.
Sie blickte zu Alexander. "Ich glaube nicht das wir noch länger hier bleiben sollten... wir haben hier schon mehr als genug getan", fügte sie leise hinzu. Viele Dorfbewohner hatten ihr Leben verloren und das halbe Dorf brannte, doch Seline war sich nicht so ganz sicher ob das nun gut oder schlecht war... doch auf jeden Fall mussten sie hier weg, nicht nur um Nicoles Leben zu erhalten, sondern auch damit das Dorf nicht noch einen weiteren Angriff erdulden musste. Sie blickte auf den Hammer, den sie am Anfang einem der Schwarzen abgenommen hatte, und warf ihn kurz darauf ins Feuer eines nahegelegenen brennenden Hauses.

Als Seline auftauchte, um sie einzusammeln, war Finn immer noch mit der schockierenden Nachricht Amuns beschäftigt. Doch er folgte dem Vogelmenschen und den anderen zu einem Wagen, wo Aldred bereits mit einem unbekannten Mann wartete. Letzteren musterte Finn mit unbehagtem Blick. Er hatte sich nicht einmal an einige Mitglieder in ihrer Gruppe gewöhnt, obwohl er schon mehrere Kämpfe mit ihnen durchgestanden hatte. Dieser Mann sah aber auch furchteinflössend aus mit seinem riesigen Schwert und der schrecklichen Narbe über dem Gesicht. Was wohl mit ihm geschehen war?
Etwas lenkte ihn aber von dem Neuankömmling ab. Die Gruppe war noch nicht komplett, einer fehlte. Wo war Sahin? Er hatte den Jungen mit dem Falken nicht mehr gesehen, seit er vor dem Kampf Geralt nachgelaufen war. Er musste doch irgendwo hier sein, tot war er bestimmt nicht, das konnte Finn nicht glauben, schliesslich hatte er ihn schon in Aktion gesehen. Er war ein unglaublicher Bogenschütze und ausserdem hatte er Rhischa, die ihm jederzeit zur Seite stand. Und sie hatten ja alle überlebt, da konnte nicht einfach einer von ihnen tot sein. Antwortsuchend wandte er sich an Aldred.
"Wir können noch nich... nicht los, Sahin fehlt... noch... noch...", sagte er, wobei seine Stimme brach und er die letzten Worte fast lautlos sagte. Besorgt strich er über seine Kleidung und rückte die Tasche, die er vor dem Kampf in der Garnison deponiert und von dort wieder mitgenommen hatte, etwas zurecht, damit sie das Loch in seiner Kleidung und damit das darunter liegenden rötliche Stück Eis verdeckte.

"Das hättest du nicht tun sollen...", wandte Aldred sich an Seline und legte ihr eine Hand auf das Gelenk der Rechten, die eben noch den Hammer gehalten hatte. Zu spät freilich, aber die Geste hatte nie beabsichtigt, sie von ihrem Tun abzuhalten. Sie war nicht mehr als eine Geste. "Wir werden alle unsere Waffen noch brauchen." Der Schmiedehammer, den er zuvor verloren hatte, steckte wieder in seinem Gürtel. Er hatte ihn auf dem Weg hinein aufgelesen.
Aldred ließ den Blick über die versammelte Tuppe schweifen. Finn wandte sich an ihn, lenkte seinen Blick hinab. "Wo ist Sahin?", gab er die Frage weiter in die Runde. Niemand antwortete ihm. Aldred fragte nicht weiter nach. Das Schweigen, das ihm entgegen schlug, war mehr Antwort, als er gewünscht hatte. Sahin war nicht in der Garnison gewesen. Niemand hatte ihn seit Beginn der Kämpfe gesehen. Es gab nicht viele Möglichkeiten, was dies bedeuten konnte. "Wir brechen auf!", verkündete der Schmied und zerrte am Zaum des Ochsen. Das Tier gab ein tiefes, langgezogenes Brummen von sich. "Amun'Raak, Finn, auf den Wagen! Ihr braucht die Ruhe. Seline, Iorweth, ihr habt euch gut geschlagen. Ihr habt noch Kraft. Geralt, was ist mit dir? Alles in Ordnung?"