GQ - [Die MSG]

Iorweth folgte Aldred und sah sich hin und wieder wachsam um. Interessiert hatte er den Grindyl beobachtet, der die Gruppe begleiten wollte, aber mittlerweile versuchte er einfach, sich auf die Reise zu konzentrieren. Ruhig näherte er sich Seline. Sie trug einen Umhang , unter dem sie wahrscheinlich ihr zweites Armpaar versteckt hielt. "Willst du den Proviantbeutel weiter tragen oder soll ich ihn nehmen?," fragte er freundlich.

Seline hatte sich bisher ruhig und eher teilnahmslos verhalten. Klar hatte sie den Grindyl beobachtet, als er der Gruppe beitreten wollte, aber gesagt hatte Sie nichts. Wozu auch, sie hatte nichts dagegen einzuwenden und Aldred würde sicherlich nicht auf die Idee kommen gerade bei Ihr um Erlaubnis zu fragen.
Im Prinzip hätte ihr die ganze Gruppe und die Reise selber so etwas von egal sein können, was sollte Sie schon in alten verfallenen Tempeln oder Schreinen zu suchen haben? Ihr einziger Antrieb war, dass sie bei dieser Reise wieder auf diese schwarzen Reiter treffen würden. Seline war sich nicht sicher, ob sie die Geschichte über diese Wesen glauben sollte, doch sie hatte gesehen, dass diese Reiter alles waren, nur nicht normal. Doch im Prinzip wollte sie wissen, was hinter diesen Gestalten steckte, ihrer Meinung nach musste es jemanden oder etwas geben, was diese Reiter leitete, die Fäden zog und genau auf das hatte sie es abgesehen, darum begleitete sie die Gruppe.
Iorweth riss sie schliesslich aus ihren Gedanken. "Wie?" sie brauchte einen Moment um sich seine Worte nochmals durch den Kopf gehen zu lassen. "Nein nein, ist schon in Ordnung... keine Panik ich werde sicherlich nicht zusammenklappen."

Die Gruppe brach auf, und Kazeel war froh darüber. Seltsamerweise bemerkte er eine gewisse Unruhe in seinem Inneren. Ungeduld. Trotz der Gefahren, die auf dem Weg wohl lauern würden, drängte es ihn, zu dem Tempel zu gelangen und herauszufinden, warum ihn die Sucherin dorthin beordert hatte. Er wagte nicht, sich auszumalen, was er dort finden würde. Doch zweifellos würde es etwas besonderes sein.
Um sich ein wenig abzulenken, besah er sich seine neuen Gefährten, und er stellte fest, daß einer von ihnen nicht in bester Form zu sein schien. Es war ein Mensch, und nach dem, was er über dieses Volk wußte, war er wohl noch sehr jung, gerade an der Schwelle zum Mann.
Kazeel war alles andere als ein erfahrener Heiler; dennoch erkannte er, daß dieser Mensch unter einer Verletzung litt oder zumindest noch vor kurzem unter einer gelitten hatte. Und dann fiel ihm ein, daß er tatsächlich verletzt gewesen war, als die Gruppe das Kloster erreicht hatte. Er trat zu ihm und sprach ihn darauf an.
"Ihr wart verletzt, als Ihr im Kloster angekommen seid." Es klang mehr wie eine Feststellung als nach einer Frage. "Und Ihr wirkt, als hättet Ihr noch immer Beschwerden. Ich bin kein ausgebildeter Heiler, aber wenn Ihr Hilfe benötigt, sagt es mir."

Auf Aldreds Frage hin, nickte Alexander. "Ja, dieser Weg ist es" meinte er dazu noch. Abwesend schaute er den Weg an. Sie würden zum Tempel der Reija reisen...vielleicht würde er dort seiner Göttin endlich näher kommen. Erinnerungen an ihre Stimme schossen in Alexanders Kopf herum. Sie war sanft, jedoch gleichzeitig mächtig und bestimmend gewesen - perfekt für eine Göttin. Das Verlangen in ihm sie wieder zu sehen - besser gesagt zu hören - war wie ein brennendes Feuer. Er begann leicht zu lächeln - war ihre Stimme das Einzige positive in seinem Leben, worauf er sich freuen konnte? Bevor Alexander genauer darüber nachdenken konnte, scheuchte er den Gedanken aus seinem Kopf. Damit konnte er sich irgendwann später auseinandersetzen, aber nicht jetzt auf einer wichtigen Reise. Solche Gedanken konnten jeden - egal ob Mann oder Frau, egal ob Mensch, Elf oder was auch immer - verrückt machen.
Um sich abzulenken sprach er Aldred an. "Was glaubst du, wird uns im Tempel erwarten? Der Hohepriester hat zwar gesagt, dass wir dort antworten finden werden, aber in was für einer Form? Botschaften von Reija selber? Oder vielleicht uralte Schriften?" fragte er ihn. Nach einer kurzen Pause fügte er - etwas leiser - hinzu :" Oder vielleicht die schwarzen Reiter, welche den Tempel ausgeplündert und geschändet haben?"

"Ich weiß nicht. Ich hoffe."
Ein wenig skeptisch sah sich Geralt Kazeel an. Er war klein, noch kleiner als Finn, und zuerst dachte Geralt, dass er ihn wohl würde beschützen müssen. Aber dann fiel ihm wieder ein, dass auch bei der Hilfstruppe, die sie im Dorf gerettet hatte, Grindyl gewesen waren. Das waren Magier gewesen, und wahrscheinlich war auch dieser ein Magier. Hilfreich. Und vielleicht auch lehrreich für Finn.
Geralt begrüßte die Neuankömmlinge nicht wirklich. Er starrte nur den Hang hinab, dann und wann auch aufs Kloster. Er hätte etwas zu Finn sagen sollen, spätestens als sie aufstanden und sich auf den Weg machten, aber er tat es nicht. Er griff sich nur sein schmales Bündel und marschierte los, nur darauf achtend, dass Finn neben ihm blieb. Denn während er selbst nichts sagte wusste er doch genau, dass sie eigentlich gerade ein Gespräch geführt hatten …

"Was uns erwartet werden wir sehen, sobald wir da sind", erwiderte Aldred schicksalsergeben und verweigerte sich damit den müßigen Mutmaßungen über den Tempel. Was hätte er auch sonst sagen sollen? Es war einerlei, was er glaubte, alles was zählte war, was war. Aber wie hätte er das wissen können? Er mochte diese Gruppe - notgedrungen - anführen, doch verschaffte ihm dies keinerlei höheres Wissen. "Beten wir, dass es nicht die Schwarze Heerschar ist", fuhr er fort, noch kurz auf die einzige von Alexanders Frage, die ihm relevant erschien, eingehend, "Ich kann gut auf ein weiteres Treffen mit diesen Gestalten verzichten. Ewig werden wir nicht vor ihnen davon laufen können, aber es wäre mir recht, das Treffen so weit wie möglich heraus zögern zu können..."
Sie folgten der Straße bis es zu dämmern begann, schlugen sich dann abseits der Wege in die Hügel und fanden nach kurzem Suchen eine wind- und sichtgeschützte Senke, die sich für ein Nachtlager anbot. Inzwischen war die Sonne im Westen hinter den Bergen versunken und die Schatten so lange geworden, dass sie dem Land jegliche Farben raubten. Auch die Wärme des Tages schwand mit der Sonne und machte unangenehmer Kühle Platz, die eine bittere Nacht versprach. "Wir werden ein Feuer brauchen", verkündete Aldred während er Schild und Rucksack ablegte und nach einer geeigneten Stelle auf dem Boden Ausschau hielt, an der man eine Feuergrube anlegen konnte.

Finn kam nicht wirklich dazu, Geralt eine Antwort zu geben, denn gleich darauf traf Alexander bei der Gruppe ein und sie machten sich auf den Weg. Er blickte neugierig zu der Karte, die der Mann mitgebracht hatte, doch er verkniff es sich, danach zu fragen. Karten waren fast wie Bücher, Finn konnte sie stundenlang betrachten. Er war neugierig, wie diese Karte aussah. Ob sie wohl auch so detailliert war, wie die Karte, die sie im Keller dieses Bauernhofs gefunden hatten, bevor die Reiter sie angegriffen hatten? Wer hatte das Ding eigentlich?
Bevor er sich weiter um die rätselhafte, lebende Karte kümmern konnte, trat der Mönch zu Finn und fragte ihn nach seiner Wunde. Der Jungen blickte den Grindyl etwas überrumpelt an, schliesslich war das genau was er sich gefragt hatte. Natürlich könnte sich auch Geralt um die Wunde kümmern, Finn war sich sicher, dass er dieser das auch könnte, aber es war immer besser, wenn man einen ausgebildeten Heiler zur Hand hatte.
"Ich... ja... ich wurde am... am Bauch verletzt... gla-glaub ich. Die Wun... Wunde ist ganz gut verheilt, aber i... ich muss immer noch aufpassen und... und... der Mön... Mönch vom Kloster hat... hat mir so eine Paste mitgegeben...", erklärte er mit zittriger Stimme.

Kazeel gefiel nicht, wie der junge Mensch stotterte - ob er vielleicht krank war? War es möglich, daß die Verletzung eine Infektion nach sich gezogen hatte? Aber nein, dann hätten die Heiler des Klosters ihn wohl kaum gehen lassen. Möglicherweise war es auch nur eine der vielen Eigenarten der Menschen, die für den jugendlichen Bewahrer noch immer Neuland waren. Er beschloß, das Stottern zunächst einfach zu überhören und sich näher damit zu befassen, wenn es irgendwie zu Problemen führen sollte.
"Ich verstehe. Gebt mir Bescheid, wann immer Ihr meine Hilfe benötigt, ich werde sie Euch gewähren." Mit ziemlicher Sicherheit hatte der Heiler dem Menschen wohl gezeigt, wie er diese Paste auftragen sollte; wenn nicht ihm, dann einem seiner Kameraden. Dennoch war es immer besser, wenn jemand, der in der Heilkunst bewandert war, solche Aufgaben übernahm.

Finn nickte nur dankbar und liess sich dann wieder zurückfallen, um schweigend neben Geralt herzutrotten. Die Reise bis zum Abend verlief dann auch relativ schweigsam. Sie wechselten kaum ein Wort und schliesslich begann die Sonne, hinter dem Horizont zu versinken. Scheinbar war der Weg zu diesem Tempel weiter, als Finn gedacht hatte. Er hatte erwartet, dass das Kloster nahe bei einem alten Tempel der Lichtgöttin gebaut werden würde. Aber wahrscheinlich würden sie ihn am nächsten Tag erreichen. Er hätte zwar gerne im Inneren des Tempels übernachtet, geschützt vor der Witterung, aber so würde er wohl mit dem Erdboden vorlieb nehmen müssen. Das war etwas, woran er sich noch nicht gewöhnt hatte. Er hatte bisher nur einmal im Freien übernachtet und zwar bei dem abgebrannten Bauernhof. Und er erinnerte sich noch lebhaft an die Schmerzen am ganzen Körper, die er am nächsten Tag gespürt hatte.
Aldred führte sie etwas abseits von der Strasse, wo sie hinter einem Absatz einen Lagerplatz aufschlugen. Vorsichtig zog Finn die Tasche über seinen Kopf und stellte sie auf eine ebene Stelle, dann sah er sich etwas hilflos um. Aldred wollte ein Feuer machen, allerdings konnte Finn das nicht. Und er war sich nicht sicher, ob es eine kluge Idee war, mit seiner Wunde nach Holz zu suchen. Zögernd wandte er sich schliesslich an Aldred.
"Kann... kann ich irgend...etwas helfen?"

Iorweth entfernte sich ein stückchen von der Gruppe und begann Äste vom Boden aufzuheben. Da er keinen Rucksack dabei hatte, war er nicht so sehr beladen wie die anderen. Seine Schwerter störten ihn nicht sehr. Nur zum Schlafen würde er die Halterung entfernen. Bald hatte er einen Arm voll mit Ästen zusammen und ging dann wieder zu den anderen zurück. "Hier ist etwas Feuerholz, Aldred," sprach Iorweth ihn an und legte das Holz neben ihm ab. Dann tigerte er nochmal los um noch etwas mehr zu sammeln. So war er beschäftigt und abgelenkt.

Kazeel schichtete das herbei geschaffte Holz auf einen kleinen Stapel auf, den er mit einer kleinen Anzahl an Steinen umringte. Ohne abzuwarten, bis der Haufen vollständig war, kniete er davor nieder und streckte seine Hand aus, um sie zwischen den Holzstapel und die letzten Strahlen der untergehenden Sonne zu halten.
Nach einigen Momenten bekam man den Eindruck, der entblößte Handrücken würde die Sonnenstrahlen anziehen, sie auf sich bündeln. Und dann entstand ein dünner gleißender Lichtstrahl, der, von der Handfläche ausgehend, auf das trockene Holz traf und es allmählich entzündete. Es dauerte nicht lange, und die spärlichen Flammen hatten sich zu einem gemütlich prasselnden Lagerfeuer zusammengesetzt.
Erst jetzt entnahm er seinem Rucksack eine kleine Decke, die er auseinander faltete und auf nahe dem Feuer auf dem Boden ausbreitete. Sie sollte ihm als Nachtlager dienen.

Mit wenig verhohlener Skepsis beobachtete Aldred den Grindyl dabei, wie er das Feuer mittels irgendeines Zaubertricks entzündete. War das denn nötig? Aldred wusste wenig über Grindyl und noch weniger über die ihnen eigene Magie, aber fiel diesen kleinen Wesen das zaubern so leicht, dass sie es sich für dererlei Handgriffe erlauben konnten? Wäre es ein solcher Aufwand gewesen, mit Feuerstein und Eisen einen Funken zu schlagen? Andererseits waren sämtliche Magier der Welt nunmal ein Schlag von Menschen, deren Handlungsmuster man als Nicht-Begabter nur schwer nachvollziehen konnte. Man sollte es also wohl besser auch gar nicht erst versuchen.
Also ließ Aldred den Grindyl mit seinem Feuerchen alleine - Pusten musste er immer noch - und ließ sich stattdessen an Alexanders Seite nieder. "Was weißt du über den Tempel?", fragte er den Mann, "Wie sieht er aus? Was ist das für eine Umgebung? Wie können wir uns ihm nähern?" Die Fragen klangen nur für einen naiven Zuhörer unverdächtig. Jedem, der ein wenig über den tieferen Sinn dahinter nachdachte, musste sich sofort erschließen, was Aldred damit bezweckte. Ihm war das durchaus bewusst. Doch es war ihm letztendlich auch gleich, wenn die anderen seine Sorgen errieten. Vielleicht war es nur Schwarzseherei, vielleicht nichts weiter als ein mulmiges Gefühl. Vielleicht aber auch soetwas wie eine Vorahnung. Sie würden nicht einfach in diesen Tempel hinein spazieren...

Erst wollte Alexander beim Aufbau des Lagers helfen, doch als er sah, dass die anderen diese Aufgabe relativ effizient erfüllten, ließ er sich nieder und packte die Karten aus. Er wollte einen möglicht schnellen, aber auch sicheren Weg finden - damit waren die Hauptstraßen, dank den schwarzen Reitern, ausgeschlossen. Ebenfalls war es nicht undenkbar, dass die schwarze Heerschar eventuell menschliche Verbündete hatte - ob freiwillig oder gezwungen war egal. Also öffnete er das Buch und begann sich die Karten anzusehen.
Kurze Zeit später ließ Aldred sich neben ihm nieder. Still hörte er den Fragen zu und überlegte einige Momente bevor er antwortete. "Ich muss zugeben, dass ich nicht viel über den Tempel selbst weiß. Er ist schon seit langem verlassen und das Wissen ging über die Dekaden verloren. Allerdings bin ich mir sicher, dass er wahrscheinlich halb zerstört ist, immerhin wurde er seit langer Zeit nicht instand gesetzt und die Natur wird sicherlich versuchen, sich ihr Gebiet zurückzuholen" meinte er. Alexander musste wieder überlegen und fügte dann hinzu :" Das Gebiet um den Tempel ist ein dichter Wald, allerdings sollte es ein paar alte Wege geben. Laut diesen Karten jedenfalls." Abschätzend blickte er auf sie hinunter. "Allerdings sind sie ziemlich alt, also sind die Wege wahrscheinlich größtenteils überwuchert. Also wird es eine anstrengende Reise durch den Wald." Alexanders Blick verlor sich in der Ferne, während er wieder nachdachte. "Der Tempel ist wie man sich einen typischen Tempel vorstellt - imposant, groß, mit einem großen Vorhof. Allerdings kann man wohl das imposant wegnehmen, da der Tempel - wie schon gesagt - unter der Zeit des alleine seins leiden musste. Das Hauptgebäude ist sehr groß und sollte stark geschmückt sein. Aus Marmor geschlagene Abbildungen von Reija, Götterzeichen und ähnliches." Alexander stockte für einen Moment, bevor er weiterfuhr :" Und laut den alten Überlieferungen, hat der Tempel mehrere Rätsel und Fallen für ungebetene Eindringlinge. Die ehemaligen Mönche wussten wie man diese umgeht, allerdings ist das Wissen verloren gegangen."
Nach diesem Redeschwall schaute Alexander in Aldreds Gesicht. Wie dieser wohl auf die Infos reagieren würde?

Da andere sich schon um das Holzsammeln gekümmert hatten und Aldred sich nun mit Alexander zusammensetzte, um die Karte zu studieren, entschied Finn sich, sich zu Kazeel zu gesellen. Er hatte mit grossen Augen beobachtet, wie der Grindyl mit Hilfe seiner Magie ein Feuer entfacht hatte. Und das ganz ohne Zaubersprüche! Es hatte so ausgesehen, als würde er die Sonnenstrahlen einfach zu sich ziehen. Das war das erste Mal gewesen, dass Finn eine solche Magie gesehen hatte. Natürlich hatte er schon den einen oder anderen Magier in den Eisigen Einöden beobachtet, doch deren Magie war meist Eismagie gewesen. Nur einmal hatte er einen Erdmagier gesehen.
Der Grindyl war gerade dabei, sich ein Nachtlager einzurichten, während Finn sich ihm näherte. Etwas zögerlich blieb er einige Meter entfernt stehen, nicht sicher, ob er den Mönch schon wieder ansprechen sollte. Doch dann entschied er sich, an das Gespräch anzuknüpfen. Er drehte sich um und ging zu seiner Tasche zurück. Nach einigem Suchen fand er das Gefäss mit der Paste und trug es zu Kazeel zurück.
"Ich... Hoff...fentlich störe ich nicht. Ich... ich... wollte nur fragen, ob du vielleicht meine Wunde anschauen möchtest", stotterte er, den Tiegel unsicher in beiden Händen haltend.

Kazeel spürte, daß ihn jemand beobachtete, und sein Blick traf den jungen Menschen, der auf den Namen Finn hörte, gerade in dem Augenblick, da dieser sich abwandte. Er wollte jedoch nur etwas aus seiner eigenen Tasche holen und kam direkt darauf zurück.
"Nein, Ihr stört nicht," antwortete Kazeel mit freundlicher Stimme. "Jetzt ist die beste Zeit, sich darum zu kümmern. Legt Euch hierher," er deutete auf seine Decke und wartete ab, bis Finn der Aufforderung nachgekommen war und sein Hemd aufgeknöpft hatte. Darunter war der Verband zu sehen, der von dem Heiler im Kloster angelegt worden war. Offenkundig hatte es sich dabei um einen sehr erfahrenen Heiler gehandelt.
Kazeel öffnete den Verband nun vorsichtig, bis die bleiche Haut darunter zum Vorschein kam. Erleichtert registrierte Kazeel, daß von der Wunde tatsächlich kaum noch etwas zu sehen war. Nur ein Heilkundiger konnte erkennen, daß dort vor kurzem noch eine solche gewesen war.
Er zog es vor, keine Zeit zu vergeuden, öffnete den Tiegel mit der Paste und nahm etwas davon heraus. Mit geschickten Händen verstrich er die Substanz auf Finns Haut, ebenso sanft wie gründlich. Als er sich davon überzeugt hatte, daß er die Paste gut verteilt hatte, verband er den Bauch des Jungen wieder.
"So, fertig," sagte er schließlich. "Ich denke nicht, daß wir diese Prozedur noch oft wiederholen müssen. Der Heilungsprozeß verläuft sehr gut."

Finn war vielleicht gerade nicht in der Lage Feuerholz zu holen, aber Geralt war es, und er war sich auch nicht zu schade dafür. Außerdem war für ihn ohnehin nichts Besseres zu tun. In ein Gespräch verwickeln würde er jedenfalls niemanden. Nicht einmal Aldred, denn während er zwar eigentlich endlich mehr darüber erfahren wollte warum der Mann sie unbedingt zu diesem Tempel führen wollte war ihm der Gedanke, einfach auf ihn zuzugehen und zu fragen fremd – und unangenehm.
Während das Feuer schon brannte war er noch auf der Suche. Er wollte nicht nur das Feuer am Brennen halten, er brauchte auch einen Moment alleine. Schließlich kam er mit einem kleinen Stapel an morschem Bruchholz zurück, weniger, als er hatte holen wollen, aber er war müde und fror. Er freute sich darauf, sich in seine Decke einzurollen und für eine Nacht seine Sorgen vergessen zu können. Der nächste Tag würde schnell genug kommen.

Aldreds Antwort beschränkte sich auf ein missmutiges Brummen. Er war sich nicht sicher, was er von Alexanders Bericht halten sollte. Dass der Tempel von Wald umgeben war mochte den weiteren Weg mühsam machen, aber es war nicht an und für sich schlecht. Der Wald würde ihnen Deckung bieten. Lieber kämpfte Aldred sich durch den Wald als auf offenem Feld von den Reitern der Heerschar entdeckt zu werden. Vielleicht konnten sie ungesehen in den Tempel gelangen. Auch wenn ihnen noch lange nicht dabei helfen würde, auch dessen Geheimnisse zu entschlüsseln und das Wissen, von dem der Hohepriester gesprochen hatte, zu finden. Aber immerhin: es wäre ein Anfang.
Nachdenklich griff Aldred nach den Karten, warf Alexander einen fragenden Blick zu und zog, als dieser keine Anstalten machte zu widersprechen, das Pergament zu sich. Mit einem breiten, schwieligen Finger fuhr er den Weg nach, den sie vom Kloster aus genommen und heute hinter sich gebracht hatten. Bis zum Tempel war es noch immer ein gutes Stück Weg. Sie konnten es an einem Tag schaffen. Wenn sie rasch waren.
"Wir sollten morgen rasch aufbrechen", murmelte er schließlich in Alexanders Richtung, "Noch vor Sonnenaufgang. Zur Stunde der Letzten Wache. Dann können wir ankommen solange es noch hell ist." Er reichte dem jungen Mann die Karten zurück. "Also sollten wir zusehen, dass wir rasch noch eine Mütze voll Schlaf bekommen. Wird anstrengend, morgen..."

Iorweth kehrte zum Lager zurück, unter dem einen Arm noch einen Stapel Holz und unter dem anderen einen toten Hasen. Das Holz warf er neben das Feuer, dann setzte er sich hin und begann den Hasen mit seinem Dolch zu häuten. "Ich werde den Hasen heute nacht noch braten, sonst verdirbt er uns unterwegs. Dann können wir ihn morgen vorm Aufbruch noch essen," teilte er mit. Nachdem der Hase gehäutet war, ging Iorweth kurz zu Seline und nahm den Proviantbeutel an sich. Er holte das Salz und die Kräuter hervor und rieb das Fleisch mit jeweils einer prise Salz und Kräuter an. Dann bohrte er einen Stock hindurch und hängte diesen über das Feuer.

Alexander nickte zustimmend in Richtung von Aldred. "Du hast Recht. Ich übernehme dann die letzte Wache und wecke euch auf" meinte er. Er war - dank dem Kloster - daran gewöhnt früh aufzustehen und würde keine Probleme haben diesen Teil der Wache zu übernehmen. Also nahm Alexander die Karten an sich, verstaute sie wieder an ihren ursprünglichen Platz und bereitete dann sein Nachtlager vor. Er räumte den Boden von Ästen, kleinen Stein und ähnlichen weg und legte sich dann hin. Essen würde er nachher etwas, jetzt wollte er schlafen. Doch vor dem Schlafenlegen sagte er noch zu den anderen, dass sie ihn rechtzeitig für seine Wache wecken sollten.

Einige Stunden später war es schließlich Zeit die anderen zu wecken. Es war zwar noch dunkel, jedoch würde die Sonne in wenigen Stunden aufgehen. Am Horizont schien der Himmel schon etwas heller zu sein, allerdings war Alexander sicher, dass er sich das nur einbildete - es war noch zu früh, um die ersten Sonnenstrahlen zu sehen. "Alle aufstehen" rief er in das Lager hinein. " Wir müssen bald los, also raus aus den Schlafstätten und macht euch bereit!". Diejenigen, die nicht sofort aufstehen wollten, würde er wachrütteln. Als er sah, dass alle aufstanden - manche schneller, manche langsamer -, kniete er hin und fing an zu beten. Alte Gewohnheiten ließen sich schlecht abgewöhnen und eigentlich wollte er es auch nicht. Sein Gebet enthielt den normalen Dank an die Göttinnen - vor allem an Reija - und eine Bitte nach Glück und Hilfe für die kommende Aufgabe. Nach ein paar Minuten war er fertig und sah sich nach den anderen um.

Es war seine eigene Anweisung gewesen, auf die hin Alexander sie nun aus dem Schlaf riss, dennoch fiel es Aldred schwer, sich zum aufstehen zu zwingen. Es war noch dunkel! Er war kein Bäcker, der es gewohnt war, zu nachschlafener Zeit seinen Ofen zu befeuern, er war Schmied. Trotz seines unbequemen Lagers auf der blanken Erde, nur bedeckt mit dem muffigen Eisbärenpelz, widerstrebte es ihm, sich vor der Sonne zu erheben. Träge kam er dann dennoch auf die Füße. Er entfernte sich ein paar Schritt vom Lager, schlug sein Wasser ab, kam dann wieder zurück an die Überreste des Feuers. Langsam klärte sich sein Kopf. Etwas Bewegung würde die Müdigkeit schon vertreiben. Schweigend aß er einen Kanten trockenen Brots, dann machte er sich daran, die anderen zum Aufbruch zu treiben.
"Packt eure Sachen, seht zu, dass ihr nichts vergesst!", forderte er auf während er in der Dunkelheit sein eigenes Gepäck verschnürte und schulterte. Inzwischen hatte sich die dösige Erwachensstimmung in hektische Betriebsamkeit verwandelt als jeder im Dunkeln zusammen suchte, was er am Vorabend verteilt hatte. Aldred bahnte sich durch das kleine Lager einen Weg zu der schlanken Gestalt, die er auch im Finsteren als Geralt erkennen konnte.
"Wir werden durch den Wald reisen müssen, möglicherweise querfeldein", erklärte er dem jungen Mann, "Alexander ist sich nicht sicher, ob die alten Wege noch bestehen. Du bist Jäger, richtig? Meinst du, du könntest für uns einen Weg durch den Wald finden? Du weißt am ehesten, wie man am besten im Wald voran kommt..."

Das aufstehen bereitete Kazeel keine großen Probleme, denn weder benötigten Grindyl viel Zeit zum schlafen, noch waren sie bequeme Betten gewöhnt. Rasch erhob er sich und packte seine wenigen Sachen zusammen, um dann dem Rest der Gruppe bei den Reisevorbereitungen zuzusehen.
Er suchte in der Richtung, die sie einschlagen würden, den Horizont ab, doch von dem Tempel konnte er noch nichts erkennen. Dafür glaubte er in der Ferne einen Wald zu erspähen. Diesen würden sie wohl durchqueren müssen, um an ihr Ziel zu gelangen.

Nachdem Kazeel sich um seine Wunde - oder die noch sehr frische Haut an der Stelle, wo er verwundet worden war, wie Finn jetzt zum ersten Mal sah - gekümmert hatte, dauerte es nicht lange, bis auch Finn sich zum Schlafen zurückzog. Er hatte im Kloster eine Decke erhalten und in diese eingewickelt und mit seiner Tasche als Kissen konnte er zumindest bequemer schlafen, als auf dem harten Boden. Dennoch war es nach der Zeit, die er in einem wichen Bett verbracht hatte, nicht gerade leicht, so einzuschlafen. Als das Feuer nur noch ein schwaches Glimmen war, schlief Finn aber doch ein.
Am nächsten Morgen fiel es ihm dann aber auch dementsprechend schwer, aufzustehen. Mit schmerzendem Nacken rappelte er sich auf, als Alexander sie in aller Herrgottsfrühe weckte. Durch seinen unruhigen Schlaf war er leicht geweckt, allerdings konnte er die Augen kaum offen halte und gähnte beständig, während er die Deck unsorgfältig in die Tasche stopfte und sich immer wieder die Augen rieb. Etwas verloren stand Finn herum und beobachtete, den Mann mit der Narbe, wie er sich hinkniete und scheinbar betete. Finn hatte fast noch nie jemanden beten sehen. Die Mönche im Kloster hatten das wohl alleine getan und in der Letzten Stadt hatte man wenig Zeit für glauben. Es gab zwar einen kleinen Schrein für Keezah, aber seit der letzte Priester verstorben war, kümmerte sich niemand mehr um diesen. Pilgerer, die den Schrein in Jijaun besuchten, sah man nur ganz selten, Finn war bisher erst einem begegnet. Umsomehr faszinierte in dieser Anblick, aber weil Alexander ihn einschüchterte, blieb er einfach stehen und rieb sich weiter die Augen.

Es passte Geralt nicht, von einem Weckruf aufgeschreckt zu werden. Er war schon wach gewesen, sicher, aber auf das Kommando eines Anderen aufstehen zu sollen gefiel ihm nicht. Aber er stand auf, rasch und ohne ein Wort. Es überraschte und beunruhigte ihn, als Aldred begann, zu ihm herüberzukommen. Hatte er Wind von seinen heimlichen Gedanken bekommen? Hatte Finn ihm seine Worte berichtet? Mit mehr als gemischten Gefühlen sah Geralt dem Mann entgegen, locker auf seinen Speer gestützt. Aber was der Mann sagte klang überraschend vernünftig. Geralt nickte und machte sich ohne Verzögerung oder Antwort auf, setzte sich an die Spitze einer Marschordnung, die sich noch gar nicht gebildet hatte, als wollte er ihr entfliehen. Nur bei Finn machte er kurz Halt, sah ihn sich an, kurz nur, sodass es der Abgewandte gar nicht bemerkte. Es freute ihn, dass sich der Junge allem Anschein nach wieder frei bewegen konnte. Er hatte gesehen, dass Kazeel sich um ihn gekümmert hatte; vielleicht war es doch gut, dass sie den Grindyl dabei hatten.
Der Wald war ein paar hundert Schritt entfernt, begann auf dem Hang der Senke, in die sie am Vorabend hinabgestiegen waren, und erhob sich in der Ferne zu einem mächtigen Forst, dunkel und abweisend im müden Licht der Morgendämmerung. Aber Wälder waren Geralt vertraut, und auch vor diesem fürchtete er sich nicht. Er hatte nur einen kurzen Blick auf die Karte werfen können, aber die Himmelsrichtung, in der sie unterwegs waren, war ihm doch klar. Vielleicht würde die Straße, der er folgte, durch den Wald führen. Wenn nicht, würde der Weg wesentlich länger dauern.

Schnell, um keine weitere Zeit zu verlieren, setzte sich die Gruppe in Bewegung, und der junge Mensch, der Geralt genannt wurde, übernahm die Führung. Anfangs verstand Kazeel noch nicht so ganz, warum, doch als das Unterholz immer dichter wurde, verstand er es. Der junge Mann verstand es vorzüglich, den Weg zwischen den dichten Wurzelsträngen und Sträuchern hindurch zu finden, und sie kamen zügig voran.
Während des Marsches fiel sein Blick immer wieder auf Finn, den er gestern abend behandelt hatte. Er schien keine Probleme zu haben, mit den anderen mit zu halten. Wie es schien, machte seine Genesung gute Fortschritte.
Dann sah er zu der vierarmigen Frau hinüber, die seit dem Aufbruch vom Kloster kaum ein Wort gesagt hatte - weder zu ihm noch zu einem der anderen. Sie war ihm nach wie vor nicht geheuer, denn er verstand ihre Handlungsweise bei dem gestrigen Vorfall nicht. Möglicherweise war es besser, das zu ändern, bevor sie den Tempel erreichten.
"Verzeiht," sprach er sie an, nachdem er neben sie getreten war. Er hatte ein wenig Mühe, mit ihrem Tempo Schritt zu halten, doch da sich der ganze Trupp seinem schwächsten Mitglied anpaßte, konnte er doch zu ihr aufholen. "Ihr werdet Seline genannt, richtig?"

Es war noch immer dunkel als sie den Waldrand erreichten und zwischen den Bäumen schien die Finsternis nur noch dichter zu hängen. Der blasse Schein der Sterne, des schwindenden Monds und der sich langsam ankündigenden Sonne drang nur hier und dort durch das dichte Laubdach und malte fahle, tanzende Flecken aus silbrigem Licht auf Boden und Unterholz, die ansonsten in tiefe Schatten gepackt da lagen. Schweigend, manche noch regelrecht schlaftrunken, die meisten anderen zumindest dösig wie es schien, schleppten sie sich vorwärts. Aldred fühlte die Müdigkeit schwer wie Blei dicht hinter seinen Augen lauern. Es wäre so verlockend, noch ein wenig zu schlafen, nur eine Stunde, nur, bis es dämmerte! Wie in Trance setzte er auf dem Pfad, den Geralt ihnen vor gab, einen Fuß vor den anderen. Seine Gedanken jedoch waren weit weg von diesem Wald. Sie waren wieder in das raue, windige Tal im Norden gewandert, in das ihn jener schicksalhafte Traum entführt hatte. Seine Augen waren geöffnet, doch anstatt der nachtschwarzen Stämme der Fichten sah er die zarte, zerbrechliche Gestalt der Maid aus seinen Visionen auf ihrem Felsen liegen, Haar und Kleid tanzten im Wind. Wie immer, wenn er sich ihr Bild vor Augen rief, überfiel ihn die wohlige Sehnsucht und breitete sich warm in seiner Brust aus. Sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht, ebenmäßig, jung und doch so bleich wie der Tod, ihrer kleinen, fast kindlichen Nase, den schmalen, blassen Lippen, den geschlossenen Lidern mit den langen Wimpern...
Und plötzlich geschah etwas, was noch nie geschehen war. Die junge Frau schlug die Augen auf, hob den Kopf, blickte ihn geradewegs aus unendlich tiefen, rehbraunen Augen an. Die Wärme in seiner Brust loderte auf wie Glut, in die ein Windstoß fuhr, brannte mit einem mal heiß und schmerzhaft in seiner Brust. Der Sturm toste ohrenbetäubend um die schroffen Felsen des Tales, so laut und donnernd, dass man sich nicht einmal brüllend hätte verständigen können, doch als die Maid ihre blassen Lippen öffnete verstand Aldred jedes ihrer Worte. Sie drangen ihm geradewegs in den Verstand.
"Aldred!", rief sie seinen Namen und ihre Stimme war ein sanfter Windhauch im Sommergras, "Die Zeit wird knapp, Sohn von Thjuren. Die Barriere zwischen den Welten schwindet und die Schatten greifen nach meinen Schwestern und mir. Wir sind nicht bereit, in eure Welt zu treten. Wenn uns niemand zur Hilfe eilt werden wir vergehen, wie es Weline um ein Haar geschehen wäre. Ihr müsst uns retten. Du, Aldred, musst uns retten! Beeile dich! Die Heerschar steht kurz vor ihrem Ziel!" Das Feuer in seiner Brust brannte inzwischen so gleißend, dass alles, was er tun konnte, nicht los zu schreien war. Es schien ihn von innen zu verzehren während jedes ihrer Worte sich wie glühender Stahl in seinen Verstand prägte. Aldred bemerkte es nicht, doch der Schweiß stand ihm auf der Stirn und lief ihm in dicken Perlen in Haar und Bart.
Und plötzlich, so rasch wie es gekommen war, verschwand das Bild wieder. Als hätte eine höhere Macht ihn mit Blindheit geschlagen verschwanden das Tal, der Sturm und diese unendlich tiefen, rehbraunen Augen und alles was blieb, war die Schwärze des Waldes. Das nächste, was Aldred mitbekam, war wie er mit überraschtem Aufschrei zu Boden stürzte. Einen Herzschlag später küsste er das tote Laub.